Archive for Mai, 2013

Einige Bemerkungen zu älteren (und abgeschwächten) englischen Schimpfwörtern

Mai 30, 2013

Als Teil ihrer kulturellen Bildung wird Kind Nummer Eins langsam in das Marvel-Universum eingeführt, denn offenbar bekommt die Jugend von heute auf dem Schulhof nur The Clone Wars und Harry Potter vermittelt. Die bisherige Entwicklung ist vielversprechend: Letztens wollte sie wissen, warum Spiderman nicht bei The Avengers mitspielt, eine Frage, die dieser Autor an den örtlichen Comic-Experten und interessierten Leser CHR weiterleiten musste.

Der etwas ernstere pädagogische Hintergrund sind die Diskussionen, die sich aus den Filmen entwickeln. Da wäre der auffällige Mangel an starken weiblichen Figuren in The Avengers (und das bei Joss Whedon), die moralischen Fragen von Tony Starks Rüstungsgeschäften oder einfach die Spannungen, die aus den unterschiedlichen Persönlichkeiten von Iron Man und Captain America entstehen, obwohl beide eigentlich zu den Guten gehören. Kind Nummer Eins hat die Begriffe chaotic good und lawful good jetzt wenigstens schon mal gehört.

Allerdings ist es gerade Captain America, der Probleme bereiten könnte, denn hier muss sehr viel Hintergrund mitgegeben werden. Da wäre der ganze Komplex des Zweiten Weltkriegs, der nicht einfacher dadurch wird, dass die eine Seite der Familie gegen die andere gekämpft hat. Die gesellschaftliche Rolle der Frau in den 40er Jahren ist da schon einfacher, besonders für jemand, die irgendwie alles über Ahsoka Tano und Aayla Secura zu wissen scheint und entsprechend erwartet, dass Frauen auch an vorderster Front gegen das Böse kämpfen.

Dazu kommt noch die veraltete Sprache. Ähnlich wie kein Mensch im Deutschen noch ernsthaft von „Ganoven“ oder „Schurken“ spricht, hat das Englische eine ganze Reihe von antiquierten Begriffen, die sich bei solchen Filmen wunderbar hervorkramen lassen.

Wir werden uns heute mit einigen der älteren Schimpfwörter und Ausrufen befassen, denn deren Charakter überlebt meist die Synchronisation nicht, sie werden nicht in der Schule gelehrt und sind in Buch und Film wichtige Marker, um die Persönlichkeit der Figuren zu beschreiben. Während wir dabei sind, nehmen wir einige der vergleichsweise höflicheren Begriffe dazu. Umgekehrt muss man Amerikanern schließlich auch erst erklären, warum Germanen „Scheibenkleister“ rufen, wenn sie sich mit dem Hammer auf den Daumen gehauen haben.

Fangen wir mit damned! an, also „verdammt“. Ähnlich wie es im Deutschen das eher historische „verflixt“ gibt, wartet das Englische auf mit

darn, darn-it, drats, dog-gone

Das wird dann in Filmen wie The Hangover für witzige Dialoge benutzt:

Phil Wenneck: God damn it!
Alan Garner: Gosh darn it!
Phil Wenneck: Shit!
Alan Garner: Shoot!

Womit wir auch gosh für God eingeführt hätten (golly ist eine richtig veraltete Variante) und shoot für shit. Letzteres gibt es in einer etwas abgeschwächten, aber immer noch relativ mächtigen Variante als crap, sonst auch als sheesh oder shucks. Für Jesus gibt es jeez und heck für hell. Offenbar gibt es für den Heiligen Geist keine entschärfte Form.

Wer eine Alternative für das Allzweck-Schimpfwort fuck sucht, wird bei fricking fündig. Wegen Battlestar Galactica hat es allerdings in den Medien ernsthafte Konkurrenz von frak bekommen. Die ursprüngliche Schreibweise hatte ein „c“. In dieser Form finden wir es zum Beispiel auch in einem Stück von 2007 über die Zustimmung der damaligen US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton zum Irak-Krieg:

Most of the presidential candidates have gotten the „I fracked up the vote“ stuff out of the way last year.

