Wahlen, Teil 2: Was die Ausgaben im US-Wahlkampf mit Störchen zu tun haben

Januar 6, 2008

Für unseren heutigen Eintrag müssen wir uns etwas mit der Statistik befassen. Keine Angst, das wird nicht weh tun: Dieser Autor war als Student Tutor für Biomathematik und hat schon Medizinstudenten den Chi-Quadrat-Test erklärt. Wir schaffen das!

Es geht auch nur um ein einfaches, sehr grundsätzliches Prinzip: Um den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität.

Eine Korrelation liegt vor, wenn zwei Ereignisse A und B gleichzeitig auftreten. Eine Kausalität besteht dagegen, wenn ein Ereignis die Folge des anderen ist. A ist dann die Ursache von B (oder B von A).

Soweit alles klar? Dann kommen wir zu dem Prinzip:

Eine Korrelation ist kein Beweis für eine Kausalität.

Nur weil A und B gleichzeitig auftreten, heißt das nicht, dass B die Folge von A ist (oder A die Folge von B). Es kann so sein, aber man muss es getrennt nachweisen.

Also. Dass gleichzeitig die Zahl der Störche und die Geburtenrate in Deutschland zurückgegangen sind, bedeutet also nicht, dass Babys wirklich von Vögeln gebracht werden. Hier haben wir den häufigen Fall, dass A und B beide von einem dritten Faktor abhängen: Die Industrialisierung (im weitesten Sinne).

Vielleicht ist das gemeinsame Auftreten aber nur ein Zufall. Dass der Aktienkurs von Apple immer weiter steigt, je mehr Hefte von Buffy Staffel 8 auf den Markt kommen (inzwischen mehr als eine Million, übrigens), dürfte nicht zusammenhängen. So groß ist die Kaufkraft dieses Autors auch nicht.

Schließlich können Dinge, die gleichzeitig auftreten, tatsächlich voneinander abhängen. Dass alles im Hause Stevenson unter dem Sofa verschwindet, seitdem Kind Nummer Zwei krabbeln kann, folgt eindeutig dem Prinzip von Ursache und Wirkung. Als Nachweis dienten über Weihnachten die Schokoladenspuren, die die Staubmäuse so schön an den Fernbedienungen binden.

Und das war es schon mit der Statistik.

Wir mussten diesen Ausflug einschieben, weil er für die Berichterstattung über die amerikanische Wahlkampffinanzierung wichtig ist: Große Teile der deutschen Presse sind mit dem Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität offensichtlich überfordert. Dies ist einer der Einträge, die sehr von Regel 2 dieses Blogs profitieren, denn dieser Autor neigt bei der Diskussion über das Thema sonst zu Hohn, Spott und Sarkasmus.

Hintergrund ist die Tatsache, dass die Gewinner in den USA in der Regel mehr Geld für ihren Wahlkampf ausgegeben haben als die Verlierer. Das steht überhaupt nicht in Frage, war schon immer so und wird bei jeder Wahl bestätigt. Der durchschnittliche Sieger im Senat gab 2006 9,6 Millionen Dollar aus, der durchschnittliche Verlierer 7,4 Millionen (das Repräsentantenhaus ist übrigens billiger, da machte ein Abgeordneter mit 182.000 Dollar das Rennen. Die Diskussion über die absoluten Beträge führen wir in einem späteren Eintrag).

Der Zusatz „in der Regel“ ist wichtig, denn es gibt genug Beispiele für den umgekehrten Fall: Weniger ausgegeben, aber trotzdem gewonnen. Beim Kampf um einen Senatssitz in Oklahoma 2004 – um ein anderes Jahr zu nehmen – gab der Demokrat Brad Carson 4,5 Millionen Dollar aus und verlor trotzdem gegen den Republikaner Tom Coburn mit seinen drei Millionen Dollar, immerhin ein ganzes Drittel weniger. Mehr Geld ist in den USA keine Garantie für einen Wahlsieg. Alles andere wäre in zwei Jahrhunderten Demokratie auch irgendwie aufgefallen.

Was sich die meisten Deutschen nun nicht bewusst machen: Das alles ist in der Bundesrepublik genau so.

