Archive for August, 2007

ZEUGS Die Todesstrafe in Texas, Indianer gegen die Männerbewegung und die Privatsphäre

August 31, 2007

Wenn dieser Eintrag später kommt als üblich, liegt es nicht daran, dass dieser Autor vor Resident Evil 4 auf der Wii versackt (wobei: diese nutzlose Präsidententochter nervt, sie hätte ruhig etwas Zeit mit gewissen Lobbyisten verbringen können). Nein, das Problem der zwei Rechner wurde gelöst. Der gute Freund MLJ hat Unison empfohlen, und jetzt wird mit einem einzigen Befehl alles zwischen iBook und iMac synchronisiert – E-Mail, Texte, Musik, Bilder, Kalender, Bookmarks, Adressbücher. Die Lobeshymnen auf das Open-Source-Programm sind berechtigt, und wer sich mit zwei Computern herumschlägt, sollte sich Unison anschauen. Danke an MLJ für den Produktivitätsschub.

  • Zur Todesstrafe: Der texanische Gouverneur Rick Perry hat auf die Forderung der EU [PDF] nach einem Stopp der Hinrichtungen in seinem Bundesstaat geantwortet. Man beachte: Die EU verlangt ein Vorgehen der Regierung und der Gerichte, während Perry auf den Bürgerwillen verweist – genau der Unterschied, den wir beschrieben hatten.
  • Zur Direktwahl: Vor dem Bericht von General Petraeus zum Irak-Krieg rufen Befürworter und Gegner eines fortgesetzten Einsatzes ihre Unterstützer auf, sich bei den Kongressabgeordneten Gehör zu verschaffen:

    If you are calling a Senator who is not from your state, say „I am a veteran of the Iraq War [or insert relevant experience] who served with [insert unit] in [insert location] from [insert dates]. I am a member of Vets for Freedom and I’m calling to tell Senator [name] that I oppose MoveOn.org’s attempts to undermine the mission in Iraq and to remind the Senator what the ‚cost of defeat‘ in Iraq would be. […].“

    Das ganze geht im 21. Jahrhundert natürlich auch per Video [YouTube], hier gezielt gegen den Demokratischen Abgeordneten Briad Baird aus Washington, weil er seine Meinung zum Irak-Krieg geändert hat. Auf die Abgeordneten persönlich wird Druck ausgeübt, nicht auf die Parteien. Werden diese Aufrufe befolgt? Bei der Debatte um ein neues Einwanderungsgesetz brach die Telefonzentrale des Kongresses zusammen.

  • Zu den Indianern: Als Einstimmung auf einen Eintrag zur Kultur hier eine Kriegserklärung der Lakota („Sioux“) von 1993 gegen die Leute, die ihren Glauben im Rahmen von New-Age-Ritualen, Neopaganismus und, kein Witz, der „Männerbewegung“ missbrauchen.
  • Zum Schweinkram: Zu American Psycho gibt es auch eine Geschichte aus Deutschland, wo die Übersetzung 1991 auf den Markt kam. Denn vier Jahre später (!) beschloss die BPjM plötzlich, das Buch doch zu indizieren. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch brauchte bis 2001, um vor Gericht wieder den freien Verkauf durchzusetzen. Das ist ein Beispiel für die wirtschaftliche Bedeutung der unterschiedlichen Gesetze, die wir bei unserer Diskussion aus Platzgründen ganz ausgeklammert hatten.
  • Zum Gesundheitssystem: Ein Grund, warum viele US-Bürger einer zentralen, staatlichen Gesundheitsvorsorge skeptisch gegenüberstehen, ist das abschreckende Beispiel Kanadas. Durch die Medien beider Staaten ging jetzt ein Fall, wo die Kanadierin Karen Jepp für die Geburt ihrer Vierlinge Autumn, Brooke, Calissa und Dahlia ins 520 Kilometer entfernte Great Falls, Montana (Bevölkerung 57.000) geflogen werden musste, weil das kanadische Gesundheitssystem mit ihr überfordert war. Jepp war in diesem Jahr die bislang fünfte Frau allein aus Calgary (Bevölkerung 1.000.000), die zur Geburt in die USA musste. So etwas macht keinen guten Eindruck. Und ja, die ABCD-Mädels sind jetzt Bürgerinnen der USA.
  • Zur Privatsphäre: Das Blog German Joys weist auf eine Analyse [PDF] des Justizprofessors James Q. Whitman aus Yale über die unterschiedlichen Vorstellungen von Amerikanern und Europäern hin, was mit „privat“ gemeint ist:

    What kind of „privacy“ is there, Americans will ask, in countries where people prance around naked out of doors while allowing the state to keep tabs on their whereabouts, convict them on the basis of unfair police investigations, peer into their living rooms, tap their phones, and even dictate what names they can give to their babies?

    Den letzten Punkt hatten wir bereits angesprochen. Wir werden versuchen, weitere Punkt aus dem Text in etwas weniger juralastiger Form aufzugreifen.

  • Zu Frisörmelodien: Der interessierte Leser PM fühlte sich weniger an Roger Rabbit als an Bruce Lees Game of Death erinnert, wo die Melodie auch vorkomme. Eine direkte Verbindung zu Buffy hat dieser Autor leider, leider immer noch nicht gefunden …

Die Wii und wee-wee

August 27, 2007

Die Schönste Germanin, die auch die beste Ehefrau der Welt ist, hat diesem Autor eine Wii geschenkt. Wie einfühlsam und verständnisvoll sie ist, sieht man daran, dass sie bis nach dem Fantasy Filmfest gewartet hat, damit gar nicht erst die Versuchung aufkommt, zugunsten von Resident Evil 4 auf Perlen der anspruchsvollen modernen Filmkultur wie Rise: The Blood Hunter zu verzichten. Außerdem braucht man zwei Erwachsene, um Kind Nummer Eins wieder die Wiimote zu entreißen.

Wir erwähnen das hier, weil der Name „Wii“ in den englischsprachigen Ländern zu endlosen dummen Witzen geführt hat. Ausgesprochen, so Nintendo, wird es wie we, also „wir“, und ein solches Gefühl soll dabei auch aufkommen. Allerdings erinnert der gedoppelte Vokal eher an wee, was nicht nur „klein“ heißt: Als wee-wee ist es das Kinderwort für Harn, wie man es aus dem Ruf Daddy, I have to go wee-wee real bad kennt, den der angelsächsische Nachwuchs traditionell sofort nach dem Verlassen der Einfahrt von sich gibt.

