Was sind Hispanics? Bei unserer Diskussion über die Einwanderungsgesetze tauchte der Begriff zwar auf, aber wir haben ihn nie erklärt. Jetzt, wo der Senat seinen Gesetzentwurf fertig hat und wir wohl monatelang auf den Vermittlungsausschuss warten müssen, sollten wir uns der Frage widmen und dabei auch einige grundsätzliche Dinge über die, äh, bunte Welt der Rassen in den USA besprechen. Das wird dann auch endlich ein Eintrag für’s (geistige) Auge, denn es werden Cameron Diaz, Jennifer Lopez, Michelle Rodriguez und Christina Aguilera vorkommen.
Hispanic ist ein Dachbegriff für alle Leute, deren Vorfahren aus dem spanisch-mexikanisch-lateinamerikanischen Kulturkreis kommen. Sie können Nachkommen der ursprünglichen spanischen Siedler sein, frisch aus Mexiko kommen, aber auch aus US-Gebieten wie Puerto Rico stammen.
Der Trick ist jetzt: Es handelt sich nicht um eine Rasse, sondern um eine ethnische Gruppe, die zu jeder Rasse gehören kann. Es gibt also weiße Hispanics, schwarze Hispanics, asiatische Hispanics, etc. Um das zu verstehen, müssen wir etwas ausholen –
Die USA führen seit 1790 alle zehn Jahre eine Volkszählung durch. Das dient zunächst dazu, die Zahl der Sitze für jeden Bundesstaat im Repräsentantenhaus festzulegen, denn die Staaten mit einer größeren Bevölkerung haben dort mehr Sitze. Bei der Befragung werden aber auch andere Daten erhoben. Bereits bei der ersten Zählung gab es eine Frage zur Rasse. Seit 1970 wird auch erhoben, ob man sich zu den Hispanics zählt.
Wichtig ist dabei, dass jeder Befrage selbst entscheidet, was er ist. Dieser Autor, dessen Spanisch mit El gato es loco endet und dessen Gesichtsfarbe sehr gut zum Gehäuse seines Apple iBooks passt, könnte also angeben, er sei Hispanic Black, und so würde es auch in der Statistik erscheinen. Kontrolliert wird das nicht.
Die Volkszählungsbehörde (Census Bureau) kannte in der Umfrage von 2000 fünf Rassen: „White“, „Black or African American“, „American Indian and Alaska Native“, „Asian“ und „Native Hawaiian and Other Pacific Islander“. Die Einteilung ist dabei etwas anders, als ein Europäer vielleicht erwarten würde: Unter „White“ fallen zum Beispiel auch Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Mit dieser Definition dürfte man in Teilen Brandenburgs nicht einverstanden sein. Mehrere Antworten sind möglich: 2,4 Prozent der Amerikaner gaben an, zu mehr als einer Rasse zu gehören.
Von den 281 Millionen US-Bürgern waren nach eigenen Angaben 75,1 Prozent weiß, 12,3 Prozent schwarz, 3,6 Prozent asiatisch, 0,9 Prozent indianisch und 0,1 Prozent „pazifisch“. 5,5 Prozent sprachen von „einer anderen Rasse“ – ob Orc oder Hobbit, das wurde leider nicht erfasst. Völlig getrennt davon wurde gefragt, ob man „Hispanic“ oder „Non-Hispanic“ sei. 12,5 Prozent sagten „Hispanic“.
Und damit sind Hispanics inzwischen die größte Minderheit in den USA, noch vor den Schwarzen.
Aber Moment, sagt der aufmerksame Leser, unter den Schwarzen als Ganzes sind doch auch Hispanics. Genau, wir haben Schnittmengen. Tatsächlich hat das Census Bureau endlose Statistiken über die Kombinationen. Aus politischer Sicht – und damit aus unserer Sicht – ist das erstmal egal. Wichtig ist: Mehr Leute fühlen sich als Hispanics angesprochen denn als Schwarze – wie praktisch für die Politik, dass die Statistik nach dem Selbstverständnis der Bürger erhoben wird. Wenn ich einen Wahlkampf aufbaue, ist es am sinnvollsten, erstmal an die Hispanics allgemein zu appellieren, egal welche Hautfarbe sie haben.
