Archive for Mai, 2006

Zum Fall Haditha: Das Marine Corps

Mai 31, 2006

Es gibt Berichte über ein Massaker im Irak, das von amerikanischen Marineinfanteristen begangen worden sein soll. Eine der treibenden Kräfte hinter der Aufklärung ist selbst ein hochdekoriertes Mitglied des Marine Corps, der Demokrat John Murtha aus Pennsylvania. Er hat 37 Jahre Militärdienst, aktiv und als Reservist, und 32 Jahre als Abgeordneter im Repräsentantenhaus hinter sich. Solchen Leuten hört man besonders aufmerksam zu, wenn sie derartige Vorwürfe erheben.

Aber wie üblich werden wir uns hier nicht mit dem Fall selbst beschäftigen, sondern eine Frage stellen, die vielleicht auf den ersten Blick eher banal klingt: Was ist eigentlich ein Marineinfanterist, neudeutsch Marine genannt? So einfach ist das nicht, schon allein weil die Deutschen als Volk von Landratten nicht wirklich das richtige Vokabular für die ganzen Dinge mitbringen, die Amerikaner, Briten und andere Nationen mit einer starken nautischen Tradition so treiben. Allgemein herrscht oft etwas Verwirrung, wer da was auf dem Wasser tut.

Grundsätzlich gibt es fünf Teilstreitkräfte in den USA: Army, das Heer (ein klassischer Falscher Freund übrigens, weil häufig als „Armee“ übersetzt); Navy, die Marine; Air Force, die Luftwaffe; Coast Guard, die Küstenwache, und eben das Marine Corps, die Marineinfanterie.

Mit der Coast Guard fängt meist schon die Verwirrung an. In Friedenszeiten dem Heimatschutzministerium und in Kriegszeiten dem Department of the Navy unterstellt, hat es Rettungs-, Polizei- und Verteidigungsaufgaben. Das entspricht einem Prinzip, das wir schon von der Nationalgarde kennen: Die Militäreinheiten, die im Inland eingesetzt werden können, sind von den Hauptstreitkräften abgetrennt. Die Küstenwache in den USA unterhält also auch Schiffe (cutters) mit ziemlich starker Bewaffnung.

Das Marine Corps ist nun ausdrücklich nicht Teil der Marine, also der Navy. Marines werden sehr böse, wenn man sie als „Matrosen“ bezeichnet, genauso, wie die Matrosen nicht Marines genannt werden wollen. Im Englischen ist es noch schlimmer, weil Marines auch nicht als soldiers bezeichnet werden dürfen, sondern höchstens als riflemen. Die nicht immer freundlichen Beziehungen zwischen den amerikanischen Teilstreitkräften finden auch ihren Ausdruck in den letzten Zeilen der offiziellen Hymne der Marines:

If the Army and the Navy
Ever look on Heaven’s scenes,
They will find the streets are guarded
By United States Marines

Sprachliche Schwierigkeiten kommen zudem auf, weil die Navy und das Marine Corps über eigene Kampfflugzeuge verfügen, die ausdrücklich nicht zur Luftwaffe gehören.

Navy und Marine Corps sind gemeinsam dem schon erwähnten Department of the Navy untergeordnet. Dieses ist zusammen mit dem Department of the Army und dem Department of the Air Force ein Teil des Verteidigungsministeriums, hat also trotz des Namens keinen Kabinettsrang. Das zeigt, dass beide Teilstreitkräfte heute immer noch eng zusammenarbeiten.

Klassischerweise – und das ist die noch in Deutschland vorherrschende Sicht – springen die Marines von Schiffen und rennen an Land, oft genug mit ziemlich hohen Verlusten. So sieht man es zumindest immer im Fernsehen.

Die Aufgabe der Marines war tatsächlich ursprünglich die Sicherheit auf eigenen Schiffen, das Entern von gegnerischen Schiffen und vor allem im Zweiten Weltkrieg die „amphibische Landung“. Der erste Einsatz der Continental Marines, dem Vorläufer des heutigen Marine Corps, bei der Schlacht von Nassau 1776 war tatsächlich eine solche Landung. Allerdings sind diese eher selten und können auch vom Heer durchgeführt werden, zumindest wenn man das Heer fragt. Schaut man sich die heutige Truppenstärke von etwa 160.000 Marines an, fragt man sich, wie viele Brückenköpfe denn allgemein errichtet werden müssen – das ist immerhin mehr als die gesamte British Army. Und Haditha, der Ort, an dem das Massaker stattgefunden haben soll, liegt ziemlich weit weg vom Meer.

Die eigentliche Aufgabe der Marines ist inzwischen die der ständigen Bereitschaft. Die Idee ist dass man eine Teilstreitkraft hat, die sofort eingesetzt werden kann, egal wo, egal mit welcher Aufgabe, Hauptsache schnell und wirkungsvoll. Daher haben sie auch Eingeschaften aller drei „großen“ Teilstreitkräfte. Oft wird der Vergleich zwischen einem Krankenwagen und einem Krankenhaus gezogen: Die einen sind schnell im Einsatz, können etwas von allem, aber halt nicht alles, während die anderen etwas später ins Spiel kommen, aber dafür wesentlich größere und speziellere Möglichkeiten haben. In der Zwischenzeit können sie wie andere Soldaten eingesetzt werden.

Amphibische Landungen sind immer noch ein Teil dieser Aufgabe, weswegen man Marines in großer Zahl an Bord von speziellen amphibious assault ships – auch „gator freighters“ genannt – wie die USS Tarawa findet. Auch hier gibt es oft Probleme bei der Übersetzung, denn auf dem Ding sind Kampfflugzeuge (Senkrechtstarter des Typs „Harrier“) und Hubschrauber stationiert. Oft wird daher in der Presse auch fälschlicherweise von einem „Flugzeugträger“ gesprochen. Der Unterschied ist aber wichtig: Flugzeugträger sind sehr schlecht darin, Dinge an Land einzunehmen.