Die Marketing-Abteilung von Nintendo wird vermutlich knallhart einkalkuliert haben, dass sich Sprüche wie With Wii, urine the game wie ein Lauffeuer verbreiten würden. Angesichts der Verkaufszahlen der Konsole dürfte ihr dazu ein Satz einfallen, der dem viel verspotteten US-Entertainer Liberace zugesprochen wird. Auf die Frage, wie er alle die gehässigen Bemerkungen ertragen könne, soll er geantwortet haben: I laugh all the way to the bank.

Free Speech, Teil 5: Schweinkram

August 23, 2007

As far as I’m aware I’m not specifically banned anywhere in the USA, and am rather depressed about it. Surely some of you guys can do something?

— Terry Pratchett, zitiert nach L-Space

Weder in den USA noch in Deutschland ist der Schutz der freien Rede dazu gedacht, die Verbreitung von Pornografie, von Obszönem, zu fördern. Da gibt es aber ein Problem: Wenn der Staat aus politischen Gründen etwas verbieten will oder ihm ein gewisses Gesellschaftsbild nicht passt, ist der Schutz der Jugend oder der Moral eine dankbare Entschuldigung. Wer wann wo die Grenze ziehen darf, ist damit ziemlich wichtig.

Die USA haben sich wegen der zentralen Bedeutung der Meinungsfreiheit in ihrer Verfassung lange schwer mit dieser Frage getan. Am Anfang des 20. Jahrhunderts trat die US-Post als Zensor auf, in dem sie sich weigerte, Material auszuliefern, das sie als lewd, indecent, filthy, or obscene einstufte. Betroffen war unter anderem Ulyssus von James Joyce. Berüchtigt ist auch der Spruch des Obersten Richters Potter Stewart von 1964 aus Jacobellis vs Ohio zur Frage, was obszön ist: „I know it when I see it.“

Es dauerte bis 1973, bis der Supreme Court in Miller vs California die bis heute gültige Regelung festlegte. Auch dort heißt es ausdrücklich, dass obscene material nicht den Schutz des First Amendment genießt. Damit etwas verboten werden kann, müssen aber nach dem „Miller Test“ drei Bedingungen erfüllt werden [Übersetzung dieses Autors]:

  1. Ein Durchschnittsbürger muss nach den gegenwärtigen Maßstäben der Gemeinde (community) befinden, dass das Werk als Ganzes betrachtet die Lüsternheit anspricht.
  2. Das Werk muss in einer offenkundig anstößigen Weise ein sexuelles Verhalten zeigen oder beschreiben, das in einem entsprechenden Gesetz des Bundesstaates eindeutig definiert wird.
  3. Das Werk als Ganzes darf keinen ernsthaften literarischen, künstlerischen, politischen oder wissenschaftlichen Wert haben.

Der erste Teil markiert den wichtigsten Unterschied zu Deutschland: Etwaige Einschränkungen finden in den USA nicht auf Bundesebene statt, sondern lokal. Damit wird verhindert, dass der kleinste gemeinsame Nenner vorherrscht, ein zensurgeiler Teil des Landes also dem Rest der Republik diktieren kann, was er zu gucken und zu lesen hat. Dabei gab das Gericht absichtlich keine Definition von community vor – das kann je nach Fall der Bundesstaat, ein Landkreis, eine Stadt oder nur ein Straßenblock sein.

So viel Flexibilität treibt Deutsche wieder zum Wahnsinn. Wird das Land damit nicht zu einem Flickenteppich von Regel und Verboten? Gut möglich, schrieb der Supreme Court, denn nicht jede Gemeinde hat die gleichen Werte:

It is neither realistic nor constitutionally sound to read the First Amendment as requiring that the people of Maine or Mississippi accept public depiction of conduct found tolerable in Las Vegas, or New York City. […] People in different States vary in their tastes and attitudes, and this diversity is not to be strangled by the absolutism of imposed uniformity.

Für die zweite Bedingung des Miller-Tests ist ausdrücklich ein durchschnittlicher Bürger der betroffenen Gemeinde der Maßstab. So wird verhindert, dass ein paar Freaks der Mehrheit ihre Sicht der Welt aufzwingen können. Da über eine Indizierung ohnehin ein Gericht – also Geschworene – und nicht eine Behörde entscheidet, ergibt sich das im Idealfall von selbst.

Im zweiten Punkt ist auch festgelegt, dass die Gemeinde nicht selbst die Kriterien bestimmen kann, sondern sich auf die Definitionen ihres Bundesstaates berufen muss. Damit wird die Macht der Gemeinde wieder begrenzt.

Die dritte Bedingung sorgt schließlich dafür, dass ein Werk nicht wegen einer einzigen Passage verboten werden kann: Alles muss Schweinkram sein, von vorne bis hinten.

(Die berühmten Kurzgeschichten in der US-Ausgabe von Playboy von Autoren wie Gabriel García Márquez, Norman Mailer, Ian Fleming, John Steinbeck oder Nadine Gordimer gab es lange vor dem Miller-Test. Ja, einige Leute lesen sie sogar.)

An diesem Punkt ist dann nicht mehr die Meinung eines Bürgers der Gemeinde gefragt, sondern nach Pope vs Illinois eine möglichst objektive Einschätzung:

Only the first and second prongs of the Miller test […] should be decided with reference to „contemporary community standards.“ The ideas that a work represents need not obtain majority approval to merit protection, and the value of that work does not vary from community to community based on the degree of local acceptance it has won.

Wenn alle drei Bedingungen des Miller-Tests erfüllt sind, kann das Werk für obszön befunden werden und genießt damit nicht mehr den Schutz des First Amendment.

Das alles heißt natürlich nicht, dass es nicht trotzdem Zensurversuche gibt. Die Stadt Indianapolis erließ 1984 ein Gesetz, in dem Pornografie als graphic sexually explicit subordination of women definiert wurde: Alle Werke sollten darunter fallen, in denen Frauen als Sexualobjekte (unter anderem) Schmerz oder Misshandlung zu genießen schienen, erobert, besessen oder be- oder ausgenutzt werden. In einem Nachsatz erfasste die Stadt dann auch Darstellungen von Männern, Kindern und Transexuellen.

