Archive for Juni, 2008

Rube Goldberg und seine Maschinen

Juni 22, 2008

Das US-Heer hat die Nase voll von der Luftwaffe, die angeblich im Irak und Afghanistan nicht richtig mittut. Sie hat daher eine eigene Luftaufklärung aufgebaut, die Task Force Odin, wie die „New York Times“ berichtet. Dort heißt es (Hervorhebung hinzugefügt):

The task force of about 300 people and 25 aircraft is a Rube Goldberg collection of surveillance and communications and attack systems, a mash-up of manned and remotely piloted vehicles, commercial aircraft with high-tech infrared sensors strapped to the fuselage, along with attack helicopters and infantry.

Nicht nur die Al-Kaida und die Taliban, sondern auch einige interessierte Leser werden sich jetzt fragen: Was ist denn ein Rube Goldberg?

Reuben Lucius Goldberg (1883-1970) war ein Karikaturist und Autor, der besonders für seine Rube Goldberg Machines bekannt ist – überkomplizierte Maschinen, die einfache Dinge unglaublich umständlich tun. Daneben zeichnete er politische Cartoons. Goldberg erhielt 1948 die höchste Auszeichnung des Journalismus, den Pulitzer Prize.

Wenn Amerikaner japanische Erfindungen [YouTube] beschreiben, wird Goldbergs Name bemüht. Beim Computerspiel The Incredible Machine konnte jeder selbst solche Geräte bauen. Wer etwas ambitionierter ist, nimmt am Rube Machine Contest der Purdue University teil. So musste 2007 eine Orange in mindestens 20 Schritten ausgepresst und 2008 ein Hamburger gebaut werden.

Ob die Maschinen von Task Force Odin das auch können, ist nicht bekannt.

Kurz erklärt: John Hancocks Unterschrift

Juni 17, 2008

Die Schönste Germanin ist ein Will-Smith-Fan und freut sich deswegen riesig auf Hancock. Amerikaner als solches verbinden mit dem Namen allerdings nicht zuerst einen Anti-Superhelden, sondern John Hancock (1737-1793) aus Massachusetts, einen ganz normalen Helden der Amerikanischen Revolution.

Hancock ist besonders berühmt für seine Unterschrift. Seine Signatur war nicht nur die Erste auf der Unabhängigkeitserklärung, er setzte sie auch feist und fett [JPG] so richtig unübersehbar in großen Buchstaben in die Mitte. Der (wohl falschen) Legende nach soll er das gemacht haben, damit der am Grauen Star erkrankte britische König George III. sie auch ohne Brille lesen konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Engländer schon lange ein Kopfgeld auf Hancock ausgesetzt.

Daher kommt auch der Spruch put your John Hancock here wenn man jemanden bittet, einen Vertrag zu unterschreiben.

Police Blotters: Öffentliche Polizeiprotokolle

Juni 11, 2008

Vor einigen Tagen wurde der 36-jährige Moses Diaz aus Dorchester in Massachusetts wegen Fahrrad-Diebstahls festgenommen. In Colorado Springs wurde Jonathan Hamilton – geboren am 19. April 1983, übrigens – wegen eines Raubüberfalls verhaftet. Und in Iowa City wurde Kyle Andrew Berg, geboren am 17. Januar 1986 und wohnhaft in der Scenic Valley Drive 700, falls es jemand wissen will, wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit festgenommen.

Woher dieser Autor das weiß, und woher er die Namen, das Alter und die Adressen kennt? Weil die jeweilige Polizei von Boston, Colorado Springs und Iowa City diese Informationen veröffentlicht haben.

In den USA sind die „Logbücher“ der Polizeiwachen, die police blotters, öffentlich zugänglich. Alle Festnahmen und Einsätze werden darin aufgezeichnet und dann publik gemacht. Meist – wenn auch nicht immer – geschieht das mit den vollen Namen der mutmaßlichen Täter und anderen Personalien.

Wie die blotters genau aussehen, hängt von den jeweiligen Vorschriften für die Polizei ab, die in den USA bekanntlich kommunal organisiert ist. In Pittsburgh erfährt der interessierte Bürger auch die Namen der zuständigen Richter, während in Stanly County in North Carolina die Namen von Opfern genannt werden:

Moyle, Caroline Nadine (W F, 58) VICTIM of Larceny From Vehicle (C), at 105 Moss Springs Rd, Albemarle, NC, between 16:00, 05/26/2008 and 08:45, 05/27/2008. Reported: 05/27/2008. Tire and rim taken from victim’s vehicle parked on Moss Springs road.

Es gehört zu den Routineaufgaben der amerikanischen Lokalpresse, diese Protokolle zu sichten und die wichtigsten Fälle zu veröffentlichen. Im Zeitalter des Internets werden die Listen zum Teil vollständig übernommen. Deswegen finden wir auf der Website der „Durango Herald“ aus Colorado Meldungen wie diese vom Donnerstag:

8:41 a.m. A dog was without food or water for 24 hours in the 3100 block of East Third Avenue.