Das Prinzip der ständigen Bereitschaft hat einige Besonderheiten der Kommandostruktur zur Folge, die die Marines demonstrativ nach außen tragen. Es wird eine hohe Eigenverantwortung, ein großes Maß an Eigeninitiative und eine stark dezentralisierte Kommandostruktur propagiert, bei der die Absicht hinter dem Befehl (intent) im Vordergrund steht. Wer eine leicht lesbare Selbstdarstellung der ganzen Philosophie haben will, kann sich „Warfighting“ [PDF] durchlesen und dabei gleich an den vielen Zitaten von Carl von Clausewitz sehen, wie weit der Einfluss von deutschen Militärs bis heute reicht.

Es gibt die Frage, ob eine Teilstreitkraft mit 160.000 Mitgliedern eigentlich als „Eliteeinheit“ bezeichnet werden kann, wie man es im Moment auch immer wieder liest. Die Eliteeinheit der Navy, die SEALs, gibt ihre Stärke mit etwa 5.000 Mann an, und auch die United States Army Special Forces sind wesentlich kleiner. Regel 1 bewahrt diesen Autor zum Glück davor, zu der Frage Stellung beziehen zu müssen.

Klar ist jedoch: Die Marines sehen sich selbst als eine Elite, als besser als die anderen Teilstreitkräfte. Weswegen die Berichte über ein Massaker sie noch zusätzlich treffen. Der Kommandeur des Marine Corps, General Michael Hagee, hat eine Reihe von Mitteilungen zu dem Thema begonnen, eins mit dem Titel „On Marine Virtue“. Dabei zitiert er eine Zeile aus der Hymne, zu der sich auch Murtha mit seiner Forderung nach Ermittlungen auch bekennt: Das Ziel „to keep our honor clean“.

Enron und erste Worte zum US-Justizsystem

Mai 28, 2006

Die Ex-Enron-Firmenchefs Lay und Skilling sind schuldig gesprochen worden. Das Verfahren selbst werden wir hier nicht behandeln, aber es gibt uns einen willkommenen Anlass, einen ersten Schritt in ein oft rätselhaftes, weil unbekanntes Terrain zu wagen: Das amerikanische Rechtssystem. Viel mehr als einen ersten Schritt werden wir nicht tun können, denn es ist ein weites Feld. Und wichtiger noch: Es ist Sonntag, und Kind Nummer Eins, wenn es schon kein Trikot kriegt, will zumindest „Cat in the Hat“ vorgelesen bekommen. Es wird also bei einer ersten Skizze bleiben, ähnlich wie wir die Gesetzgebung erstmal nur angerissen haben.

Zuerst müssen wir uns aber über ein allgemeines Problem klar werden: Die Wahrnehmungsverzerrung durch die Medien.

Das US-Justizsystem hat in Deutschland eine ziemlich schlechte Presse. Interessanterweise hat das deutsche System in den USA aber auch eine schlechte Presse. Wenn man genau Zeitung liest, hat das britische Rechtssystem auch eine schlechte Presse, und zwar in Deutschland und in den USA. Auch über Frankreich und Italien liest man, wenn überhaupt, nur schlechtes.

Es handelt sich um einen Selektionseffekt der Medien, die nur über etwas berichten, wenn es schief geht. Ein Hund, das kein Kind anfällt, ist keine Zeile wert. Aber wenn ein Schäferhund einem Kind das Gesicht abreißt, dann ist das eine Nachricht. Und nach einigen solchen Artikeln macht sich beim Leser das Gefühl breit, alle Hunde seien irgendwie böse.

Analog gilt: In Deutschland wird – bis auf wirklich spektakuläre Fälle wie Enron – nur dann über die US-Justiz berichtet, wenn irgendwas falsch läuft. In den USA hört man dagegen nur von bizarren deutschen Urteilen zu Kannibalen oder wenn die deutsche Wikipedia aus dem Netz genommen wird. Frankreich taucht in beiden Ländern nur auf, wenn Unschuldige als Kinderschänder im Gefängnis landen und Italien lediglich dann, wenn Vergewaltigungen von sexuell erfahrenen 14-Jährigen für weniger schlimm befunden werden als von Jungfrauen. Dass in diesen Systemen täglich in abertausenden Fällen völlig unkontrovers Recht gesprochen wird, bleibt ungesagt. So funktionieren die Medien halt.

Einige Fälle, und damit kommen wir langsam zum Thema, berühren dagegen wirklich grundliegend verschiedene Auffassungen der Güterabwägung. So ist das höchste Rechtsgut in den USA die Meinungsfreiheit nach dem First Amendment, in Deutschland aber die Würde des Menschen nach Artikel 1 des Grundgesetzes. Wenn in den USA jemand wieder ungestraft den Holocaust leugnet oder in Deutschland das Persönlichkeitsrecht eines toten Programmierers über die Informationsfreiheit gestellt werden soll, ist das Unverständnis auf der anderen Seite groß. Und wird es auch vermutlich immer bleiben.

Und dann gibt es noch das Problem, dass die einfachsten juristischen Abläufe nicht verstanden werden. Dagegen können wir hier vielleicht etwas tun. Und damit sind wir dann endlich beim Thema.

Bei dem angelsächsischen Rechtssystem – Common Law genannt, offenbar gibt es keine gute Übersetzung – können wir drei Punkte als große Unterschiede zum kontinentaleuropäischen System ausmachen, wie es in Deutschland zu finden ist. Echte Juristen mögen diesem Autor die folgenden groben Vereinfachungen verzeihen, die sich hauptsächlich auch erstmal nur auf das Strafrecht beziehen:

Erstens: Der Staat hat nicht das Recht, über Schuld oder Unschuld zu entscheiden. Der Souverän, also das Volk, behält sich dieses Recht in Form einer Jury vor. Als zu groß gilt die Gefahr, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter als Staatsdiener im weitesten Sinne gemeinsame Sache machen.