(Wem das irgendwie bekannt vorkommt: Rita Süssmuth, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und andere deutsche Politikerinnen unternahmen 1998 mit Alice Schwarzer einen ähnlichen Gesetzesvorstoß. Grundlage sollte der Schutz der Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes sein. Es blieb beim Versuch.)

Indianapolis tat dabei einfach so, als gäbe es Miller vs California nicht. Entsprechend schlug zuerst ein Bundesbezirksgericht und dann ein Bundesberufungsgericht der Stadt das Gesetz um die Ohren. Der Staat, so die Gerichte, habe nicht das Recht, eine Sicht der Welt vorzuschreiben:

The Constitution forbids the state to declare one perspective right and silence opponents.

Die Richter nannten auch Werke, die nach dem Gesetz hätten verboten werden könnten: Die Ilias, die Odyssee und Lysistrata aus der Antike oder Filme wie Body Double und Barbarella. Da sage noch jemand, Juristen hätten keine breite Bildung.

Der Miller-Test hat sich seit mehr als drei Jahrzehnte bewährt. Seine Stärke liegt darin, dass er den Gemeinden zu einem gewissen Grad die Möglichkeit gibt, Dinge zu unterbinden, die ihren Mitgliedern völlig gegen den Strich gehen. Gleichzeitig schützt er die Meinungsfreiheit als Ganzes, denn die Hürden für ein Verbot sind hoch und wer den Schweinkram dann trotzdem haben will, setzt sich ins Auto und fährt in die nächste Stadt.

Oder geht ins Internet. Überhaupt hat das Netz den Test in gewisser Weise hinfällig gemacht: Wie wir gesehen haben, gilt dort der volle Schutz des First Amendment. Heute kann man sich Pornos direkt ins Haus holen (also, das hat man diesem Autor zumindest gesagt).

Wichtig ist in diesem Zusammenhang: In den USA kann der Besitz von obszönen Material nicht verboten werden. Dies hielt das Oberste Gericht 1969 in Stanley vs Georgia fest:

If the First Amendment means anything, it means that a State has no business telling a man, sitting alone in his own house, what books he may read or what films he may watch. Our whole constitutional heritage rebels at the thought of giving government the power to control men’s minds.

Die Ausnahme ist Kinderpornografie, bei der nicht nur die Herstellung (New York vs Ferber, 1982) sondern auch der Besitz (Osborne vs Ohio, 1990) verboten ist. Das Gericht befand, dass Kinderpornografie immer Kindesmissbrauch sei.

Allerdings ist damit der Besitz von computergenerierter Kinderpornografie wieder zulässig: Dabei werde schließlich keinem Kind Schaden zugefügt, bestätigte das Gericht 2002 in Ashcroft vs Free Speech Coalition. Das gleiche gilt für Darstellungen, in denen Erwachsene so tun, als wären sie Kinder. Sonst könnten schließlich so Filme wie American Beauty verboten werden. Schreiben kann man dazu ohnehin, was man will.

Denn wenn es um geschriebenen Schweinkram geht, ist der Staat heute machtlos. Um die prominente US-Erotikautorin Susie Bright zu zitieren (Hervorhebung im Original) [1]:

Here’s what is outlawed in American writing: nothing. You can’t say that about […] every year in U.S. history, but thanks to a battle fought by many artists and activists, we have absolute protection when it comes to freedom of speech.

Bright weist allerdings darauf hin, dass es den Verlagen natürlich frei steht zu entscheiden, ob sie ein Buch auflegen oder nicht. Das gibt es durchaus: Obwohl sie in den USA keine Indizierung zu befürchten hatten, wollten weder Penguin noch Simon & Schuster etwas mit Bret Easton Ellis‘ Roman American Psycho zu tun haben. Schließlich veröffentlichte Vintage 1991 das Buch.

Tatsächlich kommt der Druck auf Verlage, Bibliotheken und Buchläden in den USA wenn überhaupt von „besorgten“ Bürgern, die dieses oder jenes aus dem Regal genommen haben wollen. Die American Library Association registrierte 2006 landesweit 546 solcher Forderungen (challenges), geht aber von einer bis fünf Mal so hohen Zahl von nicht gemeldeten Fällen aus. Den Betroffenen steht es frei, auf diese „Kundenwünsche“ mit einem ausgestreckten Mittelfinger zu reagieren, die Gegenseite droht ihrerseits gerne mit Boykottaufrufen. Mit dem Staat hat das alles nichts mehr zu tun.

Wir schließen damit diese Serie ab und behandeln die verbliebenen Fragen in einzelnen Einträgen. Die Grundzüge dürften hoffentlich abgedeckt geworden sein – insbesondere, warum Amerikaner und Deutsche bei dem Thema wohl nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden.

([1] Bright, Susie How to Write a Dirty Story, Simon & Schuster, New York 2002)

META: Blogpause bis Donnerstag, 23. Aug 2007

August 15, 2007

Es ist wieder soweit: Das Fantasy Filmfest ist in der Stadt. Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres habe ich mir dafür Urlaub genommen (ja, ich habe mir Urlaub genommen, um ins Kino zu gehen; nein, ich finde das nicht seltsam). Der Plan sieht vor, an den Vormittagen mit den Kindern zu spielen und an den Nachmittagen ins Kino zu gehen. Am Rechner werde ich nur zwei Dinge tun: In der S-Bahn endlich den Berg an E-Mails abbauen und jeden Mac-Benutzer den ich kenne vor iMovie 08 warnen.

Den nächsten Eintrag dürfte es am Donnerstag, dem 23. August geben. Vermutlich wird das der letzte Teil der Serie über die Meinungsfreiheit sein und um Obszönitäten gehen.

