Archive for Juli, 2008

ZEUGS: Holocaust-Leugner, Bush-Mord als Computerspiel und deutsche Blogger

Juli 29, 2008

Es ist nicht nur so, dass es viel zu heiß ist und dieser Autor von Kind Nummer Zwei eine heftige Erkältung geschenkt bekommen hat. Nein, als er es heute Mittag trotz seiner laufenden Nase und seines kratzenden Halses endlich geschafft hatte, ein paar Minuten die Augen zuzumachen, klingelte ein Vertreter eines Telekommunikations-Unternehmens, das namenlos bleiben soll.

Entsprechend könnte bei diesem ZEUGS-Eintrag massiv schlechte Laune durchschimmern. Sorry.

  • Zu Fliegengitter: Wenigstens schwirren keine Insekten im Haus herum, denn wie angekündigt sind zumindest die wichtigsten Fenster mit Fliegengittern geschützt. Der Monteur sagte, dass seine Firma seit fünf Jahren einen wahren Boom bei den Dingern sieht. Der Kulturimperialismus schreitet voran.
  • Zu Softdrinks: Es gibt allerdings noch massive Lücken im imperialistischen System. Das Blog Nothing für UnGood weist darauf hin, dass es nicht nur Dr. Pepper und Root Beer sind, die in Deutschland schwer zu bekommen sind. Es fehlen meistens auch:

    7-Up, Sierra Mist, Mountain Dew, Caffeine-free Coke, Cherry Coke, Vanilla Coke, Diet Vanilla Coke, Diet Vanilla Cherry Coke, Black Cherry Vanilla Coke, Coca-cola with Lime, Crush, Cheerwine, cream soda, Diet Rite, Fresca, Jolt, Mellow Yellow, Nehi, R.C., Slice, or even any flavor of Shasta

    Allerdings könnte Cherry Coke von der EU als Biowaffe eingestuft worden sein. Übrigens scheint das Problem mit der germanischen Paprika-Chip-Monokultur im Osten noch schlimmer zu sein als im Westen. Es gibt im Berliner Umland noch „Super“-Märkte, die keine einfachen gesalzenen Chips haben. Nicht, dass dieser Autor im Moment noch einen Geschmackssinn hätte …

  • Zur Meinungsfreiheit: Der vermutlich bekannteste Holocaust-Leugner außerhalb des arabischen Raums, der Brite David Irving, redet seit Mitte Juli in den USA. Mehrere amerikanische Medien berichten darüber und der preisgekrönte Journalist Max Blumenthal hat eine kritische Dokumentation namens Springtime for Irving: A Holocaust Denier Hits Manhattan erstellt. Dabei kommt nicht nur ein entsetzter katholischer Priester aus New York zu Wort, in dessen Kirchenkeller Irving offenbar unter dem Vorwand einer Buchbesprechung hineingeschleust wurde. Auch Irving selbst wird gezeigt, wie er den Massenmörder Hitler in Schutz nimmt. Das ist in den USA legal.
  • Zur Meinungsfreiheit, nochmal: Angeblich träumen viele Leute davon, George W. Bush zu töten. In den USA können sie diese Fantasie jetzt als Computerspiel ausleben: Der Künstler Wafaa Bilal aus Chicago lässt sie in A Virtual Jihadi als Mitglied von Al-Kaida ein Selbstmordattentat auf den US-Präsidenten ausführen. Bilal nennt dies seine persönliche Art, mit dem Irak-Krieg und dem Tod seines Bruders fertig zu werden. Auch das ist in den USA legal.
  • Zu Zügen: Warum fahren Amerikaner nicht mehr mit der Eisenbahn? Auf „Pajamas Media“ schwärmt Charlie Martin aus Colorado vom deutschen Eisenbahnnetz und rechnet dann vor, warum das für die USA keine Alternative ist:

    I can manage a one-day business trip by plane, but a one-day trip [by plane] to New York by train is a five-day trip.

    Anders formuliert: Die USA sind einfach zu groß. Entsprechend scheint Telearbeit eher eine Lösung. So oder so
    bricht im Moment die Zahl der gefahrenen Meilen ein und bei Hybridautos kommt die Produktion nicht nach.

  • Zu Sprachen: Der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack Obama hat erklärt [YouTube], dass US-Schüler mehr Fremdsprachen lernen sollten. Das hat in Deutschland wieder zu viel Gerede über die dummen Amerikaner geführt, die angeblich alle nur Englisch lernen. Wer etwas von „Google“ gehört hat und sich die Zahlen anschaut, weiß es besser:

    As of 2004, 85 percent of America’s 17 million high school students were graduating with two or more years of foreign language instruction and a third had three or more years. Both figures are records. […] And American colleges, meanwhile, graduated 19,410 language majors in 2006, nearly 50 percent above the 13,775 language BA’s awarded in 1997.

    Lustigerweise scheinen auch viele Kommentatoren überhört zu haben, was Obama davor über die Millionen Einwanderer gesagt hat, die kein Englisch sprechen: They will learn English. Da ist wieder das übliche sprachliche Selbstverständnis der Angelsachsen, für das sie die restliche Welt so liebt.

  • Zu Sprachen, nochmal: Obama liegt mit seinem Hinweis auf Französisch und Deutsch ohnehin nicht im Trend: Die total angesagte Sprache an US-Schulen ist gegenwärtig Chinesisch. Ohnehin sprechen zwei Millionen [PDF] US-Bürger die Sprache des größten Übersee-Handelspartners. Chinesisch hat damit seit 1990 Französisch und Deutsch überholt. Allerdings: Die chinesische Regierung hat angeordnet, dass alle Schüler ab der sechsten Klasse Englisch lernen müssen. Das sind jedes Jahr 20 Millionen Kinder. They will learn English, indeed.
  • Zu Plain English: Den Briten geht das bürokratische Geschwätz ihrer Bürokraten auf den Geist:

    „Why do we have to have ‚coterminous stakeholder engagement‘ when we could just ‚talk to people‘ instead?“

    Da wartet auf das Denglische noch eine ganz neue Komplexitätsebene.

