Archive for August, 2011

ZEUGS: Slang in London, Latein in der Matrix und Humor in Deutschland

August 30, 2011

Von den (wieder viel zu wenigen) Filmen, die dieser Autor beim Fantasy Filmfest gesehen hat, war Attack the Block der beste: Eine Londoner Jugendgang kämpft gegen einfallende Außerirdische. Was uns zum ersten Punkt bringt.

  • Zu Unruhen in London: Der interessierte Leser in Deutschland mag die Diskussion über die Rolle eines jamaikanischen Dialekts bei der Gewalt verpasst haben. Ausgangspunkt scheint dieser Satz des Historikers David Starkey zu sein (Hervorhebung hinzugefügt):

    A particular sort of violent destructive, nihilistic gangster culture has become the fashion and black and white boys and girls operate in this language together. This language which is wholly false, which is this Jamaican patois that has been intruded in England and that is why so many of us have this sense of literally of a foreign country.

    Im Language Log wird nun argumentiert, dass dieses Jamaican überhaupt nicht existiert, sondern eine Erfindung von Journalisten ist.

    Less than a dozen borrowed slang terms do not make a new language, a new patois, a new „ghetto grammar“, or even a new vein of slang.

    Wir erwähnen die Diskussion hier um deutlich zu machen, dass der Slang von US-Rappern nicht überall dominiert. Was der Grund ist, warum dieser Autor in Attack the Block stellenweise so verwirrt war wie seine deutschen Sitznachbarn.

  • Zu Pseudolatein im Englischen, während wir beim Language Log sind: Dort wird der Fall eines Mannes besprochen, der sich cemel dosce auf den Rücken tätowieren ließ, bekanntlich Latein für know thyself — „kenne dich selbst“. Äh, Moment mal, werden die Lateiner jetzt sagen. War das nicht nosce te ipsum oder so etwas? Jup, eigentlich schon. Der LL-Eintrag beschreibt wunderbar, wie die völlig falsche Variante cemel dosce aus dem schwer zu lesenden (und wohl ohnehin falschen) Schriftzug Temet Nosce in The Matrix hervorging und jetzt im Internet die Runde macht:

    [B]ecause of the Gothic lettering, someone misread the sign … the ornate T became a C, the [other t became l], and the N became a D.

    Trockener Kommentar aus der ursprünglichen Diskussion über die Tätowierung: Caveat emptor.

  • Zu Verschwörungstheorien: Der BBC listet die gängigsten zehn zu den Anschlägen vom 11. September 2001 auf und zeigt, wie sie sich seitdem entwickelt haben. An den Kommentaren könnte man verzweifeln.
  • Zur Nationalhymne und zum Bürgerkrieg: Das schon besprochene Civil War-Blog der New York Times beschreibt den gescheiterten Versuch eines Komitees, schon 1861 eine Nationalhymne zu finden.

    „Yankee Doodle“ was „childish,“ they said. „Hail, Columbia“ was „pretentious.“ The „Star-Spangled Banner“ was just too hard to sing — indeed, according to the committee’s spokesman, Richard Grant White, they found it „to be almost useless.“

    Das „nutzlose“ Lied schaffte es schließlich 1931.

  • Zu Spock: Der BBC befasst sich mit dem Einfluss des Arztes auf die Erziehung und seine politische Arbeit:

    Explaining why he became more political, he said: „It isn’t enough to bring up children happy and secure, you need to provide a decent world for them. And this is why I have expanded my horizon.“

    Die Gesamtauflage seines Ratgebers wird auch hier auf 50 Millionen geschätzt.

  • Zu Religion: Weitere Belege dafür, dass die Amerikaner immer unreligiöser werden, diesmal von dem Theologieprofessor Mark Chaves von der Duke University:

    While a perception exists that Americans have become more religious of late, data suggest the opposite, says Chaves. Between 1973 and 2008, the percentage of people with great confidence in religious leaders declined from 35 percent to less than 25 percent

    Chaves bietet eine Erklärung, warum trotzdem der Eindruck vorherrscht, die Amerikaner seien religiöser geworden: Der Aufstieg der megachurches (umformatiert).

