Archive for Oktober, 2012

ZEUGS: Die Wahl und Halloween

Oktober 25, 2012

In diesen Tagen gibt es nur zwei Themen für dieses Blog: Die Wahl und Halloween. Zum ersten Thema haben wir schon eine Serie geschrieben und zum zweiten eine allgemeine Einführung, daher können wir uns hier mit Feinheiten und Einzelthemen begnügen.

Da glückliche Kinder wichtiger sind als irgendwelche Politiker, fangen wir mit Halloween an.

  • Zu Halloween und Sicherheit: Science Daily gibt Sicherheitsempfehlungen:

    The most important thing to remember is to make children visible to automobile drivers. A child is four times more likely to be hit and killed by a car on Halloween than any other time.

    Den Unfug mit dem gesunden Essen ignorieren wir hier einfach mal. Augenärzte warnen zudem vor getönten Kontaktlinsen. Offenbar ist es sogar illegal (zumindest in den USA), die Dinge ohne Rezept zu verkaufen.

  • Zu Halloween-Kostümen: Eine ganze Reihe von Websites liefern natürlich Fotostrecken im Moment. Allein bei io9 finden wir Geek-Babys oder für den interessierten Leser CHR Star Wars im Vorgarten und lernen zu unser großen Befriedigung, dass die Welt Taarna von Heavy Metal noch nicht vergessen hat.

  • Zu Halloween selbst gemacht: Apartment Therapie empfiehlt grünes Licht, was sich vermutlich mit dem Essen der Schönsten Germanin, äh, beißen würde. Wir habe auch eine Sammlung von Einrichtungsvorschlägen. Der wichtigste Tipp kommt aber von Wired:

    DIY Zombie Makeup: How to Make Hideous Wounds That Last for Hours

    In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass man dafür schon einige Vorräte braucht, die vielleicht nicht jeder Mensch im Hause hat.

  • Zu Haunted Houses, auf die wir in Deutschland in dieser Form wohl noch warten müssen, ein Bericht mit dem griffigen Titel I Paid Strangers $50 To Tie Me Up And Scare The Shit Out Of Me:

    Someone tied my hands behind my back (…) and bagged my head. I was left kneeling, one foot shoeless, tied up with a bag over a surgical mask. It was hard to breathe.

    Den Teil mit dem nackten Mann wird der interessierte Leser selbst lesen müssen.

  • Gut, dann zur Wahl, weil man ihr ja nicht entkommt, irgendwie: Die „New York Times“ analysiert die sprachlichen Eigenheiten des republikanischen Kandidaten Mitt Romney:

    In Romneyspeak, passengers do not get off airplanes, they „disembark.“ People do not laugh, they „guffaw.“ Criminals do not go to jail, they land in the „big house.“ Insults are not hurled, „brickbats“ are.

    Sollte Romney gewinnen, wird die deutsche Presse viel Spaß damit haben.

  • Zu Religion und Politikern: Ein Teil dieser komischen Sprache soll damit zu tun haben, dass Romney ein tiefgläubiger Mormone ist und nicht gerne flucht. Es mag einige interessierte Leser überraschen, dass nach Ansicht von Historikern der gläubigste Präsident bislang ein Demokrat war und kein Republikaner: Jimmy Carter.

    Like Romney, he also knocked on doors as a missionary, addressing potential converts by saying, “I’m Jimmy Carter, a peanut farmer. Do you accept Jesus Christ as your personal savior?”

    Da sind gewisse deutsche Pastoren-Töchter etwas zurückhaltender.

  • Zu alten Präsidenten: Der interessierte Leser MK verweist schießlich auf diese Grafik von xkcd hin, warum jede Wahl in den USA besonders ist. Und damit dürfte der interessierte Leser mindestens bis zur nächsten Hochrechnung beschäftigt sein.

Warum Nicht-Wählen in den USA nicht so problematisch ist (rechnerisch zumindest)

Oktober 18, 2012

Deutsche sind entsetzt, mit welcher Nonchalance Amerikaner nicht zur Wahl gehen. Hier prallen unterschiedliche Weltansichten aufeinander: Während der US-Bürger nicht einsieht, seine Stimme abzugeben, wenn ihm beide alle Kandidaten nicht gefallen und es schon mal mit einem Spruch wie Don’t vote, it only encourages the bastards abtut, lernen Bundesbürger schon als Kinder: „Nicht zu wählen ist die schlechteste Wahl.“ Da werden düstere Warnungen über die Zukunft der Demokratie ausgesprochen, die Amerikaner wiederum nach 200+ Jahren Erfahrung mit der ganzen Sache irgendwie nicht ernst nehmen.