  • Zu Pockendecken und Indianer: Der Vollständigkeit halber sollten wir erwähnen, dass es eine Diskussion darüber gibt, ob man mit Decken überhaupt realistisch Pocken übertragen kann. Der Konsens scheint allerdings ein deutliches „Ja“ zu sein.
  • Zu Auszeichnungen: Der interessierte Leser wird den höchsten Preis des amerikanischen Kinos, den Oscar, kennen, und vielleicht auch die begehrteste Auszeichnung der US-Journalisten, den Pulitzer. Weniger bekannt dürfte der Eisner sein, die höchste Ehre der Comic-Industrie. Das erwähnen wir deswegen, weil Buffy in diesem Jahr zwei der Preise abgeräumt hat. In diesem Zusammenhang ist es schön zu sehen, dass selbst dem „Spiegel“ Joss Whedons Dr. Horrible’s Sing-Along Blog aufgefallen ist.
  • Zu Blogs: Während wir beim „Spiegel“ sind: Der hat kürzlich viele böse Dinge über deutsche Blogs geschrieben. Andrew Hammel von German Joys hat daraufhin einige Gedanken zu den kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden zusammengetragen, die Bloggern in den USA einen Vorteil verschaffen könnten:

    A [German] national culture of modesty that frowns upon too much self-expression. Americans have the advantage here. They’re hardly afraid of looking like fools, and like to talk about themselves.

    Dieser Autor ist natürlich nur beleidigt, dass der „Spiegel“ in einem Beitrag über amerikanische und deutsche Blogs nicht ein gewisses deutsches Blog über Amerika erwähnt hat. Pffft! Da kann man nur schlechte Laune haben.

Ein kleiner Unterschied im Nachrichtenstil

Juli 23, 2008

Gerade hat ein Erdbeben der Stärke 6,8 Japan erschüttert. Schauen wir uns den ersten Satz aus der Meldung der „Tagesschau“ dazu an:

Bei einem schweren Erdbeben im Norden Japans sind zahlreiche Menschen verletzt worden.

Und jetzt schauen wir uns den englischen Dienst der Nachrichtenagentur Reuters dazu an:

A strong earthquake jolted northern Japan early on Thursday, injuring dozens of people […]

Wem fällt etwas auf? Nein? Vielleicht noch ein Beispiel, diesmal eine APA-Meldung aus der „Kleinen Zeitung“ in Österreich vom 16. Juli, gefunden über Google News:

Bei einem Bombenanschlag in der Stadt Tal Afar im Nordirak sind am Mittwochabend mindestens 16 Menschen ums Leben gekommen.

Vergleichen wir das mit dieser Meldung der Nachrichtenagentur AP:

A roadside bomb killed three American soldiers and an interpreter north of Baghdad, the U.S. military said Wednesday […]

Die deutschen Formulierungen sind passiv, die englischen aktiv.

Das liegt daran, dass Bomben und Erdbeben aus der Sicht von angelsächsischen Journalisten ohne weiteres Leute töten können, ihre deutschen Kollegen das aber nicht so gerne schreiben – Waffen töten keine Menschen, Menschen töten Menschen, sozusagen. Deswegen fangen auch so viele deutsche Meldungen über Katastrophen und Anschläge mit dem Wort „Bei“ an. Außer, es gibt einen Selbstmordattentäter, der Leute „mit in den Tod reißen“ kann.

Die Regel ist nicht eisern. Auch im Deutschen gibt es Naturkatastrophen, die wie antike Götter „Opfer fordern“, und hin und wieder finden wir Formulierungen wie:

Eine Bombe hat in Bagdad mindestens sechs Menschen in den Tod gerissen und viele verletzt.

Das ist aber eher selten, und dieser Autor ist sich nicht sicher, ob das nicht wieder dieser böse Kulturimperialismus ist.

Das würde natürlich erklären, warum dieser Autor diesen Eintrag nicht mit dem Satz „Japan ist gerade von einem Erdbeben der Stärke 6,8 erschüttert worden“ angefangen hat …

Tube Socks (mit Britney und Bündchen)

Juli 19, 2008

Für unser heutiges Thema nehmen wir, auch wenn es diesem Autor schwer fällt, ein Bild [JPG] von Britney Spears als Ausgangspunkt. Nein, nicht das Bild, sondern eins, auf dem sie noch Haare hat, und zu einem Cowboyhut und einem roten Etwas kniehohe, weiße Socken mit Streifen trägt. Lassen wir dieses Mode-Medley einen Moment auf uns wirken …

… und konzentrieren uns dann auf die Socken. Frau Spears ist zwar in etwa so typisch für die USA wie Lady Bitch Ray für Deutschland, aber auch normale Amerikaner sieht man in solchen Socken, besonders beim Sport [JPG]. Die meisten Deutschen dürften sie als Minimalbekleidung [JPG] der Red Hot Chili Peppers kennen.

Es handelt sich dabei um tube socks, so genannt weil sie keine Hacke haben und damit röhrenförmig sind. Der Laden Skatersocks fasst ihre Geschichte so zusammen:

Striped tube socks became popular in America around the late 1960’s. […] Everyone around America had them on. It was part of our childhood. Skating around town with our tubes on. They kicked rocks in the 80’s and disappeared into the 90’s.

(Man beachte die Greetings from Germany aus Bad Homburg)

Angeblich sind sie also nicht mehr angesagt. Nun hat dieser Autor ein Alter erreicht, in dem er nicht nur nicht weiß, was in oder out ist, sondern auch weiß, dass er das nicht weiß. Ohnehin sind die USA zu groß, um so etwas allgemein sagen zu können – der Unterschied zwischen den Küsten selbst bei Geschäftskleidung ist legendär.

