Archive for Mai, 2007

Kurz erklärt: Going Postal

Mai 30, 2007

Einer der Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett trägt im Original den Titel Going Postal. Das bezieht sich einmal auf den Inhalt: Der Betrüger Moist Van Lipwig wird von Lord Vetinari, äh, überredet, den Postdienst von Ankh-Morpork wieder aufzumachen. Es hat aber noch eine andere Bedeutung: Dass man durchdreht und einen Amoklauf hinlegt.

(Der Begriff taucht natürlich auch bei Buffy auf und zwar in Staffel 2, Episode 12 „Bad Eggs“, wo unsere Heldin von einem Ei angegriffen wird: „My egg, it went postal on me!“ Aber das ist selbst diesem Autor etwas zu albern, daher bleiben wir bei Pratchett.)

Hintergrund ist eine Serie von Morden Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre in Einrichtungen der amerikanischen Post:

From 1983 to 1993, there were 11 murderous rampages in U.S. post offices. On August 20, 1986, the worst of these incidents took place in Edmond, Oklahoma. Pat Sherrill, who was about to be fired, killed 14 mail workers, wounded another five, and then shot himself to death as the SWAT team arrived.

Die United States Postal Service weist zwar darauf hin, dass ihre Angestellten nicht häufiger ausrasten als andere Arbeiter. Aber es ist längst zu spät: Der Begriff ist Teil der amerikanischen Populärkultur geworden (die Wikipedia führt Buch über Anspielungen) – so sehr sogar, dass ihn selbst britische Fantasy-Autoren als bekannt voraussetzen.

(Nach einem Vorschlag von FM, vielen Dank)

ZEUGS: Zergstürme, große Niederländer und jede Menge Nüsse

Mai 28, 2007

Dieser Autor hat die Erfahrung gemacht, dass man gewisse Dinge Wochen, wenn nicht sogar Monate vorher ankündigen muss, damit klar wird, dass man es wirklich ernst meint. Daher jetzt schon der Hinweis, den bereits die Schönste Germanin bekommen hat: Dieses Blog wird eine, vermutlich sogar zwei Wochen Pause machen, wenn Starcraft 2 auf den Markt kommt. Nach zehn Jahren Wartezeit ist das nur angebracht.

  • Zu Feiertagen: Andrew Hammel hat auf „German Joys“ eine Grafik zu dem gesetzlichen Feier- und Urlaubstagen in mehreren Ländern, die alles sagt. Heute ist in den USA übrigens Memorial Day, an dem der Kriegstoten gedacht wird.
  • Zur Meinungsfreiheit: Jerry Falwell, der nicht betrunken war, als er nicht von seiner Mutter nicht in einem Scheißhaus entjungfert wurde, ist tot. Der Nachruf von Larry Flynt endet versöhnlich: We became friends.
  • Zur Ernährung: Eine deutsch-amerikanische Studie hat die Größenentwicklung der US-Bevölkerung untersucht. Wegen des landwirtschaftlichen Reichtums waren Amerikaner über Jahrhunderte länger als die Europäer – schon im Unabhängigkeitskrieg waren die Soldaten der Kolonien im Durchschnitt fünf Zentimeter größer als die des Mutterlandes [1]. John Komlos von der Uni München und Benjamin Lauderdale von Princeton beschreiben, wie das Wachstum Mitte des Jahrhunderts stagnierte und sich das Verhältnis zu den Europäern Ende des 20. Jahrhunderts umkehrte: Inzwischen seien die Amerikaner im Schnitt kleiner als die Bevölkerung in vielen Teilen Europas, auch wenn man die verschiedene ethnische Zusammensetzung berücksichtige.

    We conjecture that the U.S. health-care system, as well as the relatively weak welfare safety net, might be why human growth in the United States has not performed as well in relative terms as one would expect on the basis of income alone.

    Das wirklich erschreckende ist aber: In Europa sind jetzt die Niederländer die größten. Die Niederländer!