ZEUGS: Tote Spanier, Presse-Rankings und Bitch-Monsters of Death

August 14, 2007
  • Zu den Indianern: Es gab vor De Sotos Florida-Expedition eine, die wir aus Platzgründen ausgelassen haben: Der gescheiterte Versuch von Pánfilo de Narváez, dort 1528 eine Kolonie zu gründen. Etwa 300 Männer brachen ins Landesinnere auf, schlugen sich drei Monate lang mit den Indianern herum und flüchteten dann auf selbstgebauten Booten aus Florida in Richtung Mexiko. Nur 80 kamen bis Ost-Texas, wo sie endgültig Schiffbruch erlitten. Am Ende überlebten fünf Männer: Einer – Juan Ortiz – wurde in Florida von Indianern versklavt und etwa zehn Jahre später von De Soto gerettet; vier schleppten sich zu Fuß quer durch Mexiko und erreichten 1536 spanisches Gebiet. Einer von ihnen, Álvar Núñez Cabeza de Vaca, schrieb einen einflussreichen Bericht.
  • Zu Bits: Die Ehrenwerten Eltern weisen darauf hin, dass die Geldeinheit in der Schule mit einem Schlachtruf vermittelt wird:

    Two bits, four bits, six bits, a dollar
    All for [school name]
    Stand up and holler!

    Programmierer haben eine eigene Variante.

  • Zur Pressefreiheit: Freedom House hat sein jährliches Presse-Ranking veröffentlicht. Die USA und Deutschland liegen beide auf Rang 16 [PDF]. An letzter Stelle ist Nordkorea, dessen staatliche Nachrichtenagentur KCNA übrigens auch auf Englisch die Heldentaten von Kim Jong Il meldet.
  • Zur Presse allgemein: Das Pew Research Center berichtet über die Einstellungen der Amerikaner zu den Medien. Unter anderem wird dort festgehalten, dass mehr Bürger der Einschätzung des Militärs zur Situation im Irak trauen als die der Presse. Die Zustimmungsquote der Nordkoreaner zu ihren Medien konnte dieser Autor nicht finden, aber vermutlich liegt sie bei mehr als 99 Prozent.
  • Zu Geld im Wahlkampf: Wer wissen will, wie viel Geld Hillary und Co gesammelt haben, braucht ohnehin die Presse nicht – auch nicht die nordkoreanische – sondern kann selbst bei Websites wie Open Secrets gucken.
  • Zu Lieder über die USA: Wir haben ein modernes Stück vergessen, „American Tune“ von Paul Simon:

    We come on the ship they call the Mayflower
    We come on the ship that sailed the Moon
    We come in the age’s most uncertain hours
    And sing an American tune

    Im Gegensatz zu den anderen Liedern weiß allerdings niemand wirklich, was Simon uns damit sagen will.

  • Zum Händedruck: Wer sehen will, wie wenig sich Angelsachsen die Hand geben, sollte sich bei Buffy die erste Folge von Staffel 4 anschauen: Alle (bis auf Xander) gehen zur Uni und lernen viele, viele neue Leute kennen, aber ohne einen einzigen Händedruck. Für Germanen ist das fast schon schmerzhaft. In der Folge erklärt auch Professor Walsh, wann Studenten sie mit dem Vornamen anreden dürfen:

    Those of you who fall under my good graces will come to know me as Maggie. Those that don’t will come to know me by the name my T.A.s use and think I don’t know about: the evil bitch-monster of death.

    Wer glaubt, der zweite Teil sei ein Witz, kennt die Serie nicht gut genug. Ein T.A. ist ein teaching assistant, also studentische Hilfskraft.

  • Zu American Football: Natürlich gibt es auch im neuen Heft von Staffel 8 etwas zu erklären: Die Zahl 52 auf dem Trikot des jungen, gut gebauten Mannes, der für einen gewissen Schlüpfer verantwortlich ist. Nun sind die Nummern beim Football streng den Positionen zugeordnet. Die 52 könnte bei der offense ein lineman sein, aber das sind die massiv gebauten Leute, die nicht zwingend Knackärsche haben. Schauen wir uns die defense an: Da gehört die Nummer 52 zu den linebackers. Das passt, denn die gelten als die athletischsten Spieler. Und auch im Büro sind sie sehr nützlich [YouTube].

Die Melodie der Rasur und des Haarschnitts

August 10, 2007

Bloggende Familienmitglieder sind eine Plage. Nicht genug, dass dieser Autor wegen seiner neuen, ganz besonders pflegeleichten Frisur den ganzen Tag die humorvollen Bemerkungen der Kollegen ertragen musste: Dank der Schönsten Germanin fragen nun auch diverse Online-Bekanntschaften nach, wie das denn nochmal genau mit dem abgerutschten Klipper war. Es ist alles halb so wild, wirklich. Sogar die Ohren sind noch ‚dran.

Anlässlich der Diskussion über Haare weisen wir auf eine kleine Melodie hin, die auch in Deutschland bekannt, aber hierzulande namenlos ist: Shave and a haircut, two bits.

Da da dadada – da da

Es gibt eine Variante mit einem Ton mehr, die man sich aber besser in in Notenform anschaut oder anhört [MIDI]. Eigentlich handelt es sich um ein Frage-und-Antwort-Spiel wie das bereits besprochene Mahna Mahna: Die ersten fünf (sechs) Töne – shave and a haircut – werden mit den letzten zwei – two bits – beantwortet. Einmal schneiden und rasieren bitte! Klar, kostet 25 Cent.

(Wieso sind „zwei Bit“ ein Vierteldollar? Hintergrund sind die spanischen Silbermünzen, die pieces of eight. Sie wurden in den britischen Kolonien als Geld benutzt, weil die Engländer als Merkantilisten ihr ganzes Bargeld im Mutterland horteten. Um Kleingeld zu haben, wurden die „Spanish dollars“ in acht Teile geschnitten, die bits. Bis heute wird two-bit als abwertendes Adjektiv benutzt: Spike lästert in der Buffy-Episode „Into the Woods“ zum Beispiel über eine „two-bit vampire trull“.)

Aus dem Preis kann der interessierte Leser schon schließen, dass die Melodie aus einer Zeit stammt, als der Dollar noch richtig etwas wert war. Sie wurde zuerst von Charles Hale 1899 in dem Lied „At a Darktown Cakewalk“ benutzt. Über die Jahre wurde sie in vielen weiteren Stücken eingebaut, darunter „Gee, Officer Krupke“ [MP3] in Leonard Bernsteins West Side Story. Viele Orchester spielen die Melodie zum Abschluss ihrer Vorführung.