Zweitens: Anklage und Verteidigung nehmen entgegengesetzte Extreme ein und stellen sich voll hinter ihre Mandanten (adversarial system). Aus diesem Konflikt soll ein Sieger hervorgehen, oder – der häufigere Fall – beide Parteien einigen sich ohne großes Verfahren (plea bargain). Das macht das Justizsystem sehr laut – aber das kennen wir ja schon. In Deutschland sollen Anwälte dagegen auch so Dinge tun wie das Recht pflegen.

Drittens: Die Rolle des Richters kann man (sehr grob) mit der eines Schiedsrichters vergleichen. Seine Aufgabe in einem Geschworenenprozess ist es nicht, über Schuld oder Unschuld zu entscheiden, sondern sicher zu gehen, dass alles fair und mit rechten Dingen zugeht, dass das geltende Recht eingehalten wird, dass die Geschworenen den nötigen Hintergrund haben.

Dazu kommen andere Unterschiede, die zum Teil spezifisch für die USA sind: Die Staatsanwaltschaft darf nicht in die Berufung gehen (Verbot des double jeopardy nach dem Fifth Amendment), die Rechtssysteme der einzelnen Staaten sind völlig eigenständig und auch von dem des Bundes getrennt, und das Kommunalrecht spielt eine sehr viel wichtigere Rolle als in Deutschland. Aber das sind Themen für andere Texte. Uns dürfte für den Anfang erstmal die Sache mit den Geschworenen reichen.

Die gilt in Ländern wie Großbritannien und den USA als ein Kernstück einer gerechten Justiz, als Bollwerk gegen staatliche Willkür, ein hart erkämpftes Grundrecht jedes freien Bürgers, das traditionell (aber möglicherweise zu Unrecht) bis zur Magna Carta von 1215 zurückverfolgt wird. Deutschen gruselt es eher vor der Vorstellung, von Amateuren gerichtet zu wurden. Dazu sagen die Angelsachsen, dass die Entscheidung bewusst nicht von Berufsrichtern getroffen werden soll, die nach Tausenden von Vergewaltigungsfällen abgestumpft sind und dem Staat als ihrem Arbeitgeber viel zu nahe stehen. Dagegen lautet der Einwand: Verstehen denn einfache Bürger überhaupt, was da vor Gericht passiert?

Amerikaner, Briten und andere Staaten mit Geschworenen haben sich über die Jahre – mehrere hundert davon, im Falle Großbritanniens – die gleiche Frage gestellt. Es gibt keinen Mangel an Untersuchungen dazu. Die Antwort ist kurz gesagt ja. Die Geschworenen sind nicht zu doof. Man darf auch nicht vergessen, dass das System auf sie ausgerichtet ist: In den USA und Großbritannien sprechen Juristen richtiges, normales, verständliches Englisch, oder können es zumindest, wenn sie müssen. So etwas wie Paragraphendeutsch hat in dem System keine Chance.

Das Geschworenen-System ist nicht perfekt, darüber sind sich alle einig, aber das gilt auch für die Alternativen. Es sind auch zahlreiche Kontrollen eingebaut, beispielsweise, dass der Richter das Urteil im Extremfall oft aufheben kann. Leichtfertig sollte er es aber nicht tun, denn in vielen Bundesstaaten haben die Wähler die Möglichkeit, Richter aus dem Amt zu wählen. Wo der Richter für ein faires Verfahren sorgen soll, ergibt diese Kontrollfunktion einen Sinn. In Deutschland wäre das dagegen etwa so sinnvoll wie die Wahl von Gehirnchirurgen.

Können wir denn irgendwas Allgemeines zum Vergleich sagen? Allgemein – sehr allgemein – sollen Geschworene dazu neigen, die Bürgerrechte stärker zu schützen, besonders wenn es darum geht, den Staat oder die Polizei zu verklagen. Sagen zumindest die Befürworter des Common Law. Im Gegenzug soll die Rechtssicherheit in Ländern wie Deutschland größer sein: Bizarre Verfahren ohne Aussicht auf Erfolg können früher abgeblockt werden. Sagen die Befürworter dieses Systems.

Allein an den Geschworenen kann man das System aber nicht messen. Viele weitere Punkte sind wichtig. Anwälte werden in den USA ganz anders bezahlt als in Deutschland, aber parallel dazu gibt es ein umfangreiches pro bono System. In Deutschland ist der Bundestag voller Beamter, der Kongress in den USA ist voller Juristen. Das alles hat Auswirkungen.

Und deswegen konnten wir das Thema hier nur anreißen. „Cat in the Hat“ ruft.

Eine Sache zeigt uns Enron immerhin: Weder Reichtum noch Verbindungen in die höchsten politischen Kreise konnten die Angeklagten vor einer Verurteilung schützen. Das ist ein gutes Zeichen – in jedem Rechtssystem.

(Danke an N.M. für mehrere wertvolle Verbesserungsvorschläge)

Die Fußball-WM und andere Fahnenprobleme

Mai 24, 2006

Sportereignisse wie die Fußball-WM stellen binationale Ehen vor die erstaunlichsten Probleme. Die Schönste Germanin versucht nun schon seit Wochen, für Kind Nummer Eins ein amerikanisches Trikot zu finden, damit sie es in der Mitte zerschneiden und an ein ähnlich behandeltes deutsches Trikot nähen kann. Die Nachfrage nach dem US-Dress in Kindergröße scheint aber in Berlin so groß zu sein, dass alle Trikots schon ausverkauft sind – oder so. Die Alternative wäre, ein weißes oder blaues T-Shirt in Größe 110 zu nehmen und selbst ein (halbes) Trikot zu malen, auch wenn das Design vermutlich markengeschützt ist und die FIFA böse werden würde.

