Archive for November, 2006

Kulturelle Ikonen 3: Smokey Bear

November 30, 2006

Im Frühling 1942 tauchte ein japanisches U-Boot vor der Küste Südkaliforniens auf und beschoss ein Öl-Feld bei Santa Barbara. Der Angriff so nahe am Los Padres National Forest zeigte, wie verwundbar die Wälder im Westen der USA waren: Niemand konnte die Japaner daran hindern, mit Brandgeschossen riesige Flächenbrände auszulösen. Ohnehin standen wegen des Krieges kaum genug Männer zur Verfügung, um die Waldbrände zu löschen, die durch rein amerikanische Unachtsamkeit entstanden. Der Schutz des Waldbestandes wurde zur nationalen Aufgabe [PDF] erklärt.

Zuerst behalf man sich mit Slogans wie Careless Matches Aid the Axis oder Our Carelessness, Their Secret Weapon. Walt Disney lieh der Forstbehörde 1944 dann ein Jahr lang ihren neuen Superstar Bambi, um für mehr Vorsicht in den Wäldern zu werben. Am 9. August 1944 bekam die Behörde schließlich ihr eigenes Symbol: Smokey Bear, ein Schwarzbär mit Ranger-Hut und Jeans. Das erste Plakat wurde von Albert Staehle gemalt und zeigt Smokey, wie er mit einem Eimer Wasser ein Lagerfeuer ausgießt (der Eimer wurde später gegen einen Spaten ausgetauscht). Der Slogan Remember… Only YOU Can Prevent Forest Fires wurde zuerst 1947 benutzt.

Smokey gehört in den USA zu den bekanntesten Figuren überhaupt. Während Konzerne aus irgendwelchen Gründen der Meinung sind, ständig ihre Werbesprüche ändern zu müssen, hält die Forstbehörde seit mehr als sechs Jahrzehnten konsequent an Smokey und Remember fest, mit dem Erfolg, dass jetzt die vierte Generation von Amerikanern den Kuschelbären der Forstaufklärung kennt. Um die ganze Fan-Post zu bewältigen, hat Smokey eine eigene Postleitzahl. Eine größere Panne in dem Marketing-Programm gab es 1952, als Steve Nelson und Jack Rollins das Lied Smokey the Bear veröffentlichten: Das eigentlich falsche the setzte sich fest. Die Forstbehörde kämpft immer noch dagegen an. Es gibt inzwischen strenge Regeln [PDF] für das Aussehen des Bären.

Eine Änderung am Slogan gab es dann doch 2001: Aus forest fires wurden wildfires. Das trägt den Erkenntnissen der Forstwirtschaft Rechnung, dass kontrollierte Waldbrände gut sind. Ob Smokey nach all den Jahren Anpassungsschwierigkeiten hat, ist nicht bekannt.

Was die USA wirklich zusammenhält: Duct Tape

November 27, 2006

Die amerikanische und deutsche Post haben sich auf ihre unnachahmliche Art zusammengetan und dafür gesorgt, dass ein Paket der Ehrenwerten Eltern zu Halloween doch schon kurz nach Thanksgiving angekommen ist. Aber das ist immerhin noch vor Weihnachten, und da das Candy Corn noch gut ist und Kind Nummer Zwei in die mitgeschickte Kleidung passt, wollen wir kein weiteres Wort darüber verlieren. Auch das Kochbuch aus Bürgerkriegszeiten für die Schönste Germanin und ein Liederbuch von Sandra Boynton für Kind Nummer Eins sollen heute nicht das Thema sein, obwohl dieser Autor hart gegen die Versuchung ankämpft, Boynton zur kulturellen Ikone zu erklären.

Aber nein, wir wollen über die Verpackung des Geschenkkartons sprechen, die so typisch amerikanisch ist, dass jeder US-Bürger allein vom Anblick her Heimweh bekommen muss: Unter dem mit braunen Klebeband bewehrten braunen Packpapier wurde die Pappkiste selbst mit einem etwa fünf Zentimeter breiten, silbernen Gewebeband zusammengehalten. Das Zeug heißt duct tape (auch duck tape, kein Witz) und hat in den USA Kultstatus. Gewebeband kennt man natürlich auch in Deutschland – bei der Bundeswehr wird das verwandte „Panzerband“ oder „Panzer-Tape“ benutzt. Allerdings fehlt Hierzulande irgendwie die richtige Begeisterung dafür.

Duct Tape besteht aus drei Lagen: Einem wasserdichten, silbernen Kunststoff, einem Gewebestreifen und dem Kleber. Es hat eine enorme Zugfestigkeit in Längst- und Querrichtung, lässt sich aber mit den bloßen Händen entlang der Gewebefasern zerreißen. Der größte Nachteil ist, dass es klebrige Reste hinterlässt. Daher gibt es auch das verwandte Gaffer Tape, das in der Filmbranche benutzt wird, weil es sich vergleichsweise problemlos wieder abziehen lässt. Wahre Amerikaner lassen Duct Tape natürlich einfach dort, wo es ist.

Erfunden wurde das Ganze während des Zweiten Weltkriegs, um Feuchtigkeit aus Munitionskisten zu halten. Daher soll auch der Name duck tape stammen: Wasserabweisend wie eine Ente. Die Soldaten fanden schnell heraus, dass man damit ziemlich alles reparieren konnte. Nach dem Krieg wurde es im großen Stil in der Baubranche eingesetzt (duct als Leitungskanal, Luftschacht oder Rohr) und auch Zivilisten fingen an, es für alles zu benutzen, was irgendwie verbunden oder geflickt werden musste. Es war maßgeblich an der Rettung von Apollo 13 beteiligt. Inzwischen ufern die Anwendungen etwas aus. Man kann darin sogar zum Highschool-Abschlussball gehen.

Spätestens jetzt wird jeder erfahrene Vormittags-TV-Gucker nur noch ein Gesicht vor Augen haben: MacGyver! Genau so muss man sich das auch vorstellen, denn der Improvisations-Gott sagte selbst: If I had some duct tape, I could fix that. Oder auch: Must have duct tape…Lots of duct tape. Und dann hätten wir noch: Duct tape is real handy stuff.