  • Zum Gesundheitssystem: Wir hatten im Überblick darauf hingewiesen, dass die Bundesstaaten für die Gesundheitsvorsorge zuständig sind und dass Massachusetts zum Beispiel eine Pflichtversicherung eingeführt hat. In Indiana sieht man nun, wie man ein solches System nicht einführt: Der Plan, es durch eine Milliarden-Besteuerung der Unternehmen zu bezahlen, scheiterte kläglich an der demokratischen Mehrheit im Landesparlament. Selbst lautstarke Befürworter einer universal health care wie der Bürgerrechtler Jesse Jackson lehnten das Programm als Wirtschaftskiller („business closer“) ab. Die Debatte ist auch für die Präsidentenwahl wichtig, denn insbesondere Barack Obama und Hillary Clinton haben eine Versorgung durch den Bund zum Wahlkampfthema gemacht, ohne jedoch zu sehr über die Finanzierung zu reden.
  • Zu Farben: Wir sollten auf ein häufiges Wortspiel mit der Fahne hinweisen: These colors don’t run („verlaufen“ und „weglaufen“), sagen die einen, und die anderen ergänzen: the world („leiten“).
  • Zu Humor: Einer der Sprüche von Soldaten hat dem Fernsehsender CBS jetzt jede Menge Nüsse beschert. General Anthony McAuliffe wurde mit seinen Truppen während der Ardennenoffensive in der belgischen Stadt Bastogne umzingelt. Auf die Forderung, sich zu ergeben, antwortete er: „Nuts.“ („Verrückt.“) Andere Truppen retteten schließlich seine Einheit. Diesen Satz zitierte eine Figur in der letzten Episode der Fernsehserie Jericho, die von einer Stadt in Kansas nach einem Atomkrieg handelt. Oder besser, handelte, denn CBS setzte die Serie nach der Folge ab, und dazu noch mit einem cliffhanger. Gepisste Fans schicken dem Sender seitdem Erdnüsse, Erdnüsse Erdnüsse, mit tatkräftiger Hilfe von findigen Geschäftsleuten. CBS will die Nüsse spenden, unter anderem an Soldaten im Irak und in Afghanistan. Was mit Jericho wird, ist nicht bekannt.
  • Zu Humor, Sprüche bei einer Hinrichtung: Die letzten Worte von Robert Comer, Mörder, Vergewaltiger und Entführer, waren „Go Raiders!“ vorgetragen mit einem Lächeln. Ob sich die Mannschaft aus Oakland darüber freut, darf bezweifelt werden.
  • Zum Spelling Bee: Es gibt auch noch andere derartige Schülerwettbewerbe, wie den geography bee. Den hat gerade die 14-jährige Caitlin Snaring aus Redmond in Washington gewonnen, weil sie die Antwort auf die folgende Frage wusste:

    A city that is divided by a river of the same name was the imperial capital of Vietnam for more than a century. Name this city, which is still an important cultural center.

    Das weißt natürlich jeder. Snaring erhält 25.000 Dollar für ein Studium und eine lebenslange Mitgliedschaft in der National Geographic Society, der wir einen Eintrag widmen müssen. Spelling Bees sind keine Herausforderung, sagt sie übrigens: „If you want to know how to spell something, just go to Microsoft Word.“ Ein echtes Kind des digitalen Zeitalters.

([1] An Empire of Wealth, John Steele Gordon, Harper Perennial, New York 2004, ISBN 0-06-050512-5)

[Ergänzt 30. Mai 2007: Link zum Nachruf von Larry Flynt, Danke an ID]

Mindestlöhne in den USA

Mai 25, 2007

Der Kongress hat gestern zusammen mit einem Teil des Militärhaushaltes eine Reihe von anderen Geldern bewilligt, darunter eine Erhöhung des Mindestlohns. Dieser steigt von 5,15 Dollar auf 7,25 Dollar.

(Was in aller Welt haben die Kriege im Irak und Afghanistan mit dem Mindestlohn zu tun, mag sich jetzt der interessierte Leser fragen. Gar nichts. Das ist eine Kröte, die die Republikaner schlucken mussten, damit die Demokraten ihre Forderung nach einem konkreten Abzugstermin aus dem Irak aufgeben. Niemand würde verstehen, wenn Präsident George W. Bush jetzt nochmal sein Veto einlegen würde, und so haben die Demokraten eines ihrer Wahlversprechen eingefügt. Diese Art von Kompromiss – das bessere Wort ist wohl Pferdehandel – ist ein normaler Teil des Gesetzgebungsprozesses.)

Die USA haben seit dem Fair Labor Standards Act von 1938 einen Mindestlohn. Er war Teil von Präsident Franklin D. Roosevelts New Deal, um die Weltwirtschaftskrise zu überwinden, und betrug zunächst 25 Cent die Stunde. Zu dem Protestgeheul der Wirtschaft sagte Roosevelt:

Do not let any calamity-howling executive with an income of 1000 dollars a day […] tell you […] that a wage of 11 dollars a week is going to have a disastrous effect on all American industry.

