Archive for September, 2012

ZEUGS: Chaos beim Football, Playboy bei der Feuerwehr und der Wahlkampf der Langeweile

September 26, 2012

Die wichtigste Nachricht dieser Tage ist fast komplett an der deutschen Presse vorbeigegangen: Die NFL streitet sich mit den Profi-Schiedsrichtern, weswegen Amateure die Spiele pfeifen. Die Folgen sind katastrophal.

Sixteen of 20 coach’s challenges resulted in overturned calls, meaning officials made the wrong decision on 80% of some of the biggest plays. Think about that.

An der heftigen Reaktion sieht man einen der vielen Gründe, warum Fußball es in den USA so schwer hat: Amerikanischen Fans fehlt die fatalistische Toleranz der Europäer für Fehlentscheidungen. Schiedsrichter müssen Profis sein.

Was? In der übrigen Welt gab es ein anderes Thema als American Football? Was denn?

  • Zum First Amendment: Der Streit über das Mohammed-Schmähvideo hat immerhin Fortschritte bei dem Wissen über die Bedeutung der Meinungsfreiheit in den USA aufgezeigt. Es gab kaum Aufrufe in der deutschen Presse, die Amis sollten das Video doch einfach verbieten. Dass man in den USA nicht nur den Islam beleidigen darf, dokumentierte parallel dazu die Diskussion über den „Piss Jesus“ und eine nicht für den Arbeitsplatz geeignete, für Christen, Juden, Hindus und Buddhisten anstößige und allgemein eher geschmacklose Karikatur der Satire-Zeitung The Onion mit dem Titel „No One Murdered Because Of This Image“.
  • Zur Meinungsfreiheit, nochmal, und prüde Amerikaner: The Slate berichtet etwas ungläubig über einen Polizisten in San Francisco, der vom Dienst suspendiert wurde, weil er in seiner Freizeit Fantasy-Nacktfotos gemacht hat. Dabei hat er es gerade in dieser Stadt doch dienstlich ständig mit nackten Leuten zu tun:

    If one is not assigned to provide escort for the doms and slaves at the Folsom Street Fair, then there is the gay pride parade to contend with.

    Nebenbei erfahren wir, dass Feuerwehrleute in den USA offenbar das verfassungsmäßige Recht haben, auf der Wache Playboy zu lesen. Das wusste dieser Autor auch nicht.

  • Zur Wahl, auch irgendwo ein Thema: Die amerikanischen Journalisten — selbst die Politik-Freaks — hassen dieses Jahr den ganzen Wahlkampf wegen seiner unerträglichen Monotonie:

    If the last campaign was the change campaign, this is the no-change campaign.

    Das wäre dann die nächste Stufe der Amerikanisierung des Wahlkampfes: Fürchterliche Langeweile. Mal sehen, wann das nach Deutschland kommt.

  • Zur Autorisierung von Interviews: Da hat dieser Autor groß und breit erklärt, dass amerikanische Medien nie im Leben ihre Interviews von Politikern kontrollieren lassen, und dann kommt das Eingeständnis: Äh, haben wir doch gemacht. Sorry.

    Jim Messina, the Obama campaign manager, can be foul-mouthed. But readers would not know it because he deletes the curse words before approving his quotes.

    Danke auch. Immerhin war die Enthüllung der New York Times doch so peinlich, dass sie die Praxis wieder einstellen wollen. Aber jetzt ein bisschen plötzlich.

  • Zu kleinen Häusern: CNN berichtet über die Bewegung, die jetzt in New York gefördert wird:

    New York Mayor Michael Bloomberg in July announced a pilot program to develop a new housing model for the city’s growing small-household population.

    Das Projekt heißt adAPT. Ein großes Problem für die kleinen Häuser sind auch hier wieder die Bauvorschriften.

