Wut wegen Wodka, Krieg gegen Mexiko und die Unabhängigkeit von Texas

April 10, 2008

Dieser Autor hat Hemmungen, schon wieder ein militärisches Thema aufzugreifen. Aber zwischen den USA und Mexiko tobt im Moment ein Streit um eine Wodka-Werbung – man hat ja sonst keine Probleme – und damit die europäischen Leser den ganzen Spaß nachvollziehen können, müssen wir etwas Geschichte hervorkramen. Das dürfte auch unser Verständnis für die tiefe und herzliche Liebe zwischen Mexiko und den USA fördern und erklären, warum Mexikaner in den klassischen Western immer so schlecht wegkamen.

Wieso Wodka? Der schwedische Hersteller Absolut hat in Mexiko eine Anzeige [JPG] geschaltet mit dem Titel In an Absolut [sic] World, auf der eine Karte Nordamerikas zu sehen ist. In dieser „perfekten Welt“ hat Mexiko allerdings noch die Grenzen von vor dem Texanischen Unabhängigkeitskrieg (1835-1836) und dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg (1846-1848) – der Südwesten der heutigen USA gehört den Südländern.

Nun wäre eine solche Werbung überall auf der Welt eine sagenhaft dumme Idee. Der interessierte Leser mag sich überlegen, wie die Franzosen auf eine Karte reagieren würden, in der die Hälfte des Landes wie vor dem Hundertjährigen Krieg noch zu England gehören würde. Wegen der Debatte über die illegale Einwanderung von Millionen von Mexikanern in die USA sind die Amerikaner im Moment aber ganz besonders dünnhäutig.

Wütende Photoshopper haben entsprechend Parodien mit der Sowjetunion [JPG], Finnland, Texas [JPG], Palästina [JPG] und, wohl unvermeidlich, dem Dritten Reich [JPG] erstellt. Die streitbare Bloggerin Michelle Malkin spricht von der reconquista ad, der Wiedereroberungs-Werbung. Die Debatte erreichte die Medien, führte zu Boykotten und (natürlich) Streit bei der Wikipedia.

Absolut entschuldigte sich nach einiger Zeit:

This particular ad, which ran in Mexico, was based upon historical perspectives and was created with a Mexican sensibility. In no way was this meant to offend or disparage, nor does it advocate an altering of borders, nor does it lend support to any anti-American sentiment, nor does it reflect immigration issues.

Das war der erste Anlauf, der in den USA als „nun stellt euch mal nicht so an“ interpretiert wurde. Nach einer weiteren Runde des Wutgeheuls dämmerte es Absolut, dass sie nachlegen mussten. Das dürfte ihnen nicht leicht gefallen sein, denn in Mexiko stieß die Werbung auf massiven Zuspruch, wie Werbefachleute bezeugen (Hervorhebung hinzugefügt):

Mexicans talk about how the Americans stole their land, so this is their way of reclaiming it. It’s very relevant and the Mexicans will love the idea.

„Geklaut“ ist nicht das Wort, das die meisten Amerikaner für den Vorgang benutzen würden. Den Indianern, denen wurde oft das Land geklaut. Aber den Mexikanern? Die haben den Krieg angefangen und die Deppen in Washington haben nach dem Sieg noch für das Land bezahlt! Die Mexikaner sind nur sauer, dass selbst die Texaner sie besiegt haben.

Denn die Texaner waren fast zehn Jahre lang unabhängig, einer der Gründe für ihr übersteigertes Selbstwertgefühl ihre unerschütterliche Selbstsicherheit. Bereits unter spanischer Herrschaft wurde Moses Austin die Genehmigung erteilt, auf dem Gebiet eine amerikanische Kolonie zu errichten. Nach der Unabhängigkeit Mexikos 1821 wurden die Abkommen erneuert. Bis 1836 lebten 50.000 Amerikaner und 3.500 Mexikaner in Texas. Das konnte nicht gut gehen.

Tat es auch nicht. In dieser Zeit machte sich Antonio López de Santa Anna (mal wieder) zum Präsidenten von Mexiko, erklärte die Republik für aufgelöst und versuchte, das ganze Land zu zentralisieren – Schluss mit der lokalen Selbstverwaltung. Texas erklärte am 2. März 1836 prompt die Unabhängigkeit.

Das für uns wichtigste Ereignis der Texan Revolution war die Belagerung der Alamo, wo sich 150 Verteidiger verschanzten. Darunter waren der Trapper Davy Crockett und Jim Bowie, Erfinder des Bowie-Messers. Am Ende gewann die zehnfache mexikanische Übermacht. Frauen und Kinder durften gehen, der Rest wurde hingerichtet. Aber die Verteidiger verkauften sich so teuer, dass selbst Mexikaner wie Francisco Antonio Ruiz erklärten:

The gallantry of the few Texans who defended the Alamo was really wondered at by the Mexican army. Even the generals were astonished at their vigorous resistance, and how dearly victory was bought

Remember the Alamo! wurde zum Schlachtruf der Texaner. Bis heute findet man den Satz in vielen Anspielungen. Zusammen mit dem Massaker von Goliad stärkte er die texanische Entschlossenheit.

In der 18-minütigen Schlacht von San Jacinto wurde Santa Anna schließlich besiegt und gefangengenommen und musste am 14. Mai 1836 die Verträge von Velasco unterzeichnen. Dort wurde – und das ist jetzt wichtig – der Rio Grande als Grenze festgelegt.