Auch sonst taucht Duct Tape in großen Mengen in US-Filmen auf, allein, die meisten Deutschen erkennen es nicht. In dem bereits besprochenen Film Red Planet benutzt es Val Kilmer, um Tom Sizemores gebrochene Rippen zu schienen. Als Steve Buscemi in Armageddon austickt, wird er kurzerhand mit Duct Tape an ein Shuttle-Stuhl geklebt. In The Abyss knebelt ein psychotischer Navy SEAL damit Mary Elizabeth Mastrantonio.

Wir werden aus Rücksicht auf Anke Gröners Hausaufgaben nicht verraten, wo Duct Tape überall in Buffy the Vampire Slayer vorkommt, aber wir können doch erwähnen, dass es in dem Spin-Off Angel in „I Fall To Pieces“ (Staffel 1, Folge 4) benutzt wird, um ein Eindringen der einzelnen, abgetrennten Körperteile eines Stalkers in eine Wohnung zu verhindern. Wie aus dem Leben gegriffen, also.

Wir sollten nicht unterschlagen, dass es auch eine ernsthafte Anwendung gibt: Duct Tape gehört seit 2003 zur offiziell empfohlenen Grundausrüstung zum Schutz vor biologischen und chemischen Terror-Angriffen. Das führte zu endlosem Spott und Kritik von einigen Wissenschaftlern. Am Ende scheint es ein Fall von besser als gar nichts zu sein. Auf jeden Fall kauften Amerikaner das Zeug in großen Mengen.

Und das sollte selbst die interessierten Leser freuen, die diesen Eintrag mit Verwunderung gelesen haben: Einer der größten Duct-Tape-Hersteller ist schließlich Henkel.

(Ergänzt 28. Nov 2006: Nach mehreren Hinweisen doch Verweis auf Panzerband in Deutschland aufgenommen. Erster Hinweis war von TB, vielen Dank)

Die häufigsten Suchanfragen, Teil 2

November 25, 2006

(Ein Rat zur Internet-Suche für alle Amerika-Interessierten: „Die USA“ ist im Deutschen immer Mehrzahl, also „Die USA sind das Heimatland des Root Beer“. Die Singularform („Die USA ist …“) ist ein Anglizismus.)

Suchanfragen im November 2006 waren:

Die umgedrehte US-Fahne

In unserem Eintrag über die US-Fahne haben wir einen Punkt vergessen – was heißt es, wenn das Sternenbanner auf dem Kopf steht?

Eigentlich ist das ein Notsignal [PDF], wie die offene Motorhaube bei einem Auto am Straßenrand. Im Zeitalter von Handys und GPS-Sendern wird es allerdings fast nur noch bei Protestaktionen verwendet. Die Botschaft hängt davon ab, wer der Träger ist: Es kann ausdrücken, dass man sein Land in Gefahr sieht, ohne dass damit die USA beleidigt werden. Es kann aber auch Down with America bedeuten. In diesem Zusammenhang gab es im März 2006 während der Debatte um illegale Einwanderer ziemlichen Wirbel wegen einer Fotoserie mit einer mexikanischen Fahne über einer umgedrehten amerikanischen Flagge, so gehisst von hispanischen US-Schülern in Kalifornien.

Die Symbolik ist noch nicht bis nach Europa vorgedrungen, zumindest hat dieser Autor bei US-feindlichen Protesten in Deutschland noch nie ein Sternenbanner gesehen, das auf den Kopf steht. Dabei wäre das einfacher, ungefährlicher und vor allem billiger, als die Dinger ständig zu verbrennen. Es ist doch immer wieder faszinierend, was antiamerikanische Demonstranten alles nicht über die USA wissen.

Von wem kauften die USA Alaska?

Vom Russischen Reich, am 30. März 1867, für 7,2 Millionen Dollar. Die Russen hatten keine Verwendung dafür und befürchteten wie die Amerikaner, dass der gemeinsame Feind Großbritannien die Region mit Gewalt zu einem Teil von Kanada machen könnte. Der Kauf wurde in den USA heftig kritisiert. Zwar ratifizierte der Senat den Vertrag ziemlich schnell, das Repräsentantenhaus gab die Gelder aber erst im folgenden Jahr frei. Das Gebiet wurde nach dem damaligen Außenminister William Seward zunächst auch spöttisch Seward’s Icebox genannt. Später fand man bekanntlich Gold und Öl und plötzlich war alles gut.

Die USA haben einen großen Teil ihres Staatsgebiets gekauft. Der gesamte Mittelteil im Stromgebiet des Mississippi ging 1803 als Louisiana Purchase für 15 Millionen Dollar an die USA, weil Napoleon der Meinung war, es im kommenden Krieg mit England ohnehin nicht halten zu können. Die USA wurden auf einen Schlag doppelt so groß. Da die Geschichte einen hohen Unterhaltungswert hat, werden wir ihr einen eigenen Eintrag widmen.

Abkürzungen der US-Bundesstaaten

Die amerikanische Post hat jedem Bundesstaat und Außengebiet der USA einen Zwei-Buchstaben-Code zugewiesen (als Karte bei der Wikipedia [PNG]). Die vorgeschriebene Reihenfolge bei der Adresse auf einem US-Brief lautet:

[Name]
[Hausnummer] [Straße]
[Stadt] [Abkürzung des Bundesstaates] [Zip Code]

Was man hier nicht so gut sieht: Zwischen der Abkürzung für den Bundesstaat dem zip code – die Postleitzahl – sollen zwei Leerzeichen hin.

Das ist die offizielle Version. In der Praxis wird nach der Stadt ein Komma gesetzt, trotz der Versuche der Post, alle Satzzeichen aus der Adresse zu entfernen. Da hat sie noch viel Arbeit vor sich: Selbst Senatoren, die dem Postmaster General schreiben, benutzten das Komma noch.