Die Diskussion in Deutschland über die Einführung eines Mindestlohns ist nicht Gegenstand dieses Blogs. Das Thema ist diesem Autor auch schlicht zu komplex, als dass er sich an irgendwelche Vergleiche wagen würde. Wir halten fest, dass der minimum wage als solches in den USA inzwischen nicht mehr in Frage gestellt wird. Diskutiert wird allerdings, wie hoch er sein sollte. Das aktuelle Schlagwort lautet living wage, ein Mindestlohn, der einen gewissen sozialen Standard ermöglichen soll.

Nun wären die USA nicht die USA, wenn der vom Bund festgelegte Mindestlohn einfach so landesweit gelten würde. Auch hier entscheiden die Bundesstaaten und Kommunen, was wirklich gilt. Der federal minimum wage ist dabei die Untergrenze.

(Warum der Bund hier überhaupt etwas zu sagen hat, ist eine Geschichte, die wir getrennt behandeln werden. Kurz gesagt wurde im New Deal Artikel 1, Sektion 8 der Verfassung schlagartig sehr breit ausgelegt, um den Bund größere Befugnisse beim Handel zu geben. Roosevelt lag während dieser Zeit im offenen Krieg mit dem Obersten Gericht. Er gewann.)

Die meisten Bundesstaaten haben eigene Mindestlöhne festgelegt, das Gesetz auf zusätzliche Berufsgruppen ausgeweitet, andere Regeln für Überstunden beschlossen, den Mindestlohn an die Inflation gekoppelt und vieles mehr. Zusätzlich können die Kommunen eigene Gesetze erlassen. So schreiben mehrere Städte, darunter Washington, Miami, Philadelphia und San Francisco, noch höhere Mindestlöhne vor.

Kurz erklärt: Geburtstage vorfeiern

Mai 23, 2007

Die sehr gute Bekannte SHB hatte gestern Geburtstag. Dieser Autor musste leider die Glückwünsche über die Schönste Germanin ausrichten lassen, was doof ist. Sorry.

Wir nehmen das zum Anlass, in ihrem Namen auf einen kleinen aber oft verstörenden kulturellen Unterschied aufmerksam zu machen: In den USA kann man den Geburtstag Tage, sogar Wochen, vorher feiern, wenn es besser passt. Das bringt in Amerika kein Unglück.

In Deutschland schon. Also, angeblich. Deswegen gucken Deutsche sehr gequält, wenn die Amerikaner bei solchen Gelegenheiten fröhlich happy birthday singen, Torte schneiden und Geschenke auspacken und sich gar nicht darum scheren, dass es noch gar nicht so weit ist. Das musste die Schönste Germanin schon drei Mal über sich ergehen lassen.

Ihr Rat: Tapfer lächeln.

Einige Bemerkungen zu Hillary Clintons Steuererklärung

Mai 21, 2007

Aufregung in Amerika: Mehrere Präsidentschaftskandidaten für 2008 weigern sich, ihre Steuererklärungen zu veröffentlichen. Dazu gehören Hillary Clinton und John McCain. Empörend! lautet der Aufschrei. Wie kommen die dazu, einfach von ihrem Recht auf Privatsphäre Gebrauch zu machen, fast als wären sie normale Menschen? Was für eine Demokratie soll das sein, in der führende Politiker ihre Steuererklärungen geheim halten? Und was haben die überhaupt zu verbergen?

Von den großen Namen folgte bislang nur Barack Obama der langjährigen Tradition und veröffentlichte sein Formular 1040 [PDF]. Die anderen, ob Republikaner, ob Demokraten, weichen der Antwort aus oder versuchen das Thema zu wechseln. Das hat sich seit Watergate nur ein Kandidat getraut: Bill Clinton in 1992. Er legte seine Steuererklärungen erst 1996 vor seiner zweiten Amtszeit offen.

Nun sieht das US-Recht eigentlich gar nicht vor, dass Kandidaten für ein Bundesamt ihren 1040er publik machen. Sie sind allerdings nach dem Ethics in Government Act von 1978 dazu verpflichtet, einen financial disclosure statement zu veröffentlichen. Darin müssen sie Einkommen, bestimmte Einkünfte des Ehepartners, Investitionen, Schulden, Führungsposten in Unternehmen und Organisationen, bezahlte Reisen, Geschenke ab 305 Dollar und einiges mehr auflisten.