Der „Herald“ gibt jedes Jahr eine Art best of blotter [PDF] heraus mit den kuriosesten Fällen.

(Bei vielen Blättern wie dem „Daily Iowan“ werden für die häufigsten Vergehen Abkürzungen benutzt:

  • DUI – driving under influence [im Rausch]
  • DWI – driving while intoxicated
  • DUS – driving under suspension [ohne Führerschein]
  • IWOA – interference with official acts
  • OWI – operating a motor vehicle while intoxicated
  • PAULA – possession of alcohol under the legal age

Wer als Austauschschüler „Paula“ heißt, sollte sich auf entsprechende Witze gefasst machen.)

Nicht nur die Stadtpolizei und die Sheriffs führen solche Protokolle, sondern auch die entsprechenden Organe der anderen Verwaltungseinheiten wie die Polizei der Universitäten. Es wundert daher nicht, dass Second Life ebenfalls einen blotter hat. Sollte es einen bei World of Warcraft geben – Orc killed by Night Elf, blood fury suspected – hat dieser Autor ihn leider nicht gefunden.

Das Ganze ist die Fortsetzung eines Prinzips, das wir bei der Diskussion über die Namensschilder der Polizei besprochen hatten: In den USA kontrollieren sich die Staatsorgane nicht nur gegenseitig, sondern werden auch so engmaschig wie möglich direkt vom Bürger überwacht. Jeder soll wissen, was die Beamten den ganzen Tag so tun. Insbesondere soll verhindert werden, dass die Polizei irgendwelche Leute mitnimmt, ohne dass jemand davon erfährt.

Entsprechend entsetzt sind Amerikaner darüber, dass die deutsche Polizei nicht nur „anonym“ arbeitet – sprich, keine Namensschilder trägt – sondern dazu noch „heimlich“ agiert und einfach Leute festnimmt, ohne deren Namen zu veröffentlichen. Geradezu köstlich ist der Gesichtsausdruck von amerikanischen Journalisten, wenn sie zum ersten Mal von einem empörten deutschen Polizeisprecher gesagt bekommen, dass gewisse Dinge sie einen feuchten Dreck angehen. Hier prallen sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Beziehung zwischen Bürger und Polizei aufeinander.

Bei dem System wird eine gewisse Prangerfunktion in Kauf genommen. Wer wegen, sagen wir mal, DUI in einer school zone festgenommen wird, kann sich gleich darauf einstellen, dass Familie, Freunde und Firmenkollegen davon erfahren werden. Die öffentlichen Protokolle sind auch der Grund, warum man in den USA häufiger und vor allem detaillierter über die Schandtaten von Prominenten und Politikern liest: Die amerikanische Presse erfährt es eher als ihre Kollegen in Europa.

Das muss nicht immer schlecht sein: So wissen wir, was für eine
hilfreiche Person Sandra Bullock nach einem Autounfall ist. Eine Wildkatze hinter dem Steuer ist wie wohl doch nicht.

Barack Obama und die Brücke von Selma

Juni 4, 2008

Barack Obama hat gestern genug Delegierte zusammengetragen, um nach menschlichem Ermessen Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden. In seiner Siegesrede machte er eine Reihe von Anspielungen auf die amerikanische Geschichte, von denen die meisten bekannt oder wie die Greatest Generation aus dem Zusammenhang klar sein dürften. Eine Stelle sollten wir aber erklären (Hervorhebung hinzugefügt):

So it was for the workers who stood out on the picket lines; the women who shattered glass ceilings; the children who braved a Selma bridge for freedom’s cause.

Selma ist eine Stadt in Alabama, die während der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre eine zentrale Rolle [Fotos] spielte. Landes- und Kommunalgesetze schafften dort eine strenge Rassentrennung, die brutal durchgesetzt wurde. Insbesondere wurde den Schwarzen die Möglichkeit zur Wahl genommen. Für die civil rights movement war Selma ein Paradeexemplar für den Rassismus der Südstaaten.

Am Sonntag, den 7. März 1965, brachen etwa 600 Menschen unter der Führung des Bürgerrechtlers John Lewis (heute Abgeordneter im Repräsentantenhaus) von Selma in die Landeshauptstadt Montgomery auf, eine Strecke von etwa 87 Kilometern. Auslöser war der Tod eines Schwarzen, den ein state trooper bei einer Demonstration erschossen hatte. Gouverneur George Wallace erklärte den Marsch zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Die Landespolizei und die Beamten des Sheriffs von Dallas County fingen die Demonstranten bei der Edmund-Pettus-Brücke ab.

Dieser erste Marsch wurde niedergeknüppelt [YouTube]. Die Polizei setzte Schlagstöcke, Pferde, Tränengas und Peitschen ein. Die Bürgerrechtlerin Amelia Boynton Robinson starb fast; Lewis trägt bis heute die Narben seiner Kopfverletzungen. Allerdings: Die Gewalt fand vor laufenden Fernsehkameras statt. Die entsetzte Öffentlichkeit gab dem Tag den Namen Bloody Sunday (weswegen Amerikaner mit dem Ausdruck etwas anderes verbinden als die Iren).