    A 2,000-person church is far more visible than ten 200-person churches

    Auch hier finden wir die Flunkerei bei den Kirchenbesuchen.

  • Zum Ende der Welt: Der interessierte Leser SSt liefert etwas Hintergrund zu dem Begriff Rapture:

    Beim sogenannten Dispensionalismus, also der Erwartung einer Zeit vor dem jüngsten Gericht, in der die wahren Christen bereits im Himmel sind, handelt es sich um eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die vor allem im Umfeld höchst bibeltreuer Freikirchen Nordamerikas Fuß gefasst hat. Das Ereignis ist weder in der lutherischen noch in der katholischen Dogmatik vorgesehen und dürfte daher für 98,5% der hiesigen Christen einen typisch amerikanischen naiv-bibeltreuen Hokuspokus darstellen.

    Na, die werden sich am 21. Oktober 2011 aber umgucken.

  • Zu free refills: Der interessierte Leser FL wundert sich, warum er in amerikanischen Restaurants immer erstmal Wasser bekommt, automatisch, kostenlos. Den Grund dafür scheinen selbst die Amerikaner nicht zu kennen — aber sie sind schockiert, wenn sie es in Deutschland nicht kriegen.

    If water is desired, it is almost always bottled Mineralwasser (sparkling mineral water), not out of the tap. (If you don’t want the fizzy stuff, ask for „stilles Wasser.“ [shtil-es vahs-ser]) Most Americans who somehow learned the German phrase for „tap water, please“ („Leitungswasser bitte.“) rarely use the phrase a second time. The puzzled look of disgust on the server’s face is usually enough to discourage all but the most emboldened from any second attempt.

    Oops — vielleicht hätten wir nicht verraten sollen, dass es sich meist um Leitungswasser handelt … Das [shtil-es vahs-ser] im obigen Zitat ist ein weiteres Beispiel für die angelsächsische Aussprache-Hilfe, die wir bei George W. Bush und den Dinosauriern besprochen hatten.

  • Zu Humor, wenn wir bei Deutschen sind: In dem Wirtschaftsblog Kantoos Economics wird versucht, den Angelsachsen Loriot zu erklären.

    There are a few ingredients to German humor of the Loriot type: you need an audience that knows and has witnessed too many times before how people take themselves and their procedures and rules a little too seriously. In other words, they need to be German.

    Dieser Autor kann bestätigen, dass Loriots Humor bei Amerikanern hauptsächlich Verständnislosigkeit hervorruft. Wieso jetzt braun-grün-grau? [YouTube].

  • Zu Kansas: Der Bundesstaat hat den Ruf, so flach „wie ein Pfannkuchen“ zu sein (flat as a pancake). Zu unrecht, wie es sich herausstellt: Kansas ist noch flacher.

    The pancake was a surprisingly spiky 0.957, with both sharp spikes and an overall „lump“ in the center. Kansas, majestic prairie state that it was, left that pancake, metaphorically, in the dirt. It was an ultra-flat 0.9997, designated by the scientists as „damn flat.“

    Die Einwohner von Kansas nehmen es mit Humor. Natürlich kommt der Bericht nicht ohne eine Anspielung auf The Wizard of Oz aus.

Barcraft und andere Bemerkungen zu Computerspielern in den USA

August 26, 2011

Angesichts der jüngsten Kontroverse über deutsche Computerspieler trennen wir uns heute schweren Herzens vom Turret-Chor [YouTube], duschen uns mal zur Abwechslung (rasieren ist allerdings zu viel verlangt) und schauen uns kurz einige Entwicklungen in den USA an.

Denn gerade hat das Wall Street Journal von einem neuen Trend in amerikanischen Sportsbars berichtet: E-Sport-Übertragungen, sprich, Computerspiele als Live-Übertragung (umformatiert):

This summer, Starcraft II has become the newest barroom spectator sport. Fans organize so-called Barcraft events, taking over pubs and bistros from Honolulu to Florida and switching big-screen TV sets to Internet broadcasts of professional game matches happening often thousands of miles away.