Der Anteil der Hispanics nimmt zudem schnell zu. Das Census Bureau gab vor einigen Tagen eine Untersuchung heraus, nach der der Anteil von „non-Hispanic Whites“, also die klassische Mehrheit in den USA, nach etwa 69 Prozent im Jahr 2000 noch 67 Prozent im Jahr 2005 ausmachte – also noch zwei Drittel der Bevölkerung. Anders formuliert: Ein Drittel der Amerikaner sehen sich selbst inzwischen als Teil einer Minderheit. Zwischen 2004 und 2005 waren die Hispanics für fast die Hälfte des Bevölkerungswachstums in den USA verantwortlich, und zwar mehr durch Geburten als durch Einwanderung. Im Schnitt ist die hispanische Bevölkerung auch deutlich jünger.
Schaut man sich Prognosen für 2050 an, wird deutlich, warum Politiker in den USA alles tun, um es sich nicht mit den Hispanics zu verscherzen. Bis dahin soll der Anteil an „non-Hispanic Whites“ auf etwa die Hälfte fallen, der an Hispanics auf ein Viertel der Gesamtbevölkerung steigen.
Genug der Zahlen. Was heißt das?
Amerika wird braun. Die Zeiten, in denen es eine große weiße Mehrheit, einige Schwarze und „Reste“ gab, sind endgültig vorbei. Inzwischen gibt es vier Bundesstaaten ohne weiße Mehrheit: Kalifornien, Texas, New Mexico und Hawaii (majority-minority states). Es ist abzusehen, dass Florida, New York, Arizona, Maryland, Mississippi, Georgia, Nevada, Louisiana und New Jersey in den kommenden Jahrzehnten folgen werden.
Die Entwicklung sieht man auch an der Sprache, auch wenn man nicht Spanisch sprechen muss, um ein Hispanic zu sein. Ein Zehntel der Bevölkerung sprach 2000 Spanisch. Im Jahr 2005 sprachen knapp 18 Prozent der US-Bürger zu Hause kein Englisch. Die Politik hat sich angepasst. Von der Bundesregierung bis zu Städten wie Phoenix werden Webseiten und andere Informationen, einschließlich Wahlzettel, auch auf Spanisch angeboten. Da die USA keine offizielle Landessprache haben, ist das auch nur konsequent.
Das Faszinierendste für uns ist aber vielleicht: Die USA erleben zurzeit die größte soziale Umwälzung seit der Sklavenbefreiung – und kaum jemand in Europa kriegt das mit.
Jennifer Lopez und Christina Aguilera machen genug Werbung mit ihrer Identität als „Latinas“, dass es auch bis zu uns durchdringt. Aber wenn Michelle Rodriguez in Resident Evil an der Seite von Milla Jovovich Zombies tötet, geht die Demonstration von „Hispanic power“ spurlos an Europäern vorbei. Noch deutlicher wird es bei der Neuverfilmung von Drei Engel für Charlie. Die drei Schauspielerinnen decken drei Bevölkerungsgruppen und damit auch drei Zielgruppen ab: Drew Barrymore als „non-Hispanic White“, Lucy Liu als Asiatin und Cameron Diaz als Hispanic. Moment, heißt es auf dieser Seite des Atlantiks meist dazu: Cameron Diaz ist doch weiß! Ja, sie ist weiß. Aber eben auch eine Hispanic.
Auf politischer Seite ist das Unwissen noch größer. Dass die USA mit Condoleezza Rice eine schwarze Außenministerin haben, hat so ungefähr jeder mitgekriegt. Arbeitsministerin Elaine Chao und Transportminister Norman Mineta als Asiaten zu erkennen, kriegen die meisten auch noch hin. Aber dass Justizminister Alberto Gonzales ein Hispanic ist und Handelsminister Carlos Gutierrez auch, das haben die wenigsten verinnerlicht, trotz der Namen. Das Kabinett zeigt: Was auch immer man George W. Bush vorwerfen kann, Rassismus gehört nicht dazu. Unter den potenziellen Kandidaten für seine Nachfolge ist übrigens auch mindestens ein Hispanic: Bill Richardson, ehemaliger US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, jetzt Gouverneur von New Mexico.
Soviel zu der Frage, warum die Frage der neuen Einwanderungsgesetze so heikel ist. Womit wir diese Reihe dann erstmal abschließen.
Aber aus aktuellem Anlass noch eine Zahl zum Ende: Die Gesamtbevölkerung der USA soll bis 2050 von gegenwärtig etwa 299 Millionen auf etwa 420 Millionen steigen. Zum Vergleich: Die Bevölkerung der EU soll bis 2030 auf 469 Millionen sinken. Das ist für die USA eine sehr gute Nachricht: Bei so vielen Leuten müsste es endlich möglich sein, für die Fußball-WM 2050 elf gute Leute zu finden …