Als Erwachsener Windeln tragen

Äh.

Inzwischen haben eine Reihe von derartigen Suchstrings zu diesem Blog geführt, vermutlich nach der Ankündigung der Geburt von Kind Nummer Zwei. Klar ist dabei, dass hier das, sagen wir mal, hobbymäßige Tragen von Windel gemeint ist. Diesem Autor liegt nichts ferner, als über das Sexualverhalten anderer Leute zu urteilen. Allerdings dürfte die Lektüre dieses Blogs recht, nun, unbefriedigend sein …

(Ergänzt 26. Nov 2006: Verwendung des Kommas in der Adresse, Danke an den Ehrenwerten Vater für die Recherchen dazu)

Free Speech, Teil 1: Warum die USA Holocaust-Leugner schützen

November 22, 2006

Es wird Zeit, dass wir über einen der wichtigsten Unterschiede zwischen den USA und Deutschland sprechen: Die Stellung der Meinungsfreiheit. Das gehört zu den größten Aufreger-Themen im deutsch-amerikanischen Verhältnis und auch wenn sich das nicht ändern wird – dazu sind gewisse Grundvorstellungen einfach zu gegensätzlich – können wir wenigstens dafür sorgen, dass die Leute wissen, warum sie sich aufregen.

Wir werden daher in einer kleinen Serie die amerikanische Einstellung zur Meinungsfreiheit, der berühmten freedom of speech, vorstellen. Wir werden ihre Grenzen – oder besser, deren Fehlen – zeigen und auch darlegen, was dafür geopfert wird und warum. Ganz gefahrlos ist das nicht: Erfahrungsgemäß explodiert Europäern schon mal der Kopf, wenn ihnen klar wird, was alles in den USA erlaubt ist.

Wir fangen daher auch ganz vorsichtig bei den Gemeinsamkeiten an.

Die USA und Deutschland sind beides Demokratien und sind beide als Staaten daher grundsätzlich der Meinung, das Zensur schlecht ist. Einig ist man sich auch, dass die Meinungsfreiheit nicht grenzenlos sein kann: In einem voll besetzten Kino grundlos „Feuer!“ (oder halt Fire!) zu brüllen gibt auf beiden Seiten des Atlantiks Ärger. Es gibt also Ausnahmen. Der Unterschied ist nun, dass es in Deutschland mehr Ausnahmen gibt als in den USA.

Der Grund dafür liegt darin, was jeweils zum höchsten Gut der Verfassung erklärt wird. In Deutschland ist das in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschrieben:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Vom Stellenwert her ist das Gegenstück in der US-Verfassung das First Amendment:

Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.

Der Satz ist elendig lang und behandelt mehrere Dinge auf einmal: Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit (die wir später getrennt behandeln werden), Versammlungsfreiheit und das Recht, seinen Volksvertretern mit jedem quer sitzenden Furz auf die Nerven zu gehen. Diese Rechte haben eine preferred position, stehen also über den anderen. Und innerhalb dieser Kategorie hat die Meinungsfreiheit nochmal eine besondere Stellung.

Denn aus Sicht der Amerikaner ist eine weit reichende Meinungsfreiheit langfristig die einzige Möglichkeit, um die Bürgerrechte zu schützen. In dem Moment, wo der Staat einen Teil der freien Rede einschränken darf, entzieht er sich damit auch zum Teil der Kontrolle des Bürgers und kann andere Verstöße vor dem Volk verstecken. Die Demokratie wird dann langsam ausgehöhlt, wie durch einen Tumor. Ohne free speech ist die Freiheit verloren.

Daher auch der Fanatismus, mit dem Amerikaner diesen Teil des First Amendments verteidigen: Er ist das Herz ihrer Demokratie. Mehr noch, er ist aus ihrer Sicht das Herz jeder Demokratie. Deswegen reagieren Amerikaner mit Unverständnis auf gewisse Vorgänge in Staaten, in denen man die Meinungsfreiheit eher als ein Recht unter vielen sieht, als ein wichtiges, aber vielleicht nicht das allerwichtigste Gut.

Deutschland ist so ein Staat. Das ist nur logisch: Wenn man die Würde des Menschen an erste Stelle setzt, ist eine gewisse Beschränkung der Meinungsfreiheit zwingend notwendig, denn viel von dem, was so gesagt und geschrieben wird, verletzt sie. Zwar garantiert das Grundgesetz in Artikel 5 (für Amerikaner schon verdächtig weit unten) auch die Meinungsfreiheit. Aber dort heißt es dann auch sofort:

Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

Das sind die Ausnahmen, von denen wir gesprochen haben.

Die amerikanische Verfassung kennt zwar auch den Trick mit „das Nähere regelt ein Gesetz“, wie man am Third Amendment sieht, das sich mit der Einquartierung von Soldaten beschäftigt, ein wichtiges Thema im Nordamerika des 18. Jahrhunderts. Aber davon ist im First Amendment nicht die Rede. Dort steht klipp und klar: Congress shall make no law.

Natürlich versuchen der Bund und die Bundesstaaten trotzdem seit 200 Jahren irgendwelche Dinge zu verbieten, nur zum Wohl des Bürgers, versteht sich. Im Moment (November 2006) beschäftigen sich die Gerichte mit dem jüngsten Versuch des Kongresses, das Internet zu zensieren. Aber die Urteile des Supreme Court zu diesem Thema lauten in ihrem Kern am Ende immer gleich:

Censorship is the deadly enemy of freedom and progress. The plain language of the Constitution forbids it.

Oder anders formuliert: Was genau ist an make no law so schwer zu verstehen? Wir werden in der kommenden Folge sehen, welche Bedingungen ein Gesetz erfüllen muss, um die Meinungsfreiheit auch nur berühren zu dürfen.