Die Alteingesessenen sind wohl erstmal etwas verwirrt, was allerdings auch die Reaktion dieses Autors auf seinen ersten Zerg-Sturm beschreibt. Ausgangspunkt des Trends soll das Chao Bistro in Seattle sein, dessen Besitzer – selbst ein Computerspiel-Fan – das Experiment wagte. Er und seine Kollegen in anderen Bars sind begeistert: Eine ganze neue Kundengruppe gebe es jetzt.

Wenn Journalisten von Trends sprechen, muss man bekanntlich vorsichtig sein, besonders wenn die Recherche in Bars stattfand. Aber Google gibt uns unter „Barcraft“ genug Treffer, dass wir die Entwicklung nicht von der Hand weisen können. Auch die Kanadier ziehen mit, natürlich:

How exactly does a game like Starcraft stack up against hockey? „As a viewer, you can see both player’s strategies unfold,“ describes [Organisatorin Lorin] Halpert, „There is a real tension as you watch the players attempt to discover the others plan.“

Das gelobte Land der Profispieler ist dabei offenbar Südkorea. Das wirft für uns die Frage auf, ob es sich um einen Fall von koreanischem oder amerikanischem Kulturimperialismus handeln wird, wenn die Welle wieder unweigerlich nach Deutschland schwappt.

Aber Moment, ist das wirklich so unweigerlich?

Es gibt schließlich Unterschiede zwischen der spielenden Bevölkerung in Deutschland und den USA. Der Bundesverband Interaktive Software (BIU) hat vor einigen Tagen eine Studie veröffentlicht, demzufolge der durchschnittliche deutsche Spieler 31 Jahre alt ist. Vergleicht man die entsprechenden Zahlen der Entertainment Software Association (ESA), sehen wir, dass das Durchschnittsalter in den USA merklich höher ist:

The average gamer is 37 years old and has been playing for 12 years.

In der höchsten Altersgruppe — „über 50“ bei beiden Untersuchungen — wird der Unterschied krasser. Für die USA gilt (Hervorhebung hinzugefügt):

In 2011, 29 percent of Americans over the age of 50 play video games, an increase from nine percent in 1999.

In Deutschland beträgt der Anteil laut BIU dagegen gerade einmal 14 Prozent.

Dieser Autor würde diese Zahlen als Beleg für eine Vermutung sehen wollen: Dass die Kontroverse in Deutschland über Computerspiele wesentlich stärker die Züge eines Generationen-Konflikts hat als entsprechende Diskussionen in den USA. Auf der einen Seite stehen dabei vereinfacht gesagt die Politiker (und Redakteure) im meist etwas höheren Alter, die Chell nicht von Princess Peach Toadstool unterscheiden können und Computerspieler für eine soziale Randgruppe halten. Auf der anderen stehen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, für die es eine normale Freizeitbeschäftigung ist.

Wirklich belegen kann dieser Autor die These allerdings nicht. Die Diskussion wird schnell kompliziert, weil auch allgemeine kulturelle Unterschiede eine Rolle spielen: Da die meisten Blockbuster-Spiele aus den USA stammen, nehmen die Macher in Sachen Jugendschutz mehr Rücksicht auf das bereits besprochene Nacktheits-Tabu der Amerikaner bei Kindern statt auf die deutsche Gewalt-Phobie.

Auch die juristische Lage ist völlig anders: Im Juni erklärte das Supreme Court ein kalifornisches Verkaufsverbot von gewalttätigen Computerspielen an Kinder mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit für verfassungswidrig:

„As a means of assisting concerned parents it (the law) is seriously overinclusive because it abridges the First Amendment rights of young people whose parents (and aunts and uncles) think violent video games are a harmless pastime,“ wrote Justice Antonin Scalia for the majority.