Sofort danach organisierte der Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. einen zweiten Marsch. Die Demonstranten versuchten diesmal, per Gericht die Polizei am Eingreifen zu hindern. Der Bundesbezirksrichter Frank M. Johnson – der mit Wallace studiert hatte – erließ stattdessen eine einstweilige Verfügung, bis er sich ein Bild von der Lage machen konnte. King führte am 9. März trotzdem 2.500 Menschen von Selma zur Brücke, hielt dort eine kurze Predigt und kehrte um. Das Verbot galt schließlich nur für einen Marsch nach Montgomery.

Die Gewalt löst auch in Washington Empörung aus. Das geht den Bund nichts an, sagte Alabama trotzig. Präsident Lyndon B. Johnson erwiderte vor den Kongress:

There is no issue of States rights or national rights. There is only the struggle for human rights. We have already waited a hundred years and more, and the time for waiting is gone.

Der dritte Marsch fand am Ende des Monats statt. Richter Johnson hatte inzwischen den Antrag der Demonstranten stattgegeben. Er berief sich dabei auf den First Amendment, der das Recht des Bürgers festschreibt, seine Beschwerden der Regierung vorzutragen.

Es regnete in Strömen. Die am Ende 25.000 Demonstranten wurden diesmal von der Nationalgarde von Alabama geschützt, über die der Präsident das Kommando übernommen hatte. Auch Kinder [Fotos] waren dabei, auf die Obama anspielt (man beachte, wie bereits besprochen, die vielen US-Fahnen).

Moment, wird der aufmerksame interessierte Leser jetzt sagen. Die Nationalgarde? Die darf im Inland doch überhaupt nicht Polizeiaufgaben unter dem Befehl des Präsidenten annehmen! Nein, darf sie auch nicht. Hat sie trotzdem gemacht. Über diesen Teil der Geschichte kann man sehr lange nachdenken.

(Und bevor dieser Autor wieder E-Mails bekommt: Ja, der Kongress erließ 2006 ein Gesetz, das den Einsatz der Nationalgarde im Inland gegen den Willen der Gouverneure erlaubte. Das führte zu der Verschwörungstheorie eines bevorstehenden Militärputsches von George W. Bush mit dem Ziel, den Faschismus einzuführen (oder so). Der Kongress hat inzwischen alles wieder rückgängig gemacht (einfacher zu lesen bei der Wikipedia oder als Nachricht). Bush selbst stellte mit seiner Unterschrift die Rechtslage von 1807 wieder her.)

Nach fünf Tagen, am 25. März 1965, kam der Zug der Demonstranten in Montgomery an. King hielt seine Rede „Our God is Marching On“:

[W]e are on the move and no wave of racism can stop us. […] Like an idea whose time has come, not even the marching of mighty armies can halt us. We are moving to the land of freedom. Let us therefore continue our triumphant march to the realization of the American Dream.

Einige Monate später änderte der Bund das Wahlrecht, was wegen des 14. Verfassungszusatzes auch für Alabama bindend war.

Die Märsche waren nicht nur an sich ein zentraler Sieg für die Bürgerrechtsbewegung, sondern zeichnen symbolisch, wenn man so will, ihren ganzen Ablauf nach: Von einer kleinen Gruppe von Tapferen hin zu einer Massenbewegung.

Es überrascht daher nicht, dass Obama als erster schwarzer Präsidentschaftskandidat darauf anspielt. Mehr noch, er hielt selbst 2007 in Selma eine Rede vor einigen der Veteranen des Marsches und erklärte:

I’m here because somebody marched. I’m here because you all sacrificed for me. I stand on the shoulders of giants.

META: Eingeschränktes Bloggen bis Ende Juni

Juni 3, 2008

In der Berlin S-Bahn ist es wieder wie in der Sauna, diesem Autor läuft die Nase und mit dem Kind Nummer Zwei wird gestritten, warum jemand ohne nennenswerte Haare auch bei 30 Grad eine Mütze aufsetzen muss – es ist also wieder Sommer. Mehr noch, die Schönste Germanin hat zwei kleine Deutschland-Fahnen gekauft, ein untrügliches Zeichen dafür, dass irgendein Fußball-Ereignis ansteht.

Nach zwei Jahren weiß dieser Autor, was das für einen licht- und pollenscheuen Blogger heißt: Ein großer Teil der Leserschaft sind im Garten oder vor dem Fernseher oder beides.

Daher nutzen wir die Gelegenheit, um den output hier etwas herunterzufahren, denn im und am Hause Stevenson gibt es jede Menge zu tun. Bis Ende Juni wird es in der Regel bei einem Eintrag pro Woche bleiben. Wie es mit dem Juli und August ist, werden wir dynamisch entscheiden: Schließlich warten zwei kleine amerikanische Fahnen auf die Olympischen Spiele.