Es gibt als deutsche Besonderheit eine weitere Klasse von Ausnahmen, die wir erwähnen müssen. Nach den Erfahrungen mit der Weimarer Republik wurde die Bundesrepublik als eine „wehrhafte Demokratie“ konstruiert, die über umfangreiche Möglichkeiten zur Selbstverteidigung verfügt. Amerikaner tun sich mit diesem Prinzip schwer. Aus ihrer Sicht ist die Verfassung dazu da, um das Volk vor dem Staat zu schützen – dass der Staat die Verfassung vor dem Volk schützen soll, finden sie seltsam. Für den „Verfassungsschutz“ gibt es noch nicht mal eine gute englische Übersetzung, geschweige denn ein Gegenstück als Institution. Die US-Verfassung ist nicht wehrlos, aber so etwas wie die deutschen Schutzmechanismen sucht man vergeblich.

Schon nach dieser oberflächlichen Betrachtung können wir uns einem der größten Aufreger zuwenden, der auch schön verdeutlicht, wie unterschiedlich die Vorgehensweise in den USA und Deutschland ist: In Amerika ist es im Gegensatz zu mehreren europäischen Staaten nicht strafbar, den Holocaust zu leugnen. Es gibt schlicht keine Ausnahme zur Meinungsfreiheit, die ein solches Verbot zulassen würde.

Anders betrachtet: Die amerikanische Verfassung gibt dem Staat nicht das Recht zu entscheiden, was geschichtlich wahr ist und was nicht. Im Gegenteil, das wird ihm im First Amendment durch das make no law ausdrücklich verboten. Das gilt selbst bei Fragen wie dem millionenfachen Judenmord der Nazis: Als zu groß gilt die Gefahr, dass ein solches Verbot als Präzedenzfall benutzt werden könnte, um weitere Dinge zu verbieten – die oben beschriebene Aushöhlung der Bürgerrechte.

Bestätigt sehen sich die Amerikaner in dieser Haltung etwa durch den Beschluss der französischen Nationalversammlung vom 13. Oktober 2006, auch die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern zu verbieten. Sollte der Gesetzentwurf den Senat passieren, gäbe es in Frankreich schon zwei Genozide, die man nicht in Frage stellen dürfte. Aus amerikanischer Sicht hat das ehemalige Bruderland damit die berüchtigte slippery slope betreten, die „Rutschbahn“, auf der die Freiheit Stück für Stück verloren geht. Mit welchem Völkermord wird sich die Nationalversammlung als nächstes beschäftigen?

Der Ansatz zur Bekämpfung solcher Ansichten ist in den USA grundsätzlich anders. Gut zusammengefasst wird er von dem überparteilichen Freedom Forum:

The antidote to distasteful or hateful speech is not censorship, but more speech.

Nicht ein Verbot ist demnach die beste Vorgehensweise, sondern der offen ausgetragene Streit mit den Urhebern solcher Gedanken. Dieser kann dann auch ruhig lautstark, bitterböse und brutal sein. Wie wir sehen werden, schafft das US-Recht dafür besondere Freiräume, zum Beispiel dadurch, dass Personen des öffentlichen Lebens – ausdrücklich nicht nur Berufspolitiker – faktisch kein Recht auf Beleidigungsklagen haben. Das vom deutschen Grundgesetz garantierte „Recht auf persönliche Ehre“ wird dabei bewusst der Meinungsfreiheit geopfert.

Ob dieser Ansatz besser oder schlechter ist und ob er im besonderen Fall von Deutschland und dem Holocaust überhaupt in Frage käme, ist nicht Gegenstand dieses Blogs. Wir schließen unsere erste Betrachtung vielmehr mit der Erkenntnis ab, dass die Meinungsfreiheit trotz gleicher allgemeiner Glaubensgrundsätze in den USA und Deutschland einen unterschiedlichen Stellenwert hat. Wir halten auch fest, dass beide Staaten in diesem Punkt immer unterschiedlicher Ansicht sein werden, denn ihre Demokratien stehen auf etwas anderen Fundamenten. Weitere Aufregung ist also garantiert.

In der nächsten Folge schauen wir uns an, wann was in den USA wie eingeschränkt werden darf.

[Danke an NM für wertvolle Einsichten zur deutschen Perspektive und der entscheidenden Anregung für den Aufbau des Textes.]

Buffy und Anti-Drogen-Botschaften in US-Serien

November 19, 2006

Dieses Blog geht von seiner Natur her selten auf andere Blogs ein, aber manchmal passieren dort schockierende Dinge, die man einfach nicht ignorieren kann. Dazu zählt das erschütternde Geständnis von Anke Gröner in der vergangenen Woche, dass sie noch nicht Buffy the Vampire Slayer gesehen hat, bekanntlich die intelligenteste TV-Serie in der Geschichte des Mediums. Ja, die Anke Gröner.

Wie kann das sein? Was ist passiert? Warum hat sie niemand an die Hand genommen und gesagt, Anke, lass‘ das jetzt mal mit dem Schnickschnack wie 24 und den ständigen Wiederholungen von L.A. Confidential sein, ein gewisser Joss Whedon möchte Dir etwas Episches zeigen?

Warum auch immer, wir wollen unser Möglichstes tun, um Ankes Erlebnis, egal wie verspätet, wunderbar werden zu lassen. Daher ein Rat: Liebe Anke, Überspringe die Folge „Beer Bad“ (dt. „Das Bier der bösen Denkungsart“, Staffel 4, Folge 5).

Bei „Beer Bad“ geht es darum, dass man kein Bier trinken sollte, weil Alkohol schlecht für einen ist. Nämlich. Das Problem ist aber nicht so sehr diese Botschaft, mit der dieser Autor noch leben könnte. Die mit dem Holzhammer verabreichte Moral ist vielmehr völlig untypisch für die Serie, die ihre Botschaften sonst mit Selbstironie, Humor oder wenigstens ansatzweise subtil transportiert. Dass irgendwas mit der Folge ganz und gar nicht stimmt, war schon bei der Erstausstrahlung im November 1999 klar. Woher kam dieser plötzliche Anfall von kreativer Unfähigkeit?