Sprich, hier haben die Eltern zu entscheiden, nicht der Staat. Dagegen ist die Zensur in Deutschland auch im europäischen Vergleich ungewöhnlich streng — aus Call of Duty: Black Ops wurde selbst das Rolling-Stones-Lied „Sympathy for the Devil“ entfernt — und reicht bis zur Beschlagnahme von Spielen. Das bringt uns zurück zu der allgemeinen Frage der Zensur.

Was die unterschiedliche Altersverteilung bewirkt und ob sie eine Ursache oder eine Folge des unterschiedlichen Umgangs ist, ist damit nicht mehr leicht zu erkennen. Viel zu schwierig für auf jeden Fall für einen Eintrag, der eigentlich kurz sein sollte.

Fassen wir zusammen: In einigen amerikanischen Sportsbars kann man offenbar an gewissen Tagen eher Hydralisken als Home Runs sehen. Wenn ein Amerikaner sich bei einem Online-Spiel „Gray Fox“ nennt, muss das nicht eine Anspielung auf Metal Gear sein. Und wir werden wohl einfach abwarten müssen, ob in deutschen Sportsbars irgendwann auch Starcraft 2 übertragen wird.

META: Blogpause bis Freitag, dem 26. August 2011

August 16, 2011

Es ist wieder so weit: Wir machen wegen des Fantasy Filmfestes dieses Blog für einige Tage dicht, und zwar bis

Freitag, dem 26. August 2011

Der nächste Eintrag wird ziemlich sicher ein Zeugs sein.

(Für die Leute, die neu hier sind und es zum ersten Mal mitmachen: Ja, ich gehe — wenn andere Verpflichtungen es zulassen — für eine Woche ins Kino. Ja, ich nehme mir dafür Urlaub. Nein, das muss man nicht verstehen. Nein, auch die Schönste Germanin versteht das nicht, sondern macht nur ihr tapferstes Ich-liebe-meinen-Mann-Gesicht und zählt die Tage. Und ja, es ist ungeheuer entspannend. Urlaub ist ein Geisteszustand.)

Von Sarah Palin und Katzenkämpfen im Schlamm

August 13, 2011

Unser heutiger Eintrag handelt von einem Begriff, den die meisten interessierten Leser kennen werden. Zur Sicherheit und aus aktuellem Anlass gehen wir trotzdem darauf ein. Außerdem brauchen wir nach all diesen ernsten Einträgen wieder etwas Populärkultur mit fragwürdigen Links zu sinnlosen Tätigkeiten. Sonst bekommt dieses Blog womöglich noch einen Ruf als Intellektuellen-Schanze oder so etwas.

Ausgangspunkt ist ein Satz der US-Republikanerin Sarah Palin, die ehemalige Gouverneurin von Alaska, Ex-Kandidatin für die Vize-Präsidentschaft und Vielleicht-Kandidatin für die Wahl 2012. In Iowa wurde sie auf ein etwaiges Duell zwischen sich und der konservativen Präsidentschaftskandidatin Michele Bachmann angesprochen. Palin zeigte sich empört über die Andeutung, dass die Frauen sofort aufeinander losgehen würden:

Just because there may happen to be two women in the race, that they would, you know, as Michele had put it once, get in the mud and engage in some catfighting — that’s ridiculous.

Mehr noch, dies sei schlicht sexistisch.

Wir gehen davon aus, dass alle interessierten Leser wissen, was mit mud (wrestling) — Schlammcatchen — gemeint ist –

(Wenn nicht: Eine Google-Suche dazu ist schon wegen der Unterschiede zwischen der englischen und der deutschen Wikipedia [Stand: August 2011] unterhaltsam: Die deutsche Version sieht es in den 30ern aufkommen und beschreibt es als „anstößig“ wegen der „eindeutigen erotischen Konnotation“, während es in der englischen Darstellung in den 80ern populär wurde und als entertaining spectacle gilt.)

– und reden heute über den catfight.

Gemeint ist damit ein Kampf zwischen Frauen, der allerdings auf eine bestimmte Art geführt wird: Kratzen, beißen, Haare ziehen, kreischen und zwar alles unter zerstörerischer Einwirkung auf die ohnehin spärliche Bekleidung. Wie TV Tropes ausführlich darlegt, ist ein brutaler Kampf zwischen Frauen dagegen eigentlich kein Catfight, sondern nur ein brutaler Kampf zwischen Frauen. Die Grenzen sind allerdings je nach Genre fließend, wie man am Film Bitch Slap sieht.