Halten wir daher fast, dass es 2003 zumindest regional eine Tube Sock Welle gab:

„It’s an expression of your individuality and personality,“ says Teandra Howard, 17, of Kansas City, Mo., who endorsed the sock trend when it began at the start of the summer. „I saw them in hip-hop videos, but when I visited St. Louis, everyone was wearing them,“ she says.

Neben Teenagern, die sich als Zeichen ihrer Individualität so kleiden wie alle anderen Teenager, finden wir einen Bericht aus CosmoGirl, der auf eine gewisse Ablehnung schließen lässt:

Believe it or not, I get not-so-positive feedback about my socks. I hear a lot of, „Wow totally 80’s,“ or „Old school,“ or even, „What are you wearing?“ Harsh, huh?!

Das scheint nicht die vorherrschende Reaktion bei der Brasilianerin Gisele Bündchen [YouTube] zu sein, aber vermutlich kann sie alles tragen, im Gegensatz zu Frau Spears.

Gibt es irgendeinen objektiven Vorteil von Tube Socks, außer dass man sich nicht um die Hacke kümmern muss? Der Kleidungshersteller American Apparel will uns einreden, dass sie bei Frauen besondere Gefühle [JPG] auslösen. Das kann dieser Autor nicht bestätigen, denn die Schönste Germanin würde sich nicht einmal tot über den Zaun hängend in weißen Socken erwischen lassen.

Er selbst hat auch einige Paare, die er zum Sport anzieht (sprich, sie führen ein ruhiges Leben in der Sockenkiste). Und da muss er sagen: Es gibt einfach nichts bequemeres.

[Nach einem Vorschlag von MLJ, vielen Dank]

Der Krieg gegen Japan, Teil 1: Was erst 1995 veröffentlicht wurde

Juli 16, 2008

There was no official contact by the Japanese government or its authorized agent, and, of course, thus neither an offer to surrender nor an offer of terms from the Japanese government. On the contrary, the Magic diplomatic traffic contained many telling indicators of Japan’s determination to fight to the bitter end.

– Richard B. Frank, Downfall, veröffentlicht 1999 [1]

Wir müssen am Anfang dieser Serie die Quellenlage besprechen, denn die hat sich vor einigen Jahren entscheidend geändert. Es folgt ein kurzer Ausflug in die Welt der Kryptografie.

(Wem das hier nicht spannend genug geschrieben ist: Neal Stephenson hat in Cryptonomicon [2] viele der zentralen Punkte in Romanform umgesetzt.)

Die meisten interessierten Leser werden wissen, dass die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs wichtige deutsche Kodes brachen, Stichwort Enigma. Viele Leser werden wissen, dass dies insbesondere ein Verdienst der Briten war, auch wenn Hollywood das geringfügig anders dargestellt hat. Einige Leser werden wissen, dass die Leistung der Briten nur Dank der Polen möglich war, auch wenn die Engländer das nur zähneknirschend zugeben.

Nun entschlüsselten die alliierten Geheimdienste auch japanische Kodes. Der Inhalt wurde ihren Regierungen unter dem Stichwort Magic zur Verfügung gestellt. Dazu kam noch militärischer Verkehr, der als Ultra bezeichnet wurde. Wir reden dabei nicht von einer Meldung hier und da, sondern von einer Flut (Hervorhebung hinzugefügt):

By the summer of 1945, Allied radio intelligence was breaking into a million messages a month from the Japanese Imperial Army alone, and many thousands from the Imperial Navy and Japanese diplomats.

Den hochrangigen Politikern und Militärs wurde natürlich nicht der gesamte abgefangene Verkehr vorgelegt, sondern Zusammenfassungen. Allerdings hatten die Magic Diplomatic Summaries vom 12. April bis zum 15. August – Kriegsende – einen Umfang von 2068 Seiten. Aus Sicherheitsgründen durften die Empfänger wie Präsident Harry S. Truman diese Dokumente nur einmal lesen und sich keine Notizen machen.

Die seriöseren Diskussionen über das Für und Wider der Atombomben drehen sich entsprechend zu einem großen Teil darum, welcher Politiker oder Militär an welchem Tag welche Dokumente zu Gesicht bekam.

Damit nicht der falsche Eindruck entsteht: Die Alliierten konnten nicht alle Meldungen lesen. Außerdem gab es das Problem, dass die abertausenden Informationshäppchen zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden mussten. Wir werden sehen, wie spät erst die Alliierten eine Ahnung von der wahren japanischen Truppenstärke im geplanten Invasionsgebiet auf Kyushu bekamen. Trotzdem war die überlegene Kryptografie der Alliierten auch im Pazifik-Krieg ein entscheidender Faktor.

(Magic hatte auch konkrete Auswirkungen auf den Krieg gegen Deutschland: Über Hitlers Kriegspläne erfuhren die Alliierten sehr viel durch die abgefangenen Berichte des japanischen Botschafters in Berlin, General Hiroshi Oshima.)

Eigentlich hätten die Japaner das ahnen können, wenn nicht sogar müssen, spätestens nachdem am 18. April 1943 der Architekt des Angriffs auf Pearl Harbor, Isoroku Yamamoto, ganz zufällig bei einem Flug über Papua-Neuguinea abgeschossen wurde. Für die zuständigen Stellen in Tokio war es aber undenkbar, dass die rassisch und kulturell minderwertigen Amerikaner ein Produkt des überlegenen japanischen Intellekts begreifen könnten. Auch diese Einstellung kennen wir aus Europa.