  • Zum Police Blotter: Das Material aus den Logbüchern der Polizeiwachen wird neuerdings für ein Blog mit dem Namen Cops Shooting People ausgewertet. Wie der Name sagt werden darin Vorfälle aufgelistet, bei denen Bürger von Polizisten an- oder erschossen wurden. Der letzte Eintrag war am 5. September.
  • Zur sozialen Mobilität, sprich, der Sache mit dem Tellerwäscher und dem Millionär: Die University of Michigan bestätigt in einer Studie, dass man in den USA keine außergewöhnlichen Aufstiegschancen hat, zumindest im Vergleich zu Deutschland und Schweden.

    „Especially in the United States, people underestimate the extent to which your destiny is linked to your background,“ says Fabian Pfeffer, a sociologist at the U-M Institute for Social Research.

    Vermutlich gibt es inzwischen einfach zu viele Spülmaschinen.

  • Zu Frauen im American Football, um zu den wirklich wichtigen Themen zurückzukommen: Die New York Times hat offenbar wieder von diesem Blog abgeschrieben, denn kaum haben wir unseren Eintrag zu dem Thema veröffentlicht, berichtet die Zeitung groß und breit über eine Teenagerin in Florida, die als Quarterback ihrer High-School-Mannschaft spielt.

    Some students from the other high school approached the players. „They were kind of making comments about how they heard we had a girl quarterback,“ said wide receiver Hordly Seide (…). „We were just like, ‚Yeah, she’s standing right here.'“

    Nach der New York Times griff übrigens auch Spiegel Online das Thema auf. Ehrlich, was würden diese ganzen Qualitätsmedien bloß ohne dieses Blog machen?

Warum sich Amerikaner in Waldhütten mehr anstrengen

September 20, 2012

Eigentlich sollte heute ein überfälliger ZEUGS-Eintrag ins Netz, aber dieser Autor hat The Cabin in the Woods gesehen. Und da gibt es ein Zitat, das schnell erklärt werden muss, denn natürlich werden die interessierten Leser alle in diesen Joss-Whedon-Film gehen wollen.

(Der Eintrag enthält kleinere Spoiler, die Links größere)

Es handelt sich um eine Szene relativ am Anfang, in der Richard Jenkins, Bradley Whitford und Amy Acker miteinander reden. Die Schweden, so erfahren wir, haben irgendwas verkackt (was, weiß der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt nicht) und nur noch zwei Länder können „es“ schaffen: Japan und die USA. Und Japan habe noch nie versagt, sagt Jenkins. Darauf erklärt Whitford:

We’re number two. We try harder.

Das ist einer der berühmtesten Werbesprüche der amerikanischen Geschichte. Der Autoverleiher Avis lag in den 60er Jahren an zweiter Stelle hinter Hertz. Aus dieser eigentlich peinlichen Situation machte die Firma 1963 einen Werbespruch [JPG]:

Avis is only No. 2 in rent a cars. So why go with us?
We try harder. (When you’re not the biggest, you have to.)

Die Kampagne war ein voller Erfolg. Avis selbst schreibt, dass man damit in die Gewinnzone gelangte. Bis heute ist We try harder das Motto der Firma. Die Übersetzung hat man sich in Deutschland gleich gespart.

Cabin zeigt aus der Sicht dieses Autors noch etwas anderes: Ein Versagen der Globalisierung. Die Blu-ray ist ab dem 21. September 2012 (sprich, morgen) in den USA zu kaufen. In Deutschland sollen wir dagegen bis zum 1. Februar 2013 warten. Was ist das, ein Förderprogramm für Raubkopierer?

Warum Amerikanern ständig lustige Dinge auf dem Weg irgendwohin passieren

September 12, 2012

Weil The Avengers bald auf DVD herauskommt, ein kurzer Ausflug ins Marvel-Universum. Unter den Extras auf der Blu-ray von Captain America: The First Avenger findet sich ein Kurzfilm [YouTube] über Agent Phil Coulson mit dem Titel:

Something Funny Happened on the Way to Thor’s Hammer

Wir erinnern uns: Die Ankunft von Thor auf der Erde wurde von seinem Hammer Mjolnir angedeutet, den SHIELD in der Wüste von New Mexico fand. Coulson wurde dorthin geschickt und der Kurzfilm zeigt eine Episode auf seiner Autofahrt.