Die unterschiedlichen Einstellungen haben einen konkreten Hintergrund: Das Nicht-Wählen hat in einem Parlamentssystem wie dem deutschen schwerwiegendere Folgen als in den USA, wo die Abgeordneten direkt gewählt werden.

Vereinfachen wir das komplizierte deutsche System mit seinen Erst- und Zweistimmen sowie Überhangmandaten — schon deswegen eine gute Idee, weil die Bundesrepublik im Moment bekanntlich kein gültiges Wahlrecht hat. Sagen wir einfach: Die Sitze für eine Partei werden nach dem Prozentsatz der für sie abgegebenen Stimmen verteilt. Reines Verhältniswahlrecht also.

Wenn jetzt ein gemäßigter deutscher Wähler zu Hause bleibt, ein radikaler Wähler sich aber zur Urne schleppt, steigt der prozentuelle Anteil der radikalen Stimmen (umgekehrt natürlich auch, aber dieser Autor ist bis auf die Sache mit den Zombies ein bekennender Spießer). Sie bekommen entsprechend mehr Sitze. Sprich, bei einer Verhältniswahl ist es ein Erfolg für die Radikalen, wenn Gemäßigte nicht zur Wahl gehen.

In Deutschland ist nicht-wählen damit tatsächlich eine saublöde Idee, weil es automatisch „die anderen“ stärkt, wer immer das auch sein mag.

In den USA werden dagegen Menschen gewählt und nicht Parteien (wir erinnern uns: Parteien gibt es eigentlich gar nicht). Dabei werden die Stimmen über Wahlkreise (Repräsentantenhaus) oder Bundesstaaten (Senat und Präsident) zusammengefasst.

Durch dieses Mehrheitswahlrecht werden kleinere Gruppen — ob extrem oder einfach nur „anderes“ — strukturell ausgeschlossen. Die besten Chancen, auch nur einen (in Zahlen: 1) Abgeordneten in den Kongress zu bekommen hätte die Communist Party USA („Radical Ideas. Real Politics.“), wenn alle amerikanischen Kommunisten in einen Wahlbezirk ziehen würden. Das ist auch der Grund, warum sich Mechanismen wie die Fünf-Prozent-Hürde in den USA erübrigen.

Entsprechend müssten sehr, sehr viele Amerikaner nicht zur Wahl gehen, bevor es einem Radikalen gelingen würde, auch nur in die Nähe der Kandidaten der beiden großen Volksparteien zu kommen. Das ist eine weitere Ausprägung der größeren Fehlertoleranz bei einer Mehrheitswahl im Vergleich zu einer Verhältniswahl. Der Preis dafür ist allerdings, dass politische Minderheiten als Gruppe nicht im Kongress vertreten sind.

Rein rechnerisch ist Wahlabstinenz also in den USA weniger ein Problem, denn Extremisten müssen so oder so draußen bleiben. Wie das moralisch und vom Demokratieverständnis her aussieht, ist natürlich eine ganz andere Frage. Nicht umsonst fordern amerikanische Prominente mit beißendem Sarkasmus Don’t vote! [YouTube] — und ziehen sich dann den BH aus, damit die Bürger es doch tun.

Intels Haswell CPU-Architektur und die Abkürzung STD

Oktober 8, 2012

Ein kurzer Eintrag über einen Witz, der sich etwas unerwartet in dem Bericht von AnandTech über die neue Haswell-CPU-Architektur von Intel findet. Es geht um die Stromspar-Stufen (sleep states) bei Computern (Hervorhebung hinzugefügt):

S3 is otherwise known as Suspend to RAM (STR), while S4 is commonly known as hibernate or Suspend to Disk (this one is less frequently abbreviated for some reason…).

„STD“ ist auf Englisch die Abkürzung für sexually transmitted diseases, sprich Geschlechtskrankheiten.

Womit wir auch erklärt hätten, warum Angelsachsen das Autokennzeichen des Landkreises Stade so lustig finden.

