Archive for November, 2011

Zu gewissen Annahmen bezüglich der Identität von Dr. Livingstone

November 23, 2011

Der interessierte Leser wird vielleicht bemerkt haben, dass dieser Autor eine Vorliebe für die Serie Buffy the Vampire Slayer hat. Dummerweise läuft sie inzwischen nicht mehr im Fernsehen, sondern als Comic, sprich, in Monatsabständen. Was tun in der Zwischenzeit? Nun, eine intelligente Sendung läuft noch im Fernsehen: Fringe von J.J. Abrams. Um einen Punkt aus einer komplexen Handlung herauszupicken: Es geht um Parallelwelten.

Nehmen wir nun die Vorschau zur nächsten Folge [Video], „Back to Where You’ve Never Been“, in der Agent Lee aus der einen Welt zum ersten Mal Agent Lee aus einer anderen Welt trifft. Was sagt der erste Agent zum zweiten Agenten?

Agent Lee, I presume?

Wer die Sprachebene hier altertümlich und etwas seltsam findet, hat die richtigen Instinkte. Eher würde man You must be me, Lee erwarten oder so.

Tatsächlich handelt es sich um ein Zitat. Im Jahr 1871 war der schottische Entdecker David Livingstone in Afrika verschollen, mehrere Jahre lang, und schwer krank. Der Journalist Henry Morton Stanley fand ihn schließlich. Was sagt ein gestandener Brite zu einem anderen Briten in so einer Situation [PNG]?

Dr. Livingstone, I presume?

Ja ja, diese Angelsachsen. Als Antwort ist überliefert:

Yes, and I feel thankful that I am here to welcome you.

Es gibt einen gewissen Streit darüber, ob sie das wirklich gesagt haben. Egal. Inzwischen ist das zu einem geflügelten Wort geworden. Entsprechend finden wir bei Deep Space Nine die Folge „Doctor Bashir, I Presume?“ und Überschriften wie „Dr. Clooney, I Presume?“ wenn es um Prominente Amerikaner in Afrika geht.

Während wir dabei sind, können wir noch den Standardspruch für Treffen von Feinden abhandeln: We meet at last, bei jeder weiteren Begegnung dann we meet again. Wer den Satz in schlechter Erinnerung hat, denkt bestimmt an Mr. Smith und das Oracle in The Matrix: Revolutions; wer einen gewollt schlechten deutschen Akzent im Ohr hat, erinnert sich das Treffen zwischen Frank-N-Furter und Dr. Scott in The Rocky Horror Picture Show. Leicht abgewandelt finden wir den Satz in der ersten (für Kinder: vierten) Episode von Star Wars, als Darth Vader sagt:

We meet again, at last.

Und damit haben wir hoffentlich eine Inspiration geliefert für die Leute, die dieses Jahr beim National Novel Writing Month mitmachen. Kopf hoch, nur noch eine Woche!

ZEUGS: Moderne Shakespeare-Schweinereien, britisches PHP und fragwürdige Rugby-Filme

November 17, 2011

Das Arbeitszimmer macht Fortschritte, was im Moment allerdings nur heißt, dass man im Keller vor lauter Holz keine Katze herumwirbeln kann. Oder wie man das übersetzen will.

  • Zu Schweinereien bei Shakespeare: Das Stück mit dem bekanntlich zweideutigen Titel Much Ado About Nothing wird von keinem anderen als dem Buffy-Schöpfer Joss Whedon neu verfilmt (trockener Hinweis auf der Website: Based on a play). In einem Interview spricht Whedon über seine moderne Umsetzung:

    It’s not about the hymen so much as it is about, uh … the human. The human, not the hymen!

    Auch den Witz kann man nicht übersetzen. Auf eine Whedon-Verfilmung von Hamlet müssen wir wohl noch warten.

  • Zu Waffengesetzen: Der interessierte Leser KV verweist auf eine Argumentationsschrift mit dem Titel Why liberals should love the Second Amendment.

    It is not the right to hunt. It is not the right to shoot at soda cans in an empty field. It is not even the right to shoot at a home invader in the middle of the night. It is the right of revolution.

    Im Text werden die einzelne Abschnitte des Bill of Rights einbezogen. Zur großen Freude dieses Autors wird dabei auch sein Lieblings-Verfassungszusatz erwähnt, der arme Third Amendment, der sonst immer kaltherzig übergangen und brutal vernachlässigt wird.