Auch Präsidenten, Vize-Präsidenten, Kongressabgeordnete beider Kammern, Minister, Richter am Supreme Court, hochrangige Bundesangestellte (Kriterium ist die Besoldungsgruppe), führende Militärs und jeder, den der Präsident für ein öffentliches Amt vorschlägt und der vom Senat bestätigt werden muss, unterliegen dieser Pflicht. Das Gesetz wurde nach dem Watergate Skandal erlassen, überwacht wird die Einhaltung vom Office of Government Ethics (OGE).

Und so erfährt die Welt einmal im Jahr, dass Präsident George W. Bush immer noch nicht so viel Geld hat wie sein Vize Dick Cheney und dass Bush ständig Angelruten geschenkt bekommt (insgesamt mindestens elf seit seinem Amtsantritt). Das übernehmen dann auch die deutsche Medien.

Tatsächlich sind diese Daten im Internet zugänglich. Mitglieder der Geheimdienste wie CIA, DIA oder NSA sind davon ausgenommen, ihre Angaben sind vertraulich. Das Verteidigungsministerium hat entschieden, dass Financial Disclosure Statements der Militärs nichts im Internet zu suchen haben. Das OGE erklärt den Unterschied zwischen vertraulichen und öffentlichen Daten dabei mit einem Satz, den sich nur eine staatliche Bürokratie ausdenken kann:

The most notable difference between public and confidential reports […] is that confidential reports are not available to the public.

All‘ das müssen die Kandidaten also veröffentlichen, ob sie wollen oder nicht. Clinton hat allerdings eine Fristverlängerung [PDF] für diese Erklärung erhalten und McCain auch [PDF]. Wir könnten die 45 Tage warten, aber schauen wir uns doch stattdessen die Pflichtangaben von Rudy Giuliani [PDF] an.

Der interessierte Leser mag sich insbesondere die letzten Seiten vornehmen, wo aufgelistet wird, wie viel Geld der ehemalige Bürgermeister von New York für Vorträge erhalten hat. Zum Beispiel 100.000 Dollar (brutto, 80.000 netto) von einer gewissen „SAP America“ – vermutlich ist das die deutsche Softwarefirma. Paranoia greift um sich – ist Giuliani eine Marionette der deutschen Wirtschaft? Jetzt muss man sofort die Finanzdaten der anderen Kandidaten nach ähnlichen Zahlungen durchsuchen, denn vielleicht ist der ganze Wahlprozess unterwandert worden. Von wegen 51. Bundesstaat – die Bundesrepublik könnte bald 66 Bundesländer haben!

(Bei solchen Angaben kommt immer wieder die Abkürzung „PAC“ vor. Das hat nichts mit punktfressenden Computerfiguren aus den 80er Jahren zu tun, sondern heißt political action committee. Grob ist das der Dachbegriff für Vereine mit einer bestimmten politischen Zielrichtung.)

Um von dieser politischen Apokalypse weg zu kommen, schauen wir uns an, welche Vermögenswerte [PDF] der vorsitzende Richter am Supreme Court, John Roberts, hat, denn auch die Judikative wird argwöhnisch überwacht.

Offenbar hat Roberts keine Schulden. Außerdem hat ihm niemand eine Angelrute geschenkt, was irgendwie verdächtig ist. Und noch etwas anderes fällt auf: Er hält Microsoft-Aktien. Apple wäre natürlich die klügere Wahl gewesen. Aber seine Anlagestrategie ist auch aus anderen Gründen interessant, wie schon 2005 vor seiner Ernennung bemerkt wurde:

While in private practice in 2003, Roberts represented 19 states in their antitrust suit against Microsoft. Yet his 2003 financial disclosure form shows Roberts holding $100,000 to $250,000 worth of Microsoft stock.

Solche Details sind ein Grund für die Zwangsveröffentlichung von Finanzdaten: Die Suche nach Interessenkonflikten. Es gibt mehrere Mechanismen, um sie zu beseitigen: Der Staatsdiener kann den Fall zum Beispiel wegen Befangenheit abgeben (to recuse oneself) oder sein Vermögen als blind trust treuhändlerisch verwalten lassen. Letztere werden auch von dem OGE überwacht.