Für den reboot von BSG wurde das Wort dann auf frak verkürzt, vermutlich damit es ein echtes four-letter-word — Schimpfwort — sein kann. Die Wikipedia listet die Verwendung in TV-Serien wie Eureka, The Big Bang Theory, Veronica Mars, 21 Jump Street, Better Off Ted, Warehouse 13, Chuck, 30 Rock, Babylon 5, Transformers: Prime und Castle auf, was dieser Autor jetzt nicht überprüft. Glaubwürdig ist das schon, denn wir haben bei den meisten dieser Sendungen einen Bezug zu Nerds. Und was sagt Kennedy in Buffy Staffel 8, Heft 18 zu Willow, als diese frustriert frak ruft?

Hey, baby, there’s no reason to curse like a nerd.

Überhaupt, Buffy. Wie der regelmäßige interessierte Leser mitbekommen haben wird, liegt es zum großen Teil am Wortwitz der Serie, dass sie in den englischsprachigen Ländern ein Erfolg wurde, während in Deutschland die Synchro wieder ganze Arbeit leistete.

Besonders Willow Rosenberg bietet viele Gelegenheiten für Spielereien, da sie sich von einer braven Schulstreberin zu einer lesbischen Wicca entwickelt (und dabei ihre jüdische Identität aufgibt). Nehmen wir die Stelle, an der sie die Kraft der magischen Axt auf alle potenziellen Slayerinnen übertragen hat [YouTube]:

That was nifty.

Nifty ist hier nicht nur klassisches understatement — Willow ist für kurze Zeit so etwas wie eine Göttin geworden — sondern ein wundbar altmodisches Wort, das in dieser Extremsituation ihren immer noch spießigen Kern enthüllt. Der interessierte Leser mag es mal selbst im Englischen als Synonym für cool verwenden und gucken, wie anwesenden Angelsachsen reagieren.

Die aufgeführten Begriffe sind natürlich nur eine Auswahl. Im Internet finden sich ganze Listen wie „141 Alternative Ways to Cuss Politely“ (dort auch bummer als Ausruf). Ohnehin müssen wir einschränken, dass dieser Autor schon wegen seines Alters keine Ahnung vom gängigen Slang in den USA hat. Mag sein, dass gosh in gewissen Kreisen wieder total angesagt ist.

Wem golly und nifty zu neumodisch sind, kann sich — wie immer im Englischen — mit Shakespeare behelfen. Was uns wieder zu The Avengers zurückbringt: Den Witz mit Shakespeare in the Park“ musste dieser Autor dann doch noch erklären.

ZEUGS: Die EuroVision-Ausgabe

Mai 18, 2013

Heute Abend ist EuroVision, ein Pflichttermin im Hause Stevenson. Allerdings, wenn dieser Autor ehrlich ist, vermisst er die alten, durch irgendwelche Gremien getroffenen Bewertungen, an denen man die politischen Verhältnisse in Europa nachvollziehen konnte — wenn Griechenland und die Türkei sich so gar keine Punkte gegeben haben, zum Beispiel.

Wie auch immer, zu Hintergrundmusik aus Schweden:

  • Zu logischen Straßennamen: Der interessierte Leser KK weist auf die Theorie hin, dass die Straßen in Europa doch geplant waren. Das wäre eine Sensation:

    Dass dahinter präzise vermessene Grundmuster stecken könnten, klingt für Experten ungefähr so abwegig wie die Vorstellung, jemand habe Österreichs Alpentäler am Reißbrett entworfen.

    Slartibartfast war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

  • Zu Religion: Der Anteil an Christen unter den US-Einwanderern nimmt ab, von 68 Prozent im Jahr 1992 auf 61 Prozent 2012. Der Anteil der Muslime hat sich von fünf auf zehn Prozent verdoppelt — 100.000 Hinzugezogene im vergangenen Jahr.
  • Zu Religion in den Streitkräften: Da wollte eine Kampfstaffel der Marines ihren Namen von Werewolves zu Crusaders wechseln, komplett mit einem Wappen mit einem Kreuz auf einem Schild. Das wurde aber unterbunden. Jetzt haben sie sich, äh, zurückverwandelt. Noch zur Kuba-Krise war man weniger zimperlich, wie die Piloten der Vought F-8 „Crusader“ bestätigen können.
  • Zu dem „Bush-ist-blöd“-Aussprachesystem: Die „New York Times“ hilft ihren Lesern bei der Aussprache des Namens von dem mutmaßlichen Bombenleger von Boston auf die Sprünge (Hervorhebung hinzugefügt):

