Archive for Oktober, 2007

Kool-Aid mit Apfel-Geschmack

Oktober 31, 2007

So join me as I prepare to drink deeply of the Steve Jobs Kool-Aid and plunge myself into the Leopard, to prove this Apple revolution is truly the way of the future.

– Kuactet, aus einer Leopard-Parodie auf Slashdot

Die Schönste Germanin hält diesen Autor für einen fanatischen Apple-Benutzer. Das sieht er natürlich anders. Als Zeugen würde er die Mitarbeiter der Apple-Feedback-Abteilung vorladen, die seit der Zombifizierung des iBooks bestimmt seine regelmäßigen Ratschläge vermissen – dass ein Dienst wie .Mac im 21. Jahrhundert kostenlos sein muss, dass sie sich für das berüchtigte „downgrade“ von iMovie HD auf iMovie 08 schämen sollten oder der Wahnsinn, die 12″-Laptop-Reihe einzustellen. Die Beziehung war schon immer differenziert.

Trotzdem, der interessierte Leser wird seit dem Dahinscheiden des iBooks hier ein gewisses Maß an, äh, emotionaler Betroffenheit festgestellt haben, und das Verhältnis zum iMac könnte als eng beschrieben werden. Apple-Nutzer haben allgemein den Ruf, quasi-religiöse Gefühle zu ihren Rechnern zu entwickeln, was in Amerika wie in Deutschland als Kult beschrieben wird. In den USA kommt noch eine weitere Formulierung für blinde Hörigkeit gegenüber Autoritäten dazu: To drink the Kool-Aid.

Kool-Aid ist buntes Fruchtgetränk von Kraft Foods, das als Pulver verkauft wird. Man gibt Wasser hinzu und kann es dann trinken, oder damit Wolle färben, oder, wenn man ein Rockstar ist, auch seine Haare. Ein gewisser Edwin Perkins aus Nebraska erfand das Pulver 1927, damals noch als Kool-Ade. Zunächst wurde die Packung für zehn Cent verkauft, in der Weltwirtschaftskrise dann für fünf Cent, heute für 25 Cent. General Foods kaufte die Marke 1953. In Europa kann man es online kaufen.

Kool-Aids Aufstieg zu mehr als nur ein Softdrink begann in den 60er Jahren, als es von Hippies mit dem zuerst noch legalen LSD versetzt wurde. Tom Wolfe schrieb 1968 das berühmte Buch The Electric Kool-Aid Acid Test über Ken Kesey, dem Autor von One Flew Over the Cuckoo’s Nest, und seiner Bande von Merry Pranksters, die mit den Grateful Dead durch Kalifornien fuhren und solche acid tests durchführten. Kraft Foods redet nicht so gerne über diese Zeit, irgendwie.

Der Spruch bekam später einen düsteren Hintergrund. Im Jahr 1978 begingen die etwa 900 Anhänger eines Psycho-Kultes von Jim Jones in Südamerika Massenselbstmord. Unter den Opfern in Jonestown waren 276 Kinder. Der Tod wurde in Form eines Softdrinks verabreicht, der mit Zyanid versetzt worden war.

Nur – dabei handelte es sich nicht um Kool-Aid, sondern um das Konkurrenzprodukt Flavor Aid. Kool-Aid war bis dahin aber schon zu einem generischen Begriff für Pulver-Limos geworden, und durch die 60er vorbelastet. Daher: To drink the Kool-Aid. Manchmal ist es doof, Marktführer zu sein.

Wir sollten festhalten, dass es in der Computerwelt nicht nur Kool-Aid mit Apfel-Geschmack gibt. Mini-Microsoft schreibt in seinem Blog:

I’m just not drinking the current variety of Kool-Aid. I love Microsoft and I work with the absolute best people in the world and it’s because I love this company that I’m flustered with any slothful, stumbling trends.

Und in der Linux-Welt finden wir:

Since it seems that I am the only Linux user who hasn’t drunk the Ubuntu Kool-Aid yet, I thought I’d give a whirl this weekend.