Nur hat man als Amerikaner aber eine gewisse Hemmung davor, Staatssymbole selbst zu malen, denn die amerikanischen sind so unglaublich kompliziert. Bei der Flagge kommt man nicht einfach mit drei Streifen durch, sondern hat gleich 13 und muss sich merken, dass Rot außen ist. Das Sternenfeld muss in die richtige Ecke, der Abstand zwischen den Sternen ist geregelt und 50 Stück zu malen ist eh kein Spaß. Andere Symbole sind auch nicht besser: Während die Deutschen vernünftig genug waren, einen abstrakten Adler zu nehmen, wird sein amerikanischer Amtskollege nicht nur Feder für Feder gezeichnet, sondern schleppt auch jede Menge Zeugs wie Olivenzweige, Pfeile und beschriftete Banner mit sich herum. Auf dem Schild auf seiner Brust sind zwar auch 13 Streifen, aber jetzt ist weiß außen. Kein Wunder, dass auf T-Shirts oft nur „U.S.A.“ steht.

Die Komplexität kommt durch die Symbolik. Die 13 Streifen, ob mit weiß oder mit rot außen, stehen für die ursprünglichen Kolonien. Jeder Bundesstaat kriegt einen Stern. Letzteres bedeutet, dass sich die Fahne auch im Laufe der Zeit ändert. Sollte Puerto Rico irgendwann von einem (von der Einkommensteuer des Bundes befreiten) US-Commonwealth zu einem echten Bundesstaat werden, müsste ein weiterer Stern eingefügt werden, irgendwie. Es hätte allerdings noch schlimmer kommen können. Zuerst war geplant, dass auch jeder Bundesstaat ein Streifen kriegen sollte. Eine ganze Zeit lang gab es eine Fahne mit 15 Streifen, bevor jemand mit ausreichendem Weitblick dem ein Ende machte.

Die höhergeordnete Symbolik ist dabei etwas anders als in Deutschland. Die Fahne wird weniger als Zeichen „des Bundes“ oder „der Nation“ verstanden, sondern eher als Symbol für die Rechte des Bürgers, der freiheitlichen Grundordnung, für die Republik. Die Regierung sieht das zwar anders und redet gerne von dem Symbol der Nation, ihrer Stärke und anderen mutmaßlich inspirierenden Dingen. Aber es fällt auf, dass Amerikaner gerade bei Protesten gegen die Regierung die Fahne mitschleppen, was in der Bundesrepublik zumindest bis zur Wende praktisch nie zu sehen war. Wir sind das Volk, sozusagen, ergänzt durch durch den Nachsatz: und es ist unsere Flagge!

Was auch der Grund ist, warum Amerikaner so gereizt reagieren, wenn andere Amerikaner das Sternenbanner misshandeln. Über Ausländer, die US-Fahnen verbrennen, ist man zwar nicht glücklich, aber das wird schon als Protest gegen die US-Politik verstanden. Außerdem: Wenn ein totalitärer Staat mal wieder von oben eine Massenverbrennung der Stars and Stripes anordnet, ist das eher ein Kompliment. Von einem US-Bürger erwartet man dagegen, dass er die Fahne als Zeichen seiner Freiheiten versteht. Die Flagge zu entweihen bedeutet, so das Argument, das Andenken von Menschen wie Martin Luther King Jr. zu beschmutzen.

Die Fahne zu verteidigen ist in den USA daher kein Zeichen von Hypernationalismus, oder zumindest nicht zwingend. Für Deutsche, die ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Flagge haben, sie nicht in ihre Vorgärten stellen und auch nicht bei schlechtem Wetter ins Haus holen, damit ihr nicht kalt wird, kann das erfahrungsgemäß etwas schwierig zu verstehen sein.

Juristische Unterschiede gibt es auch. Während die Zeichen des Staates in Deutschland nach StGB § 90a geschützt sind, hat der Supreme Court der USA in Texas v. Johnson und United States v. Eichman festgestellt, dass weder Bund noch Bundesstaaten eine Misshandlung des Sternenbanners verbieten dürfen: Das höchste Gut der US-Verfassung, die Meinungsfreiheit nach dem ersten Verfassungszusatz (First Amendment)), ist wichtiger als jedes nationale Empfinden. Das Sternenbanner kann in den USA also ganz legal verbrannt werden. Versuche empörter Kongressabgeordneter, den Schutz der Fahne in die Verfassung aufnehmen, sind bislang gescheitert.

Das heißt nicht, dass es keine Regeln für den Umgang mit der Flagge gibt. Im Gegenteil, der offizielle Flag Code enthält mehr Vorgaben als eine japanische Tee-Zeremonie. Demnach darf die Fahne nicht für die Werbung benutzt werden, nicht auf Wegwerf-Artikeln (insbesondere Schnäuztücher) oder Kleidung (sprich, Trikots) auftauchen, nicht als Gardine dienen, man darf sie nicht zusammenknüllen, mit irgendwelchen Bildern oder Buchstaben bekleben, nicht über Autos oder andere Fahrzeuge legen und sie darf um Himmels Willen den Boden nicht berühren. Fünf Minuten in jedem amerikanischen Kaufhaus zeigen allerdings, dass sich der durchschnittliche US-Bürger um die meisten dieser Vorgaben nicht schert.

Schon eher befolgt werden die Regeln, wie die Fahne aufgestellt werden soll: Keine andere Fahne darf höher hängen, an Straßenkreuzungen wird das Sternenfeld nach Norden oder Osten ausgerichtet und an der Wand gehört es oben links hin, um nur einige zu nennen. Alte Fahnen sollen „würdevoll“ entsorgt werden – und zwar möglichst durch verbrennen. Damit dürften allein die amerikanischen Pfadfinder im Jahr mehr US-Fahnen verbrennen als der ganze Nahe Osten zusammen.