(Im Gegenzug setzten die Marines Indianer als code talkers ein, die Meldungen in ihren Sprachen übertrugen. Die Idee dahinter war, dass Navajo in Japan nicht zu den beliebtesten Fremdsprachen gehörte, schon allein weil es damals keine verbreitete Schriftform gab. Das wird ein eigenes Thema werden.)

Nun wurde nach dem Krieg relativ schnell bekannt, dass die japanischen Verschlüsselungen gebrochen worden waren – das spielte eine wichtige Rolle bei der Frage, wer für das Desaster von Pearl Harbor verantwortlich gewesen war.

Allerdings wurden nicht alle Magic-Zusammenfassungen veröffentlicht, sehr zum Ärger der Historiker. Zu ihrer Verblüffung mussten sie sogar 1978 noch mit zensierten Versionen Vorlieb nehmen, in denen ganze Passagen ausgeweißt worden waren. Erst 1995 wurden die Archive vollständig geöffnet.

Warum die Verzögerung? Es stellt sich heraus, dass die Alliierten mit ihrem Verfahren nicht nur die japanischen und deutschen Kodes knacken konnten, sondern auch die von vielen anderen Ländern. Und weil man schon mal dabei war und weil man im Krieg nie weiß, was nützlich sein könnte, wurde auch gleich die Post von etwa 30 anderen Staaten mitgelesen. Dummerweise waren darunter auch Neutrale und Verbündete [1]:

Argentina, Belgium, Bolivia, Chile, China (Chiang Kai-shek), China (Japanese client regime), Colombia, Cuba, France (both the goverment of Charles de Gaulle and the residual Vichy goverment ensconced in Indochina), Greece, Iran, Italy, Lebanon, Liberia, Luxemburg, Mexico, Mongolia (Japanese client state), the Netherlands, Nicaragua, Peru, Portugal, Saudi Arabia, Spain, Switzerland, Syria, Turkey, Uruguay, and Venezuela.

Das Eingeständnis it felt too good to stop wollte man nach dem Krieg nicht machen, vermutlich weil man die Rache Luxemburgs fürchtete. Und so hielten die USA viele Schlüsselpassagen ein halbes Jahrhundert lang geheim. Lieber nahm man die geschichtlichen Verzerrungen und Verschwörungstheorien in Kauf, die heute noch im Umlauf sind und die Diskussion über die Atombomben unnötig erschweren.

Was bringen uns die zusätzlichen Informationen? Die zentralen Kontroversen werden dadurch nicht gelöst – hätte man Japan nicht noch einmal vor den Atombomben warnen müssen, ganz konkret, hätte man die Waffe nicht auf unbewohntem Gebiet vorführen sollen, mussten es wirklich gleich zwei Bomben sein, und so weiter. Das war nach der Einleitung zu dieser Serie auch nicht zu erwarten.

Aber insbesondere eine Theorie ist hinfällig geworden: Dass Japan versucht habe, über neutrale Staaten den Alliierten Friedensangebote vorzulegen. Ob Yoshiro Fujimura in Bern, Ken Harada am Vatikan in Rom oder Seigo Okamoto in Zürich, bei all diesen Vorstößen handelte es sich um die verzweifelten Versuche von Einzelpersonen, den Krieg zu beenden. Wie wir jetzt wissen, war den Alliierten durch den abgefangenen diplomatischen Verkehr klar, dass Tokio nichts damit zu tun hatte.

Mehr noch, sie konnten live miterleben, wie die japanische Regierung gegen diese abtrünnigen Diplomaten vorging. Als der japanische Militärattachee in Stockholm, General Onodera, versuchte, auf eigene Faust Kontakt mit den Amerikanern aufzunehmen, wurde er von seinem Kollegen Suemasa Okamoto verraten. Am 24. Juni 1945 ging prompt eine Warnung in Schweden ein, die ebenfalls abgefangen und entschlüsselt wurde:

As we have said before, Japan is firmly determined to prosecute the Greater East Asia war to the very end. There is a report, however, to the effect that some Japanese official stationed in Sweden is making peace overtures to America. This is demagoguery pure and simple, and if you have any ideas as to the source of those reports please inform us.

Nur ein Vorstoß hatte offizielle Billigung: Der streng geheime Versuch der sechs Mitglieder des Inneren Kabinetts, mit der (auf dem Papier noch neutralen) Sowjetunion Gespräche anzustoßen. Auch den Nachrichtenverkehr zwischen Außenminister Shigenori Togo und dem japanischen Botschafter in Russland, Naotake Sato, entschlüsselten die Alliierten – zum Teil lag er früher in Washington als in Tokio vor. An diesem Punkt kommt die Frage auf, ob das nicht die Chance gewesen wäre, Verhandlungen aufzunehmen.

Hier halten wir fest: Aus den vollständigen Magic-Archiven wird klar, dass vor Mitte Juli 1945 keine einzige diplomatische Botschaft aus Tokio abgefangen wurde, aus der man hätte Gesprächsbereitschaft herauslesen können. Und was das japanische Militär anging:

Military Ultra showed without exception Japan’s armed forces girding for Armageddon.

Der Plan für diese letzte Schlacht – Ketsu-Go – ist das Thema des nächsten Eintrags.

Die neuen Erkenntnisse über den Pazifik-Krieg stammen nicht alle aus den amerikanischen Archiven. Kaiser Hirohito schrieb zum Beispiel im März/April 1946 seine Sicht der Ereignisse in dem Text Showa Tenno Dokuhakuroku nieder, ein überaus wichtiges Dokument. Es wurde aber erst nach seinem Tod 1989 veröffentlicht.

Woher die neue Informationen auch kommen – zusammengenommen bedeuten sie, dass alle Diskussionen über den Krieg im Pazifik und den Atombomben, die vor 1995 geführt wurden, auf unvollständigem Quellenmaterial beruhen. Zwar müssen deswegen weder ihr Inhalt noch ihre Schlussfolgerungen falsch sein. Aber sie sind mit großer Vorsicht zu genießen.