Worum es uns aber eigentlich geht, ist die Überschrift. Diese Konstruktion findet man auf Englisch ständig. Da wäre ein Satz im Vorwort von Arthur C. Clarkes Roman Rama II. Nachdem er von seinem Widerwillen schreibt, mit einem Co-Autor zu arbeiten, erklärt er:

Well, a funny thing happened on the way to the word processor.

Tatsächlich schrieb Clarke dann das Buch zusammen mit Gentry Lee. Mehr als die Einleitung muss man allerdings nicht zu lesen, die Fortsetzung kommt nicht ansatzweise an den ersten Teil heran.

Wir finden die Konstruktion auch in Überschriften wie „A funny thing happened on the way to the Herman Cain lynching“. Die Mondlandungs-Verschwörungstheoretiker haben eine „Dokumentation“ mit dem Titel A Funny Thing Happened on the Way to the Moon veröffentlicht. In der (fürchterlichen) US-Version von Being Human gibt es eine Episode namens „A Funny Thing Happened on the Way to Me Killing You“ und bei The Fresh Prince of Bel-Air finden wir „A Funny Thing Happened on the Way to the Forum“.

Dieser Titel nun verweist auf eine einflussreiche Verwendung in einem Broadway-Musical von Stephen Sondheim mit mit dem gleichen Titel, das 1962 uraufgeführt und vier Jahre später verfilmt wurde. Aus A Funny Thing Happened on the Way to the Forum machten die Übersetzer in ihrer Weisheit Toll trieben es die alten Römer.

Der Spruch ist allerdings als erster Satz von Witzen noch älter. Er soll seinen Ursprung im Vaudeville-Unterhaltungstheater um die vorherige Jahrhundertwende haben. Eine harte Quelle dafür konnte dieser Autor nicht finden. Aber dazu würde passen, dass es als Klischee gilt, einen Witz so anzufangen.

Auch die The Avengers-Blu-ray soll übrigens ein Kurzfilm enthalten: Item 47. Wann der Director’s Cut des Hauptfilms erscheint — wir reden hier schließlich von dem Buffy-Schöpfer Joss Whedon — ist leider unklar.

Warum amerikanische Journalisten Obamas Pronomen zählen

September 6, 2012

Wer die Berichterstattung der US-Medien über den Präsidentschaftswahlkampf verfolgt, dürfte etwas Seltsames bemerkt haben: Amerikanische Journalisten verbringen ihre Zeit damit, in den Reden von Politikern die Pronomen zu zählen. Nehmen wir die „New York Times“ zu einer Rede des Republikaners Chris Christie vor etwa einer Woche auf dem Nominierungsparteitag für Mitt Romney:

By my count, Mr. Christie used the word „Romney“ six times in his address. He used the word „I“ 30 times, plus a couple of „me’s“ and „my’s“ tossed in for seasoning.

Deutsche Journalisten machen so etwas (bislang) nicht. Sie interessiert eher, ob die Ansprache mit „Bürgerinnen und Bürger“ anfängt. Was machen die Amis da schon wieder?

Amerikanischen Politikern wird vorgeworfen, viel zu viel über sich selbst zu reden statt darüber, was „wir“ als Volk, Nation oder Gemeinschaft tun können. Um diese Behauptung zu belegen, zählen die Journalisten, wie häufig die Kandidaten Wörter wie „ich“, „mein“ und so weiter verwenden.

Es gibt zwei Hauptvarianten des Vorwurfs. Der „allgemeine“ lautet, dass Präsidenten nach der Amtsübernahme plötzlich anfangen, ständig über sich zu sprechen. Das wird imperial „I“ genannt, eine Anspielung auf das royal „we“ der Könige, dem Pluralis Majestatis. Der „spezielle“ Fall wirft Präsident Barack Obama vor, mehr über sich selbst zu sprechen als jedes andere US-Staatsoberhaupt vor ihn. Das wird teilweise ohne Quelle als Fakt dargestellt, wie hier in „Forbes“:

No other presidents in history have made so many speeches, appeared on television so many times, and used the pronouns „I“ and „my“ so many times.