Liebe Presse, Amerikaner (Briten, Kanadier, Australier) haben keine Personalausweise

Oktober 3, 2012

Was musste dieser Autor heute Morgen zum Frühstück in seinem RSS-Feed bei einem deutschen Nachrichtenmagazin lesen? Ein US-Gericht habe in Pennsylvania ein Gesetz aufgehoben, das die Bürger gezwungen hätte, bei der Wahl ihren „Personalausweis“ vorzulegen. Was ein Glück, sonst wären die Wahlbüros dort ziemlich leer geblieben: In Amerika gibt es keine Personalausweise. In anderen angelsächsischen Staaten wie Großbritannien, Kanada und Australien übrigens auch nicht.

Wie so viele wichtige Dinge im Leben lernt man das bei Buffy. In der Folge „Tabula Rasa“ will Willow einige unschöne Erinnerungen im Zusammenhang mit ihrer Magie-Sucht aus dem Gedächtnis ihrer Freunde löschen. Das geht natürlich schief und alle fallen in einem Laden für Zauberbedarf in Ohnmacht. Als sie aufwachen, wissen sie nicht mehr, wer sie sind. Wie schließen sie jetzt auf ihre Identität?

  • Giles: Führerschein.
  • Xander: Führerschein (nennt sich „Alex“).
  • Willow: Studentenausweis.
  • Tara: Studentenausweis.
  • Spike: Keine Papiere — findet in seiner (geklauten) Jacke den Namen „Randy“.
  • Dawn: Keine Papiere — trägt eine Halskette mit ihrem Namen.
  • Anya: Keine Papiere — findet ein Flugblatt auf dem steht, dass sie und Giles den Laden führen.
  • Buffy: Keine Papiere — gibt sich selbst den Namen „Joan“.

Auf den deutschen Zuschauer wirkt das unrealistisch. Spike als Vampir und Anya als Ex-Dämonin würde man vielleicht noch abnehmen, dass sie keinen Ausweis haben, aber nicht Giles, Xander oder Buffy. Nach einem Massennickerchen in der Lindenstraße würden die Figuren schließlich einfach in ihre Brief- oder Handtaschen greifen und von ihren maschinenlesbaren, bundesweit einheitlichen Ausweisen „Hans Beimer“ oder „Ludwig Dressler“ ablesen. Der ganze Plot von „Tabula Rasa“ funktioniert nur, weil es in den USA keine Personalausweise gibt.

Leider grenzt die Synchronisation hier an Volksverdummung. Willows Aha-Ausruf „Cards — driver’s licenses!“ wird zu „Ausweise — ein Führerschein tuts auch!“ was den Eindruck erweckt, es gäbe Ausweise. Auch sonst wurde wieder ohne Verstand übersetzt: „Joan“ – eine Anspielung auf Joan of Arc, also Jeanne d’Arc – bleibt „Joan“, was in Deutschland niemand als Namen der französischen Märtyrerin erkennt.

Weiß man, dass es in den USA keine Personalausweise gibt, werden auch andere Dinge auf der Mattscheibe klarer. In Fringe gibt es eine Parallelwelt, in der jeder US-Bürger eine „Show Me“-Karte mit persönlichen Daten bei sich führen muss. Was für Festland-Europäer nicht weiter bemerkenswert ist, zeigt dem englischsprachigen Zuschauer sofort, dass die USA in der anderen Welt ein faschistoider Staat mit massiv eingeschränkten Bürgerrechten ist.

Umgekehrt hat dieser Autor die Erfahrung gemacht, dass sich die meisten Germanen überhaupt nicht vorstellen können, wie ein Staat ohne Personalausweise (und übrigens auch ohne Einwohnermeldeamt) funktionieren soll. Man muss doch zumindest sein Alter nachweisen können, oder? Was macht man da?

Man benutzt den Führerschein, der vom jeweiligen Bundesstaat nach eigenen Gesetzen und Vorschriften ausgestellt wird.

Most adults use their driver’s license as their main form of identification. It’s used to see Rated R movies, buy tobacco or alcohol, enter nightclubs and bars, board a plane, check into a hotel, cash a check, and verify a credit card.

Dabei muss man wissen, dass die Fahrausbildung in den USA nicht einen vierstelligen Betrag kostet wie in Deutschland — die Spanne liegt eher zwischen 300 und 600 Dollar, je nach Bundesstaat und Kommune. Das ist für deutsche Touristen praktisch: Wer Amerikanern erklären will, warum ihr Führerschein nicht ausläuft, kann auf die Kosten hinweisen. Bei der Stange Geld kann man schon lebenslange Gültigkeit erwarten.