(Nächster Eintrag der Serie: „Ketsu-Go: Japans letzter Plan“)

([1] Richard B. Frank, Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire., Penguin Books 1999 [2] Neal Stephenson, Cryptonomicon, Avon Books 1999)

Eine Serie über den Krieg gegen Japan

Juli 12, 2008

Der August steht vor der Tür und damit das alljährliche Gedenken an die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Wir haben das Thema bislang kaum berührt, hauptsächlich weil dieser Autor mit der Frage gekämpft hat, wie man im Rahmen dieses Blogs an eines der kontroversesten Ereignisse der Geschichte herangeht.

Das Problem ist wie folgt: Deutsche wissen – nichts für Ungut – über den Ablauf des Zweiten Weltkriegs im Pazifik genau drei Dinge:

  1. dass Japan den Krieg mit einem Angriff auf Pearl Harbor begann (liebe Informatiker: pearl hat im Englischen ein „a“, egal, was Larry Wall sagt);
  2. dass die USA Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abwarfen;
  3. dass Japan anschließend kapitulierte.

Damit erschöpft sich nach der mehr als 30-jährigen Erfahrung dieses Autors das Wissen. Selbst grundliegende Fragen – wie hieß der japanische Ministerpräsident? – und zentrale Ereignisse – warum reden die Amerikaner und Chinesen von der „Vergewaltigung“ von Nanjing, was war die Bedeutung von Midway, was der Bataan Death March? – sind eher Glückstreffer. Wenn es um größere Zusammenhänge geht, insbesondere um die Frage, wie die japanische Strategie im Sommer 1945 aussah, wird es schwierig. Wenn es um den Stand der Forschung geht, insbesondere warum sich 1995 die Quellenlage grundlegend änderte, wird es schlicht düster.

Diese Lücken sind verständlich. Wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht, gibt es, äh, ein oder zwei Vorgänge in Europa, die man im deutschen Geschichtsunterricht dringender behandeln möchte. Es wäre wahnwitzig, weniger Zeit mit der Weißen Rose zu verbringen, um Tokyo Rose zu besprechen. Die Unwissenheit über die Vorgänge im Pazifik ist der Preis für eine möglichst gründliche und umfangreiche Aufarbeitung der eigenen Geschichte.

Dummerweise führt das zu Problemen, wenn Deutsche und Amerikaner über den Pazifik-Krieg und insbesondere über die Atombomben diskutieren wollen.

In den USA ist der Einsatz dieser Waffen kontrovers. Einige Amerikaner halten sie für einen Fehler, für den man sich entschuldigen sollte, wenn nicht sogar für ein Verbrechen. Andere sehen sie als das kleinste von mehreren Übeln, das Hunderttausenden alliierten Soldaten und Millionen Japanern das Leben rettete. Die Debatte tobt seit mehr als 60 Jahren, und der Amerikaner an sich ist mit den Argumenten, Gegenargumenten und dem geschichtlichen Hintergrund mehr oder weniger gut vertraut.

In Deutschland ist der Abwurf der Atombomben dagegen nicht kontrovers, denn die Ablehnung ist praktisch einhellig. Die so genannten „Diskussionen“ bestehen aus kollektivem Kopfschütteln.

Entsprechend unvorbereitet ist der Germane dann auf Gegenfragen: Wie man zu Japans eigenen zwei Atombomben-Programmen stehe, ob wirklich der flächendeckende Einsatz von Giftgas bei Operation Downfall besser gewesen wäre, warum die konventionelle Einäscherung von Städten wie Tokio weniger schlimm gewesen sein soll, wie man eine Verlängerung des Krieges über 1946 hinaus rechtfertigen will, ob einem in diesem Zusammenhang der Tod von 200.000 Menschen pro Monat im japanisch besetzten Asien egal sei, wieso als Alternative eine Invasion angeführt wird, die es wohl nicht gegeben hätte und warum noch über irgendwelche angeblichen Friedensangebote der Japaner gesprochen wird, die es nicht gab?

Auf alle diese Dinge kann man eine Antwort finden – sonst gäbe es die Diskussion in den USA ja gar nicht – aber dazu muss man ein gewisses Hintergrundwissen haben. Und dazu soll diese Blog da sein.

Allerdings gibt es dabei zwei Probleme.

Erstens, dieser Autor darf wegen Regel Eins hier keine Position für oder gegen den Einsatz der Atombomben einnehmen, auch wenn das alles sehr erleichtern würde. Alles muss so vorgetragen werden, dass Befürworter und Gegner es gleichermaßen als Grundlage benutzen können.

Nach langer Überlegung scheint die einzig gangbare Lösung zu sein, auf die Entscheidung zum Abwurf selbst nicht einzugehen. Wir werden das geschichtliche Umfeld dazu besprechen, was vorher und nachher passierte, und diverse Einzelaspekte beleuchten. Aber der heiße Brei bleibt in der Mitte. Wo sich echte Historiker nicht einig werden, hat ein bescheidenes Blog nichts zu suchen.

Zweitens, viel von dem fehlenden Wissen betrifft nicht die amerikanische Seite, sondern die japanische. Tatsächlich war das Hauptziel der Alliierten eher einfach: Den Krieg möglichst schnell und mit möglichst wenigen eigenen Verlusten zu beenden. Selbst Atombombengegner räumen ein, dass dies gelungen ist – der Streit geht um die Mittel. Aber was war Japans Plan? Woher kam noch im Sommer 1945 die Zuversicht der Regierung in Tokio und erst recht des Militärs, doch einer kompletten Niederlage entgehen zu können?

Obwohl dieses Blog „USA erklärt“ und nicht „Japan erklärt“ heißt, werden wir uns daher mit der japanischen Seite beschäftigen müssen. Zumindest Ketsu-Go wird vorgestellt werden.