  • Zu den Marines, während wir bei Soldaten sind: Die haben jüngst das 236. Jahr ihres Bestehens gefeiert. Link verweist auch auf das offizielle Geburtstagsvideo. Das komische Flugzeug auf dem Titelbild, für die, die es noch nicht kennen, ist ein V-22 Osprey. Angeblich sollen die so aussehen.
  • Zu American Football: Der interessierte Leser LP hat versucht, mit einem zweideutigen Video [YouTube, grenzwertig NSFW] diesen Autor von den Vorzügen des Rugby zu überzeugen. Hat nicht wirklich geklappt, aber die vorgestellten, äh, Vokabeln werden wohl im Gedächtnis bleiben.
  • Zu Acme: Es gibt auch eine Verbindung zu Buffy, aber das beweist nur, dass Perl eine sehr seltsame Computersprache ist.
  • Zu britischem Englisch in der Informatik: Einigen Leuten ist PHP viel zu amerikanisch, weswegen an einer britischen Variante gearbeitet wird:

    To begin with, the current system has no place for class hierarchy and this is unacceptable. So we shall begin by giving classes specific levels — upper, middle, working — and no class can access the methods of one of a higher level without the explicit permission of the higher order class

    Natürlich ist auch Hello, world viel zu informell.

  • Zu Religion und Gesellschaft: Einer Umfrage zufolge geben die meisten Amerikaner an, einen Atheisten gar nicht gerne als Präsident haben zu wollen:

    When asked about specific religious faiths and the presidency, 29 percent of Americans would be uncomfortable with an evangelical Christian in the job, 53 percent would be uncomfortable with a Mormon, 64 percent with a Muslim, and 67 percent would be uncomfortable with an atheist as president.

    Wobei wir gesehen haben, dass zwischen „sagen“ und „glauben“ ein gewisser Unterschied bestehen kann.

  • Zu Mormonen, weil der Begriff gefallen ist: Wer in den vergangenen Monaten in den USA war, wird vielleicht den groß angelegten Werbefeldzug der Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints mitbekommen haben, die in Fernsehen und auf Plakaten läuft. Eine ähnliche Kampagne in Deutschland ist diesem Autor nicht bekannt.
  • Zu Katastrophen-Vorbeugung: Die New York Times berichtet über generator envy nach den jüngsten Stürmen:

    „The funny thing is, the new owners, who are from out of the country, didn’t understand what needing a generator was all about,“ Mr. DiBiase said. „Then we had the hurricane, and they were without power for four days. They really saw the value in their generator.“

    So etwas will dieser Autor auch, aber erstmal gibt es nur eine Flachdübelfräse. Selbst da guckt die Schönste Germanin kritisch.

  • Zu Halloween: Bilder von Kostümen aus den Jahren 1875 bis 1955. Dieser Autor findet das schauriger als was heute auf den Straßen herumläuft.

  • Zu Pocahontas: Möglicherweise sind die Überreste der Kirche gefunden worden, in der die Hochzeit stattfand.

    „I’m standing where Pocahontas stood,“ Mr. Kelso said, gesturing to the earth at his feet. „I can almost guarantee you that.“

    Der Ort war lange unter Erdwällen aus dem Bürgerkrieg begraben.

  • Zum asiatisch-amerikanischen Kulturaustausch: Die berühmte Landung in der Hocke, die The Matrix von Ghost in the Shell geklaut hat, findet sich auch am Ende des Werbespots zu Portal 2 [YouTube]. Alles im Dienste der Wissenschaft, versteht sich.

Und schließlich, weil es bald wieder so weit ist und der Fehler schon wieder auftaucht: Thanksgiving ist nicht Erntedank. Ehrlich.

Von wütenden und unanständigen Vögeln

November 10, 2011

In Wired analysiert der Physik-Professor Rhett Allain die wichtigen Dinge im Leben: Das Verhalten des gelben Vogels bei dem Computerspiel Angry Birds. Am Ende hat er einen Abschnitt mit preemptive comments angefügt — Fragen von Lesern, die er schon von vorne herein beantwortet. Dort finden wir diese Zeile:

Analyze this bird! No thanks. I am good.