Auch in der Flimmerkiste ist der Katzenkampf ein Klischee. Bei Buffy gibt es daher keine Catfights, sondern nur eine Parodie: In der Folge „The Initiative“ hauen sich Xander (männlich) und Harmony (weiblich) wie, nun, Mädchen. Demonstrativ in Zeitlupe, versteht sich. In How I Met Your Mother macht sich der „Bro Code“-Artikel 28 über die Standard-Reaktion der umstehenden Männer bei Film-Catfights lustig:

A Bro must, in timely manner, communicate the possibility of fisticuffs between two humans of the female variety (henceforth „girl fight“), in an effort to make possible and probable that another Bro or Bros can partake in observation …

(Fisticuffs ist ein alter Begriff für den Faustkampf ohne Handschuhe.) Entsprechend gilt: Pass the popcorn! Gesalzen, natürlich.

Wie kann man das noch mehr auf die Spitze treiben? Indem man ein Catfight mit Schlammcatchen verbindet, wie es ein Werbespot von Miller Lite [YouTube] vormacht. Womit wir endgültig den Tiefpunkt dieses Eintrags erreicht haben. Leider. Versprochen.

Die Übersetzung von catfight ist schwierig. Auf den ersten Blick scheint zwar „Zicken-Kampf“ zu passen. Allerdings sagt catfight nichts darüber aus, ob die Frauen zickig, nett oder sogar rechtschaffend gut sind, wie diese Expertendiskussion über Buffy vs. Xena zeigt. Alles im Sinne von „kämpfen wie Mädchen“ wie oben bei Xander und Harmony führt ebenfalls meist in die Irre, denn Catfights finden eher zwischen Frauen statt, schon allein um die wardrobe malfunctions zu ermöglichen. Das abfällige hits like a girl und entsprechende Anspielungen gibt es auch im Englischen.

Vermutlich kommt die Frage eh zu spät: Auch die deutsche Wikipedia hat einfach „Catfight“ übernommen. Hier scheint Columbia trotz ihres unpraktischen Bettlakens gegenüber Germania die Oberhand gewonnen zu haben.

Nach diesem eingehenden Studium der Fachliteratur würde dieser Autor am Ende argumentieren wollen, dass bei der Frage zu Palin vs. Bachmann eigentlich ein ganz anderes Klischee vorliegt: Das des Designated Girl Fight. Dabei werden Gruppenkämpfe so ausgetragen, dass Männer gegen Männer und Frauen gegen Frauen kämpfen, denn die Frauen sind ja viel zu schwach (außer Buffy). Palin will davon nichts wissen:

If I’m going to duke it out, I’m going to duke it out with the guys.

Ah, Politik. Pass the popcorn!

Zu den Plünderungen in London und den L.A. Riots

August 9, 2011

Die Krawalle in London erwischen diesen Autor etwas auf dem falschen Fuß. Zwar arbeitet er nach Blackout gerade an einem Eintrag zum Blitz, den Luftangriffen auf London im Zweiten Weltkrieg, die jetzt als Vergleich herangezogen werden. Aber der Text braucht noch einige Tage. Ohnehin fehlt wieder die Zeit, weil es wieder einer dieser Wochen ist – Schließzeit im Kindergarten, genauer gesagt.

Daher nur ein Hinweis auf einen Randaspekt der Geschichte: Die Plünderungen haben in den USA mal wieder die Diskussion über das Recht auf des Bürgers auf eine Waffe angeschoben.

Auf der einen Seite sehen sich die Befürworter einer großzügigen Auslegung des Second Amendment bestätigt. Ihr Argument: Die britische Polizei ist unfähig, dem Chaos Einhalt zu gebieten, die gesetzestreuen Bürger wurden von ihrer Regierung entwaffnet und als Folge brennt London jetzt lichterloh.