Es muss nochmal betont werden, dass die Atombomben wie die Todesstrafe oder das Waffenrecht zu den Themen gehören, über die es in den USA nicht einmal andeutungsweise einen Konsens gibt. Es wird hier also keinen geben, was für alle Beteiligten zu einer gewissen Unzufriedenheit führen wird. Wir werden damit leben müssen.

Die Serie fängt an mit „Was erst 1995 veröffentlicht wurde“.

ZEUGS: Der offizielle Creed, US-Buddhismus und Sieg Heil der Nationalhymne

Juli 8, 2008
  • Zum American Creed: Es gibt auch einen offiziellen American’s Creed, der 1917 von William Tyler Page geschrieben wurde, ein fröhliches Mischmasch der Texte von Jefferson und Lincoln. Dass der Fahneneid im Alltag eher anzutreffen ist, dürfte nicht nur daran liegen, dass er kürzer ist: Page spricht auch von den Pflichten, die man so als Bürger hat. Das kommt in keiner Demokratie gut an.
  • Zu Über: Wenn Briten über das Scheitern des EU-Vertrags jubeln, nennen sie Europäische Union einen was? Genau, einen über-state. Das passt besonders gut, wenn die Rolle Deutschlands ein Thema ist.
  • Zu Zen: Der Buddhismus ist inzwischen die drittgrößte Religion in den USA, wen auch mit riesigem Abstand. In einer Pew-Umfrage von 2008 nannten sich 78,4 Prozent Christen, 1,7 vH Juden und 0,7 vH Buddhisten (und 0,6 vH Moslems); 16,1 vH hatten keine Zugehörigkeit. US-Buddhisten kritisieren die Methodik und gehen von höheren Zahlen aus. Es bilden sich so oder so inzwischen eigenständige amerikanische Formen heraus, was beim Buddhismus wohl aber ein normaler Vorgang ist. Wir werden auf Religion in den USA gesondert eingehen.
  • Zu Xen, etwas schamlose Eigenwerbung: Dieser Autor hat die Schritte zum Aufbau des Familienservers (mit Ubuntu, Xen, RAID, LVM, Time Machine, Avahi, Samba) in einem kurzen Text [PDF] zusammengefasst.
  • Zu Halloween, denn das ist jetzt die Gelegenheit für einen früchterlich schlechten Informatikerwitz, den der interessierte Leser MLJ eingeschickt hat:

    Why do programmers always mix up Halloween and Christmas?
    Because Oct 31 equals Dec 25.

    Im nächsten Zeugs-Eintrag liefern wir die Erklärung.

  • Zur Kleidung: Die Schönste Germanin weist auf eine Anleitung zum Dresscode hin.
  • Zur Meinungsfreiheit: Was machen eigentlich unsere Demonstranten vor dem Marines-Büro in Berkeley? Immer noch demonstrieren, natürlich. Der neuste Schlagabtausch: Wenn die Pro-Marines-Gegendemo die Nationalhymne spielt, erheben die Gegner ihren Arm zum Hitlergruß [JPEG, YouTube], dummerweise häufig ihren linken Arm. Nach einem Oben-Ohne-Protest – vermutlich der Feministinnen von Breasts Not Bombs – wird die Tür des Rekrutierungsbüros jetzt nur noch für seriöse Besucher aufgeschlossen. Erneut der Hinweis, dass die Bilder von einer konservativen Site kommen.
  • Zum Titel des Präsidenten: Der interessierte Leser MS weist darauf hin, dass in der vierten Staffel von 24 ein Ex-Präsident als Mr. President angesprochen wird, als Zeichen des Respekts. Natürlich gilt: Nur weil es nicht vorgeschrieben ist, heißt nicht, dass man es nicht trotzdem machen kann.
  • Zur Presse: Strange Maps, eine der coolsten Sites im ganzen Internet, zeigt uns, wie verzerrt das Nachrichtenbild aus den USA ist: Selbst wenn man die Bevölkerungszahlen einberechnet, sind gewisse Teile überrepräsentiert.
  • Zu Duh: Der interessierte Leser AW weist auf eine Werbekampagne von Hyundai mit dem Wort hin, zum Beispiel in einer Oh-Tannenbaum-Version [YouTube]. Ob Volkswagen nicht mal etwas mit „geil“ machen möchte statt „Fahrvergnügen“ [YouTube]?
  • Zu Sleepy Hollow: Der Name zeigt uns beispielhaft den häufig unterschätzten Einfluss des Niederländischen, den die Niederländer besiedelten mehr als nur New York: Der ursprüngliche Name war Slapershaven, in der direkten englischen Übersetzung Sleepers’ Haven.
  • Zu Buffy, denn was sein muss, muss sein: Die Leiterin des NPR-Bagdad-Korrespondentenbüros Jamie Tarabay hat ihre Jahre im Irak offenbar nur mit Hilfe unserer Slayerin überstanden. Wie sie in Vampire Slayer Buffy Saves Iraq Reporter’s Soul [Audio] erklärt:

    She lived on the Hellmouth. I lived in Baghdad.

    Tarabay geht auf Fragen von Gut und Böse ein, sieht aber auch mit feiner Selbstironie eine weiter Parallele: Nie kommt man zum shoppen.

The American Creed: Der Glaubensgrundsatz der USA

Juli 4, 2008

Greifen wir aus der Masse der Berichterstattung über das jüngste Urteil [PDF] des Obersten Gerichts zum Waffenrecht eine angenehm korrekte Formulierung heraus:

Erstmals in der Geschichte der USA hat der Oberste Gerichtshof das Recht der Bürger auf den Besitz von Waffen bestätigt.

Schauen wir uns das Verb an: Kein „eingeräumt“, kein „gewährt“. Was für eine Wohltat das Wort „bestätigt“ sein kann, nicht nur bei Schwangerschaftstests und Ankündigungen von jahrelang herbeigesehnten Computerspielen, sondern auch bei der Frage, wo die Rechte eines Menschen herkommen.