Dieser Autor hat übrigens selbst einen sehr schönen Ubuntu-Server, weswegen er gar kein fanatischer Apple-Benutzer sein kann. Außerdem: Leopard ist schon seit Freitag auf dem Markt und immer noch nicht im Hause Stevenson installiert. Seit Freitag! Jederzeit aufhören zu können, das ist das Wichtige …

[Geändert 28. Nov 2007: Toter Link zur Homepage entfernt]

Kurz erklärt: Der Spruch zur Zeitumstellung

Oktober 27, 2007

Beim Ungenannten Arbeitgeber kamen wir am Freitag auf die Zeitumstellung zu sprechen. Bekanntlich findet sie in Europa an diesem Wochenende statt, in den USA dagegen in einer Woche. Dann muss man die Uhren, nun, also …

Der Chef dieses Autors sagte an dieser Stelle mit großer Überzeugung: Zurückstellen. Die Uhren werden zum Ende der Sommerzeit um eine Stunde zurückgestellt. Das könne er sich allerdings auch nur merken, so der studierte Amerikanist, weil die Amerikaner ja diesen coolen Spruch haben.

Äh, sagte dieser Autor, der sich nie merken kann, wie wann umgestellt wird und erst recht keinen coolen Spruch dazu kennt. So was haben die?

Ja, natürlich, sagte der Chef: Spring forward and fall back. Der „Sprung nach vorne“ enthalte spring für den Frühling und der „Rückzug“ fall als Herbst. Völlig klar: Im Frühling werden die Uhren eine Stunde vorgestellt, im Herbst eine Stunde zurück.

Das ist wirklich ein guter Spruch, sagte dieser Autor. Was die Amis nicht alles wissen.

Kurz erklärt: Der Duck Test

Oktober 25, 2007

Vor langer, langer Zeit hatten wir den duck test erwähnt, aber nicht erklärt.

Der „Ententest“ geht etwa so: Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie Ente, ist es wahrscheinlich eine Ente – egal ob jemand sagt, es sei ein Schwan. Anders formuliert: Die Dinge sind tatsächlich so, wie sie scheinen, nicht wie jemand sie haben will.

Man kann die Sache auch umdrehen: It doesn’t pass the duck test bedeutet, dass die Kerneigenschaften fehlen. Wenn es nicht aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente oder quakt wie eine Ente, kann es keine Ente sein.

Der Duck Test ist in den USA ein, äh, geflügeltes Wort. Es wird benutzt, wenn es um die Souveränität des Irak, Blasen am amerikanischen Häusermarkt oder um die Frage geht, ob 28 Days Later wirklich ein Zombie-Film ist.

Die Fernsehserie 24 zeigt uns schließlich, dass es auch Ausnahmen zum Duck Test gibt:

If it tastes like chicken, looks like chicken, and feels like chicken, but Jack Bauer says its beef, then it’s beef.

So viel zum Hühnchengeschmack.

ZEUGS: Viel Literatur, einige Witze und etwas Geld

Oktober 22, 2007

Die Schönste Germanin war bekanntlich die vergangene Woche in fernen Ländern unterwegs. Damit hatte dieser Autor zwar ihren Laptop zur Verfügung, aber leider auch zwei Kinder zu versorgen, die (Nummer Eins) auf Dinosaurier-Jagd gehen oder (Nummer Zwei) Jugend forscht im Katzenklo spielen wollten. Wir retten uns daher mit Kurzeinträgen in die Woche.

  • Zu Romanempfehlungen: Die Ehrenwerte Mutter hat inzwischen Charles Fraziers zweites Buch, Thirteen Moons, gelesen und für gut befunden, wenn auch nicht ganz so gut wie Cold Mountain. Handelt von einem Waisenjungen, der von den Cherokee aufgenommen wird.
  • Zum Wizard of Oz, um bei der Literatur zu bleiben: Der interessierte Leser TP weist auf die folgende Alternativ-Version hin, die Teil eines Wettbewerbs für Geschichten mit sechs Worten war:

    Dorothy: „Fuck it, I’ll stay here.“

    Der Autor ist Steven Meretzky, der bei Infocom für legendäre Spiele wie The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy verantwortlich war. Der Beitrag von Buffy-Schöpfer Joss Whedon lautete übrigens: Gown removed carelessly. Head, less so.

