Archive for August, 2014

Ferguson und die Militarisierung der US-Polizei

August 27, 2014

Dieser Autor hatte die vergangenen Tage mit einer Bindehautentzündung zu kämpfen. Das war eine ziemliche Katastrophe für jemanden, der einen großen Teil seines wachen Daseins mit Lesen und Schreiben verbringt. Immerhin kann er jetzt davon berichten, welche erstaunlichen Fortschritte die Sprachausgaben von Android und OS X gemacht haben. Frau „Ava“ („I am an American English voice!“) liest nun auch nach der Wiedererlangung der Sehkraft Texte vor. Ungemein praktisch beim Aufräumen.

Leider ist die Diktierfunktion für Deutsch wegen der Groß- und Kleinschreibung faktisch unbrauchbar (Englisch funktioniert auch hier unerwartet gut). Deswegen kommen wir später als geplant dazu, einige Bemerkungen zu den jüngsten Vorgängen in der Kleinstadt Ferguson nach dem Tod eines schwarzen Teenagers aufzuschreiben.

(Kurz vorweg: Bei den deutschen Medien herrscht bezüglich des Aufbaus der US-Polizei wieder eine gewisse Verwirrung. Neben der üblichen Probleme mit der Nationalgarde ist diesmal der Name der Polizei des Bundesstaates ein Hindernis: Die Missouri State Highway Patrol (MSHP) ist — wie die Wikipedia bemerkt – ausdrücklich nicht nur für Raser auf Landstraßen zuständig. Deswegen wurden die Soldaten der Nationalgarde von Missouri auch der MSHP unterstellt. Wir haben diese Punkte alle schon besprochen.)

Was auffällt: Während hierzulande die Rassismus-Diskussion im Vordergrund steht, ist für viele amerikanische Medien die Militarisierung der Polizei ein fast gleichwertiges Thema (ob das gut oder schlecht ist, ist nicht Gegenstand dieses Blogs). Es geht darum, wie aus dem Freund und Helfer plötzlich Leute geworden sind, die aussehen, als wären sie direkt aus dem Irak oder Afghanistan eingeflogen. Den Kritikern zufolge führt die Polizei sich auch auf wie Soldaten.

Nun ist das das Thema eigentlich nicht neu –

In his book The Rise of the Warrior Cop, journalist Radley Balko notes that since the 1960s, „law-enforcement agencies across the U.S., at every level of government, have been blurring the line between police officer and soldier (…).“

– ist aber offenbar jetzt erst in den amerikanischen Mainstream-Medien angekommen.

Tatsächlich hat die US-Regierung in den vergangenen Jahrzehnten unter dem sogenannten 1033 Program jede Menge ausrangiertes Kriegsgerät an die örtlichen Polizei-Einheiten übergeben. Hintergrund ist ein Gesetz aus den 90ern, das mit dem Strom von gebrauchtem Material aus den jüngsten, ungewöhnlich langen Kriegen eine neue Dimension angenommen hat.

During the Obama administration, according to Pentagon data, police departments have received tens of thousands of machine guns; nearly 200,000 ammunition magazines; thousands of pieces of camouflage and night-vision equipment; and hundreds of silencers, armored cars and aircraft.

Mit machine guns sind hier offenbar M-16 Sturmgewehre gemeint (die auf Englisch eigentlich assault rifles heißen). Die armored cars sind so stark gepanzert, weil sie ursprünglich Landminen und andere Sprengsätze von Islamisten aushalten sollten. In einer längeren Analyse [PDF] mit dem Titel War Comes Home schätzt die Bürgerrechts-Organisation ACLU den Wert der so übertragenen Rüstungsgüter auf 4,3 Milliarden Dollar.

Als Begründung für das Programm 1033 wurde immer auf den „War on Drugs“ verwiesen. Tatsächlich war die amerikanische Polizei Ende der 80er Jahre mit der neuen Dimension der Drogenkriminalität eher überfordert. Als der (übrigens damals von Demokraten beherrschte) Kongress die Möglichkeit schuf, gebrauchte Militärgüter weiterzugeben, gab es keinen wirklichen Aufschrei.

Allerdings hat sich die Zahl der Gewaltverbrechen zwischen 1993 und 2012 in den USA fast halbiert und der „Krieg“ gegen Drogen wird zunehmend infrage gestellt. Auch der Kongress hat nach den Vorfällen in Ferguson angekündigt, das Rüstungsprogramm überprüfen zu wollen. Was daraus wird in einem Wahljahr muss noch abgewartet werden.

Parallel dazu gibt es noch ein ähnliches Programm des Heimatschutz-Ministeriums, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Kampf gegen den Terrorismus aufgelegt wurde. Die Polizei in Ferguson soll einen Teil ihrer Ausrüstung auf diese Weise bezogen haben.

Wir haben erwähnt, dass diese ganze Entwicklung vor Ferguson in den Medien wenig beachtet wurde. Die amerikanischen Blogger beanspruchen für sich, seit langem die paramilitärische Natur der US-Polizei thematisiert zu haben, wie zum Beispiel Glenn Reynolds von Instapundit. Im Jahr 2006 schrieb der Juraprofessor:

Dress like a soldier and you think you’re at war. And, in wartime, civil liberties — or possible innocence — of the people on „the other side“ don’t come up much.