    The older brother, Tamerlan Tsarnaev, (tam-arr-lawn tsar-NAH-yev) was interviewed by the F.B.I. in 2011

    Wer den Anschlag in den deutschen Medien verfolgt hat, wird bei der Schreibweise des Namens gestutzt haben: Der Mann ist US-Staatsbürger und deren Namen werden eigentlich nicht transkribiert. Warum steht dann immer „Zarnajew“? Hier schloss die deutsche Presse aus seiner tschetschenischen Herkunft vorschnell, dass er russischer Staatsbürger sei. Anschließend ist man dabei geblieben, um die Leser nicht zu verwirren.

  • Zum Unabhängigkeitskrieg: Der britische König George III. ist in die Geschichte eingegangen als der Depp, der die Kolonien verloren hat. Allgemein geht man davon aus, dass er an der Stoffwechselkrankheit Prophyrie litt, die mit starken Schmerzen und auch psychischen Symptomen einhergehen kann. Dummes Zeug, sagten jetzt andere Wissenschaftler: Der Mann litt an einer bipolaren Störung, war also demnach manisch-depressiv.

    George’s being in a manic state would also match contemporary descriptions of his illness by witnesses. They spoke of his „incessant loquacity“ and his habit of talking until the foam ran out of his mouth.

    Wie auch immer, unter Elizabeth II. wäre das alles ganz anders ausgegangen.

  • Zu Deutsch in den USA: Ein BBC-Bericht beschäftigt sich mit dem Aussterben des „Texas German“.
  • Zu prüden Amerikanern: In New York City können Frauen jetzt auch straflos oben ohne herumlaufen [grenzwertig NSFW]. Hintergrund ist die Forderung, dass beide Geschlechter vor dem Gesetz gleich behandelt werden:

    [I]t is encouraging to see the police responding positively to gender bias, even on such a seemingly small scale. After all, no one thinks twice about a man shirtless on a summer day.

    Kommt auf den Mann an, würde dieser Autor sagen.

  • Zu Happy Trails: Der interessierte Leser M hat sich beschwert, weil in dem Artikel ein Hinweis auf das gleichnamige Album von Quicksilver Messenger Service fehlt. Das geht natürlich überhaupt nicht. Passt nur nicht wirklich zur EuroVision …

Warum Festgenommene in den USA (meist) ihre Rechte vorgelesen bekommen

Mai 6, 2013

Jeder deutsche Fernsehzuschauer kennt das: Man guckt gerade eine US-Krimiserie. Nach einer wilden Verfolgungsjagd wird der Bösewicht festgenommen. Die Handschellen klicken, der Polizist macht den Mund auf und man hört:

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Gut, das ist die deutsche Werbung. Aber wenn danach endlich die Episode weitergeht, kommt eine mehr oder weniger gelungene Übersetzung von etwas wie:

You have the right to remain silent. Anything you say can and will be used against you in a court of law. You have a right to an attorney. If you cannot afford an attorney, one will be appointed for you.

Der Spruch kann je nach Bundesstaat und Kommune variieren.

Es handelt sich um die Miranda Warning, benannt nach dem Urteil Miranda vs Arizona des Supreme Court aus dem Jahr 1966. Der Festgenommene wird damit an seine Rechte entsprechend dem Fünften Verfassungszusatz erinnert, insbesondere, dass er sich nicht selbst belasten muss. Wir hatten im Zusammenhang mit einer Buffy-Folge über taking the Fifth gesprochen.

Das Gericht begründete die Notwendigkeit mit der einschüchternden Wirkung, die das moderne Umfeld einer Befragung habe. Der Fünfte Verfassungszusatz verlangt aber, dass die Aussagen wirklich freiwillig gemacht werden, wenn sie vor Gericht zulässig sein sollen.