  • Zu den Knock-Knock-Jokes bei Terry Pratchett: Die interessierte Leserin SB hat Wee Free Men als Kleine freie Männer gelesen und berichtet nun, dass der Witz einfach kommentarlos übersetzt wurde. Damit verstehen ihn nur die deutschsprachigen Angelsachsen – so wird das nichts mit dem Kulturimperialismus!
  • Zu der Aussprache von Uranus: Genauso hat man laut dem interessierten Leser MD in Harry Potter Band IV bei der Übersetzung des folgenden Satzes von Ron verfahren: „Can I have a look at Uranus, too, Lavender?“ Warum er dafür zusätzliche Hausgaben bekommen hat, bleibt dem deutschen Leser ebenfalls unklar – da waren die japanischen Übersetzer schlauer. In unserem Uranus-Eintrag hatten wir übrigens schon eine Version der Aussprache-Hilfe verwendet.
  • Zu Halloween: Ein Jahr lang hat sich dieser Autor mit einem Witz der Autorin Dorothy Parker zu dem Äpfel-in-der-Badewanne-Spiel zurückgehalten, aber er passt zu dem Niveau dieses Eintrags einfach zu gut:

    Ducking for apples — change one letter and it’s the story of my life.

    Parker gehört zu den Menschen, die im Zeitalter der Blogs hätten geboren werden sollen.

  • Zu Halloween, wenn wir schon mal dabei sind: Zu den Lieblingsblogs der Schönsten Germanin gehört völlig zurecht Because I Said So, geschrieben von einer sechsfachen Mutter mit Galgenhumor. Wir erwähnen das hier, weil es in einer Familie mit sechs Kindern vor Halloween hoch hergeht und der interessierte Leser damit hoffentlich ein Gefühl für die wirkliche Bedeutung des Festes gewinnen kann. – Das vielleicht beste Posting auf der Site ist ihr Ebay-Verkaufstext für 44 Pokamon-Karten, die von den Kindern in den Einkaufswagen geschmuggelt worden waren. Und dieser Autor ist schon bei zwei Kindern blogunfähig!
  • Zu Dr Pepper: Einer der Lieblingsblogger dieses Autors, Johannes „Jojo“ Kretzschmar von Beetlebum, hat sich jetzt auch als Fan des Soft Drinks geoutet. Damit ist es offiziell ein Kult-Getränk.
  • Zu Spenden, damit es nicht nur um Schöngeistiges geht: Offene Politiker-Finanzen sind nicht nur im Wahlkampf nützlich, wie uns ein neues Beispiel zeigt. Senator Jay Rockefeller soll sich dafür eingesetzt haben, US-Telekom-Unternehmen für ihre Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten bei Abhör-Aktionen Straffreiheit zu gewähren. Interessant nun: Kurz zuvor hatten AT&T und Verizon – zwei Firmen, die auf Milliarden-Summen verklagt werden – plötzlich angefangen, dem Demokraten Spenden zukommen zu lassen. Rockefeller nahm zu dem Bericht zunächst nicht Stellung. Die ursprüngliche Quelle war OpenSecrets.org.

Einige Romanempfehlungen

Oktober 18, 2007

Mit einem zombifizierten Laptop kommt man immerhin wieder zum Lesen. Das nehmen wir zum Anlass, um einige Bücher zu empfehlen, die jeweils einen gewissen Aspekt der USA beschreiben. Es sind alles Romane – die Liste der Sachbücher ist nach wie vor hier.

The Milagro Beanfield War von John Nichols (1974). Einem bitterarmen Dorf von Hispanics in New Mexico wird im wahrsten Sinne des Wortes von den Politikern des Bundesstaates und den Großindustriellen das Wasser abgegraben: Ihre Felder vertrocknen, denn das Gesetz erlaubt es ihnen nicht mehr, etwas von dem Hauptkanal abzuzweigen. Eines Tages öffnet der Störenfried Joe Mondragon einfach die Schleuse, um seine Bohnen zu bewässern – der Anfang eines Kleinkriegs um die Rechte des einfachen Bürgers.