Die neue Kampfmontur der Polizei ist in einem Land, in dem man sich bekanntlich eher nach Anlass als nach Stand kleidet, viele schnippische Bemerkungen wert. Auf „Last Week Tonight“ drehte der Kommentator John Oliver den „Kleider machen Leute“-Ratschlag für Karrieregeile um:

[I]f you are a cop in the United States, you should dress for the job you have, not the job you want

(Der Originalspruch wird dem interessierten deutschen Leser als Internet-Meme mit Batman [Foto] geläufig sein.)

Zuletzt müssen wir auf ein kleines Statistik-Problem hinweisen, das in den amerikanischen wie auch deutschen Medien überschlagen wird: Niemand weiß wirklich, wie viele Menschen in den USA von Polizisten erschossen werden.

Das uns von den Wahlen bekannte Statistikblog FiveThirtyEight geht ausführlich auf die Schwierigkeiten mit der häufig zitierten Zahl von etwa 400 justifiable police homicides pro Jahr ein. Die fangen mit dem Wort justified an — „nicht berechtigte“ tödliche Zwischenfälle werden in den entsprechenden Datenbanken nicht erfasst.

[T]here’s no governmental effort at all to record the number of unjustifiable homicides by police. If [Michael] Brown’s homicide is found to be unjustifiable, it won’t show up in these statistics.

(Michael Brown ist der Name des Todesopfers in Ferguson.)

In dem Blog wird versucht, sich der Zahl auf andere Arten zu nähern — die Einzelheiten werden dem interessierten Leser zum Selbststudium überlassen. Zusammengefasst können wir sagen, dass sich kein klares Bild ermitteln lässt. Am Ende lautet das Fazit:

It’s more than 400.

[Korrektur 27. Aug 2014: Name von Opfer/Schütze verdreht, erster Hinweis von GW, vielen Dank.]

ZEUGS: Von unglücklichen New Yorkern und missglückten Hinrichtungen

August 3, 2014

Das Problem mit den Schulferien? Man bekommt nichts geschafft, weil die Kinder ständig herumlungern, wie die Schönste Germanin bereits geklagt hat. Allerdings scheinen die interessierten Leser ohnehin alle im Urlaub oder im Freibad zu sein. Das ist doch die perfekte Gelegenheit, um lauter deprimierendes Zeugs loszuwerden, ohne dass es jemand mitbekommt!

  • Zur europäischen Besiedlung Nordamerikas, ein kurzer Aufmerksamkeitstest, bevor es richtig losgeht: Ein 14-sekündiges Video zeigt die Entwicklung über 400 Jahre. Wer sich trotz der Hitze noch so lange konzentrieren kann, kann weitermachen.
  • Zu den unglücklichsten Städten in den USA: New York führt die Liste an. Selbst die Bürger von Detroit sind zufriedener.

    Jersey City ranked 8th most unhappy on the list, which means people who live in Jersey City are happier than people who live in NYC, and they have to take the PATH train.

    Untersucht wurden 177 Ballungsräume. Dieser Autor kann nach den vergangenen zwei Wochen aus eigener Erfahrung sagen, dass die Bewohner von Santa Cruz dagegen überdurchschnittlich glücklich wirken — was allerdings auch besondere Gründe haben könnte.

  • Zum Energieverbrauch in den USA: Einer amerikanischen Studie zufolge weisen die USA die geringste Energie-Effizienz unter den 16 größten Volkswirtschaften aus. Deutschland war (wer hier hätte etwas anderes erwartet?) die Nummer Eins.

    [G]ermany scored well in nearly every category in the survey, including spending on energy efficiency measures, aggressive building codes, and the country’s tax credit and loan programs.

    Bizarrerweise führen die Amerikaner allerdings in der Unterkategorie der Haushaltsgeräte wie Kühlschränke und Öfen.

  • Zur Wahlkampf-Finanzierung: Der Supreme Court hat bekanntlich 2010 (zwei Jahre nach dem Eintrag in diesem Blog) ein umstrittenes Urteil dazu gefällt, das unter dem Namen Citzens United bekanntgeworden ist. Seitdem können Unternehmen, Gewerkschaften und gewisse andere Gruppe deutlich mehr Geld für Wahlspots ausgeben. Wie viel mehr geben sie denn jetzt aus? Dramatisch mehr, so viel sogar, dass sie vor der Kongresswahl im November die Ausgaben der Kandidaten selbst in den Hintergrund zu drängen drohen.

    The outside groups are dictating the terms and message of the 2014 contests, defining candidates long before the candidates are able to define themselves and start reaching voters.

    Der Bericht der New York Times zitiert Republikaner und Demokraten, die gleichermaßen die Entwicklung kritisieren.

  • Zur Todesstrafe, nach den jüngsten verpatzten Hinrichtungen: Wired diskutiert mit dem Politikwissenschaftler Austin Sarat darüber, wie häufig so etwas in den USA schief läuft.

    [H]is research finds that while the methods of execution have changed, their efficiency has not improved. In fact, between 1980 and 2010 the rate of botched executions was higher than ever: 8.53 percent.

    Demnach haben die Probleme seit der Einführung der Giftspritze deutlich zugenommen. Sarat geht davon aus, dass die Todesstrafe in den USA, ahem, ausstirbt.

  • Zu Medien und Kulturpessimismus, damit wir auch die Vierte Gewalt haben: Zum 45. Jahrestag der Mondlandung hat Slate eine Video-Parodie von 2009 wiederholt, die zeigen will, wie die heutigen Nachrichtensender darüber berichten würden.
  • Zu den englischen Begriffen für Sex, angefangen im Jahr 1351 bis heute, als Belohnung für die Leute, die bis zum Ende gelesen haben. Das dürfte wenigstens für etwas Erheiterung im Freibad sorgen.