Die entscheidende Einheit ist zwar die Partei und nicht die Einzelperson, der Maßstab nicht der gewonnene Sitz sondern der Prozentsatz der Wählerstimmen und ein großer Teil des Geldes kommt über die Parteifinanzierung statt über Spenden. Aber wenn wir uns die Wahlkampfausgaben für die Bundestagswahl 2005 anschauen, ist am Ende der Trend so eindeutig wie in den USA: Die Sieger haben grundsätzlich mehr ausgegeben.

Partei Ausgaben (Euro) Stimmanteil (%)
Union 23,0 Mio 35,2
SPD 25,0 Mio 34,4
FDP 3,5 Mio 9,8
PDS 4,0 Mio 8,7
Grüne 3,8 Mio 8,1

(Da die Wahl 2005 kurzfristig angesetzt wurde, könnte das ein Sonderfall sein. Den Zusammenhang finden wir aber auch 2002.)

Was uns zu der Frage bringt, ob es in Deutschland nur am Geld liegt. Spielen wir Was-Wäre-Wenn: Wäre die PDS mit 20 Millionen Euro auch auf ein Drittel der Stimmen gekommen? Wäre die SPD unter zehn Prozent der Stimmen gelieben, wenn sie nur vier Millionen Euro gehabt hätte? Ist der Wahlausgang in Deutschland etwa käuflich?

Wer jetzt den Kopf schüttelt oder lacht, muss sich klar machen, dass genau diese Behauptung ständig über Wahlen in den USA gemacht wird: Wer gewinne, hänge vom Geldbeutel ab, so die Unterstellung, frei nach dem Motto: „Hast Du was, wirst Du was.“

In den USA ist das genauso albern wie in Deutschland, denn jetzt kommen wir zu dem Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität. In beiden Staaten gibt es eine starke und unbestrittene Korrelation zwischen Wahlkampfausgaben und Stimmenzahl – die Gewinner hatten mehr Geld. Eine Kausalität ist allerdings nicht gegeben. Vielmehr hängt es in beiden Systemen von einem dritten Faktor ab: Der Beliebtheit. Wer beliebt ist, erhält mehr Geld und mehr Stimmen.

Der Mechanismus dafür ist in den USA direkter als in Deutschland, denn die amerikanischen Kandidaten müssen beim Spendensammlen in jedem Wahlkampf wieder bei Null anfangen. Die deutschen Parteien erhalten dagegen mehr Geld vom Staat, je besser sie in der vergangenen Wahl abgeschnitten haben. Für Amerikaner ist das undenkbar – man stelle sich vor, der republikanische Spitzenkandidat würde mehr Geld bekommen als der demokratische, nur weil George W. Bush jetzt Präsident ist. Aus US-Sicht gibt das deutsche System dem Sieger der vergangenen Wahl einen unfairen Startvorteil bei der nächsten.

Den Nachweis der fehlenden Kausalität liefert uns in diesem Jahr Mike Huckabee im Vorwahlkampf der Republikaner. Im Dezember 2007 lag er bei den Spenden mit 2,3 Millionen Dollar dramatisch hinter Mitt Romney (62,8 Mio) und Rudy Giuliani (47 Mio). Nach der „Hast Du was, wirst Du was“-Theorie hätte er sich gleich erschießen können. Im selben Monat sprangen aber seine Umfragewerte landesweit auf 22 Prozent und damit nur einen Prozentpunkt hinter dem Favoriten Giuliani. Und tatsächlich gewann Huckabee im Januar die Urwahl in Iowa mit deutlichem Vorsprung.

In gewisser Weise tun beide Systeme das Gleiche: Sie entziehen den Verlierern Geld. In den USA sind das insbesondere die Spenden, die bei fallender Beliebtheit noch im Laufe des Wahlkampfs versiegen. In Deutschland ist es Geld des Steuerzahlers, das für die nächste Wahl nicht mehr zur Verfügung steht. Am Grundgedanken ändert sich nichts.

Nachdem wir das – mit einem Minimum an Sarkasmus, eigentlich – aus dem Weg geräumt haben, können wir uns in den kommenden Einträgen etwas entspannter mit dem Thema Geld befassen. Warum ist der amerikanische Wahlkampf vergleichsweise teuer, und ist er es wirklich? Der interessierte Leser kann schon mal vorarbeiten: Wie teuer ist eigentlich eine Bundestagswahl, wenn man alles zusammenrechnet?