Die Tonfolge kann man auch klopfen. Deutsche kennen das vermutlich am ehesten aus Who Framed Roger Rabbit. Dort weiß der Bösewicht Judge Doom: „No Toon can resist the old Shave-And-A-Haircut trick.“ Er klopft die ersten fünf Töne – nur die ersten fünf – und irgendwann kann Roger einfach nicht mehr und springt mit einem „Two bits!“ aus seinem Versteck.

Die englische Wikipedia sammelt weitere Anspielungen. Das sind nur einige: Man würde sehr viel Zeit brauchen, um alle aufzuzählen. So viel Zeit, dass man am Ende richtig lange Haare hätte …

Indianer, Teil 2: Totenzahlen

August 8, 2007

People would rather see our people as victims than see them as survivors. We see ourselves as survivors.

Wilma Mankiller, Principal Chief der Cherokee von 1985 bis 1995

Im Jahr 1492 fand Kolumbus die Neue Welt. Die Menschen dort nannte er aus bekannten Gründen „Indianer“. Schätzungsweise 60 Millionen Ureinwohner lebten damals in Nord- und Südamerika.

Bis zum Jahr 1600 waren mehr als 90 Prozent von ihnen tot [1][2].

Jede Geschichte der Indianer muss mit dieser Tragödie anfangen. Alles, was später kommt, geschieht vor dem Hintergrund eines der größten Massensterben der Menschheit: Zivilisationen wurden ausgelöscht, Landstriche entvölkert, Nationen zerstört. Als Kolumbus Hispaniola erreichte, gab es dort acht Millionen Indianer, bis 1535 keinen einzigen mehr. In Mexiko fiel die Bevölkerung von ursprünglich 20 Millionen bis 1618 auf 1,6 Millionen [2]. Ähnliche Statistiken gibt es für Australien und den Pazifischen Raum, denn wo immer die Europäer auftauchten, brachten sie den Tod mit: Die Seuchen der Alten Welt.

Der Verlauf der Epidemien in Süd- und Mittelamerika ist am besten bekannt. Ein einziger Spanier [PDF] brachte die Pocken nach Mexiko. Von dort breiteten sie sich nach Süden aus und erreichten 1525 die Inkas in Peru – sieben Jahre, bevor die Spanier selbst dort ankamen. Mindestens die Hälfte der Bevölkerung starb, darunter Kaiser Huayna Capac. Um die Nachfolge brach ein Bürgerkrieg aus und Francisco Pizarro eroberte mit 168 Männern ein Reich, das größer war als Spanien und Italien zusammen. Es folgten weitere Epidemien: Typhus 1546, Influenza und die Pocken 1558, nochmal die Pocken 1589, Diphtherie 1614 und Masern 1618.

Die Spanier waren entsetzt – zum Teil allerdings nur, weil ihnen die Arbeitskräfte wegstarben. Sie verstanden genauso wenig wie die Indianer die Mechanismen der Krankheit, die erst im 19. Jahrhundert entschlüsselt wurden. Da es undenkbar war, dass ein spanischer Edelmann selbst körperlich arbeitete, wurden Sklaven aus Afrika importiert, die aber wiederum noch mehr Seuchen einschleppten.

Auffällig ist, wie einseitig das Desaster ablief. Es gab keine Krankheiten aus der Neuen Welt, die sich so dramatisch auf die Alte auswirkten. Weder Kolumbus noch die Konquistadoren brachten irgendwas nach Hause zurück, das 90 Prozent der Spanier tötete oder große Teile Portugals entvölkerte.

Heute wissen wir, warum. Europa, Asien und Nordafrika bilden, wenn es um die Ausbreitung von Krankheiten geht, einen gemeinsamen Raum. Wenn der Kaiser von China nieste, lief auch dem König von Spanien früher oder später die Nase. Die Pest, die als „Schwarzer Tod“ im 14. Jahrhundert ein Viertel Europas auslöschte, hatte ihren Ursprung in den asiatischen Steppen und wurde über die Handelsrouten nach Westen getragen [2].

Nord- und Südamerika bestehen dagegen aus vielen kleinen immunologischen Inseln. Die Bergketten verlaufen von Nord nach Süd und zerschneiden die gemäßigten Zonen. Die Wasserwege liegen falsch, Wüsten versperrten den Weg. Vor der Ankunft der Europäer gab es keine Pferde oder Kühe als Lasttiere – der Indianer an sich war ein Fußgänger. Wenn eine Seuche ausbrach, blieb sie lokal begrenzt.

Wichtiger noch: Es gab schlicht nicht so viele Krankheiten, denn auch Schafe, Hühner, Kühe und Schweine stammen aus der Alten Welt. Die letzten zwei Tierarten sind als Reservoir für Seuchen wie Influenza besonders wichtig, die regelmäßig über Europa und Asien hinwegfegten.

Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts bestand die Bevölkerung in der Alten Welt aus Menschen, deren Vorfahren Welle nach Welle von Seuchen überlebt und eine gewisse Grund- oder Teilimmunität gegen viele von ihnen entwickelt hatten. Die Indianer nicht. Sie hatten diesen Krankheiten nichts entgegenzusetzen.

Über die Situation in Nordamerika, um zum Thema dieses Blogs zu kommen, wissen wir sehr viel weniger. Die Region um Neuengland wurde zwar früh und häufig besucht, denn die Dorsch-Fanggründe vor Neufundland sind einige der Besten der Welt. Aber tiefer ins Inland ging man erstmal nicht [PDF]:

New England, the Europeans saw, was thickly settled and well defended. In 1605 and 1606 Samuel de Champlain visited Cape Cod, hoping to establish a French base. He abandoned the idea. Too many people already lived there.

Auch im Südosten der heutigen USA scheiterten frühe Besiedlungsversuche der Spanier an den Indianern. Die Kolonie von Juan Ponce de León auf „La Florida“ (die er für eine Insel hielt) wurde 1521 von ihnen überrannt [3]. Die Gegend war dicht besiedelt genug, dass die Spanier dort Sklaven fingen.