Hier fängt der Streit an. Die Mexikaner sagten, Santa Anna habe nur unterschrieben, weil man ihn sonst erschossen hätte. Eine Entscheidungshilfe, sagten die Texaner. Verloren ist verloren. Mexiko erkannte die Verträge nicht an und bestand darauf, dass der weiter nördlich gelegene Fluss Nueces die „historische“ Grenze von Texas sei (was den Indianern neu war). Und ohnehin werde man das Gebiet bei nächster Gelegenheit zurückerobern.

Viele Texaner waren sofort für einen Beitritt zu den USA, aber in Washington zögerte man. In Texas gab es die Sklaverei, was das Gleichgewicht unter den Bundesstaaten gestört hätte, und allen war klar, dass die Annektierung Krieg mit Mexiko bedeuten würde. Nur: Großbritannien und Frankreich bändelten mit Texas an. Schlimmer noch, die europäischen Kolonialmächte schienen Interesse an Kalifornien zu haben.

Der Kongress bot Texas schließlich die Aufnahme in die USA an, die am 29. Dezember 1845 vollzogen wurde. Der frisch gewählte Präsident James K. Polk bot seinerseits Mexiko 25 Millionen Dollar für Kalifornien an, fünf Millionen Dollar für das riesige Gebiet „Neu-Mexiko“ und weitere fünf Millionen Dollar, um das alberne Gerede über den Nueces zu beenden. Mexikos Präsident José Joaquin de Herrera empfing den US-Gesandten nicht einmal, aber das war egal, denn sein General Mariano Paredes putschte. Der ließ Polk wissen, dass die Amis gerade einen Krieg riskierten.

Na, wenn das so ist, dachte sich Polk.

Er schickte Soldaten unter dem späteren Präsidenten Zachary Taylor an den Rio Grande, um die texanische Grenze zu schützen. Für Mexiko war das ein aggressiver Akt, denn aus ihrer Sicht war das ihr Staatsgebiet. Es kam zwischen den beiden Flüssen zu einem Gefecht zwischen 2.000 Mexikanern und etwa 70 US-Soldaten, von denen 16 getötet wurden. Da! sagte Polk dem Kongress. Da! Die Mexikaner haben amerikanisches Blut auf amerikanischem Boden vergossen! Die Abgeordneten sahen das genauso und erklärten Mexiko den Krieg.

Der Verlauf ist schnell zusammengefasst: Mexiko wurde in Grund und Boden gestampft. Der Populär-Historiker H.W. Crocker spricht von einem military holiday [1]. Die mexikanischen Truppen unter Santa Anna – inzwischen mal wieder Präsident – wurden bis Mexiko-Stadt zurückgedrängt. Die Amerikaner nahmen die Festung Chapultepec ein, die Halls of Montezuma, wie sie in der Hymne der Marines genannt werden. Dort waren die letzten Verteidiger sechs Kadetten, die bis heute in ihrer Heimat als die los Niños Héroes gefeiert werden.

(Einige Mexikaner und viele US-Hispanics feiern eine andere mexikanische militärische Heldentat, den Sieg über die Franzosen am Cinco de Mayo. Nach dem Beginn des Bürgerkriegs waren die USA nicht in der Lage, die Monroe Doctrine durchzusetzen. Napoleon III. nutzte das für eine Invasion (1861-1867). Die Schlacht von Pueblo am 5. Mai 1862 gewannen die Mexikaner. Man stelle sich vor, die Deutschen würden jeden Sieg über die Franzosen so feiern.)

Zurück zum Krieg gegen die USA: Im Frieden von Guadalupe Hidalgo vom 2. Februar 1848 wurde der Rio Grande endgültig als Grenze festgelegt. Die USA erhielten (mit Texas) 1,4 Millionen Quadratkilometer Gebiet [GIF] dazu, was etwa die Fläche der Mongolei entspricht und 55 Prozent des mexikanischen Staatsgebiets waren. Mexiko bekam 15 Millionen Dollar.

Im Westen und Süden der USA war man begeistert von dem Krieg und seinem Ausgang. Polk gehörte zu den Vertretern des Manifest Destiny, dem Glaube an die göttliche Aufgabe, die Freiheit durch den ganzen Kontinent zu tragen. Das passte ja gut.

Kritiker fanden dagegen, dass den Mexikanern übel mitgespielt worden war. Und die nördlichen Staaten waren absolut nicht glücklich darüber, dass Gebiete ins Land geholt worden waren, die zu Sklavenstaaten werden könnten – der Bürgerkrieg warf seine Schatten voraus. Tatsächlich standen in Mexiko amerikanische Soldaten Schulter an Schulter, die sich später im Civil War gegenseitig töten sollten.

Festzuhalten ist, dass die USA nicht Mexiko als Ganzes behalten haben. Auch später nach dem Krieg gegen Spanien 1898 machte man keine Anstalten, sich die Philippinen für immer einzuverleiben – für die man trotzdem 20 Millionen Dollar zahlte – oder gar Kuba (Puerto Rico bekam einen Zwitterstatus). Erstaunlich viele Deutsche wissen das nicht und machen sich daher nicht klar, dass der Vorwurf des „Imperialismus“ bei den USA immer nur im übertragenen Sinne gemeint ist. Was richtiger Imperialismus bedeutet, haben Großbritannien, Frankreich und Spanien vorgemacht.

Und damit hätten wir eine neue Werbung für Absolut: Die USA erweitert um Mexiko, die Philippinen und Kuba – vielleicht sogar noch um Kanada (bitte ohne Quebec). Wie viele Leute man damit sauer machen könnte!

[1] Don’t Tread On Me. A 400-Year History of America at War. H.W. Crocker, Crown Forum New York, 2006.

(Danke an DKS für den Hinweis auf die Werbung)

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