Wer das Kyoto-Protokoll wirklich abgelehnt hat

April 1, 2008

Wir haben zwar in unserem Eintrag über den Energieverbrauch der USA erklärt, dass wir uns nicht mit der globalen Erwärmung befassen werden. Das hindert uns aber nicht daran, uns mit dem Teilaspekt des Kyoto-Klima-Protokolls zu befassen, das die USA bekanntlich ablehnen. Wir hatten das kurz angesprochen, aber wegen der Bedeutung des Themas für den Präsidentschaftswahlkampf gehen wir heute etwas ausführlicher darauf ein.

Zunächst möge der interessierte Leser ein kleines Experiment durchführen: Er frage seine geschätzten Mitbürger, wer dafür verantwortlich ist, dass die USA das Kyoto-Protokoll nicht umsetzen.

Nach den Erfahrungen dieses Autors wird die Antwort fast immer „George W. Bush“ lauten, häufig genug auch von Amerikanern, und die müssten es besser wissen. Denn das ist leider falsch. Bush mag zwar für den Irak-Krieg verantwortlich sein und vielleicht auch dafür, dass Milka seine Schokolade nicht mehr in Silberfolie verpackt. Aber der entscheidende Widerstand gegen Kyoto kommt aus dem Senat und hatte sich schon formiert, als Bush noch Gouverneur von Texas war.

Wir erinnern uns: Nach dem Prinzip der Gewaltenteilung unterzeichnet der Präsident internationale Verträge, die aber vom Senat ratifiziert werden müssen. Im Juli 1997 stimmten nun die Abgeordneten über die S.Res.98 ab, besser bekannt als die Byrd-Hagel Resolution, benannt nach ihren Hauptsponsoren Chuck Hagel, ein Republikaner aus Nebraska, und Robert C. Byrd, ein Demokrat aus West Virginia.

Darin wurden zwei Dinge kritisiert: Erstens, die „ökologisch unsinnigen“ Ausnahmen für 129 Staaten, darunter Großverschmutzer wie China, Indien und Südkorea, sowie der daraus entstehende erhebliche Schaden für die US-Wirtschaft. Dem Präsidenten – damals Bill Clinton – wurde „empfohlen“, keinen Vertrag zu unterzeichnen, der diese beiden „Fehler“ beinhalte. Im Klartext: Komm‘ uns nicht mit diesem Protokoll, Billy-Boy.

Die Resolution wurde mit 95 zu 0 Stimmen angenommen.

Niemand im Senat konnte sich für Kyoto, äh, erwärmen. Ob Demokrat oder Republikaner, Umweltfreak oder Industrieförderer, ob von der Westküste oder der Ostküste, ob aus dem rust belt oder sun belt, der Senat stimmte geschlossen gegen einen Beitritt. Gore setzte zwar im Dezember symbolisch im Namen der USA seine Unterschrift unter das Dokument, aber die Regierung Clinton verzichtete darauf, dem Senat den Vertrag zur Ratifizierung vorzulegen. Man muss ja nicht jede Blamage mitnehmen.

Aber warum wird dann Bush ständig dafür verantwortlich gemacht, dass die USA bei Kyoto AWOL sind, selbst unter Leuten, die ihn nicht als den Teufel in Menschengestalt sehen? Bush lehnt Kyoto tatsächlich lautstark ab. Schon 2001 erklärte er:

Kyoto is, in many ways, unrealistic. Many countries cannot meet their Kyoto targets. The targets themselves were arbitrary and not based upon science. For America, complying with those mandates would have a negative economic impact, with layoffs of workers and price increases for consumers.

Der Fehler wird zudem von angesehenen Medien begangen, deren Korrekturen (wenn es sie überhaupt gibt) leider meist ungelesen bleiben. Auch im Wahlkampf finden wir entsprechende Behauptungen, zum Beispiel bei Hillary Clinton [YouTube]: President Bush took us out of Kyoto. Wir gehen davon aus, dass sie es im übertragenen Sinn meinte. Irgendwie.

Speziell in Deutschland steht dem Verständnis zusätzlich die amerikanische Gewaltenteilung im Wege. Da in der Bundesrepublik die Mehrheit in der Legislative auch die Exekutive stellt, ist es für Deutsche oft schwer zu verstehen, dass der Kongress eine unabhängige und mächtige Größe ist. Hierzulande ist der Regierungschef das bestimmende Element – wenn Kanzlerin Angela Merkel sagt, wir machen das, dann wird das auch gemacht.

Ein amerikanischer Präsident kann von so viel Macht nur träumen. Ob Clinton oder Bush oder wer auch immer für oder gegen Kyoto sind, ist schnurz, so lange der Senat sagt: No way, José.