Und damit sind wir wieder bei Clinton und McCain, denn die zwei (und Mitt Romney) haben ihre Blind Trusts nicht nach den Standards der Behörde angelegt und müssen jetzt die Inhalte offen legen. Selbstverständlich gebe es nichts, was sie lieber täten, heißt es sofort von allen drei Kandidaten, nein wirklich, es ist uns ein Vergnügen. Das ist dann auch der Grund für die 45-tägige Fristverlängerung. In einigen Wochen wird ein kleines Heer von politischen Gegnern und Journalisten über die neu veröffentlichten Finanzdaten herfallen auf der Suche nach etwas, irgendwas, das verdächtig aussieht, von A wie, nun, Angelruten bis Z wie Zuwendungen.

Trotzdem, die Steuererklärung, die Steuererklärung …

Das wird im Wahlkampf unangenehme Fragen geben. Frau Clinton, Herr McCain, wie wollen Sie für Transparenz und Rechenschaft in der Regierung eintreten, wenn Sie nicht bereit sind, bei sich selbst anzufangen? Das tut weh, vor allem wenn Obama kalt lächelnd daneben sitzt. Es kann also gut sein, dass sie sich bis zur Wahl noch einen Ruck geben.

Spätestens danach wird vom Sieger erwartet, dass er oder sie über das Pflichtprogramm hinausgeht und das wirkliche, amtliche Steuerformular veröffentlicht. Schließlich haben das die Vorgänger gemacht, ob Demokraten oder Republikaner (man bemerke die schlichte Berufsbezeichnung in der Erklärung [PDF] von George W. Bush: „President“). Da könnte man ja gleich zu Thanksgiving den Truthahn nicht begnadigen.

Warum überhaupt dieses große Interesse der Amerikaner an den Finanzen ihrer Staatsdiener? Der Grund ist blanker Zynismus. Geld spielt aus amerikanischer Sicht in der Politik immer eine Rolle – sonst gäbe es schließlich keine Spendenskandale, von denen keine Demokratie verschont bleibt. Wer etwas anderes glaubt, so ihre Sicht, ist hoffnungslos naiv und macht sich lächerlich. Die Welt ist schlecht, man muss das akzeptieren, das System entsprechend aufbauen und die greedy bastards engmaschig überwachen.

Die USA stehen mit dieser Einstellung nicht allein da. Die Franzosen, die ihre eigenen Erfahrungen mit bâtards avides hatten und schon verschiedene Lösungen ausprobiert haben, bekommen auch Einblick in die Finanzen ihrer Präsidenten. Wenn dieser Autor das Verfahren richtig versteht, geben die Kandidaten vor der Wahl bei der Conseil Constitutionnel eine versiegelte Auflistung ihrer Vermögenswerte ab, die déclaration patrimoniale. Nach der Wahl werden die Daten des Siegers veröffentlicht [sollte dieser Autor das falsch verstanden haben, bittet er um Korrektur – möglicherweise geht es auf der Seite eigentlich um Stinktierzucht].

Daher wissen wir, dass der neue Präsident Nicolas Sarkozy ein Vermögen von zwei Millionen Euro besitzt und einen Austin Mini aus dem Jahr 2006 [PDF]. Sein Vorgänger Jacques Chirac gab dagegen einen Peugeot von 1984 [PDF] an. Schlimm: Auch Sarkozy hat noch keine Angelrute geschenkt bekommen. Aber er soll ja (vergleichsweise) pro-amerikanisch sein, da leiht Bush ihm bestimmt eine.

Aus amerikanischer Sicht ist das französische Verfahren zwar besser als gar nichts. Aber man kauft schon die Katze im Sack. In der Praxis musste Sarkozys Gegenkandidatin Ségolène Royal im Wahlkampf allerdings auch mehr von ihren Finanzen Preis geben, als eigentlich vom Gesetz vorgesehen ist. Zu groß wurde der öffentliche Druck.

Das mag in den kommenden Tagen für Clinton und McCain ein Trost sein: Auch andere Staaten haben nervige Bürger.

Staatsbürgerschaft nach Blut und nach Boden

Mai 17, 2007

Wir haben bei unserem Eintrag über den 14. Verfassungssatz nur einen kleinen Teil zitiert. Schauen wir uns den ersten Satz des ersten Abschnitts an:

All persons born or naturalized in the United States and subject to the jurisdiction thereof are citizens of the United States and of the State wherein they reside.