Derartige frühe Beobachtungen stehen im Gegensatz zu dem Nordamerika, wie es spätere Siedler vorfanden, die endlosen, leeren, unberührten Wälder, durch die vereinzelte Indianerbanden wie verirrte Geister zu streifen schienen. Wo immer die Briten an der Ostküste hinkamen, fanden sie „jungfräuliches Land“, wie ein Geschenk Gottes, das nur auf sie gewartet hatte. Oder wie es Kansas besingt:

No man rules this land, no human hand has soiled this paradise
Waiting patiently, so much to see, so rich in Earth’s delights

Die klassische Darstellung von Nordamerika als praktisch leer wurde erst in den 70er Jahren ernsthaft angezweifelt. Man ging bis dahin von bis zu zwei Millionen Menschen aus. Eine einflussreiche Schätzung von James Mooney kam 1910 auf eine Gesamtbevölkerung von 1,2 Millionen – weniger als Hamburg heute. Nordamerika, so dachte man, war nicht nur so gut wie leer, als die englischen Siedler ankamen. Es war schon immer leer gewesen.

Inzwischen wird angenommen, dass die ursprüngliche Bevölkerung wesentlich größer war. Wie viel größer, ist umstritten. Zwar sind sich alle weiter einig, dass Nordamerika weniger dicht besiedelt war als Mittel- und Südamerika, aber 20 Millionen gelten jetzt als durchaus realistisch. Denn heute glaubt man, dass auch hier mehr als 90 Prozent der Ureinwohner durch Seuchen getötet wurden – aber dass im Gegensatz zu Lateinamerika niemand da war, um das Sterben festzuhalten.

Fast niemand. Eine der wichtigsten Figuren dieser Zeit ist der Spanier Hernando de Soto. Als 14-Jähriger nahm er an der Unterjochung Panamas teil, wurde bei der Kolonisation Nicaraguas reich und eroberte mit Pizarro Peru. Er wollte aber ein eigenes Reich, eins wie das der Azteken oder Inkas. Und so holte er sich von der spanischen Krone die Erlaubnis, eine Hochkultur in La Florida zu suchen und zu erobern [3].

Von 1539 bis 1543 stampfte De Soto mit 600 Männern sowie hunderten Pferden, Kampfhunden und Schweinen durch den südöstlichen Quadranten der USA. Er terrorisierte die Indianer von Florida bis hoch nach Tennessee und im Westen bis nach Texas (die genaue Route ist umstritten). Sie sahen unter anderem als erste Europäer den Mississippi.

Das Gebiet war damals von der Mississippi Culture besiedelt, die aus einzelnen, kleinen, untereinander verfeindeten Fürstentümern (chiefdoms) bestand. Die Indianer dort bauten Erdpyramiden wie die bei Cahokia und errichteten Dinge wie „Woodhenge“, ein aus Holz gebautes Observatorium im Sinne von Stonehenge in England.

Was sie allerdings nicht hatten, war Gold oder Silber. Die Expedition war ein Fehlschlag. De Soto starb unterwegs an Fieber. Etwa 300 Überlebende schleppten sich schließlich nach vier Jahren flussabwärts zurück in das europäische Siedlungsgebiet der Karibik.

Ihre Berichte sind nicht nur die ersten umfangreichen Darstellungen der Mississippi-Kultur, es sind auch die letzten. Schon De Soto fand im heutigen South Carolina Landstriche, die durch Krankheiten entvölkert worden waren [2][3]:

Within a league to a league and a half around Talimeco there were large uninhabited towns grown up in vegetation. These towns looked as if they had been abandoned for a long time. The people of Cofitachequi said they had been struck by a pestilence two years earlier […].

Spätestens nach De Soto war nichts mehr wie früher. Welcher Anteil von ihm mitgeschleppte Seuchen gehabt haben könnten, ist nicht klar – neuerdings werden seine Schweine als Quelle diskutiert, denn einige entkamen und andere wurden von den Indianern gestohlen. Auch so brachte er genug Verderben über die Region, als er das Mais der Indianer stahl und in Schlachten wie die von Mabila bis zu 3.000 ihrer Krieger tötete. Die Spanier wurden zwar ihrerseits oft genug unprovoziert angegriffen und die Indianer hatten selbst kein Problem damit, ihr Wort zu brechen. Aber bei ihm hatte die Gewalt System und kam mit stahlbewehrten Lanzen auf Pferden daher. Nach De Soto stürzte die ursprüngliche Kultur in sich zusammen.

Als Tristán de Luna y Arellano dann von 1559 bis 1561 erfolglos versuchte, eine Kolonie an der Golfküste zu errichten, fand er dort bereits zerfallene Dörfer und eine Kultur im Niedergang. Der Franzose Réné-Robert Cavelier, Sieur de la Salle, reiste 1682 als erster Europäer wieder durch die Regionen, in denen De Soto gewesen war. Über Strecken von 200 Meilen fand er keinen Menschen [PDF] mehr. Bis dahin gab es auch andere Seuchenquellen: Die Spanier gründeten 1565 in Florida St. Augustine, die älteste bis heute bewohnte Siedlung in Nordamerika.

Die überlebenden Mississippi-Indianer wurden von anderen Stämmen aufgenommen oder schlossen sich zu neuen zusammen – man spricht von coalescent societies. Die ganze Region fiel auf eine niedrigere Kulturstufe zurück, die Gesellschaftsstruktur zerfiel wie die Hügelbauten, das Wissen über die eigene Geschichte ging verloren [3]:

By the late 18th century, the Southeastern Indians hat not only forgotten who had built the mounds, they had no memory of a social order based on hierarchy and inherited authority.

Die späteren Europäer konnten nicht glauben, dass diese vergleichsweise primitiven Stämme die Erbauer der Hügel gewesen sein sollten und erfanden bizarre Erklärungen wie die, dass verlorene Gruppen von Walisern, Wikingern oder Hindus sie errichtet hätten. Lange Zeit taten sich auch moderne Archäologen schwer, die Mississippi-Reiche als fortgeschrittene Kulturen zu erkennen, so dramatisch war der Absturz.

Wir wissen heute: Das Massensterben durch die Seuchen war nicht nur in Südamerika die Voraussetzung für die Machtübernahme durch die Europäer. Auch die weiße Besiedlung von Nordamerika wäre ohne die Epidemien unmöglich gewesen. Damit wird die Gründung der Kolonie der Pilgrim Fathers 1620 zu einem besonders symbolischen Akt: Plymouth entstand an der Stelle, an dem einmal ein Dorf der Patuxet gewesen war. Der Stamm wurde durch eine Seuche ausgelöscht, die britische Schiffe an die Küste gebracht hatten [4].