Die vielleicht griffigste Formulierung dieses Arguments stammt von dem Jura-Professor und InstaPundit-Autor Glenn Reynolds:

Unlike L.A., there are no Korean shopkeepers with AR-15s to help contain the looting.

(Die ArmaLite AR-15 ist die zivile Version des M-16 Sturmgewehrs.)

Der Vergleich mit den Krawallen von Los Angeles wird in den USA aus offensichtlichen Gründen häufiger herangezogen als der Blitz. Da die jüngeren Semester das nicht mehr kennen dürften, erklären wir das heute auch kurz.

Im April 1992 sprach eine kalifornische Jury vier weiße Polizisten des Vorwurfes frei, den Schwarzen Rodney King verprügelt zu haben, obwohl Videoaufnahmen [YouTube] einen anderen Eindruck machten. Das Urteil wurde allgemein mit Verwunderung aufgenommen, auch von Bürgermeister Tom Bradley und Präsident George Bush (der Vater, nicht der Sohn).

In Los Angeles kam es daraufhin zu sechstägigen Krawallen. Mehr als 50 Menschen starben, Tausende wurden verletzt und der Sachschaden betrug mehr als eine Milliarde Dollar. Am Ende musste die Nationalgarde einrücken. Ein Bundesgericht sprach zwei der Polizisten in einem getrennten Verfahren später schuldig.

Zu den Zielen der Plünderer gehörten insbesondere die Geschäfte koreanischer Einwanderer. Aus der Sicht einer damals 14-Jährigen:

[V]iolence was rampant in the stucco sprawl of the South-Central district, near Koreatown where her parents worked. And Jang’s ethnic group seemed to be a particular target. As she watched, the news featured vivid images of Korean shopkeepers defending their stores with shotguns and pistols.

Hier entluden sich Spannung zwischen Asiaten und Schwarzen:

„I think the black people are jealous of the Koreans,“ [Carl Rhyu] said, voicing a gut feeling that many Korean residents express privately but are too careful to state in public. „They’re lazy; we are working hard. They’re not making money; we are making money.“

Die koreanischen Einwanderer warfen der Polizei vor, sich verdrückt zu haben

„At that time, four police cars were there. Somebody started to shoot at us. The L.A.P.D. ran away in half a second. I never saw such a fast escape. I was pretty disappointed.“

– und nahmen die Sache selbst in die Hand. Wie man am Zitat von Reynolds sieht, sind diese Aufnahmen [YouTube] bis heute prägend.

(Sie lösten unter deutschen Journalisten auch heillose Verwirrung aus – Koreaner? Wieso Koreaner? – denn vor 20 Jahren herrschte in der Presse noch das Amerika-Bild einer weißen Mehrheit und einer schwarzen Minderheit vor. Das ist ein Grund, warum wir in diesem Blog immer wieder betonen, dass die Lage in Wirklichkeit viel komplizierter ist, besonders in Kalifornien.)

Zurück zur Diskussion über Waffengesetze. Der interessierte Leser wird sich die Antwort der Gegner jetzt denken können: In London ist bislang offenbar niemand ums Leben gekommen und das soll so bleiben; die Plünderer tragen auch keine Waffen; die Polizei hat noch andere Mittel zur Verfügung und überhaupt seien die Hintergründe nicht vergleichbar.

Wir steigen wie üblich an dieser Stelle aus und verweisen stattdessen auf einen ganz eindeutigen Unterschied zwischen Engländern und Amerikanern: Offenbar stellen sich die Briten selbst zur Plünderung ordentlich in eine Reihe.

Super 8 und der Mini-Bürgerkrieg zwischen Michigan und Ohio

August 6, 2011

(Dieser Eintrag enthält Einzelheiten aus dem Film Super 8, verrät jedoch keine wesentlichen Teile der Handlung.)

