Auch wenn es in den Medien, deutschen wie amerikanischen, im Moment untergeht: Im November wird nicht nur der Präsident gewählt, sondern auch der Kongress, genauer gesagt, das ganze Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats.
Wir wollen uns heute das Repräsentantenhaus anschauen, wo – wie alle zwei Jahre – sämtliche 435 Sitze zur Wahl stehen. Besonders dort kommt es zu einem Phänomen, das der interessierte Leser vielleicht nicht erwartet: In einigen Wahlbezirken tritt nur ein Kandidat der beiden großen Parteien an. Der Bürger kann nicht zwischen einem Demokraten und einem Republikaner wählen, sondern meist nur zwischen einem Kandidaten einer der großen Parteien und mehreren der kleineren wie den Grünen oder den besagten Libertarians.
Gehen wir von den Demokraten aus, weil das pro-demokratische Blog Daily Kos diese Rennen eng verfolgt und wir seine Daten klauen zitieren können. Nach diesen Angaben gibt es elf Wahlbezirke, in denen ein Republikaner und kein Demokrat antritt:
AL-06 – R+25
AR-03 – R+11
CA-19 – R+10
CA-22 – R+16
KY-05 – R+8
TX-01 – R+17
TX-02 – R+12
TX-05 – R+16
TX-11 – R+25
TX-14 – R+14
TX-21 – R+13
Die ersten beiden Buchstaben sind die Abkürzungen für den Bundesstaat – die vielen „TX“ stehen zum Beispiel für „Texas“. Die Zahl dahinter ist die des Wahlkreises. So gehört zu TX-14 die Stadt Galveston. Die Sache mit dem „R“ erklären wir gleich.
Bleiben wir bei TX-14. Dort treten an (bei den letzten drei war nicht sofort eine eigene Website zu finden):
- Ron Paul, der jetzige republikanische Abgeordnete
- Chris Peden, ein republikanischer Herausforderer
- Eugene Flynn, ein Libertarian
- James Harvey, parteilos
- Gregory Roof, parteilos
(Ron Paul? Kennen wir den nicht? Genau, das ist einer der Bewerber für die Präsidentschaft, weswegen er eine zweite Website hat. Paul ist formell sogar noch im Rennen, auch wenn ihn die Presse ignoriert. Peden war angetreten für den Fall, dass Paul aussteigt.)
Ein Demokrat ist nicht darunter. Warum? Zwei Gründe.
Der erste sind die Zahlen nach dem Buchstaben „R“ in der Liste. Das ist der partisan voting index nach Cook, kurz PVI genannt. Er beschreibt, vereinfacht gesagt, um wie viele Prozentpunkte die Partei („R“ für Republikaner, „D“ für Demokraten“) in einem Wahlbezirk besser als im Landesdurchschnitt abschneidet.
Das „R+25“ für TX-11 besagt, dass die Republikaner dort 25 Prozentpunkte mehr Stimmen bekommen. Für jeden Demokraten wäre eine Bewerbung dort ein politisches Selbstmordkommando. Das R+14 für TX-14 ist in der Praxis nur wenig besser.
Ja und? mag der kontinentaleuropäische Beobachter jetzt sagen. Die SPD tritt auch alle fünf Jahre in Bayern an und holt sich tapfer ihren Prügel ab. Die Demokraten müssen dem Wähler doch eine Alternative bieten, schon allein der Parteilandschaft wegen.
Was uns zum zweiten Grund führt, der allerdings erfahrungsgemäß etwas schwieriger zu vermitteln ist. Deswegen schieben wir eine Übung ein.
Der interessierte Leser ziehe sich fette schwarze Stiefel, einen möglichst langen schwarzen Ledermantel und eine ultra-teure Sonnenbrille an. Wenn er seinen Partner dazu bringen kann, sich in hautengem Latex [JPG] an ihn zu klammern, um so besser. Dann hole er sich aus der Besteckschublade einen Löffel und halte ihn sich so vor das Gesicht, dass er seine eigene Nase sieht. Und jetzt mache sich der interessierte Leser klar:
Es gibt keinen Löffel.
Das sieht nur so aus. Alles Illusion. In Wirklichkeit gibt es den Löffel gar nicht.
Wenn der Leser sich das bewusst gemacht hat, die elementare Unwirklichkeit des Löffels sich ihm ins Gehirn gebrannt hat, wenn buddhistische Mönche aus Laos einfliegen, um zu seinen Füßen die anatta-Lehre der Nicht-Existenz zu empfangen, dann ist er bereit für die nächste Stufe der Erkenntnis:
Es gibt keine Parteien.
Das sieht nur so aus. Alles Illusion. In Wirklichkeit gibt es die Parteien gar nicht.
Wir haben schon erklärt, dass in den USA Menschen gewählt werden und nicht Parteien und dass die Verfassungsväter diese eigentlich als Teil des Problems und nicht der Lösung gesehen haben. Die Amerikaner haben lediglich zähneknirschend akzeptiert, dass Kandidaten sich ständig zu Gruppen zusammenschließen und haben ein paar Regeln aufgestellt, um das in gesittete Bahnen zu lenken.
Alle reden zwar ständig von den Parteien und die Wähler mögen sich mit einer Partei identifizieren und die Parteien halten vielleicht Vorwahlen ab und am Wahltag können die Wähler ihr Kreuz nach der Parteizugehörigkeit machen, denn das steht neben dem Namen. Aber am Ende werden Menschen gewählt.
In TX-14 treten daher eigentlich nicht zwei Republikaner, ein Libertarian und zwei Parteilose an, sondern die fünf aufrechten texanischen Bürger Paul, Peden, Flynn, Harvey und Roof. Dass keiner von ihnen zu einer Gruppe namens „Demokraten“ gehört, ist dem System so schnurz wie die Frage, ob einer der Kandidaten im Kegelverein ist.
Die Demokraten können auch niemanden „stellen“ oder von sich aus „antreten“, egal wie sehr die Parteiführung in Washington (und die Autoren von Daily Kos) sich das wünschen mag. Sie können nur darauf hoffen, dass ein wackerer Demokrat in Galveston beschließt, sich zu bewerben.
Nur, warum sollte jemand das tun?
Ein Kandidat würde sich die Plagen des Wahlkampfs aufhalsen und müsste für seine Finanzierung selbst sorgen. Was am Ende sein Lohn wäre, sagt der PVI ziemlich eindeutig voraus: Eine vernichtende Niederlage. Die nimmt aber nicht die Partei auf ihre Kappe wie die SPD in Bayern, sondern er persönlich.
Er wäre also nicht ein guter Parteisoldat, der später an anderer Stelle für sein Opfer belohnt werden würde, sondern nur der Depp, der so blöd war, eine völlig sinnlose Schlacht zu schlagen. Das ist nicht gut für die Karriere und vorlaute Rotznasen mit Glatze [JPG] würden auf der Straße über ihn lachen.
Der interessierte Leser mag in seiner bestimmt reichlich bemessenen Freizeit alle 435 Wahlbezirke durchgehen, um sich davon zu überzeugen, dass es solche Fälle auch mit umgekehrter Rollenverteilung gibt. In OR-04 (Oregon) treten zum Beispiel offenbar nur Peter DeFazio von den Demokraten und Mike Beilstein von der Pacific Green Party an, kein Republikaner.
Wir werden jetzt den Kongress in Ruhe lassen, bis die Vorwahlkämpfe endlich zu Ende sind. Das hält unsere ganze Diskussion auf …
[Korrigiert 30. April 2008: Die Legislaturperiode in Bayern beträgt fünf, nicht vier Jahre. Zuerst gesehen von TB, vielen Dank]