Wie ging es mit der Bevölkerung der Indianer in den USA weiter? Wir werden im Verlauf der Serie darauf zurückkommen, daher nur in Kurzform: Die großen Nationen an der Ostküste erholten sich nach den ersten Seuchenwellen zu einem gewissen Grad wieder, wie man an den Cherokee sehen kann.

Wegen der besagten immunologischen Inseln brachen jedes Mal Epidemien aus, wenn ein Stamm Kontakt mit der Siedlungsgrenze bekam. Noch 1837 wurden die Mandan auf den Great Plains durch die Pocken ausgelöscht. In einem Dorf allein fiel die Bevölkerung innerhalb weniger Wochen von 2.000 auf 40 Bewohner. Die Überlebenden schlossen sich auch hier anderen Stämmen an [2][4].

Zu den Seuchen kamen Kriege – besonders am Anfang zwischen den Indianern, die ihre alten Konflikte mit neuen, europäischen Waffen und auf Pferden austrugen. Die 40 Millionen Europäer, die von 1607 bis 1914 nach Nordamerika strömten, nutzten alle fairen und unfairen Mittel, um an Land zu kommen und trieben – in Zeitraffer gesehen – die Indianer vor sich her. Es gab einige Kriege und endlose Scharmützel, angezettelt von beiden Seiten, die sich die Indianer aber weniger leisten konnten als die Weißen.

Die Liste der Gründe für den weiteren Bevölkerungsrückgang ist lang. Die Choctaw verloren auf der Zwangsumsiedlung ins heutige Oklahama mindestens 1.600 Menschen, ein Zehntel ihres Stammes, die Cherokee auf dem bereits besprochenen Trail of Tears 4.000 Mitglieder [2]. Im Bürgerkrieg ging die Bevölkerung der Creek um ein Viertel zurück [4]. Mangelernährung, Kindersterblichkeit und Alkoholismus taten ein Übriges. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts begann die Zahl der Indianer wieder stark anzusteigen.

Der Vorwurf eines geplanten und gezielten Genozids – das „die Amis waren doch selbst viel schlimmer“ der Neo-Nazis – ist dabei nicht haltbar. Es gab nie ein Programm der US-Regierung mit dem Ziel, die Indianer auszulöschen. Ihr Sterben – wie bei den Umsiedlungen – wurde allerdings zum Teil hingenommen. In einigen Fällen trug die Behandlung der Indianer durch die Weißen vor Ort Züge eines Völkermordes. Dazu zählt das Verhalten der russischen Felljäger in Alaska, wo von 25.000 Aleuten weniger als 4.000 überlebten [4].

Am schwersten traf es die Indianer in Kalifornien während des Goldrausches, deren Zahl von 300.000 vor Kolumbus bis 1900 auf 16.000 zusammenschrumpfte:

According to Alvin M. Josephy in his book 500 Nations, the history of the California tribes „was as close to genocide as any tribal people had faced, or would face, on the North American continent.“

Wir werden auf die Vorgänge in Kalifornien gesondert eingehen.

(Die Begriffe genocide (Völkermord) und sogar holocaust für das Massensterben durch die Seuchen werden auch von Autoren benutzt, denen klar ist, dass sie wegen des fehlenden Vorsatzes eigentlich nicht passen. Allerdings: Wenn innerhalb von 100 Jahren auf zwei Kontinenten neun von zehn Menschen sterben und ganze Kulturen ausgelöscht werden, ist das eine Katastrophe, für die es ein eigenes Wort geben sollte. Bislang gibt es so ein Wort nicht.)

Das Jahr 1900 spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte der Ureinwohner in den USA, denn das gilt als der Nadir ihrer Gesamtbevölkerung: Es ist (vergleichsweise) gesichert, dass damals im ganzen Land noch 250.000 Indianer lebten. Wie bei jeder solchen Statistik verstecken sich dahinter sehr gegenläufige Entwicklungen: Die Navajo erlebten einen Bevölkerungsboom von höchstens 10.000 im Jahr 1868 auf 70.000 Mitglieder bis 1947 (jetzt 250.000) [4]. Die Zahl der US-Bürger, die nach eigenen Angaben [PDF] ausschließlich Indianer als Vorfahren haben, lag 2000 bei 2,4 Millionen.

Damit können wir am Ende eine grobe Faustregel für die Bevölkerung der Indianer in Nordamerika aufstellen: Vielleicht 20 Millionen vor Kolumbus, bis zu zwei Millionen zu Beginn der ersten Siedlungswelle, in den USA dann 1900 etwa 250.000 und heute knapp 2,5 Millionen.

Die beiden ersten Angaben, die Zahl der Toten durch die Seuchen, sind grobe und umstrittene Schätzungen. Aber sie vermitteln wenigstens eine Vorstellung von dem Ausmaß der Tragödie, die die Europäer unwissentlich mit sich brachten [PDF]:

Whether one million or 10 million or 100 million died […] the pall of sorrow that engulfed the hemisphere was immeasurable. Languages, prayers, hopes, habits, and dreams — entire ways of life hissed away like steam.

([1] Brogan, Hugh The Penguin History of the USA, Second Edition 1999. [2] Diamond, Jared Guns, Germs, and Steel, Vintage, London 1998 [3] Hudson, Charles Knights of Spain, Warriors of the Sun University of Georgia Press, Athens 1997 [4] Debo, Angie A History of the Indians of the United States, University of Oklahoma Press, Seventh Printing 1983)

Die wirkliche „erste“ Atombombe

August 6, 2007

Wir verschieben doch nochmal die Indianer, denn heute ist der 62. Jahrestag des Atombomben-Abwurfs auf Hiroshima. An diesem Tag begeht überall auf der Welt ein kleiner, aber nerviger Prozentsatz von Journalisten den Fehler, von der „ersten Atombombe“ zu sprechen – nicht die „erste abgeworfene Atombombe“ oder „erste im Krieg eingesetzte Atombombe“, sondern die erste Atombombe überhaupt. Das ist leider falsch und wird durch die alljährliche Wiederholung auch nicht richtiger.

Die erste Atombombe der Welt wurde am 16. Juli 1945 als Teil des Manhattan-Projekts auf dem Trinity Site (daher Trinity test) in New Mexico gezündet. Sie hatte den Spitznamen „The Gadget“ (das Gerät):

I could hear a rumble and the Earth shook. I saw a big fireball rising in the sky — it looked like it was pouring gasoline out there, all the way around.