Der neue Spielberg-Abrams-Film Super 8 spielt in einer fiktiven Stadt im Bundesstaat Ohio. Dort drehen einige Kinder einen Film über Zombies (ein wunderbares Stück, das im Abspann komplett zu sehen ist) – ganz normales Verhalten für Jugendliche also. Und in einer Szene dieses Films-im-Film will der Zombie-Jäger seine Freundin an einen sicheren Ort schicken, genauer gesagt, in den benachbarten Bundesstaat Michigan. Natürlich lehnt sie das entsetzt ab.

Um diesen Witz zu verstehen muss man wissen, dass Ohio und Michigan sich etwa so gut verstehen wie Düsseldorf und Köln, Schalke- und Bayernfans, oder, um nicht um den Brei zu schleichen, Deutschland und die Niederlande. Heute macht sich das hauptsächlich bei Football-Spielen bemerkbar. Vor etwa 175 Jahren kam es aber zu einem Mini-Bürgerkrieg, dem Toledo War. Eine schlimme Sache – es gab sogar einen Verletzten!

Der interessierte Leser wird sich an die Bedeutung des Ohio-Tals erinnern, ein fruchtbares Gebiet, um das sich schon Großbritannien und Frankreich gestritten hatten. Nach der Unabhängigkeit wurden vom Kongress 1787 die Grenzen des Nordwest-Territoriums festgelegt. Aus dem Gebiet sollten mehrere Bundesstaaten entstehen, darunter Michigan und Ohio. Dabei wurde schon festgelegt, dass eine Grenze von drei der zukünftigen Staaten an einer Ost-West-Linie liegen sollte, die durch den südlichsten Punkt des Michigan-Sees verläuft.

Dumm nur, dass die Karten [JPG] damals falsch waren: Die Linie wurde zu weit südlich festgesetzt.

Das fiel auf, als es Anfang des 19. Jahrhunderts darum ging, die Grenzen des neuen Bundesstaats Ohio verbindlich festzulegen. Während die Regierung dort auf die im Vertrag festgeschriebene nördliche Grenze beharrte, wollte die Regierung des Michigan-Territoriums nichts davon wissen und bestand auf den südlichen Verlauf. Der Streifen dazwischen hatte eine Fläche von 1.200 Quadratkilometern, etwa halb so groß wie das Saarland.

Als Ohio 1802 Bundesstaat wurde, stand in der Landesverfassung die nördliche Grenze. Der Kongress benutzte für die Grenze des Territoriums Michigan dagegen die südliche. Es wurde geschimpft und geschrien und beide Seiten schickten Vermesser, die natürlich zu jeweils anderen Ergebnissen kamen:

It was not surprising that the two surveys resulted in two lines eight miles apart at Lake Erie and five miles apart at the Indiana border, with a total of 468 square miles in between.

Faktisch riss sich die Regierung des Territoriums Michigan das Gebiet unter den Nagel. Alles blieb mehr oder weniger ruhig – der zweite Krieg gegen England lenkte alle erstmal ab – bis Michigan im Dezember 1833 auch Bundesstaat werden wollte. Nix da, sagten die Kongress-Abgeordneten aus Ohio. Eins führte zum anderen, und 1835 rückten Milizen von Ohio und Michigan in die Region ein.

It is quite unnecessary to add that the inhabitants of both States were wild with excitement.

Es kam am 26. April 1835 zu einer „Schlacht“, dem Battle of Phillips Corners, bei der nur in die Luft geschossen wurde. Niemand wurde verletzt. Der Streit ging in den Parlamenten weiter, und weil wir es hier mit Amerikanern zu tun haben, verklagten sich natürlich alle gegenseitig.

Schließlich floss doch noch Blut, als der Vize-Sheriff Joseph Wood aus Michigan in Toledo Benjamin Stickney verhaften wollte. Stickneys Sohn Two (der wirkliche Name) verletzte Wood mit einem Messer. Der Beamte erholte sich.