Hier sind gleich mehrere Dinge verpackt. Die aggressive Konstruktion mit [VERB] this kennen wir bereits aus unserer Besprechung von Trinity’s Ausruf Dodge this! in The Matrix. Hinzu kommt, dass Analyze This der Name einer Komödie mit Robert De Niro und Billy Crystal ist.

Aber welcher Vogel ist hier gemeint?

Wer bei dem Eintrag über das richtige Victory-Zeichen aufgepasst hat, wird es noch wissen: Mit the bird wird der ausgestreckte Mittelfinger bezeichnet, der zur, äh, Meinungsäußerung verwendet wird. Die ganze Bewegung dabei heißt to flip the bird.

Und jetzt muss man noch wissen, dass man to flip auch in einem Sinn benutzen kann, der gar nicht so weit weg von „katapultieren“ ist. Zum Beispiel, wenn man Schweine mit fliegenden Vögeln töten will.

Die Folge: Als dieser Autor den Trinity-Eintrag im September 2006 schrieb, gab es hin und wieder einige mehr oder weniger witzige Anspielungen auf diese Redewendung. Seitdem aber Angry Birds im Dezember 2009 auf den Markt kam, wird man damit im Englischen praktisch, nun, erschlagen. Insbesondere das Fan-T-Shirt mit der Aufschrift Flipping the Bird hat eine zusätzlich Bedeutung, die nicht jedem Deutschen sofort klar ist.

Und vielleicht hätte dieser Autor das alles der Schönsten Germanin erklären sollen, bevor sie das T-Shirt kaufte.

Die Sternenkammer und der EFSF im Bundestag

November 2, 2011

Erstaunlicherweise gab es in der vergangenen Woche andere Themen außer Halloween und Baseball. Zum Beispiel haben sich die Europäer im Kampf gegen die Schuldenkrise viel mit dem Euro-Rettungsschirm EFSF befasst. Und der Bundestag richtete ein Sondergremium ein, um bei solchen Fragen schnell Entscheidungen treffen zu können. Das wurde zwar kurz darauf vom Bundesverfassungsgericht kassiert, aber bis dahin sorgte es auf dem Wirtschafts-Blog Zero Hedge für eine gewisse Unruhe (Hervorhebung hinzugefügt):

And we thought decisions made by our own central planning 10-person [US-Notenbank] Fed supercommittee were bad: Germany just one upped our own all-knowing overlords with its very own 9-person star chamber, which without a shadow of a doubt, represents the entire German population with perfect accuracy.

Für die Leute, die Zero Hedge nicht kennen: Der letzte Teil ist ironisch gemeint.

Um aber zu verstehen, wie bissig die Bemerkung wirklich ist, muss man wissen, was mit der „Sternenkammer“ gemeint ist: Ein englisches Sondergericht, das von etwa Anfang des 16. Jahrhunderts bis zu seiner Abschaffung 1641 willkürlich vorging.

Court sessions were held in secret, with no indictments, no right of appeal, no juries, and no witnesses.

Der Name soll sich vom Sternenhimmel an der Decke der Kammer ableiten, weswegen es bei Terry Pratchett eine „Rats Chamber“ gibt, mit, genau, Ratten als Verzierung (und ja, das ist auch eine Anspielung auf das deutsche Wort „Ratskammer“). Besonders am Ende war die Sternenkammer nur noch ein brutales Machtwerkzeug, weswegen ihr Name unter Angelsachsen bis heute als Schimpfwort dient.

Und dabei durfte das Gericht noch nicht einmal Todesurteile verhängen, sondern nur Dinge wie Folter, Peitschenhiebe und Verstümmelungen anordnen. Nehmen wir den Puritaner William Prynne, ein Politiker und Autor:

He was brought before Star Chamber and found guilty of sedition, for which he was sentenced to have his ears cropped, fined £5,000 and imprisoned for life. (…) In 1637, he was again brought before Star Chamber (…). He was sentenced to stand in the pillory, to have what was left of his ears hacked off, his nose slit and the letters SL, for „seditious libeller“ branded into his cheeks.

Später wurde er rehabilitiert. Wenn dieser Autor das richtig zwischen den Zeilen liest, war er allerdings etwas nachtragend. Irgendwie.