Was aber alles nicht bei dem Problem hilft, was mit Kind Nummer Eins und der Fußball-Weltmeisterschaft zu machen ist. Vermutlich ist es am einfachsten, dem binationalen Nachwuchs je nach Bedarf die entsprechende Fahne in die Hand zu drücken. Ganz unproblematisch ist das allerdings auch nicht: Der größte Nutzen einer Fahne, egal welcher, besteht seiner Meinung nach darin, durch wildes Umherschwenken und Gebrüll die Katze zu terrorisieren.

Die wirklich wichtigen Verbote stehen nie in Büchern.

Der Streit um die „Illegals“, Teil 2: Gesetze im Schweinsgalopp

Mai 22, 2006

Laut war es vergangene Woche in dem Streit, was mit den mehr als zehn Millionen Menschen in den USA zu tun ist, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Im Senat zumindest. Denn während dort eine Abstimmung die nächste jagte, befasste sich die andere Kammer des Kongresses, das Repräsentantenhaus, völlig ungerührt mit Dingen wie Haushaltsfragen zum Umweltschutz. Worüber der Senat da abgestimmt hat, wird auf den ersten Blick nicht ganz klar. Das endgültige Gesetz war es jedenfalls nicht, denn in dieser Woche soll die Debatte weitergehen. Da regt sich das natürliche Misstrauen des Steuerzahlers: Was machen die da eigentlich?

Am Ende, das wissen wir, soll aus dem Chaos ein einziges, fertiges Gesetz zur Einwanderung entstehen. Nur, wie das funktioniert ist vielleicht nicht klar, weil es anders läuft als in Europa. Schauen wir uns also mal an, wie in den USA Gesetze gemacht werden.

Dazu müsste man eigentlich ziemlich weit ausholen und Dinge wie die Gewaltenteilung besprechen. Wir müssten nicht nur erklären, dass der Kongress zwei Kammern hat, sondern warum und wie die Abgeordneten dort hinkommen. Das wäre nach dem Lehrbuch, würde aber dauern. Damit wir erstmal die Debatte selbst weiter verfolgen können, werden wir hier einige Dinge über’s Knie brechen und uns auf das wie beschränken. Den Rest holen wir bei Gelegenheit nach – wenn es im Kongress an irgendwas nicht mangelt, dann ist es die Bereitschaft, neue Gesetze zu erlassen.

Machen wir zuerst einen groben Durchlauf.

Der Kongress besteht aus zwei Kammern, dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Im Gegensatz zu europäischen Parlamenten gibt es kein „Oberhaus“, das die Entscheidungen des „Unterhauses“ bestätigt oder ablehnt (auch wenn gelegentlich vom upper und lower house die Rede ist): Beide Kammern arbeiten parallel. Das Repräsentantenhaus macht einen Gesetzentwurf, und der Senat macht unabhängig davon einen eigenen. Die Kammern können sich auch gegenseitig ihre Entwürfe zuschicken. Am Ende müssen beide Kammern identische Versionen verabschieden, damit daraus ein Gesetz wird. Das ist aber nur bei trivialen Entscheidungen der Fall.

Alle anderen gehen vor den Vermittungsausschuss (conference committee), der von Mitgliedern beider Kammern gebildet wird und sich nur mit den Unterschieden beschäftigen darf. Haben sich der Ausschuss auf einen Kompromiss geeinigt, geht der gemeinsame Entwurf wieder an die einzelnen Kammern zurück. Stimmen diese den Änderungen zu, wird er dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt.

Theoretisch hat dieser ein Veto-Recht, aber das können wir erstmal ignorieren: Bush hat noch nie ein Veto eingelegt. Da er hin und wieder damit droht, ist klar, dass er schon von der Möglichkeit weiß, aber er macht es einfach nicht. Der Kongress kann mit einer Zweidrittel-Mehrheit in jeder Kammer ein Veto überstimmen.

Schon dieser Überblick zeigt, dass wir viel von dem Lärm aus dem Kongress ignorieren können. Schaut man sich die
Statistik [PDF] für 2005 an, sehen wir, dass im Repräsentantenhaus 4653 und im Senat 2169 Gesetzesvorschläge (bills) eingebracht wurden. Heraus kamen 169 Gesetze (laws – immer noch eine viel zu hohe Quote, meinen viele). Wenn man also irgendwo liest, dass der Senat „ein Gesetz verabschiedet hat“ oder dass das Repräsentantenhaus „sich mit einem Gesetz beschäftigt“, ist das erstmal nicht spannend. Man muss immer wissen, was die andere Kammer macht. Manchmal lautet die Antwort „gar nichts“, denn Unabhängigkeit heißt auch, dass man den anderen ignorieren kann.

Wie sieht es bei der Einwanderung aus? Der Senat bespricht den Entwurf S.2611, A bill to provide for comprehensive immigration reform and for other purposes. Wenn das Repräsentantenhaus andere Dinge macht, liegt es daran, dass es schon im Dezember H.R.4437 verabschiedet hat: To amend the Immigration and Nationality Act to strengthen enforcement of the immigration laws, to enhance border security, and for other purposes. Dieser Entwurf wurde auch an den Senat geschickt, aber der wollte ihn nicht, denn den Senatoren sind die Maßnahmen zu streng. Damit ist also jetzt schon klar, dass die Sache vor den Vermittlungsausschuss gehen wird. Das Thema ist lange noch nicht durch. Allerdings hofft man, so heißt es, auf eine Einigung noch in diesem Jahr.

Bleibt die Frage, worüber die Senatoren dann in der vergangenen Woche abgestimmt haben.