Ja, aber stimmt das denn? Dieser Autor hat ehrlich gesagt interessantere Dinge im Leben zu tun als Pronomen zu zählen und weiß es daher schlicht nicht. Das Language Log befasst sich mit diesen Berichten, die dort als first person singular pronoun attack bezeichnet werden. Die „allgemeine“ Variante des Vorwurfes stimmt demnach zumindest für Obama nicht:

[B]ut his (or his speechwriters‘) rate of use of first-person singular pronouns hasn’t increased — in fact, maybe it’s gone down.

Auch die spezielle Variante hält Mark Liberman von dem Blog für falsch:

The problem with the business about Obama’s pronoun usage is that the pundits who have carried on about it hardly ever actually count anything, and make no relevant comparisons in the few cases where they do. Instead, they make unsupported assertions that turn out to be trivially false as a matter of mere fact.

Bei der Anfangs erwähnten Rede des Republikaners Christie finden wir einen Vergleich mit anderen Rednern. Ein Ausschnitt als Beispiel für die entsprechenden Berechnungen („FPSP“ sind first-person-singular pronouns):

  • Paul Ryan: 73 FPSPs in 3295 words = 2.22%
  • Rick Santorum: 28 FPSPs in 1258 words = 2.23%
  • Ann Romney: 64 FPSPs in 2365 words = 2.71%
  • Clint Eastwood: 56 FPSPs in 1161 words = 4.8%

Damit läge Christie mit 2,17 Prozent im Rahmen seiner Kollegen. Ohnehin ist dieses Beispiel eigentlich ein Sonderfall, denn hier lautet der Vorwurf, dass Christie auf Romney gar nicht so gut zu sprechen ist und lieber von sich selbst spricht.

Das Language Log hält die ganze Geschichte mit den Pronomen für dummes Zeug mit dem sich die Journalisten beschäftigen, statt etwas Sinnvolles mit ihrer Zeit zu tun.

Commenting on first-person pronouns seems to be turning into one of those pundit’s tropes, like the cab-driver conversation, that give some shape to a column that the writer is too bored or lazy to support in a more consequential way.

Natürlich wissen die amerikanischen Redenschreiber inzwischen von dieser Eigenheit der US-Medien. Man kann daher davon ausgehen, dass die Zahl der Pronomen bei den zentralen Ansprachen streng rationiert wird.

Der interessierte Leser, der heute Nacht Obamas Rede auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten mithört, kann das überprüfen und selbst mitzählen — außer natürlich, er hat etwas Besseres zu tun.

Zu Berichten über brennende Hosen beim republikanischen Vize-Kandidaten Paul Ryan

September 1, 2012

Convention rhetoric about Obamacare inflammatory, but mostly because speakers’ pants were on fire

– Überschrift eines Textes von Health Insurance über den Nominierungskongress der Republikaner

Wer die US-Presse und -Blogs nach dem Parteitag der Republikaner vergangene Woche verfolgt hat, wird Anspielungen auf brennende Hosen gefunden haben. Nehmen wir diese Überschrift von Global Grind:

Pants On Fire! The False Truths Paul Ryan Told During The RNC

(RNC ist die Abkürzung für Republican National Congress)

Das geht auf den Kinderreim zurück: Liar! Liar! Pants on fire! und unterstellt dem Vize-Kandidaten der Republikaner, in seiner Rede gelogen zu haben. Die „brennenden Hosen“ kommen von dem versohlten Hintern, den Kinder erwarten konnten (bzw können) wenn sie nicht die Wahrheit sagen.

Ob Ryan wirklich gelogen hat oder nicht, soll hier nicht Thema sein. Jetzt kann der interessierte Leser aber immerhin auf amerikanischen Spielplätzen mithalten.