Fluoride im Trinkwasser

September 9, 2007

Dieser Autor muss bald zum Zahnarzt. Das ist eigentlich kein Problem, denn er ist bei einem guten Zahnarzt und hat gewisse Dinge bereits klargestellt, insbesondere, dass der Mund ohne Spritze ganz fest zu bleibt. Zudem, und das ist wichtig, haben wir das Fluorid-Gespräch hinter uns.

Das Fluorid-Gespräch macht dieser Autor bei jedem Zahnarzt in Deutschland durch. Es läuft etwa so ab:

Arzt: Oh. Sie haben als Kind Fluoride bekommen.
Autor: Argh.
Arzt: Aber wohl nicht durchgehend. Warum?
Autor: Argh-ladarg-Argh.
Arzt: Was? Ach ja – so –
Autor: Wir sind Mitte der 70er nach Deutschland gezogen.

An dieser Stelle ist das Verhalten des Zahnarztes nicht mehr vorherzusehen. Einige reagieren gar nicht, andere fangen an, über den Status der vorbeugenden Medizin in Deutschland zu schimpfen, anderen halten die Amerikaner dagegen für Idioten. Die Situation ist dann doch etwas stressig, Spritze oder nicht. Dieser Autor wechselt äußerst ungern den Zahnarzt.

Etwa 67 Prozent der US-Bürger haben Leitungswasser, das mit Fluorid versetzt ist, die höchste Quote weltweit, Tendenz zunehmend. Sind sind damit nicht allein: Zwischen 300 Millionen und 400 Millionen Menschen auf dem Planeten erhalten so ihren Schutz. In Kanada beträgt die Quote 40 Prozent und in Irland haben 74 Prozent der Gemeinden den Zusatz im Trinkwasser. In Großbritannien sind es zehn Prozent der Bevölkerung; einige Landesteile wie Essex haben eine ausreichende natürliche Konzentration. In Neuseeland wird seit 1954 feucht fluoridiert, Australien sieht es gar als die Pflicht einer jeden Regierung an, das Wasser anzureichern und Südafrika hat erst kürzlich ein massives Programm eingeführt. Das sind nur die englischsprachigen Staaten.

Die WHO sieht die Behandlung des Trinkwassers als die Methode der Wahl [PDF] für die Fluorid-Prophylaxe an. Der Effekt, dass der Stoff zu weniger Karies führt, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von einem Zahnarzt in Colorado entdeckt (es hilft auch gegen Osteoporose). Als erste Stadt kippte Grand Rapids in Michigan 1945 Fluoride ins Trinkwasser. Damals gab es kaum andere Quellen dafür, weswegen die Wirkung dramatisch war: Die Karieshäufigkeit halbierte sich. Seit der Beimengung von Fluorid in Zahnpasta in den 70er Jahren ist die Wirkung auf 20 bis 40 Prozent [PDF] weniger Karies zurückgegangen.

Deutschland gehört dagegen zu einer Handvoll von Staaten, die sich gegen Fluoride im Trinkwasser entschieden haben. Der Nutzen oder die Sicherheit des Verfahrens steht dabei nicht in Frage; vielmehr verstößt es gegen den eisernen Grundsatz, dass Trinkwasser völlig frei [PDF] von Zusätzen sein soll, ob sie nützlich sind oder nicht. Wir werden ähnliche Abwägungen den bei Vitamin- und Kalzium-Zugaben in amerikanischen Lebensmitteln wiederfinden.

Seit 1991 ist zum Ausgleich Speisesalz mit Fluorid für Privathaushalte zugelassen, was die WHO als eine Alternative aufführt. Inzwischen beträgt sein Marktanteil 60 Prozent. Damit haben Deutsche einen Vorteil gegenüber Amerikanern: Sie können behaupten, ihr gesalzenes Popcorn sei gut für die Zähne.

Halt wir fest: Angelsachsen, die nach Deutschland ziehen, sollte man sagen, dass Germanen ihr Fluorid durch Salz und nicht durch das Trinkwasser bekommen. Das gilt insbesondere für Familien mit kleinen Kindern.