Denn in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung steht dazu bekanntlich (Hervorhebung hinzugefügt):

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.

(Fußnote: Es gibt seit 232 Jahren einen Streit darüber, ob die Rechte inalienable oder unalienable sind. Thomas Jefferson hatte in seinem ursprünglichen Entwurf inherent & inalienable geschrieben, was John Adams zu unalienable kürzte. Auf dem Jefferson Memorial steht stur inalienable, die offizielle Version des Kongresses lautet dagegen unalienable. Die sinnvollste Reaktion auf den Streit lautet whatever.)

Die „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte“, wie sie in einem anderen Dokument genannt werden, werden nach dieser Darstellung bei der Geburt mitgeliefert (das endowed). Wie genau das geschieht, darüber schwieg sich Jefferson aus. Vielleicht werden sie zusammen mit der Seele als ein Modul installiert.

Wie auch immer: Sie sind auf keinen Fall etwas, das der Staat, die Verfassung oder gar die Regierung einem freundlicherweise „gewährt“ oder „einräumt“. Der Staat hat vielmehr die Aufgabe, diese eingebauten Rechte zu schützen, wie es im nächsten Satz heißt:

That to secure these rights, Governments are instituted among Men, deriving their just powers from the consent of the governed

Diese beiden Passagen bilden – mit Schwerpunkt auf dem ersten Teil – den „Glaubensgrundsatz“ der Amerikaner, den berühmten American Creed. Er beschreibt, wofür die USA stehen oder zumindest nach eigener Ansicht stehen sollten: liberty, equality, and consent, wie es der Historiker Herman Belz zusammenfasst. Das Kredo ist das leuchtende Ideal, die Messlatte für alle Gesetze und die Verfassung selbst.

Entsprechend haben sich die größten Vordenker der USA immer wieder auf diese Stelle bezogen. Die bekannste Rede von Abraham Lincoln, die Gettysburg Address [JPG], fußt auf Jeffersons bekanntesten Spruch. Martin Luther King Jr. bezog sich wiederum in seiner bekanntesten Rede nicht nur auf Lincolns Zwei-Minuten-Ansprache, sondern auch direkt auf Jefferson:

I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of its creed: „We hold these truths to be self-evident: that all men are created equal.“

(Da Lincoln Jefferson zitiert hat und King später Lincoln und Jefferson, können wir vorhersagen, dass der nächste große amerikanische Bürgerrechtler Lincoln und Jefferson und King bemühen wird. Der interessierte Leser möge von dem Einsenden von Textvorschlägen absehen.)

Bei King sieht man am deutlichsten, wie der American Creed als eine Art nationales Gewissen funktioniert. Mehr noch, er bildet im Idealfall einen Korrekturmechanismus. Der Ablauf sieht dann etwa so aus:

  1. In den USA sollte X gelten. Haben die Gründungsväter gesagt.
  2. Uh-oh: X gilt aber nicht. Das ist gemein und unamerikanisch.
  3. Wir machen jetzt X, notfalls mit Gewalt. Jefferson ist mit uns!

Der schwedische Nobelpreisträger Gunnar Myrdal sprach von einem ständigen Kampf der Amerikaner „um ihre Seele“. Wer will, kann die Geschichte der Bürgerrechte in den USA als Erfüllung von Jeffersons Vorgaben sehen, ob bei den Schwarzen, den Frauen oder wie viele, wenn auch sicher nicht alle Amerikaner sagen würden, den Homosexuellen.

Das Kredo ist auch eine der Grundlagen für die Idee, Amerika sei ein besonderer etwas anderer Staat. Die USA gibt es demnach nicht einfach nur, weil sich verwandte Stämme mit ähnlicher Kultur, Sprache und Religion zu immer größen Einheiten und schließlich zu einer „Nation“ zusammengeschlossen hätten. Nein, die USA seien auf einem Ideal aufgebaut worden, und dieses Ideal stehe in der Unabhängigkeitserklärung. Ausgerechnet ein Engländer, der Autor G. K. Chesterton, soll das als Erster ausformuliert haben:

America is the only nation in the world that is founded on a creed

Der tiefreligiöse Chesterton sprach dabei von der „theologischen Klarheit in der Unabhängigkeitserklärung“ und nannte Amerika „eine Nation mit der Seele einer Kirche“. Zyniker würden anmerken wollen, dass die Kolonialisten ursprünglich eher keinen Bock auf höhere Steuern hatten, aber gut. Auch Zefram Cochrane hatte zuerst wenig erbauliche Ziele.

Das ganze Gerede von Schweden und Engländern über Seelen und Kirchen bringt uns zu dem häufig unterstellten „missionarischen“ Drang der Amerikaner, sich als „Imperialisten“ anderen Staaten aufzwingen zu wollen. Auffällig ist aber dabei, dass die USA besiegten Gegnern nicht die amerikanische Verfassung verpassen, etwa in der Art wie die Briten inzwischen den halben Planeten mit ihrem Westminster-System überzogen haben.

Wenn überhaupt ist es der American Creed, diese Trias von liberty, equality, and consent, die weltweit verbreitet werden soll. Die praktische Umsetzung richtet sich dann nach den örtlichen Vorlieben. Schön, dass die Philippinen auch einen Kongress haben. Aber wenn die Deutschen ihren Kanzler, die Japaner ihr Ober- und Unterhaus und die Afghanen ihre Loja Dschirga für die bessere Lösung halten, bitte. Dann es ist wieder Zeit für das whatever.