Nichols erzählt die Geschichte des Kampfes zwischen Reich und Arm, Unter- und Oberschicht, chicanos und anglos mit schrägen Charakteren und viel Humor. Der Roman stammt noch aus einer Zeit, wo Hispanics eine kleine, wenig beachtete ethnische Gruppe im Südwesten der USA waren und nicht die größte Minderheit des Landes. Daher sollte man sich hüten, ihn als eine Beschreibung heutiger Zustände zu verstehen. Es bietet aber einen unterhaltsamen Einstieg in die volle Komplexität der Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen in den USA.

(Es gibt eine Verfilmung von Robert Redford, die dieser Autor aber trotz eines Oscars und der Beteiligung von Christopher Walken für ein Desaster hält.)

Die Navajo-Kriminalromane von Tony Hillerman (ab 1970 bis heute). Die selbe Gegend, andere Leute: Joe Leaphorn und Jim Chee gehören zur Navajo Tribal Police. Sie lösen Kriminalfälle in der Diné Bikéyah, der Nation der Navajo, die etwa so groß ist wie Bayern und sich über New Mexico, Utah, und Arizona (die Four-Corners-Region) erstreckt. Die Handlung spielt in der heutigen Zeit mit all ihren Problemen, aber:

The two overwhelming elements found in all of Hillerman’s 15 novels are his unabashed appreciation for the land and his ability to evoke it so strongly that it literally represents another ongoing character in the story, and his ability to bring the reader into the belief system of the Navajo, replete with the religious ceremonies, cultural observances, and the dreaded presence of evil, often manifested as skinwalkers or Navajo witches.

Leaphorn und Chee verkörpern dabei jeweils einen weltlichen und traditionellen Ansatz.

Hillerman wuchs unter Indianern in Oklahoma auf. Er ist einer der größten amerikanischen mystery writers mit vielen Auszeichnungen, darunter die als Special Friend der Navajo. Für deutsche Leser bietet er eine spannende Möglichkeit, endgültig die Federschmuck-und-Tipi-Bilder von Indianern auszumisten.

(Wer wie dieser Autor Krimis nur zur Hand nimmt, wenn nichts mit dark edges im Haus ist, sollte sich trotzdem die Zeit für Hillermans – ebenfalls preisgekrönte – Autobiographie Seldom Disappointed nehmen, die ein sehr amerikanisches Leben beschreibt.)

Cold Mountain von Charles Frazier (1997). Mehrfach ausgezeichneter Roman aus der Zeit des Bürgerkriegs: Ein verwunderter Soldat der Südstaaten desertiert und macht sich zu Fuß zurück in seine Heimat in den Appalachen. Dort versucht unterdessen seine Liebe, die intellektuelle Tochter eines Pastors, unter erbärmlichen Umständen allein auf einer Farm zu überleben. Inspiriert von der Familiengeschichte des Autors, konzentriert sich das Buch auf den Versuch der Charaktere, mit dem Zusammenbruch ihrer Welt klar zu kommen. Gewisse Parallelen zur Odyssee sind bewusst gewählt; passend zu dem schlimmsten Krieg in der Geschichte der USA ist die Stimmung stellenweise post-apokalyptisch.

Frazier ist für seinen Umgang mit der Sprache besonders gelobt worden, im Dialog der Figuren wie auch in seinen Beschreibungen. Er selbst sagt dazu:

I was creating this historical, fictional world, and I wanted the language of the book to create a sense of otherness, of another world, one that the reader doesn’t entirely know. It occupies many of the same geographical points as our current world, but is in a lot of ways very different. I wanted the language to signal that. So one thing I used to help with that was words for tools and processes and kitchen implements that are almost lost words.

Deutsche Leser sollten sich davon nicht abschrecken lassen, denn bei diesen Wörtern muss auch der Muttersprachler zum Lexikon greifen. Statt sich eine Übersetzung anzutun, sollte man sich lieber die Verfilmung auf Englisch anschauen – mit Nicole Kidman, Jude Law und Renée Zellweger, die für ihre Rolle einen Oscar erhielt – und dann das Buch lesen.