„Beer Bad“ hat Eigenschaften von Angel: Es birgt ein dunkles Geheimnis. Denn ein Ziel der Folge war es, Gelder von einem Regierungsprogramm zur Drogenbekämpfung zu gewinnen. Die Office of National Drug Control Policy (ONDCP) gab von 1998 an Millionen als strategic message credit (SMC) an Sender, die entsprechende Botschaften in ihre Serien einbauten. ABC, CBS, Fox, NBC, UPN und WB nahmen das Angebot dankend an. Betroffen waren unter anderem ER, Sabrina the Teenage Witch, Chicago Hope, 7th Heaven, Home Improvement, Providence und (natürlich) Beverly Hills 90210.

Soweit war alles streng genommen vielleicht noch legal, wenn auch äußerst fragwürdig. Dumm nur: Das SMC-Programm war geheim. Aufgedeckt wurde es Januar 2000 durch den Journalisten Daniel Forbes vom US-Onlinemagazin Salon.com.

Amerikanische Bürgerrechtler ließen vor Entsetzen ihre Fernbedienungen fallen und das für die Gelder zuständige Repräsentantenhaus hielt Anhörungen ab. Die Funkaufsichtsbehörde FCC entschied nach einer Beschwerde der Pro-Marihuana-Organisation NORML, dass die Sender das „Sponsoring“ der Regierung hätten ausdrücklich ausweisen müssen [DOC]. Eine Strafe gegen die Sender verhängte sie aber nicht.

Im Mai 2001 wurde das Programm schließlich eingestellt. Das ONDCP erklärte das dem Kongress in einem Rechenschaftsbericht so:

[M]edia use of the SMC feature has declined over the past year while anti-drug messages have continued to get into [TV] programming as a result of media roundtables. For these reasons, and to preclude any perception of improper involvement by the federal government in the creative process of the media, we have ended this policy.

Nun erwarten Amerikaner schon aus Prinzip, dass ihre Regierung krumme Dinge versucht. Politiker sind halt so, deswegen muss man ihnen auch ständig auf die Finger schauen. Der Makel blieb daher vor allem an den Sendern hängen, die sich – wohl zum größten Teil ohne das Wissen der Autoren – schlicht hatten kaufen lassen. So viel zur Behauptung der Medienkonzerne, dass sie ein Bollwerk gegen den Einfluss des Staates bilden.

„Beer Bad“ wurde übrigens von der ONDCP zudem noch abgelehnt:

Drugs were an issue, but it wasn’t on-strategy. It was otherworldly nonsense, very abstract and not like real-life kids taking drugs.

Das nennt man „poetische Gerechtigkeit“. Immerhin waren die Autoren aufrecht genug, in einer späteren Folge einen selbstironischen Bezug zu „Beer Bad“ einzubauen. Aber den soll Anke selbst finden.

Was bedeutet das alles für den gemeinen Fernseh- oder DVD-Gucker? Wenn in einer US-Serie aus dem Zeitraum von 1998 bis Ende 2001 (einige Absprachen liefen noch bis September) eine Anti-Drogen-Botschaft so plump vorgetragen wird, dass man sie für Propaganda einer Regierungsbehörde halten könnte, dann liegt man damit vielleicht sogar richtig.

Diese Einschübe sind allerdings nicht Symptome einer puritanischen Grundhaltung der US-Gesellschaft, wie schon mal gerne in Deutschland postuliert wird. Sie sind eine banale Folge der Gewinnsucht der Medienkonzerne – ein sehr extremer Fall von Schleichwerbung, wenn man so will. Die Einstellung der Amerikaner zu Drogen ist kompliziert und muss in einem eigenen Eintrag behandelt werden.

Für heute reicht es aber, denn Anke hat selbst ohne „Beer Bad“ 143 Folgen Buffy vor sich. Besonders empfehlen kann dieser Autor übrigens „Doppelgängland“ [sic] (Straffel 3, Folge 16) und „Restless“ (Staffel 4, Folge 22) – genial in seinem Gebrauch des foreshadowing. Das Musical „Once More With Feeling“ (Staffel 6, Folge 7) steht natürlich in einer Kategorie für sich.

Wir werden ab jetzt in Buffy nach Themen suchen – Alyson Hannigan ersetzt Carrie-Anne Moss. Wenn Anke irgendwas auffällt, wäre ich natürlich für einen Hinweis überaus dankbar.

Das US-Maßsystem und die Anti-Cookie-Weltverschwörung

November 16, 2006

Bekanntlich benutzen die Amerikaner so ungefähr als Letzte [PNG] Dinge wie inch und foot statt Zentimeter und Meter. Bekannt ist auch die Begründung: Haben wir schon immer so gemacht, wo kämen wir denn da hin, da könnte ja jeder kommen. Und außerdem: Eine Maßeinheit, die von Franzosen erfunden wurde? Pffft.

Man sollte sich auch nicht der Illusion hingeben, dass sich in nächster Zeit irgendwas daran ändern wird. Da der normale Amerikaner es im Alltag nur mit anderen Amerikanern zu tun hat oder hin und wieder mit Kanadiern, die auch nicht wirklich mit dem ganzen Herzen dem metric system verfallen sind, sieht niemand so richtig ein, warum man sich die Mühe eines Systemwechsels machen soll. Die offizielle Begründung für eine Umstellung ist auch eher kontraproduktiv:

The current effort toward national metrication is based on the conclusion that industrial and commercial productivity, mathematics and science education, and the competitiveness of American products and services in world markets, will be enhanced by completing the change to the metric system of units. Failure to complete the change will increasingly handicap the Nation’s industry and economy.

Auf Deutsch: Die multinationalen Konzerne könnten damit noch mehr Profit machen, während der Steuerzahler für die Kosten der Umstellung aufkommen müsste. Vielen Dank auch. Soll die NASA halt besser aufpassen.