Und der Senat dürfte heute noch weiter von einer Zustimmung entfernt sein als damals. Seit dem Siegeszug der Demokraten bei der Wahl vor zwei Jahren ist Byrd als Präsident pro tempore das ranghöchste Mitglied (formell ist der Vizepräsident der Präsident der Kammer). Er ist nun fast 50 Jahre im Senat, einer der Abgeordneten, für die Präsidenten eine vorübergehende Erscheinung sind. Auch Hagel will weiterhin nichts von Kyoto hören, keine worn-out debates over dead treaties.

Denn die amerikanischen Kyoto-Gegner sehen sich durch die Entwicklung der vergangenen Jahre bestätigt. China hat 2007 die USA als größter Verursacher von CO2 überholt und dürfte 2008 auch der größte Produzent aller Treibhausgase werden. Kanada und eine Reihe von EU-Staaten werden ihre Kyoto-Ziele deutlich verfehlen. Das wird in der amerikanischen Presse mit Schadenfreude registriert:

„Europe is the citadel of hypocrisy,“ charges Newsweek economics columnist Robert J. Samuelson. „To reduce emissions significantly, Europeans would have to suppress driving and electricity use… It won’t happen.“

Den Deutschen wird vorgeworfen, geschummelt zu haben: Ihre deutliche Reduzierung komme nur durch die Verschrottung der DDR-Industrien zustande. Unverändert ist auch die Einstellung zu den wirtschaftlichen Kosten:

The GDP comparisons imply that there is a great deal of uncertainty about the actual economic losses that could result from adherence to the Kyoto Protocol, with actual economic losses rising to as high as 4.2 percent of reference case GDP in 2010.

Ob das amerikanische BIP tatsächlich um „bis zu 4,2 Prozent“ leiden würde, ist natürlich umstritten, denn das ist eine Studie des Energieministeriums.

Überhaupt müssen wir betonen, dass es keinen Mangel an Amerikanern gibt, die für Kyoto sind und den Senat für einen Haufen kurzsichtiger Idioten halten, die von der Wirtschaft in die Tasche gesteckt wurden. Eine Mehrheit der Amerikaner verlangt Maßnahmen gegen den Klimawandel, notfalls im Alleingang.

Die anderen Staatsebenen nutzen entsprechend ihre Autonomie, um selbst tätig zu werden. Mehrere Bundesstaaten haben sich Ziele auferlegt, allen voran wieder Kalifornien:

You know, we’re a state of 38 million people — I like to tell people more than Canada, which is 31 million people. And we’re the 12th biggest emitter of greenhouse gas emissions on the planet. We should do our fair share.

Auch mehr als 130 US-Städte von New York bis Seattle haben sich den Kyoto-Zielen verpflichtet. Wie die Ablehnung geht auch die Zustimmung über Parteigrenzen hinweg.

Was tut man als armer Präsidentschaftskandidat in so einer Situation? Auf der einen Seite gibt es massiven Druck, etwas zu tun. Auf der anderen Seite wissen die Wähler, dass Kyoto keine Chance hat. Wer sich für eine Einführung des Protokolls aussprechen würde, würde sich nur lächerlich machen.

Der Republikaner John McCain spricht eher allgemein von Maßnahmen „mit gesundem Menschenverstand“ gegen den Kohlenstoff-Ausstoß. Das Wort „Kyoto“ kommt bei ihm nicht vor. Auch bei Barack Obama von den Demokraten fehlt das böse K-Wort. Er gibt stattdessen an, ein ganz neues Forum für die größten Treibhausgas-Produzenten schaffen zu wollen:

Obama will create a Global Energy Forum — that includes all G-8 members plus Brazil, China, India, Mexico and South Africa — the largest energy consuming nations from both the developed and developing world.

Man bemerke, dass auch die von Kyoto nicht erfassten Schwellenländer einbezogen werden sollen, insbesondere China und Indien. Hillary Clinton [PDF] erwähnt als Einzige in ihrem Überblick Kyoto beim Namen, wenn auch auf Seite 12 von 15 und dort auch nur, um das Protokoll zu überspringen:

The Kyoto treaty is set to expire in 2012, and Hillary would act quickly in 2009 to restore U.S. leadership in the global warming arena by playing an active role in developing the post-Kyoto treaty. […] She would re-engage in negotiations, work to bring rapidly developing nations like China and India along, and convene high-level meetings every three months with the goal of getting a new deal in place by the end of 2009.

Auch hier wird betont, dass China und Indien mit ins Boot müssen. Wie das geschehen soll, sagt allerdings niemand, denn insbesondere China zeigt wenig Neigung, sich irgendwelche Ziele auflegen zu lassen.

Klar ist nur: Auch unter Bushs Nachfolger wird es keinen Kyoto-Beitritt der USA geben. Dieser Autor sagt voraus, dass das für einige Leute ein Schock sein wird.