Während der Debatte über einen Gesetzentwurf können die Abgeordneten „Anhänge“ (amendments) vorschlagen. Über diese Anhänge wird dann einzeln abgestimmt, bevor das ganze Gesetz vorgelegt wird. Beim Entwurf des Repräsentantenhauses waren es am Ende 32 Anhänge, wie zum Beispiel H.AMDT.661. Dieser Vorschlag der Abgeordneten Sue Myrick aus North Carolina sieht vor, dass illegale Einwanderer sofort aus dem Land geworfen werden, wenn sie betrunken Auto fahren (er wurde angenommen). Der ursprüngliche Gesetzentwurf des Senats zieht im Moment einen Rattenschwanz von 122 Anhängen hinter sich her – wohlgemerkt, es gibt nur 100 Senatoren.

Wichtig ist dabei, dass es sich noch nicht um Gesetze handelt, auch nicht um Gesetzentwürfe, sondern – wenn man so will – um Fragmente von Gesetzentwürfen. Eine Zustimmung zu einem Anhang ist nur dann wichtig, wenn auch der eigentliche Gesetzentwurf von der Kammer angenommen wird, und der ist nichts wert, wenn nicht auch die andere Kammer das gleiche beschließt.

Das erklärt auch, warum einige der gerade beschlossenen Dinge etwas bizarr anmuten. So hat der Senat gleich zwei Anhänge zu S.2611 angenommen, die sich mit der englischen Sprache beschäftigen. Die USA haben keine Landessprache, was Senator James Inhofe aus Oklahoma ändern will: Englisch, so heißt es in Anhang S.AMDT.4064, soll die offizielle Landessprache werden. Aber kurz darauf wurde auch der Vorschlag S.AMDT.4073 von Ken Salazar aus Colorado angenommen, in dem lediglich festgestellt wird, dass Englisch die „gemeinsame und vereinigende Sprache“ der USA ist. Beides geht nicht, aber das ist nicht schlimm: Es handelt sich um Verhandlungsmasse für den Vermittlungsausschuss.

So in etwa entstehen in den USA Gesetze. Wir haben einige wichtige Schritte übersprungen – die bereits früher erwähnten Ausschüsse zum Beispiel – aber das wird wie gesagt später nachgeholt.

Wir können auch so einige Unterschiede zu den europäischen Systemen erkennen. Während in Deutschland die Regierung dem Parlament ein Gesamtpaket vorlegt – wie gerade bei der Steuererhöhung geschehen – und dank des Fraktionszwangs eine Zustimmung so gut wie sicher ist, sind es in den USA die Abgeordneten selbst, die das Gesetz vorschlagen, es in Debatten verfeinern und schließlich verabschieden. Die Regierung – also was der Amerikaner administration nennt – kann höchstens ganz am Ende ein Veto einlegen. Hintergrund ist die strengere Gewaltenteilung im US-System.

Können wir auch diesmal ein Grundprinzip erkennen? Hauptsächlich wieder den Zwang zum Kompromiss, denn beide Kammern müssen sich auf einen einzigen Text einigen. Im Moment ist bei der Frage der Einwanderung noch nicht viel davon zu sehen, aber das kommt spätestens im Vermittlungsausschuss, wann immer das auch sein mag.

Und eins ist klar: Dann wird es noch lauter.

(Die Links zu den einzelnen Gesetzesentwürfen entstammen THOMAS, der nach Thomas Jefferson benannten Online-Datenbank der Kongressbibliothek. Dort findet man auch Protokolle der Debatten, Kalender und vieles andere mehr.)

Die Nationalgarde

Mai 17, 2006

Über die Grenze zu Mexiko kommen jedes Jahr mehrere 100.000 illegale Einwanderer in die USA, und das stinkt einigen Leuten ziemlich. Während der Kongress debattiert, was mit den mehr als zehn Millionen zu tun ist, die sich schon im Land aufhalten, hat Präsident Bush einen Vorschlag, um erstmal den Zufluss zu stoppen: Die Nationalgarde soll dabei helfen, die Grenze zu sichern.

Aber warum gerade die Nationalgarde? Und was ist das überhaupt?

Die zweite Frage zuerst: Die Nationalgarde besteht aus Teilzeit-Soldaten, die dem Gouverneur ihres Bundesstaates unterstehen, aber auch dem Präsidenten. Sie wird bei Katastrophen eingesetzt, aber auch im Irak-Krieg. Sie ist eine Reserve für das Heer und die Luftwaffe, aber nicht die Reserve. Sie ist also eine dieser völlig bizarren amerikanischen Institutionen, die nur wirklich dann zu verstehen sind, wenn man sich ihre Geschichte anschaut.

Die Nationalgarden – jeder Bundesstaat hat eine eigene – sind die direkten Nachfolger der Bürgerwehren der einzelnen Kolonien. Die ersten derartigen Milizen wurden 1636 gegründet. Zwar stellten die 13 Kolonien im Unabhängigkeitskrieg auch ein gemeinsames Heer – die Continental Army – aber nach dem Sieg über Großbritannien wurde es aufgelöst. Übrig blieben wieder die Milizen, die unter der jeweiligen Kontrolle der nun unabhängigen Staaten standen.

Allerdings war klar: Der nächste Krieg kommt bestimmt. Neben den ständigen Angriffen der Indianer gab es da noch jede Menge britische Soldaten in Kanada. Florida gehörte den Spaniern. Benötigt wurde ein professionelles Bundesheer.

Nun mögen aber angelsächsische Staaten keine stehenden Heere in Friedenszeiten. Die englische Bill of Rights von 1689 schreibt die Zustimmung des Parlaments dafür vor, und bis heute muss die Existenz der British Army jedes Jahr neu genehmigt werden. Es hilft natürlich, wenn man auf einer Insel sitzt und von einer starken Flotte verteidigt wird. Hat man Feinde auf dem gleichen Stück Land, kann man sich nicht so zieren.