Wer in den USA keinen Führerschein besitzt, kann — muss aber nicht! — sich in seinem Bundesstaat eine ID card ausstellen lassen. In unserem Beispielstaat Arizona ist logischerweise das Motor Vehicle Department dafür zuständig, denn es handelt sich um einen funktionellen Ersatz für einen Führerschein.

(Soweit dieser Autor das feststellen kann, gilt das gleiche Prinzip in Kanada

Ontarians without a driver’s licence to use as a quick and easy piece of identification can soon apply for a government-issue photo ID card.

– und Australien sowie diversen anderen angelsächsischen Staaten. Die Briten hatten vor einigen Jahren Ansätze zur Einführung von echten, landesweiten Personalausweisen unternommen, das Ganze aber 2010 wieder rückgängig gemacht und die zugehörigen Daten gelöscht. Die englische Wikipedia bietet eine Übersicht.)

Wer keinen Führerschein besitzt und keine ID Card, der hat halt keinen Ausweis. Punkt. Das macht das Leben natürlich sehr viel schwieriger, weil man dann gucken muss, was die andere Stelle zur Identifikation akzeptiert. Entsprechend selten kommt es vor. Aber es geht.

(Bei gewissen Finanzdingen kommt noch die Social Security Number (SSN) ins Spiel, was wir in einem eigenen Eintrag behandeln.)

Eine ausführliche Diskussion über das Thema wird schnell kompliziert, weil man auch über andere Aspekte sprechen muss wie die Melde- und Mitführpflicht oder ob die Polizei überhaupt das Recht hat, jemanden einfach so nach seinem Namen zu fragen (in einigen US-Bundesstaaten erlaubt), geschweige denn einen Ausweis verlangen kann. Viele Deutsche gehen davon aus, dass sie eine Mitführpflicht haben (stimmt aber nicht) und schockieren damit noch mehr die armen Amerikaner.

Die kippen endgültig aus den Socken, wenn man ihnen das Einwohneramt erklärt — Deutsche müssen sich beim Staat melden, wenn sie umziehen? Aber nur früher im Osten, oder? Erfahrungsgemäß kommt irgendwann immer die Frage, ob die Nazis mit Hilfe der Einwohnermeldeämter damals die Goldbergs und Süsskinds gefunden haben. Sollte man diese Archive nicht abschaffen oder, äh, niederbrennen? Es hilft nicht, dass Amerikaner solche Vorschriften nur im Zusammenhang mit einer Gruppe von Menschen kennen: Verurteilte Sexualverbrecher. Aus ihrer Sicht wird damit die ganze deutsche Bevölkerung wie Kriminelle behandelt.

Am Ende stößt nur die Kirchensteuer auf mehr Unverständnis. Und da hilft selbst Buffy nicht.

ANHANG

Der interessierte Leser mag sich fragen, warum wir so einen grundsätzlichen Unterschied zwischen den USA und Deutschland nicht früher in diesem Blog behandelt haben. Tatsächlich hat dieser Autor das Thema schon lange auf der Liste. Allerdings meinte die US-Regierung 2005, im Kampf gegen den Terrorismus den Real ID Act einführen zu müssen, das die Bundesstaaten zu einheitlichen Standards bei den Führerscheinen zwingt … zwingen wird, soll, sollte, könnte …

Denn das von Präsident George W. Bush unterzeichnete Gesetz wurde von Bürgerrechtlern sofort als perfider Versuch kritisiert, durch die Hintertür einen Personalausweis einzuführen.

[Real ID] will create America’s first national identity card, increase the threat of identity theft, enable the routine tracking of individuals, and propel us toward a surveillance society.

Die Übergangsfrist ist immer wieder verlängert worden; mehrere Bundesstaaten haben Gesetze erlassen, die eine Umsetzung verbieten; das Heimatschutzministerium zeigt selbst wenig Interesse an dem Ding; im Kongress werden wahlweise Vorlagen eingereicht, um Real ID aufheben oder aber eine Version zu finden, die Kritiker beschwichtigt. Bislang ohne Erfolg.

Eigentlich hatte dieser Autor warten wollen, bis das Gesetz endgültig den Fangschuss bekommen hat, aber offenbar kann das Chaos noch Jahre dauern. Irgendwann ist gut.