Nachdem wir die grundsätzliche Struktur der USA erklärt haben, schauen wir uns heute als ersten konkreten Baustein das Repräsentantenhaus an: Die Kammer des Kongresses, in dem seit mehr als 200 Jahren der Pöbel regiert, in der schon mal der Geist von Star Trek gefeiert wird, der aber auch die Finanzen kontrolliert.
Die Formalien: Die 435 Abgeordneten werden auf zwei Jahre gewählt. Jedes gerade Jahr finden also Kongresswahlen statt. Damit können wir den ersten häufigen Fehler aus der Welt schaffen: Eine Legislaturperiode dauert in den USA zwei Jahre, nicht vier. Vier Jahre beträgt die Amtszeit eines Präsidenten, also die „Exekutivperiode“. Die Verwirrung ist eine weitere Folge der fehlenden Gewaltenteilung in parlamentarischen Demokratien wie Deutschland, wo die Exekutive aus der Legislative hervorgeht und die Perioden daher identisch sind. Wir sind im Juli 2006 im 109th Congress, also der 109. Legislaturperiode.
Die Sitze im Repräsentantenhaus werden nach der Bevölkerungsgröße der Bundesstaaten vergeben: Wer mehr Einwohner hat, kriegt mehr Sitze, jeder Staat aber mindestens einen. Daher alle zehn Jahre die Volkszählung, auf die wir in einem anderen Zusammenhang eingegangen sind. So hatte Arizona bei seiner Gründung 1912 einen Sitz, inzwischen sind es acht. Kalifornien hat als Staat mit den meisten Einwohnern 53 Sitze. Alaska hat zwar die größte Fläche, aber da Bären und Elche nicht zählen, nur einen Sitz.
Es ist Sache der Bundesstaaten, sich in Wahldistrikte aufzuteilen, die jede die gleiche Bevölkerungszahl haben. Arizona hat also acht congressional districts [PDF]. Die Distrikte werden durchnummeriert und erscheinen dann mit dem Kürzel des Bundesstaates. Zum Beispiel ist „AZ-7“ der 7. Distrikt von Arizona, ein Bereich im Südwesten an der Grenze zu Mexiko. Die Hälfte der 640.000 Einwohner sind Hispanics. Vor zwei Jahren haben sie den Demokraten Raúl Grijalva gewählt. Schaut man in der Kongress-Datenbank THOMAS unter Grijalva nach, sieht man hinter seinen Gesetzentwürfen „Rep Grijalva, Raul [AZ-7]“ (das „Rep“ heißt representative, nicht „Republikaner“, ein weiterer häufiger Fehler).
An diesem Beispiel sieht man schön eine wichtige Eigenschaft des Systems: An einem Ort zusammenhängende Gruppen haben die Möglichkeit, einen Vertreter ihrer Art in die Legislative zu bringen. So ist ist es nicht überraschend, dass der Abgeordnete des ersten Distrikts von Utah, Rob Bishop, ein Mormone ist. Würden alle Gothics der USA an einem Ort wohnen, hätten sie guten Chancen, jemanden in schwarzer Kleidung ins Repräsentantenhaus zu schicken.
Soweit die Theorie. Jetzt kommt die knallharte Alltagspolitik mit ihren schmutzigen Tricks.
Da die Bevölkerung nicht gleichmäßig verteilt ist, können die Grenzen der Distrikte auch nicht gleichmäßig gezogen werden. Das Ziel ist ja, sie von der Bevölkerungszahl gleich groß zu machen, nicht von der geographischen Fläche. Die Distrikte sind also immer etwas bizarr geformt.
Diese Tatsache gibt bösen Menschen in der Landesregierung nun die Gelegenheit, die Linien so zu manipulieren, dass die Wähler der eigenen Partei möglichst zusammenhängen, die des Gegners aber fragmentiert sind. Dieser Vorgang heißt gerrymandering und wurde erstmals im großen Stil 1812 von den Demokraten in Massachusetts angewandt. Es gibt gewisse Kontrollen dagegen, aber immer wenn die Grenzen neu gezogen werden – reapportionment heißt das Fachwort – liegt der Vorwurf in der Luft. Jemand ist immer unglücklich.