Das war auch die Argumentation der Väter der amerikanischen Verfassung. Darin wird dem Bund zwar das Recht auf ein stehendes Heer zugestanden. Um aber zu verhindern, dass der Präsident durchdreht und sich zum Militärherrscher macht, sollten die Staaten weiter ihre Milizen behalten.

Das wurde im zweiten Verfassungszusatz (Second Amendment) verankert. Dort steht, dass Milizen für die freiheitliche Grundordnung eines Staates unverzichtbar sind und dass der Bund es deshalb den einzelnen Staaten nicht verbieten darf, solche Einheiten zu unterhalten. Anders formuliert: Der Bund hat kein Monopol über das Militär, weil man dem Bund nicht trauen kann.
Auf Deutschland übertragen würde das heißen, dass Edmund Stoiber ein eigenes Heer hätte, einschließlich eigener Panzer und eigener Kampfflugzeuge mit der bayerischen Fahne am Heck. Dieser Autor hat die Erfahrung gemacht, dass die Vorstellung einige Leute sehr, sehr nervös macht.

In den Federalist Papers, einer Argumentationsschrift für die Verfassung aus dem Jahr 1787, finden wir eine Modellrechnung: Ein Staat könne sich höchstens ein stehendes Heer leisten, das ein Prozent der Bevölkerung ausmache, schreibt James Madison unter dem Pseudonym „Publius“ in Text 46. Bei damals etwa drei Millionen Einwohnern wären dies 30.000 Soldaten. Ihnen stünden 500.000 Milizionäre der einzelnen Staaten gegenüber, die dazu noch für ihre Heimat und die Freiheit kämpfen würden.

Hier sehen wir, warum die USA so unverkrampft mit einer Berufsarmee umgehen, während man sich in Deutschland immer nicht so richtig traut, die allgemeine Wehrpflicht aufzugeben: Den Berufssoldaten des regulären Heeres stehen die Nationalgarden als citizen-soldiers gegenüber, also als die „Bürger in Uniform“. Sie sorgen für die Verankerung in der Bevölkerung.

Seit Madisons Zeit haben sich die Zahlenverhältnisse etwas geändert. Das reguläre Heer hat etwa 500.000 Soldaten (ohne Reservisten), die Army National Guard 325.000 Soldaten. Die Nationalgarden verfügen dabei auch über schwere Waffen wie Artillerie und als Air National Guard über Kampfflugzeuge. Zudem unterhalten einige Bundesstaaten getrennte State Defense Forces, auf die der Bund keinen Zugriff hat. Ein Militärputsch wäre auch heute zumindest kein triviales Unterfangen.

Aber wer hat jetzt das Sagen? Normalerweise der Gouverneur. Meist werden die Soldaten bei Umweltkatastrophen eingesetzt, wie im Moment beim Hochwasser in Massachusetts. Werden sie vom Gouverneur befehligt, können die Gardisten auch Polizeiaufgaben übernehmen, was regulären Soldaten des Bundes nach dem Posse Comitatus Act von 1878 verboten ist. Damit löst das System auch ein anderes bekanntes Problem, nämlich in wie weit das Militär im Inland eingesetzt werden darf.

Im Kriegsfall kann der Präsident dann die Gardisten als normale Soldaten einsetzen, was mit dem völlig unübersetzbaren Verb to federalize beschrieben wird. Das kann auch gegen den Willen des Gouverneurs geschehen.

Die Nationalgarden können das leisten, weil sie wie die regulären Soldaten organisiert sind und ausgebildet werden: Mit dem Militia Act von 1903 und einer Reihe anderer Gesetze wurden die Milizen wie das reguläre Heer aufgestellt. Die Nationalgarde besteht jedoch weiter aus Teilzeit-Soldaten, nach dem Motto „One weekend a month, two weeks a year“. Sie werden eingesetzt bei Konflikten, die die Existenz der USA bedrohen, wie der Zweite Weltkrieg, nicht dagegen in „kleineren“ Kriegen wie Vietnam.

Oder zumindest war das bis zum Irak-Krieg so. In den vergangenen drei Jahren waren bis zu 40 Prozent der Soldaten dort und in Afghanistan Nationalgardisten, die bestenfalls monatelang von ihren Familien getrennt waren und schlimmstenfalls nicht lebend zurückkehrten. Die Kritik an diesem Vorgehen ist massiv, und inzwischen redet niemand mehr von „One weekend a month“. Bei einigen Gardisten soll es ein Gefühl des Verrats geben. Wenn darüber gesprochen wird, dass Bush unter Druck steht, Soldaten aus dem Irak abzuziehen, sind damit insbesondere die Nationalgardisten gemeint.

Damit sind wir endlich wieder an der Grenze zu Mexiko. Denn ein Einwand gegen Bushs Plan lautet, dass die Nationalgarde ohnehin völlig überlastet ist. Ein anderer Kritikpunkt ist, dass die Grenze – wie die zu Kanada – entmilitarisiert ist und von der border patrol, einer Bundespolizei, kontrolliert wird. Eigentlich gehören da keine Soldaten hin, sagen insbesondere die Mexikaner. Auf der anderen Seite dürften andere Lösungen noch etwas dauern, und es gibt zunehmend das Gefühl, dass schnell etwas passieren muss, nicht zuletzt, weil im November Kongresswahlen sind. Und wenn überhaupt Soldaten dafür eingesetzt werden sollten, dann am besten solche aus dem jeweiligen Bundesstaat selbst, die Land, Klima und Leute kennen, sagen Befürworter.

Bushs Idee ist eigentlich nicht neu. Die Gouverneurin von Arizona, Janet Napolitano, hatte bereits vor Monaten einen Plan [PDF] vorgestellt, der einen stärkeren Einsatz der Arizona National Guard an der Grenze vorsah. Umfragen zufolge unterstützten fast zwei Drittel der Wähler von Arizona die Idee. Das Bundesland hätte das auch allein durchziehen können, denn es sind ja seine Soldaten. Es gab aber Streit um die Finanzierung. Napolitano zeigt sich jetzt natürlich hocherfreut über Bushs Vorschlag.