Für den amerikanischen Durchschnittsbürger ist das Metrische System also eine Lösung für ein Problem, das es gar nicht gibt. Die Einstellung ist ähnlich der eines Europäers zu den berüchtigten EU-Richtlinien wie die für den Krümmungswinkel von Gurken. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied: In den USA werden die Verantwortlichen direkt vom Volk gewählt. Und das Volk will nicht, dass für so was Steuergelder ausgegeben werden. Entsprechend wenig Neigung zeigt der Kongress, sich mit der Frage zu beschäftigen.

Wer viel mit den USA zu tun hat, muss also damit leben, dass alles in unglaublich krummen Maßen daher kommt, also irgendwie vergurkt ist. Das darf einen ruhig zum Wahnsinn treiben. Man muss nur damit umgehen können.

Die gute Nachricht: Die Längen- und Volumenmaße der customary units erschlägt man inzwischen einfach mit Google. 100 square meters in square feet eingeben und schon kann man den Verwandten in den USA erklären, dass die neue Wohnung – wenn man schon eine haben muss – etwa 1076 Quadratfuß groß ist. Wenn man sich noch merken kann, dass ein pound nicht 500 Gramm sondern rund 454 Gramm sind, kommt man ziemlich gut zurecht.

Die schlechte Nachricht: Beim Backen gibt es richtig Probleme. Und das ist auch die eigentliche Tragödie des amerikanischen Sonderwegs, denn er behindert die allgemeine Verbreitung des wichtigsten Lebensmittels auf dem Planeten: Chocolate Chip Cookies. Das sprichwörtliche patriotische Gericht der Amerikaner mag zwar apple pie sein, aber ihr Herz hängt eigentlich an diesen Cookies. Bereits der Teig ist eine Art nationale Köstlichkeit. Nicht umsonst gibt es Chocolate Chip Cookie Dough Ice Creme.

Nur: Zutaten beim Backen werden in Volumeneinheiten und nicht nach Gewicht aufgeführt. In Deutschland werden zum Beispiel 500 g Nüsse verlangt oder 50 g Mandelblättchen; in den USA sind es one cup of butter und one teaspoon of baking soda. Auch in Deutschland benutzt man „Esslöffel“, hat also eigentlich ein gemischtes System. Amerikaner benutzen nur Volumina.

Die wichtigste Einheit ist dabei das cup, etwa 237 ml, dicht gefolgt von einem teaspoon, rund 5 ml. Man muss zur Umrechnung von Rezepten wissen, welches Volumen 500 g Nüsse einnehmen oder welches Gewicht 237 ml Butter haben. Das bleibt dem interessierten Leser als Übung überlassen: Bestimmt lässt sich irgendwo im Internet die Dichte von Haselnüssen auftreiben. Wir halten erneut fest: Übersetzen ist die Hölle.

Die Schönste Germanin, die nicht nur eine begnadete Köchin ist, sondern auch noch weise und klug, hält nichts von dieser Rechnerei und hat sich statt dessen von den Ehrenwerten Eltern einen Satz Messbecher schicken lassen. Ihrer Aussage nach hat das US-System den Vorteil, dass man nicht mit einer Waage herumhantieren muss. Allerdings behindert es natürlich die internationale Verbreitung von amerikanischen Rezepten.

Womit wir den Boden für eine neue Verschwörungstheorie bereitet haben: Die Franzosen haben nur deswegen der ganzen Welt ihren Meter aufgezwungen, weil sie Angst vor den amerikanischen Backkünsten haben, wie auch vor der amerikanischen Musik und wovon sie sich sonst noch alles kulturell bedroht fühlen. Perfide Tat!

Aber damit lassen wir sie nicht durchkommen. In einem der kommenden Einträge werden wir ein eingedeutschtes Rezept für Chocolate Chip Cookies vorstellen, mit Angaben in Gramm und Millilitern. Auch wenn der Kampf gegen das Metrische System verloren ist, der Kampf um die Cookies ist noch lange nicht entschieden.

Thanksgiving ist nicht Erntedank

November 13, 2006

Nach Halloween kommt der nächste US-Feiertag auf uns zu: Thanksgiving, am vierten Donnerstag im November. Für uns ist am wichtigsten, was Thanksgiving nicht ist: Erntedank. Letzteres ist ein religiöser Feiertag, Thanksgiving ist dagegen weltlich.

Den Hintergrund haben wir bereits gestreift: Ein gemeinsames Fest der Pilgrim Fathers mit den Indianern im Jahr 1621. Die Wampanoag wurden eingeladen, weil sie den Kolonisten im Winter ausgeholfen hatten und ihnen beibrachten, wie man richtig Mais anbaut.

Es ist inzwischen ein Klischee, das als ziemlich blöde Idee darzustellen. Einige Indianer-Aktivisten begehen Thanksgiving sogar als „nationalen Trauertag“, obwohl Columbus Day eigentlich logischer wäre. Cineastisch gebildete Deutsche werden die Rede von Christina Ricci aus Addams Family Values kennen:

The gods of my tribe have spoken. They said do not trust the pilgrims, especially Sarah Miller. And for all of these reasons I have decided to scalp you and burn your village to the ground.

Ob die Szene eine Kritik an Thanksgiving oder nicht doch eher eine Parodie der Kritiker ist, sei dahingestellt. Indianer spielen auf jeden Fall nach den Erfahrungen dieses Autors beim europäischen Erntedank eine eher untergeordnete Rolle. Der Dank geht allein an Gott. Das war bei den Pilgrim Fathers ausdrücklich nicht so:

Although the event of 1621 is known today as the „First Thanksgiving,“ that harvest feast had many secular elements and would not have been considered a religious day of thanksgiving by the Pilgrims.

Da die Pilgrim Fathers religiöse Fanatiker waren, können wir natürlich davon ausgehen, dass sie bei jedem Aufstoßen an Gott gedacht haben. Klar ist auch, dass die europäischen Traditionen des Erntedank in Thanksgiving aufgegangen sind. In der Praxis gehen die religiösen Elemente allerdings nicht über ein Tischgebet hinaus.