Ob die USA wirklich noch der einzige Staat sind, der auf einem Glaubensgrundsatz gegründet wurde, ist natürlich Interpretationssache. Nehmen wir diese beiden Sätze:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Es bleibt dem interessierten Leser überlassen zu entscheiden, ob daraus auch ein gewisser missionarischer Drang entstanden ist, nur weil Deutsche bei Diskussionen über Dinge wie die Todesstrafe, den Datenschutz und die Meinungsfreiheit ständig die Menschenwürde anführen. Da heute der 4. Juli ist, muss dieser Autor jetzt dringend in die Küche, bevor die Blagen auch die letzten Chocolate Chip Cookies an sich gerissen haben.

Zen und die Kunst des Xen

Juli 1, 2008

Dieser Autor hatte in den vergangenen Tagen Nachtdienst. Während dieser Zeit hat er zwar einen Eintrag geschrieben, der mit dem jüngsten Urteil des Obersten Gerichts zum Waffenrecht aufmacht. Aber bei Licht betrachtet ist es für alle Beteiligten wohl besser, wenn der Text noch etwas überarbeitet wird. Nachtschichten sind schlecht für den IQ.

Eigentlich weiß das dieser Autor auch, und deswegen versucht er meist überhaupt nicht, dann irgendwas sinnvolles zu machen, insbesondere wenn es mit schweren Maschinen, scharfen Klingen oder brennbaren Flüssigkeiten zu tun hat. Lieber geht er in den Keller und spielt mit dem Linux-Computer herum, der unter anderem als Time-Machine-Server dient.

Dieses Mal hat er Xen installiert, ein System für virtuelle Maschinen (für Nicht-Freaks: Mehrere Betriebssysteme laufen parallel auf einem Computer). Das geht unter Ubuntu wunderbar einfach, selbst mit Schlafmangel-Demenz, und das Ergebnis ist wirklich schnell. Sehr befriedigend.

Nun wurde Xen 2003 in einem Artikel [PDF] von Paul Barham et al mit dem Namen

Xen and the Art of Virtualization

vorgestellt. Der Titel ist eine Anspielung auf irgendwas, soviel ist sofort klar. Aber was? Die üblichen drei Verdächtigen – die Bibel, Alice in Wonderland und The Wizard of Oz – entfallen. Auch Google hilft erst, wenn man sich klar macht, dass xen im Englischen von der Aussprache her noch näher an zen ist als im Deutschen. Zwischen der xenophobia, dem Ausländerhass, und der zenophobia, der Furcht vor griechischen Philosophen, ist da sprachlich wenig Platz.

Die Suche nach „zen and the art“ bringt uns schließlich mit 1,9 Millionen Treffern zu Zen and the Art of Motorcycle Maintenance (ZMM), einem philosophischen Roman von Robert M. Pirsig. Er handelt von einem Mann, der mit seinem Sohn und einem befreundeten Paar eine Motorrad-Tour durch die USA unternimmt. Auf der Fahrt macht sich der Protagonist Gedanken über Dinge wie die Wissenschaft, insbesondere aber über den Begriff der Qualität.

Das Buch wurde mehr als 120 Mal von Verlagen abgelehnt, bevor es in Amerika zum millionenfachen Bestseller wurde. In dem Vorwort warnt der Philosoph Pirsig davor, ZMM als Einführung in den Zen-Buddhismus zu verstehen:

[I]t should in no way be associated with that great body of factual information relating to orthodox Zen Buddhist practice. It’s not very factual on motorcycles, either.

Der Kern des Buches ist die Diskussion über die „Metaphysik der Qualität“, also die Frage, was Qualität überhaupt ist. Pirsig schrieb 2005 dazu:

There are many possible answers but the one the [Metaphysics of Quality] gives is that you can understand Quality best if you don’t subordinate it to anything else but instead subordinate everything else to it.

Der Roman selbst ist Dank der Motorräder weniger abstrakt. Die Lieblingsstelle dieses Autors hat mit dem Vorschlag des Protagonisten zu tun, den Lenker seines Bekannten mit einem Stück Blech von einer Bierdose zu reparieren. Der Bekannte, ein stolzer BMW-Fahrer, lehnt entsetzt ab:

And I believe now that he was actually offended at the time. I had had the nerve to propose repair of his new eighteen-hundred dollar BMW, the pride of a half-century of German mechanical finesse, with a piece of old beer can!

Der Einfluss des Buches führt dazu, dass Angelsachsen bis heute alle möglichen Dinge Zen and the Art of Irgendwas nennen, zum Beispiel Zen and the Art of Programming oder Zen and the Art of Internet. Die Wikipedia führt Pirsigs Titel auf das Buch Zen in the Art of Archery des deutschen Philosophen Eugen Herrigel von 1948 (USA 1953) zurück. Pirsigs Formulierung Zen and the Art hat aber inzwischen Herrigels Zen in the Art verdrängt.

Das alles beantwortet nicht die Frage, warum dieser Autor meint, Xen auf seinem kleinen Pentium Dual Core E2140 installieren zu müssen. Die ehrliche Antwort wäre for shits and giggles, aber das kommt erfahrungsgemäß nicht gut. Die offizielle Begründung lautet daher, dass er jetzt ausführlich Kenntnisse von OpenSolaris und dessen berühmtem Dateisystem ZFS erwerben kann (das ganz buddhistisch ein Ende des Leidens [PDF] verspricht), ohne gleich einen neuen Rechner bauen zu müssen.

Das wird die Schönste Germanin begrüßen, die nach diversen computerbegeisterten Freunden und mehr als zehn Jahren Partnerschaft mit diesem Autor an einer gewissen Hardware-Phobie leidet. Wir werden ihr daher schonend beibringen müssen, dass der Rechner im Keller früher oder später einen Duo Core 2 Quad Q9300 braucht, wegen der vier Prozessorkerne und der VT-Technologie und so. Ganz wichtig. Unbedingt.

Aber das wird wohl auf den nächsten Nachtdienst warten müssen.