(Dank an die Ehrenwerten Eltern, bei denen diese Bücher in den vergangenen Jahrzehnten irgendwann im Regal standen)

Die Sache mit dem Hühnchen-Geschmack

Oktober 14, 2007

[Y]ou have to wonder now, how did the machines really know what Tasty Wheat tasted like, huh? Maybe they got it wrong. […] You take chicken for example, maybe they couldn’t figure out what to make chicken taste like, which is why chicken tastes like everything.

– Mouse in The Matrix

Fragt man einen Amerikaner wie Tierfleisch schmeckt, das man nicht so häufig isst – Schlange, Alligator, Eichhörnchen, Kaninchen, Ratte, Frosch, Hund, Katze, Affe oder im Falle dieses Autors Fisch – kriegt man ständig als Antwort zu hören: It tastes like chicken. Oft wird das mit einem todernsten Gesichtsausdruck gesagt, was, wie wir in der nächsten Folge unserer Serie über den Humor sehen werden, immer ein ganz schlechtes Zeichen ist. Spätestens wenn das Gericht haggis heißt, sollte man sehr, sehr misstrauisch werden.

Denn der Satz ist eine Art kultureller running gag der Angelsachsen. Kinder lernen das durch skrupellose Verwandte, spätestens aber durch The Lion King, wenn Timon versucht, dem jungen Simba damit Insekten als Alternative zu Zebra schmackhaft zu machen (rohes Zebra soll allerdings nicht nach Huhn schmecken, sondern wie Steak, das mit Anti-Mücken-Spray besprüht wurde). Als die Teilnehmer der Reality-Show Survivor Ratte essen mussten, war den Zuschauern vor dem ersten Bissen klar, wie es schmecken würde. Und amerikanische Wissenschaftler behaupten, wenn auch tongue in cheek, dass Tyrannosaurus rex ebenfalls nach Huhn geschmeckt hätte, ganz bestimmt.

Ja, aber warum ausgerechnet Huhn und nicht Schwein oder Rind? Eine Erklärung besagt, dass es tatsächlich so ist. Die Variante aus The Matrix erscheint diesem Autor plausibler.

Warum auch immer: Jetzt weiß der interessierte Leser, was er amerikanischen Touristen sagen soll, wenn sie wissen wollen, wie Saumagen oder Zwiebelwurst schmeckt. Und nicht vergessen, dabei immer schön ein ernstes Gesicht zu machen.

Zum Sinn von Regel 2: Das Veto gegen die Krankenversicherung SCHIP

Oktober 10, 2007

Gelegentlich fragt sich dieser Autor, ob Regel 2 dieses Blogs – der Verzicht darauf, falsche Berichterstattung über die USA namentlich an den Pranger zu stellen – wirklich so eine gute Idee war. Über ehrliche Verständnisfehler möchte er sich nach wie vor nicht lustig machen, denn auch er greift oft genug ins Klo. Recherchefaulheit ist schon ärgerlicher, aber immer noch zu ertragen, zudem es im Zeitalter des Internets schnell auffliegt.

Wirklich schlecht für die Tischkante sind allerdings Berichte, die schlicht und einfach falsch sind.

Diese Situation haben wir nun wieder bei dem Veto von Präsident George W. Bush gegen die Verlängerung und Ausweitung des State Children’s Health Insurance Program (SCHIP, teilweise auch auch CHIP genannt). Das fängt mit so bizarren Behauptungen an wie die, dass Bush das Veto hinter verschlossenen Türen und ohne Begründung eingelegt habe. Die amerikanische Presse weiß davon nichts:

Speaking in Pennsylvania, Bush said he vetoed the bill because it was a step toward „federalizing“ medicine and inappropriately expanded the program beyond its focus on helping poor children.

Auch die Website des Präsidialamts hätte geholfen:

I strongly support the [SCHIP] program. I like the idea of helping those who are poor be able to get health coverage for their children. I supported it as governor [of Texas], and I support it as President of the United States.

Bush ist nicht gegen das bestehende Programm, weil es „zu teuer“ sei, wie auch berichtet wurde. Er hat sogar ausdrücklich eine Verlängerung begrüßt. Sein Problem ist die vom Kongress geplante Ausweitung. Einige Kritiker befürchten, dass zwei Millionen US-Bürger unter den neuen Bedingungen ihre private Versicherung aufgeben und zur staatlichen wechseln würden. Andere Experten halten das für dummes Zeug. Ähnliche Debatten über das Gleichgewicht zwischen privater und staatlicher Krankenversicherung gibt es auch in Deutschland.