Um die restliche Geschichte abzukürzen: Am Ende musste Michigan beigeben, der Toledo Strip ging an Ohio. Im Gegenzug wurde Michigan im Januar 1837 Bundesstaat. Als Entschädigung erhielt er die „Obere Halbinsel“, die Upper Peninsula auf der anderen Seite des Michigan-Sees. Mit 42.600 Quadratkilometern – etwas kleiner als Niedersachsen – war sie zwar größer als der Toledo Strip, galt aber als wertlose Wildnis. In einem Bericht des Bundes wurde die „UP“ beschrieben als eine

sterile region on the shores of Lake Superior destined by soil and climate to remain forever a wilderness

Ohio stand als Sieger da. Zunächst.

Denn wie wir heute wissen, lagerten im Upper Peninsula große Rohstoffvorkommen – Eisen, Kupfer, Nickel, Silber, wahre Reichtümer. In der heutigen Darstellung des Bundesstaates Michigan heißt es daher:

[I]t’s obvious who won the War.

Seltsamerweise fehlt diese Einschätzung in der Version der Ohio Historical Society.

Und wie es jetzt Super 8? Fantastisch erzählt, für diesen Autor bislang der beste Film des Jahres. Aber das Fantasy Filmfest steht ja noch bevor.

[KORRIGIERT 06. Aug 2011: Tippfehler in Datum zu Michigan-Beitritt, zuerst gesehen von DM, vielen Dank]

Hobbitville, andere Villes und die Tea-Party-Bewegung

August 3, 2011

Es gab ja doch einige unterhaltsame Moment bei dem jüngsten Steuerstreit im US-Kongress. Dazu gehörte eine Rede des Senators John McCain, den der interessierte Leser noch als ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner kennen wird. Darin zitierte er [YouTube] einen Satz aus einem Kommentar des „Wall Street Journal“ über die angebliche Strategie der konservativen Tea-Party-Bewegung:

Then Democrats would have no choice but to pass a balanced-budget amendment and reform entitlements, and the tea-party Hobbits could return to Middle Earth having defeated Mordor.

Wer sich jetzt wundert: Ja, der Satz ist falsch, denn auch Mordor liegt in Mittelerde. In den Kommentaren zu dem WSJ-Artikel wurde darauf hingewiesen, eine Korrektur der Zeitung steht noch aus. Die Hobbits leben natürlich in The Shire (dt. „Auenland“, warum auch immer). Zumindest als Angelsachse muss man so etwas eigentlich wissen.

Moment, aber wie erklären wir dann diesen Satz aus „The American Spectator“, in dem der konservative Journalist Jeffrey Lord über den WSJ-Artikel schimpft (Hervorhebung hinzugefügt):

The paper (…) wildly bought into the liberal notion that the Tea Party from Hobbitville is somehow holding the government hostage, instead of the other way around.

„Hobbitville“? Das ist der Spitzname von Allen Park in Salt Lake City, aber da gibt es eher Vögel als Hobbits. Was soll das jetzt?

Allgemein ist der Zusatz -ville im Englischen bei Städtenamen geläufig. In den USA soll die Verwendung nach der Amerikanischen Revolution sprunghaft zugenommen haben, weil die Franzosen ja die liebsten Freunde waren (heute nicht ganz so). Der interessiere Leser wird Nashville, Amityville, Smallville, FarmVille, Taxville etc. kennen.

Dazu kommt aber noch eine umgangssprachliche Verwendung im Sinne von „wo die X zuhause sind“ oder „wo alles X ist“, wobei X eine Eigenschaft oder Tätigkeit ist. So finden wir Welcome to Stupidville (mit Bild des berühmten double facepalm) wenn es um dumme Leute auf Facebook geht. Oder diesen Satz über Ironie (Hervorhebung hinzugefügt):

Meanwhile, if irony were a case of irony from ironyville, it couldn’t be any more ironic than this story about irony.

Internet-Nutzer mit Modem-Problemen sind stuck in slowville, Kampfsportler müssen durch painville, Teenager in Perth, Australien klagen über ihr Leben in shitville (als alternative gibt es auch suckville oder das vielleicht etwas missverständliche fuckville) und verzweifelte Eltern von schlaflosen Kindern sind clueless in sleepville.

Wem das alles zu viel wird, der kehrt in Margaritaville ein. Da würden sich auch die Hobbits sofort zuhause fühlen.