Endgültig weltlich wurde Thanksgiving durch Abraham Lincoln, der es 1863 – also mitten im Bürgerkrieg – zum regelmäßigen nationalen Feiertag erklärte. In dieser Zeit soll sich auch die Besessenheit mit dem Truthahn gefestigt haben. Aus der Zubereitung ist inzwischen eine Wissenschaft geworden. Truthähne stammen übrigens aus der Neuen Welt und haben damit beim Erntedankfest eigentlich nichts zu suchen.

Im Laufe der Zeit haben sich in den USA eine Reihe von Bräuchen entwickelt, zu dem seit 80 Jahren (Stand: 2006) auch die Thanksgiving Parade von Macy’s in New York gehört. Für die Kette ist das Fest wichtig, weil der anschließende Freitag der Beginn der Haupteinkaufszeit für Weihnachten ist. Das ist eine weitere wichtige Funktion von Halloween und Thanksgiving: Es hält die amerikanischen Geschäfte von dem Irrsinn ab, schon Ende Oktober die erste Weihnachtsdekoration aufzuhängen.

Für einen großen Teil der US-Bevölkerung, insbesondere der männlichen, ist das aber alles Blödsinn.

Denn für wahre Männer sind Familientreffen und Truthahnessen nur schmückendes Beiwerk für die wirklich wichtigen Ereignisse des Tages: Seit etwa 100 Jahren wird an Thanksgiving der Turkey Day Game ausgetragen. Wir reden hier natürlich von American Football. Gespielt wird auf Highschool-Ebene wie bei den Profis. Die Dallas Cowboys sind seit 1966 mehr oder weniger durchgehend dabei.

Wir sollten am Ende darauf hinweisen, dass es tatsächlich einen Ort gibt, wo Thanksgiving nichts anderes als Erntedank ist: Kanada. Der Feiertag wurde 1957 eingeführt, mit dem Ziel:

a day of general thanksgiving to almighty God for the bountiful harvest with which Canada has been blessed

Gefeiert wird am zweiten Montag im Oktober, angeblich weil die Erntesaison im Norden kürzer ist. Aus US-Sicht ist allerdings klar: Die Kanadier haben den Feiertag schlicht kopiert und dann noch falsch. Typisch – erst die Revolution nicht mitmachen und dann so etwas.

META: Kind Nummer Zwei und dieses Blog

November 11, 2006

Kind Nummer Zwei ist da! Mutter und Nachwuchs haben die Geburt gut überstanden, dieser Autor ist ganz hibbelig vor Glück und überhaupt ist alles ganz wunderbar.

Erfahrene Eltern werden ahnen, dass da irgendwo ein „aber“ lauert. Tatsächlich: So ein Wurm schluckt am Anfang bekanntlich endlos Zeit, und die wird zu einem großen Teil von diesem Blog abgespart werden.

Genauer: Die bisherige Frequenz von drei Einträgen pro Woche wird sich mittelfristig nicht halten lassen, E-Mails werden noch später beantwortet als jetzt schon der Fall ist (nein, ich habe Euch nicht vergessen) und die Artikel selbst dürften auch kürzer werden. Einige Texte liegen noch auf Halde – der kluge Blogger baut vor – aber lange werden sie nicht reichen. Ab da werden die Postings eher sporadisch werden.

Sorry – manchmal sind Windeln wichtiger als Wahlen.

Warum Amerikaner weniger Angst vor Hunden haben, die Wahlzettel fressen

November 8, 2006

Wir müssen doch noch einmal auf die Kongresswahl eingehen. Wer die englischen und deutschen Medien vergleicht, wird bemerken, dass die Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe unterschiedlich behandelt werden: In den USA und Großbritannien wird das kurz zur Kenntnis genommen, in Deutschland ergeht man sich schon mal in atemloser Empörung. Wenn wir den deutschen Medien nicht antiamerikanische Schadenfreude unterstellen wollen oder den Angelsachsen Desinteresse an grundlegenden demokratischen Vorgängen, brauchen wir für diese verschiedene Bewertung eine Erklärung.

Die gibt es tatsächlich. Es ist der Unterschied zwischen Systemen mit einer Mehrheitswahl (winner-takes-all oder first-past-the-post in den USA und Großbritannien) und dem Verhältniswahlrecht (proportional representation in parlamentarischen Demokratien). Deutschland hat eine Mischform („personalisierte Verhältniswahl“), zählt aber eher zur zweiten Gattung. Deswegen auch die Aufregung.

Denn beim Verhältniswahlrecht gilt:

Prozentsatz der Stimmen = Prozentsatz der Sitze

Das ist besonders für Deutschland vereinfacht dargestellt, zeigt aber: Wichtig ist das Verhältnis der abgegebenen Stimmen, wie ja auch der Name sagt. Man muss also zählen, und zwar möglichst genau.

Bei der Mehrheitswahl geht es dagegen allein darum, welcher Kandidat die meisten Stimmen bekommt. Da Menschen und nicht Parteien gewählt werden, sind die absoluten Zahlen eigentlich egal. Man könnte auch einfach die Stimmzettel auf einzelne Haufen werfen:

Größter Haufen = Sitz gewonnen

Die Vor- und Nachteile beider Systeme sind bekannt. Die Mehrheitswahl ist stabiler – wir hatten gesehen, dass es keine Koalitionsgespräche gibt und dass der Kongress sofort handlungsfähig ist. Extreme Parteien haben keine Chance (ob das gut ist, hängt von der Sichtweise ab) und die Bevölkerung entscheidet direkt, wer sie vertritt. Wer dagegen die Politik als ein Kampf zwischen „Strömungen“ sieht, die von Parteien vertreten werden, wird damit nicht glücklich, denn die Verteilung entspricht nicht immer genau der in der Bevölkerung. Im Extremfall kann der Sieger weniger absolute Stimmen auf sich vereinigen als der Verlierer.