Dabei sollte man allerdings mit seiner Wortwahl sehr vorsichtig sein. Bitte nicht den Eindruck erwecken, dass die Deutschen die Fluorid-Prophylaxe als solches ablehnen, sondern betonen, dass nur das Trägermedium anders ist, nämlich Salz statt Wasser. Auf gar keinen Fall sollte man das Ganze als, sagen wir mal, nur so als Beispiel, ein Werkzeug der Bundesregierung zur Gedankenkontrolle darstellen. Amerikaner lächeln dann zwar höflich, kommen aber nie wieder zu Besuch.

Denn die Ablehnung der Fluorid-Prophylaxe gilt in den USA als das stereotype Symptom für Paranoia überhaupt. Filmfans werden sich an General Jack D. Ripper aus Dr. Strangelove (1964) erinnern, der sie als kommunistische Verschwörung entlarvte:

You know when fluoridation first began? 1946! How does that coincide with your post-war Commie conspiracy…a foreign substance is introduced into our precious bodily fluids without the knowledge of the individual. Certainly without any choice. That’s the way your hard-core Commie works.

Nun hat auch die Fluorid-Prophylaxe Risiken und Nebenwirkungen. Wie bei jedem anderen Stoff ist eine zu hohe Konzentration schädlich. Deswegen gibt es Verfahren [PDF], um einen zu hohen Anteil von natürlichem (!) Fluorid aus Trinkwasser zu entfernen. Es muss in Kauf genommen werden, dass bei einem gewissen Prozentsatz von Leuten Verfärbungen auftreten – an dieser dental fluorosis sehen die Zahnärzte, dass dieser Autor eine Zeit lang Fluoride bekommen hat. Und es ist bekannt, dass man vor dem Zahndurchbruch keine Fluoride und kein fluoridiertes Wasser ohne Rücksprache mit dem Kinderarzt geben sollte.

Das sind alles ernste Einwände, die vor einer Einführung abgewogen werden müssen. In einigen Fällen decken andere Maßnahmen die Fluorid-Versorgung so weit ab, dass ein Zugabe zum Trinkwasser die Nachteile nicht wert ist. In Europa kennt man das aus Basel oder dem finnischen Kuiopo, wo die Beimengung wieder eingestellt wurde.

Von einigen Radikalen werden aber ganz andere Probleme postuliert, von Krebs bis zum Zappelphilipp-Syndrom über die Alzheimer-Krankheit und die Gewalt in amerikanischen Großstädten bis zur Behauptung, dass die ganze Sache von den Aluminium-Konzernen eingeführt wurde, damit sie ihre Industrieabfälle loswerden können. Einige Bedenkenträger bauen eine richtige Gefolgschaft auf, wie zum Beispiel John „Dr. Y“ Yiamouyiannis. Das sind nicht nur irre Amis: Das gleiche Problem gibt es auch in Großbritannien.

Amerikaner sind inzwischen in der dritten Generation mit diesen Behauptungen konfrontiert und entsprechend genervt. Leider haben sie nicht den Luxus, das Ganze als Hintergrundrauschen der freien Meinungsäußerung zu ignorieren. Wir haben gesehen, dass die USA auf der untersten Ebene eine direkte Demokratie sind. In den Kommunen stimmt daher oft die Bevölkerung über die Einführung der Trinkwasser-Fluoridierung ab, mit den entsprechenden politischen Debatten. Die Anti-Fluorid-Fraktion tritt bei solchen Referenden in voller Stärke auf.

Meist wird sie abgeschmettert – von 2000 bis 2004 votierten mehr als 125 weitere Gemeinden für die Einführung. Aber tatsächlich schaffen es die Gegner hin und wieder, eine Fluoridierung aufheben zu lassen. Dann fallen die Gesundheitsbehörden von Bund, Land und Kommune ein, um die Bevölkerung vor der nächsten Abstimmung zu bearbeiten.

Dem Bundesstaat Oregon geht das ganze Spiel inzwischen auf den Geist, weswegen dort die Fluoridierung per Landesgesetz vorgeschrieben werden soll. Gegner des Entwurfs verweisen – unabhängig von der Frage des gesundheitlichen Nutzens – auf das Selbstbestimmungsrecht der Kommunen: Der Bundesstaat soll sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern und nicht versuchen, die Bevölkerung zu, äh, bevormunden. Im Moment dümpelt der Entwurf im Kongress von Oregon vor sich hin.

Und jetzt hat dieser Autor lange genug das Unvermeidbare hinausgezögert. Zeit, einen Termin zu machen. Morgen. Ganz bestimmt.