Nun geht es hier nicht darum, ob das Veto richtig oder falsch war. Bushs Entscheidung ist, freundlich formuliert, auch in den USA umstritten. Das Gesetz wurde mit den Stimmen vieler Republikaner verabschiedet und Umfragen zufolge ist eine Mehrheit der Amerikaner dafür, das Programm auszuweiten. Es geht darum, warum es so schwierig zu sein scheint, diesen Streit korrekt wiederzugeben.

Tatsächlich ist die SCHIP-Berichterstattung ein klassisches Beispiel für ein Problem, das wir im Gesamtüberblick angesprochen hatten:

Da große Teile der deutschen Presse die Aufgabenteilung von Bund und Bundesstaaten nicht verstehen, werden die Republikaner fälschlicherweise als grausame Ultra-Kapitalisten dargestellt, die alle sozialen Errungenschaften abschaffen wollen. Meistens geht es aber nur um die Frage, ob diese Aufgaben beim Bund oder den Bundesstaaten besser aufgehoben sind.

Bush lehnt in seiner Begründung genau dieses federalizing ab, sprich, dass der Bund hier weitere Aufgaben übernimmt. Dass so viele Republikaner für die Ausweitung gestimmt haben, ist dabei kein Widerspruch, wenn man etwas über SCHIP weiß. Es ist ein gemeinsames Programm des Bundes und der Bundesstaaten, bei dem die Bundesstaaten innerhalb gewisser Grenzen entscheiden, wer das Geld bekommt. In Arizona wird SCHIP zum Beispiel als KidsCare umgesetzt:

La cantidad que una familia paga se basa en los ingresos familiares y en el número de niños que –

Oops, das war die andere Version … ah, hier:

How much a family pays is based on family income and the number of children who qualify. KidsCare will cost no more than $25 a month for one child or no more than $35 a month no matter how many children are in the household. Native Americans receive KidsCare at no cost.

(Wir werden den Punkt mit der kostenlosen Versorgung von Indianern aufgreifen, wenn wir besprechen, warum heutzutage so viele US-Bürger in einem Stamm aufgenommen werden wollen)

Konservative Abgeordnete wie Senator Orrin Hatch aus Utah, sonst eher als Verbündeter des Präsidenten bekannt, haben auch kein Problem mit SCHIP:

Unfortunately, I believe that some have given the President bad advice on this matter, because I believe that supporting this bipartisan compromise to provide health coverage to low-income children is the morally right thing to do.

Hatch bedauert, dass SCHIP zu einem politischen Spielball geworden ist. Vermutlich war das unausweichlich: An der ursprünglichen Version war maßgeblich eine First Lady namens Hillary Clinton beteiligt, die inzwischen Senatorin ist und bekanntlich sehr, sehr gerne Präsidentin werden würde. Auch das hätte in einem abgerundeten Bericht erwähnt werden müssen.

Wir könnten weitere Mängel aufzeigen, denn davon gibt es diesmal besonders viele. Aber zu groß wäre die Versuchung, mit rechtschaffener Wut jedem Fehler nachzugehen und sich damit immer weiter von dem Ziel dieses Blogs zu entfernen, nämlich den Hintergrund zu erklären. Dieser Autor wollte kein Watch-Blog für die Darstellung der USA in der deutschen Presse führen, denn das gibt es schon. Er wollte ein Erklär-Blog machen. Schon der Tonfall muss da ganz anders sein.

Das Ziel von Regel 2 ist also nicht der Schutz der Faulen, Unfähigen oder Amerikaphoben, auch wenn das eine bedauerliche Nebenwirkung ist. Sie soll diesen Autor vor sich selbst schützen. Und deswegen bleibt sie bestehen, auch wenn die Zurückhaltung einige interessierte Leser ärgert und die Tischkante immer mal wieder neue Bissspuren bekommt.