Wir wollen diese Vergleiche nicht zu weit ausführen. In Deutschland ist die Verhältniswahl abgeändert und in den USA werden klassische Eigenschaften der Mehrheitswahl durch den starken Föderalismus aufgehoben: Da viele Entscheidungen auf Kommunalebene getroffen werden, ist es nicht so wichtig, wenn der Abgeordnete im fernen Washington nicht nach dem gleichen Muster gestrickt ist wie seine Wähler.

Stattdessen wollen wir uns mit einer Eigenschaft der Mehrheitswahl beschäftigen, die den meisten weniger bekannt ist: Das System ist robuster, liefert also auch dann noch das gleiche Ergebnis, wenn es beim Urnengang Probleme gibt. Das ist wichtig, wenn man im 18. Jahrhundert die Stimmzettel per Pferd über unbefestigte Waldwege transportieren muss. Wer seine Demokratie im 20. Jahrhundert aufbaut (und ohnehin nicht so lange Wege hat), muss sich darum nicht so sehr kümmern.

Ein Zahlenbeispiel macht den Unterschied klarer.

Nehmen wir an, bei einer Verhältniswahl habe Partei A 300.000 Stimmen erhalten und Partei B 100.000 Stimmen. Im Parlament hat A dann eine Drei-Viertel-Mehrheit. Bei einer Mehrheitswahl würde das so aussehen: Kandidat A bekommt 300.000 Stimmen, Kandidat B 100.000 Stimmen. Kandidat A kriegt den Sitz. Wir vereinfachen hier natürlich brutal, insbesondere dadurch, dass wir die gleichen Zahlen für beide Wahlsysteme benutzen. Es geht hier ums Prinzip.

Denn was passiert jetzt, wenn herauskommt, dass 100.000 weitere Stimmzettel verloren gegangen sind? Vielleicht hat ein Hund sie gefressen (ein sehr großer Hund, versteht sich) oder die Urnen wurden gestohlen oder den Wahlmaschinen ist im kritischen Augenblick der Strom ausgegangen. Bleiben wir beim sehr großen Hund, denn Leser sollen Geschichten mit Tieren und kleinen Kindern lieben. Auf jeden Fall sind die Zettel weg.

Für das System mit einer Verhältniswahl ist das eine Katastrophe. Im Extremfall hätten alle diese Stimmen für Partei B sein können – besonders, wenn der sehr große Hund ganz zufällig einem Mitglied von Partei A gehört. Dann hätte Partei A aber nicht mehr drei Viertel der Stimmen – vielleicht genug, um die Verfassung zu ändern – sondern nur noch drei Fünftel, also 60 Prozent.

Für das System mit einer Mehrheitswahl ist der sehr große Hund irrelevant. Verstörend, ja, ein Fall für die Polizei, auch, und unglaublich peinlich sowieso. Aber er hat auf den Ausgang der Wahl keinen Einfluss, denn auch 200.000 Stimmen sind immer noch weniger als 300.000. Der Sitz geht weiter an Kandidat A.

Das Mehrheitswahlrecht ist also weniger anfällig wenn es darum geht, das Wahlergebnis unter erschwerten Bedingungen richtig wiederzugeben. To degrade gracefully nennt man das Verhalten von solchen Systemen: Die Kernaufgabe wird noch sehr lange korrekt erfüllt.

Irgendwann bricht natürlich auch die Mehrheitswahl zusammen – bei zwei sehr großen Hunden wäre es in unserem Beispiel soweit. Wie wir bei der Präsidentenwahl 2000 in Florida gesehen haben, kann sie auch nicht alles abfangen. Man könnte sogar argumentieren, dass einige Organisatoren sich zu sehr auf diese Fehlertoleranz verlassen haben.

Bei der Verhältniswahl gibt es diesen Toleranzbereich nicht. Ein einziger Prozentpunkt kann darüber entscheiden, ob die Fünf-Prozent-Hürde geschafft wird oder nicht oder ob eine Koalition zu Stande kommt. Das System verkraftet bei der Auszählung keine Ungenauigkeit. Die deutsche Presse ist entsprechend sensibilisiert, um auf das kleinste Problem mit großem Geheul zu reagieren. Richtig so – für ihr System.

Auch in den USA ist natürlich das Ziel, alle Stimmen zu erfassen. Aber kleinere Wahlpannen sind ein Fall für die örtlichen Behörden – dem Hundefänger, wenn man so will – und nicht eine Gefahr für das Gesamtsystem, denn sie beeinflussen den Ausgang nicht.

Natürlich findet auch eine Diskussion über die Probleme statt. Es gibt auch schon eine Lösung: Die reine Briefwahl, wie sie Oregon praktiziert. Wir hatten schon damals gesagt, dass dieses Ergebnis Schule machen könnte – und so sieht es auch aus.

Und eigentlich ist das völlig einleuchtend: Wenn irgendjemand weiß, wie man mit sehr großen Hunden fertig wird, dann sind es die Briefträger.

Wie war das jetzt mit Lieberman nochmal?

November 8, 2006

Wir werden uns an der allgemeinen Nachrichtenflut über die US-Wahl nur in so fern beteiligen, als dass wir uns den Ausgang eines Rennens anschauen, das wir angesprochen hatten: Der Kampf um einen der zwei Senatssitze in Connecticut.

Was bisher geschah: Die Demokraten hatten bei den Vorwahlen den Veteranen Joe Lieberman den Laufpass gegeben und stattdessen Ned Lamont zu ihrem offiziellen Kandidaten gemacht. Lieberman war empört und hat das nicht akzeptiert und ließ sich als Unabhängiger aufstellen.

Und er hat, wie wir jetzt wissen, gewonnen.

Was sagt uns das? Erstmal dass das System der Vorwahlen auch nicht perfekt ist. Die Demokraten haben schlicht auf das falsche Pferd gesetzt. Es zeigt uns aber auch, wie wenig Macht die Parteien in einem System haben, wo die Kandidaten direkt gewählt werden: Auch wenn Lieberman weder unbekannt noch arm ist, er musste sich gegen die Wahlkampfmaschinen beider Parteien durchsetzen.

Nicht nur Lamont dürfte da ein langes Gesicht machen.