Und auch an diesem Beispiel sehen wir – wie schon im vergangenen Text – wie wenig die Parteibindung in den USA wert ist: Napolitano ist eine Demokratin.

[Umformatiert 10. April 2007]

„Wollen wir ihn reinlassen?“ – Wie man CIA-Chef wird

Mai 15, 2006

Präsident George W. Bush hat Michael Hayden zum neuen Chef des Geheimdienstes CIA nominiert. Einige Leute scheinen das aber für eine schlechte Idee zu halten: Hayden ist ein Vier-Sterne-General der Luftwaffe, sagen sie, während der CIA eigentlich ein ziviler Dienst ist. Und dann wäre noch Haydens umstrittener früherer Job, der unter anderem darin bestand, Amerika durch das Abhören von Amerikanern zu schützen.

Es gibt daher im Moment keinen Mangel an Leuten, die ihre Meinung über Hayden von sich geben. Die Frage ist jetzt, wer davon wichtig ist und wer nicht, und wie es überhaupt nach so einer Nominierung weitergeht.

Grundsätzlich muss jede Nominierung des Präsidenten vom Kongress bestätigt werden, genauer gesagt, von der zweiten Kammer, dem Senat. Da eine ganze Menge Posten zu verteilen sind – innerhalb einer zweijährigen Sitzungsperiode des Kongresses 4.000 an Zivilisten und 65.000 an Militärs – wird das volle Programm nur bei den wichtigsten, hochrangigen Posten durchgezogen. Geheimdienstchefs sind wichtig, daher wird Hayden nicht einfach abgenickt werden.

Nun befasst sich erstmal nicht der ganze Senat – immerhin zwei Volksvertreter je Bundesstaat, also 100 Leute – mit der Nominierung, sondern ein Ausschuss (committee). Dieser lädt den Kandidaten zu einer Anhörung (hearing) ein, die ihm meist etwa so viel Spaß macht wie eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung. Für die kleineren der großen Tiere kann das Spiel schon hier vorbei sein: Der Ausschuss kann beschließen, die Bewerbung nicht dem vollen Senat zur Abstimmung vorzulegen, oder eine Entscheidung so lange verschleppen, bis der Präsident genervt aufgibt und jemand anders vorschlägt. Die ganz großen Tiere kommen vor den ganzen Senat, der allerdings meist der Empfehlung des Ausschusses folgt.

In unserem Fall muss sich Hayden erstmal dem Senate Intelligence Committee stellen, der unter anderem für die Überwachung der Geheimdienste zuständig ist. Dort sitzen acht Republikaner und sieben Demokraten. Vorsitzender ist Pat Roberts aus Kansas, ein ehemaliger Marine, der seit 1980 im Kongress sitzt. Was Roberts sagt, ist also richtig wichtig. Bislang hat er offenbar nicht mehr gesagt, als dass die Anhörungen am 18. Mai beginnen werden und dass Hayden in seinen sechs Jahren als Chef der Abhör- und Kryptographiebehörde NSA ja schon häufiger vor dem Ausschuss gesprochen habe. Man kennt sich also.

Weitere bekannte Republikaner im Ausschuss sind Orrin Hatch aus Utah und Trent Lott aus Mississippi. Auf Seite der Demokraten haben wir John „Jay“ Rockefeller aus West Virginia und Carl Levin aus Michigan. Auch wenn diese Leute reden, wird es wichtig.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte sich allerdings der interessierte Leser fragen, ob das nicht alles Blödsinn ist. Schließlich ist Bush ein Republikaner, Roberts ist ein Republikaner und im Ausschuss wie im Senat haben die Republikaner die Mehrheit. Wo soll das Problem liegen?

Kurz gesagt, es gibt keinen Fraktionszwang. Wir werden irgendwann später über Parteien in den USA reden müssen, daher nur soviel: In den USA werden (fast) alle Posten durch Direktwahl besetzt, ob auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene. Da die Abgeordneten auch für ihre eigene Finanzierung sorgen, hat die Partei keine Druckmittel, um eine einheitliche Linie zu erzwingen. Jeder Abgeordnete ist sich da selbst der Nächste, besonders wenn Wahlen anstehen. Von den Mitgliedern des Geheimdienst-Ausschusses muss sich zum Beispiel Hatch im November den Wählern Utahs stellen. Es wäre seine sechste sechsjährige Amtszeit.

Halten wir also fest: Bei der Diskussion um Hayden sind die Senatoren wichtig, und zwar ganz besonders die 15 im Geheimdienst-Ausschuss.

Das heißt natürlich nicht, dass alle anderen völlig unwichtig sind. Sollte Hayden tatsächlich bestätigt werden, müsste er zum Beispiel auch mit dem Geheimdienst-Ausschuss des Repräsentantenhauses zusammenarbeiten. Dessen Vorsitzender Peter Hoekstra, ein Republikaner aus Michigan, hält mit seiner Meinung über Hayden nicht hinter dem Berg: Die falsche Person zur falschen Zeit im falschen Amt. Der gebürtige Niederländer dürfte mit dem Satz schon Gehör bei seinem Kollegen im Senat gefunden haben.

Die Nominierung Haydens zeigt nebenbei auch ein Grundprinzip der amerikanischen Verfassung: Der Zwang zum Kompromiss. Hier sind es die Legislative und die Exekutive, die sich einigen müssen. Damit kontrollieren sich die Gewalten nicht nur gegenseitig, sondern es werden auch Extreme vermieden, meistens zumindest. Wir sehen an Hayden aber auch den Preis dafür: Das System ist sehr, sehr laut.

Wie laut genau, das werden wir ab Donnerstag erfahren.

[Überarbeitet 9. April 2007: Neue Überschrift, Links zu anderen Einträgen]