Kurz erklärt: Slow Cooker (Crockpot)

Oktober 7, 2007

Ein in Deutschland offenbar unbekanntes Küchengerät ist der slow cooker, auch crockpot genannt. Es handelt sich um einen ovalen Elektrokochtopf, der einen Keramikeinsatz enthält, der von allen Seiten aufgeheizt wird. Wie der Name sagt, geschieht das sehr, sehr langsam – so langsam, dass man alles hineinwerfen und zur Arbeit fahren oder die günstigeren nächtlichen Strompreise ausnutzen kann. Oder wie die Werbung es formuliert: Cooks all day while the cook’s away. Die Temperatur ist entsprechend niedrig und der ganze Vorgang schonend.

Bei der Geschichte des Slow Cookers fängt man gerne bei den Indianern an, die zähe Wurzeln in Erdlöchern gekocht haben sollen. Die moderne Version stammt aus den 70er Jahren von der Rival Company. Der Umsatz erreichte 1981 etwa 30 Millionen Dollar.

Die Beliebtheit des Slow Cookers ist dabei gewissen Moden unterworfen. Ein Zeit lang als unendlich spießig verschrien, erlebt er gerade wieder eine Blüte. Die Schönste Germanin, die Kochbücher studiert wie andere Leute Buffy-Folgen, berichtet, dass man sich im Moment vor Rezepten nicht retten kann.

Eines davon ist für Bavarian Pot Roast, was echte Bayern überraschen dürfte, besonders wegen des vielen Ingwers. „Cook on a LOW for 9 to 12 hours“ steht in der Anleitung – so viel zum Thema Fast-Food.

META: Halloween

Oktober 4, 2007

Wie leben Menschen ohne Laptop? Kann das wirklich der Normalzustand sein? Einträge zu schreiben dauert drei Mal länger und zu E-Mail kommt man praktisch gar nicht mehr. War das Leben früher wirklich immer so?

Nur gut, dass die Zombifizierung den Oktober betrifft, denn das wichtige Ereignis dieser Wochen haben wir schon vergangenes Jahr abgedeckt: Halloween. Vermutlich wird der interessierte Leser bereits die diesjährige Kostüm-Mode studiert oder die Nähmaschine aus dem Keller geholt haben.

Wir werden das Thema also nicht wieder aufgreifen. Mit etwas Glück schafft dieser Autor es stattdessen, bis Montag wenigstens einen neuen Eintrag zu haben.

ZEUGS: Die Titel der Nazgûl, der Fahneneid und nervige US-Fans

Oktober 1, 2007
  • Zu Draftophobia: Mehrere Leser sind der Meinung, dass die Angst vor Luftzügen generationsabhängig ist. Wir halten fest, dass sich einige Leute in Berlin offenbar sehr gut gehalten haben.
  • Zu Aussprache-Hilfen: Der interessierte Leser AG weist darauf hin, dass vor Bush schon ein ganz anderer Präsident sich auf phonetische Spickzettel verließ:

    Ish bin ein Bearleener!

    Kennedy hatte Glück, dass es damals das Internet nicht gab, oder dass die Presse ihn mochte, oder beides. Der Zettel wäre natürlich ein viel besserer Aufmacher für den Eintrag gewesen.

  • Zu Titeln und Namen: Verfolgt hier noch jemand die SCO-Saga? Sehr vereinfacht gesagt behauptete die US-Firma, ihr gehöre Linux, und verklagte unter anderem IBM. Big Blue zahlte aber nicht, sondern schickte seine Anwälte, die von den SCO-Gegnern ehrfurchtsvoll the nazgûl genannt werden. Jetzt, wo SCO Gläubigerschutz beantragt hat, lässt sich IBM von Richard B. Levin von der Kanzlei Cravath Swine & Moore vertreten. Aber wer ist das?

    Rich, who served as counsel to a subcommittee of the House Judiciary Committee from 1975 to 1978, was one of the principal authors of the Bankruptcy Code and the Bankruptcy Reform Act of 1978. He serves as Vice Chair of the National Bankruptcy Conference. […] Rich received an S.B. from the Massachusetts Institute of Technology in 1972, and a J.D. from Yale Law School in 1975, where he was an Editor of the Yale Law Journal.