Unless adequate preventive measures are taken to dispel the compulsion inherent in custodial surroundings, no statement obtained from the defendant can truly be the product of his free choice.

Die Entscheidung des Gerichts war und ist bis heute kontrovers. Kritiker sind empört, dass man zu vielen bösen Menschen damit ermögliche, einem gerechten Urteil zu entkommen. Der Kongress verabschiedete sogar ein Gesetz, um Miranda zu umgehen. Der Supreme Court knallte das den Abgeordneten allerdings im Jahr 2000 in Dickerson vs The United States links und rechts um die Ohren, denn ein Urteil des Gericht hat mehr Gewicht als ein Gesetz des Kongresses:

Miranda, being a constitutional decision of this Court, may not be in effect overruled by an Act of Congress.

Wer hier zwischen den Zeilen etwas im Sinne von fuck off zu lesen glaubt, liegt vermutlich nicht ganz falsch. Mehr noch, das Gericht befand, dass Miranda inzwischen ein Eigenleben entwickelt hat und zum Teil der amerikanischen Rechtskultur geworden ist.

Miranda has become embedded in routine police practice to the point where the warnings have become part of our national culture.

Es ist allerdings wichtig, die Anwendbarkeit zu verstehen. Miranda greift nur nach der Festnahme — wenn man dem Polizisten vorher bei einer netten Plauderei erzählt, was man alles Böses getan hat, ist man selbst Schuld. Bekommt man keine Rechtsbelehrung bei der Festnahme, heißt das auch nicht, dass der Fall rausgeschmissen wird. Es bedeutet nur, dass die entsprechenden Aussagen des Festgenommen vor Gericht möglicherweise nicht verwendet werden können. Man kann also nicht wirklich von einem „Recht“ auf Miranda sprechen.

In der Praxis ist das alles natürlich komplizierter als in diesem Eintrag (oder im Fernsehen) dargestellt. Dieser Autor ist kein Anwalt (und die Drehbuchautoren meistens auch nicht).

Auf eine wichtige Ausnahme zu Miranda müssen wir trotzdem eingehen: Die public safety exception. Wenn eine akute, objektive Gefahr für die Allgemeinheit besteht, darf der Verdächtige gezielt zu dieser Gefahr befragt werden, ohne dass ihm die Rechte vorgelesen werden müssen. Das geht auf den Fall New York vs Quarles von 1984 zurück, als ein Polizist nach einer Vergewaltigung den mutmaßlichen Täter nach dem Verbleib seiner Schusswaffe befragte, bevor er Miranda bemühte. Da die herumliegende Waffe eine Gefahr darstellte, fand das Gericht das in Ordnung.

An sich ist diese Ausnahme (vergleichsweise) unstrittig. Allerdings werfen Bürgerrechtler Präsident Barack Obama vor, Miranda mit ihrer Hilfe aushöhlen zu wollen. In einer Mitteilung des Justizministeriums an die Bundesermittlungsbehörde FBI vom Oktober 2010 hieß es, manchmal sei es halt für den Staat wichtiger an Informationen zu gelangen, auch wenn keine unmittelbare Gefahr drohe.

[T]here may be exceptional cases in which, although all relevant public safety questions have been asked, agents nonetheless conclude that continued unwarned interrogation is necessary to collect valuable and timely intelligence not related to any immediate threat, and that the government’s interest in obtaining this intelligence outweighs the disadvantages of proceeding with unwarned interrogation.

Die New York Times erfuhr zuerst von der Anweisung. Die Regierung lehnte eine Veröffentlichung des Dokumentes ab. Es wurde später Zeitungen zugespielt. Der Supreme Court hat sich noch nicht dazu geäußert.

Die Debatte darüber kam im April dieses Jahres nach dem Bombenanschlag auf den Boston Marathon wieder auf, als die Obama-Regierung ankündigte, der schwer verletzte Tatverdächtige Dzhokhar Tsarnaev werde noch im Krankenhaus befragt, ohne vorher eine Belehrung zu erhalten. Ob am Ende Miranda eine Rolle bei seiner Verurteilung spielt, werden wir vor Gericht erfahren.