In diesem Zusammenhang wird meist auf Strophe 32 von Kapitel 11 der Bhagavad Gita verwiesen, die der zivile Projektleiter J. Robert Oppenheimer später in einem Interview zitierte:

Now, I am become Death, the destroyer of worlds.

(„I am become“ ist poetisches Englisch) Das will Oppenheimer nach dem Test gedacht haben. Tatsächlich gesagt hat er allerdings:

It worked!

Das wird sehr viel seltener zitiert.

Noch in 190 Kilometern Entfernung barsten Fensterscheiben, die Erschütterungen waren 250 Kilometer weit zu spüren. Den (damals wenigen) Bewohnern von New Mexico wurde gesagt, dass ein Munitionslager explodiert sei. Berühmt ist das Foto, auf dem Oppenheimer neben General Leslie Groves vor den Überresten des Testturms steht, der Boden bedeckt mit radioaktivem Glas, dem „Trinitite“.

Bei dem Versuch wurde zwar wertvolles Plutonium verbraucht, aber die Logik dahinter lautete etwa so: Wenn man mitten im Krieg ein (auf heutige Beträge gerechnet) 20-Milliarden-Dollar-Projekt am Kongress vorbei betreibt, das noch halb in den Bereich der Science Fiction gehört, dann sollte man sich sehr, sehr sicher sein, dass es auch funktioniert.

Die Trinity Site gehört heute zum White Sands Missile Range und kann von Touristen besucht werden. Das Militär hat eine eigene FAQ zu „Gerüchten, Fehlinformationen und Lügen“ über das Gelände. Dort werden Fälschungen auf eBay behandelt und angeblich durch Strahlung getötete Indianer. Wichtig ist auch der Hinweis, dass man die sehr regelmäßigen, kugelförmigen Gebilde auf dem Boden vielleicht besser nicht aufheben sollte, denn es handelt sich um Kaninchenkacke.

Der bizarrste Eintrag dürfte aber den Glauben betreffen, dass die Bombe alles Böse an diesem Ort weggebrannt hat:

This has to be some sort of New Age Magic rumor. We have heard it said that the energy released in the Trinity Site explosion, since it was the first one, created a bubble over the site which is void of evil. Supposedly when you are at ground zero, you have a feeling of calm and you wish goodwill toward other visitors.

Wir können festhalten: Ruhe und Heiterkeit dürften heute kaum die bestimmenden Gefühle in Hiroshima sein.

ZEUGS: Bücher, Flaggen und Dinge für den Arsch

August 2, 2007

Es fällt auf, dass die ZEUGS-Einträge immer länger werden. Da wir im Moment ohnehin eine Phase mit längeren Texten haben, legen wir jetzt eine Grenze von sieben oder acht Punkten für diese Einträge fest.

  • Zu Büchern: Es gibt natürlich sehr viel mehr zum amerikanischen Büchermarkt zu sagen, was wir in Stücken nachholen werden. Universitätsbuchhandlung wären zum Beispiel ein Thema: Die Bücher dort sind oft von der Mehrwertsteuer befreit (in Großbritannien werden Bücher offenbar gar nicht versteuert) und sie waren zum Teil ein Symbol für die Macht der Studenten.
  • Zu Steuern, wenn wir schon davon reden: Die Souveränität der Indianer-Nationen bedeutet auch, dass die Bundesstaaten keine Einkommensteuer von den Stammesmitgliedern erheben dürfen, wenn sie nur dort arbeiten: States are without power to tax the reservation income of tribal members domiciled on the tribe’s reservation. Der Anlass, das hier zu erwähnen, ist dass der nächste Eintrag endlich die Indianer-Serie fortsetzen wird.
  • Zur Flagge: Das Pew-Institut hat eine Umfrage zu Patriotismus in den USA veröffentlicht. Wie jedes Jahr seit 1987 bezeichnen sich 90 Prozent der Amerikaner als „sehr patriotisch“. Nur (also, „nur“) 62 Prozent der Befragten haben zu Hause die Flagge ausgestellt – im Jahr nach den Anschlägen vom 11. September 2001 lag der Anteil bei 75 Prozent. Für Deutsche vielleicht unerwartet: Die Neigung zu den Stars and Stripes ist bei Gebildeten höher als bei Ungebildeten.
  • Zur Präsidentenwahl: Spiegel ONLINE ist aufgefallen, dass jede Menge Spinner Präsident der USA werden wollen (und es theoretisch könnten). Wir fügen hinzu, dass viele Amerikaner nach 230 Jahren jetzt ganz andere Kandidaten haben wollen – und dass die nächste Generation auch schon ihre Leute in Stellung bringt.
  • Zu Vornamen und andere Sitten im täglichen Umgang: Die „Süddeutsche Zeitung“ hat einen Artikel des Iren James McCabe im Netz über Small Talk, das böse Wort no und die phrasal verbs, die bei Buffy ja abgehackt waren. In dem Text kommt der wunderbare Begriff des Repetitive Handshake Syndrome vor, den dieser Autor leider nicht kannte, als er seinen Eintrag schrieb.
  • Zur Amtssprache: Wir hatten erwähnt, dass es auf Bundesebene so etwas in den USA nicht gibt. Auf einer Karte können wir sehen, welche Bundesstaaten entsprechende Gesetze haben. Die Site gehört zu einer Organisation, die an die unifying role of the English language in the United States glaubt. Gegründet wurde sie von einem Senator mit dem guten amerikanischen Namen Samuel Ichiye Hayakawa.
  • Zur Religion und Staat: Erstmals wurde das Eröffnungsgebet im Senat von einem Hindu gesprochen, was leider nicht glatt lief: Radikale Christen störten die Zerimonie. Der Link enthält das Video dazu.
  • Zur Meinungsfreiheit: Was kann man in den USA noch alles mit Prominenten machen? Man kann sie sich – nun, ehrlich gesagt hat dieser Autor nicht ganz verstanden, was man mit diesen Geräten eigentlich machen soll und insbesondere nicht, warum eins davon im Dunkeln leuchtet (nicht unbedingt der Link für jeden Arbeitsplatz).

(Danke an DKS für den Link zum University of Michigan bookstore)