    Der Mann ist einer der Leute, die amerikanisches Konkursrecht geschrieben haben, und er nennt sich (auch auf der Firmenwebsite, die leider linkunfreundlich ist) „Rich“. Vermutlich hätte sich der Hexenkönig von Angmar [YouTube] in den USA mit Just call me Angie! vorgestellt.

  • Zu dem Fahneneid: Dank einer Schüler-AG der Boulder High School in Colorado haben wir ein aktuelles Beispiel für die Diskussion über den Eid, die es diesmal sogar in die landesweiten Medien geschafft hat. Wie die 17-jährige Präsidentin der Student Workers, Emma Martens, erklärt [Video], ist der Hauptstreitpunkt wieder der Zusatz under God, der nach ihrer Meinung die Trennung von Kirche und Staat verletzt. Die AG bietet eine Alternative an:

    I pledge allegiance to the flag and my constitutional rights with which it comes. And to the diversity, in which our nation stands, one nation, part of one planet, with liberty, freedom, choice and justice for all.

    Konservative sind natürlich entsetzt (da ist wieder der Begriff „moonbat„). Der Rektor Bud Jenkins wird zwar nichts am Ablauf des Eides ändern, ist aber stolz auf seine Schüler: „The kids are just exercising their constitutional rights.“

  • Zum Fahneneid, nochmal: Dank YouTube können wir dokumentieren, wie lange die Diskussion über under God geht. Der Komiker Red Skelton [YouTube] erzählte 1969 in einem nachdenklichen Stück von einem High-School-Lehrer, der seiner Klasse vorwarf, die Worte nur herunterzurattern. Den Zehnjährigen legte er eine kommentierte Version vor – mit Ermahnungen wie freedom is everybody’s job – die Skelton wiedergibt, bevor er am Ende auf die Streit über den „neuen“ Gottesbezug hinweist. Wir können davon ausgehen, dass es den auch noch im Jahr 2049 geben wird.
  • Zu Wee und Wii: Der interessierte Leser AD weist darauf hin, dass ein Radiosender ein Gewinnspiel „Hold Your Wee for a Wii“ ausrichtete, der leider tödlich endete: Eine 28-jährige dreifache Mutter trank eine große Menge Wasser und starb, weil sie nicht pinkelte. So auf jeden Fall die Anklage. Dass die ganze Sache in Kalifornien stattfand, ist bestimmt nur Zufall.
  • Zu Knock-Knock-Jokes und mehr wee: Der dritte Band von Terry Pratchetts Tiffany-Aching-Saga, Wintersmith, ist (endlich) als Taschenbuch erhältlich. Da Schwesterlein Mein es noch nicht gelesen hat, können wir nichts zum Inhalt sagen. Aber der interessierte Leser wird sich an den ersten Band, The Wee Free Men, erinnern, als Tiffany sich vor einem Zelt wiederfand:

    There was nothing to knock on, so she [said] „Knock, knock“‚ in a louder voice.
    A woman’s voice from within said: „Who’s there?“
    „Tiffany,“ said Tiffany.
    „Tiffany who?“ said the voice.
    „Tiffany who isn’t trying to make a joke.“

    Dieser Autor hat keine Ahnung, wie die Passage auf Deutsch lautet, aber wir können uns sicher sein, dass der Übersetzer Waily! Waily! Waily! gerufen haben wird.

  • Schließlich zu US-Fanatikern: Wer genervt ist von Zeitgenossen, die in den USA dieses oder jenes viel, viel besser finden, kann jetzt von ihnen verlangen, es zu beweisen. Die Körber-Stiftung hat Preise ausgeschrieben für Konzepte oder Projekte zum Thema „Empowerment. Menschen stärken“:

    Bewerten Sie Vor- und Nachteile des US-Beispiels und erklären Sie, warum Sie dieses amerikanische Modell innovativ und nachahmenswert finden. Welche Problemstellungen oder Herausforderungen der deutschen Gesellschaft adressiert es? […] Wie kann man die Idee auf Deutschland übertragen? Ideen lassen sich nicht einfach kopieren. Präsentieren Sie ein Umsetzungskonzept für Ihr eigenes Projekt.

    Es gibt zudem einen Journalistenpreis, aber da der Autor dort selbst etwas eingereicht hat, erwähnt er ihn lieber nicht.