Warum überhaupt dieser Aufwand? Der Kongress löst mit dem Zwei-Kammer-System eines der ältesten Probleme, vor denen ein Bund von Einzelstaaten steht: Die Staaten mit mehr Einwohnern wollen mehr zu sagen haben, die Staaten mit weniger Einwohnern wollen sich aber nicht dominieren lassen. An diesem Streit drohte die ganze Verfassung zu scheitern, bis in dem great compromise einfach zwei Kammern gemacht wurden: Eine, in der die großen Staaten mehr Gewicht haben (das Repräsentantenhaus) und eine, in der alle Staaten gleich sind (der Senat). Wie wir in der nächsten Folge sehen werden, hat dort nämlich jeder Bundesstaat genau zwei Vertreter, egal wie groß der klein er ist. Da beide Kammern jedem Gesetz zustimmen müssen, kann keine Seite übervorteilt werden.
Wir werden das Gesetzgebungsverfahren in den USA in der übernächsten Folge behandeln. Jetzt gehen wir nur noch auf die Besonderheit des Repräsentantenhauses ein: Die Finanzhoheit.
Wenn ein Gesetz mit Geld zu tun hat, muss der Entwurf hier seinen Ursprung haben. Das Repräsentantenhaus stellt dazu das mächtige Ways and Means Committee, dessen altertümlicher Name schon zeigt, dass es erstmals 1789 zusammentrat. Hat das Repräsentantenhaus ein Haushaltsgesetz verabschiedet, geht es an den Senat, der dann die üblichen Anhänge vorschlagen kann. Wir halten fest: Wenn der Senat oder gar der Präsident von sich aus anfangen über Geld reden, kann man das getrost ignorieren. Meistens handelt es sich um reines Wunschdenken. Ohne das Repräsentantenhaus gibt es keinen Cent.
Schön, mag jetzt der interessierte Leser denken. Aber was hat das alles mit Star Trek zu tun?
Das Repräsentantenhaus gilt seit jeher als weniger spießig, weniger staatstragend, näher am Volk – die Volkskammer halt. Weil es um zwei Jahre geht, sind die Wähler eher als bei den Senatoren bereit, Außenseitern eine Chance zu geben. Die Kammer ist damit – gewollt – offener für Quereinsteiger in die Politik, wie zum Beispiel den Musiker Sonny Bono, in Europa besser bekannt als Chers Ex-Ehemann. Das System sorgt dafür, dass frisches Blut in die Politik kommt, etwas zumindest. Das heißt nicht, dass aus dem Repräsentantenhaus keine Staatsmänner kommen: George Bush, der Vater der jetzigen Präsidenten George W. Bush, hielt von 1967 bis 1971 einen Sitz für Texas, bevor seine Karriere ihn dann (mit einigen Umwegen) ins Weiße Haus führte.
Und dann wäre da noch James Traficant aus Ohio.
Traficant saß von 1984 bis 2002 im Repräsentantenhaus und wurde berühmt für seine einminütigen Reden, in denen er häufig als Ausdruck der Verzweifelung über den Zustand der US-Politik und der Welt im allgemeinen ein beam me up! einbaute. Berüchtigt waren nicht nur der Inhalt der Reden, die bissigen Bemerkungen und seine Kleidung, sondern auch sein Toupee. Weniger amüsiert waren seine Mit-Demokraten, als er für einen Republikaner als Präsident der Kammer stimmte. Aus der Partei konnte man ihn nicht werfen – das geht in den USA nicht, wie wir irgendwann erklären werden – aber er wurde nicht für einen einzigen Ausschuss nominiert.
Am Ende wurde Traficant nicht abgewählt, sondern der Korruption und anderer Vergehen schuldig gesprochen. Seine Haftstrafe endet 2010. Kommt er wieder?
Transporter bereit halten.