Was das 1868 für einen Zweck hatte, ist klar: Die ehemaligen Sklaven wurden damit auch Bürger der USA. Wir erinnern uns an die berüchtigte Entscheidung des Obersten Gerichts im Dred-Scott-Fall von 1857, nach der Schwarze „Wesen einer untergeordneten Art“ (beings of an inferior order) sein sollten und der mit zum Bürgerkrieg führte. Der Kongress hob hier Scott vs Sandford auf.

Der 14. Amendment ist aber auch die Grundlage für das Prinzip, dass ein auf dem Boden der USA geborenes Kind automatisch Recht auf die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, egal wer seine Eltern sind. Das nennt man jus soli oder Bodenrecht. Sollte eine interessierte Leserin sich also bei ihrer Niederkunft in den USA wieder finden, kann sie für ihr Kind sofort die citizenship beantragen, selbst wenn ihre intimste Begegnung mit einem Amerikaner bis dahin beim Bäcker stattfand und der Vater Osama bin Laden persönlich ist. Bestätigt wurde der Grundsatz 1898 vom Supreme Court in United States vs Wong Kim Ark.

In den meisten europäischen Staaten gilt dagegen jus sanguinis, das Abstammungsrecht. Deutschland hatte bis 2000 diese Variante in Reinform. Frankreich ist die bekannteste Ausnahme in der Alten Welt. Dort gilt aus Revolutionstagen eine eingeschränkte Variante des Bodenrechts, bei der es im Gegensatz zu den USA eine Wartezeit gibt.

Ohnehin gibt es inzwischen überwiegend Mischformen. Auch die USA haben kein reines Bodenrecht, sondern Elemente des Abstammungsrechts. Kind Nummer Eins und Zwei haben, obwohl in Deutschland geboren, durch ihre Familienbanden Anrecht auf die amerikanische Staatsbürgerschaft. Dass mehr Papierkram damit verbunden ist, ist offenbar nicht nur eine nationale, sondern eine kosmische Regel. Zur Belohnung gibt es eine aufwändige Urkunde [GIF], die alle gebürtige Amerikaner vor Neid erblassen lässt.

Es gibt Ausnahmen, wie zum Beispiel für die Kinder von Diplomaten. Auch für die Indianer galt die Regelung zuerst nicht. Das entscheid das Supreme Court 1884 in Elk vs Wilkins. Damit war den Indianern – nicht zufällig – auch das Wahlrecht verwehrt. Der Kongress gab ihnen schließlich 1924 mit dem Indian Citizen Act explizit die amerikanische Staatsbürgerschaft. Bis dahin waren zwei Drittel der Indianer aber ohnehin durch andere Mechanismen US-Bürger geworden.

Das US-Bodenrecht ist der Grund für die verzweifelten Versuche von schwangeren Mexikanerinnen, sich durch die Wüste nach Arizona, Kalifornien, New Mexico oder Texas zu schleppen. Kommt das Kind auch nur einen Zoll nördlich des Rio Grande zur Welt, ist es automatisch Bürger der USA. Und die Eltern eines amerikanischen Staatsbürgers werden so gut wie nie ausgewiesen. Man spricht zynisch von anchor babies.

Schauen wir uns die 2,6 Millionen Familien [PDF] mit Kindern in den USA an, bei denen mindestens einer der Eltern sich illegal im Land aufhält. In 1,5 Millionen dieser Familien sind alle Kinder US-Bürger. Weitere 460.000 Familien haben mindestens ein Kind mit amerikanischer und mindestens eins mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Anders betrachtet: Nur etwa ein Viertel der illegal eingewanderten Familien haben nicht mindestens ein Kind, das ein US-Bürger ist. Das macht die Debatte über die Ausweisung der illegal aliens noch ein Stück schwieriger.

Wohlgemerkt, wir sprechen hier über Familien, nicht über Personen. Insgesamt gibt es in den USA mindestens zehn Millionen Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung – Befürworter von strengeren Einwanderungsgesetzen gehen von einer höheren Zahl aus. Jedes Jahr kommen zwischen einer halben Million und einer Million weitere hinzu. Es sterben auch jedes Jahr hunderte Menschen [PDF] bei dem Versuch, über die mexikanische Grenze zu kommen, an Hitze, an Erschöpfung, ermordet von Schleusern. Allein in Arizona gab es seit Januar bislang [Mai 2007] 182 bekannte Todesfälle.

Wichtig für die Diskussion über die illegale Einwanderung ist, dass das Bodenrecht im 14. Amendment festgeschrieben ist. Es kann nicht einfach per Gesetz geändert werden. Einige Abgeordnete bringen zwar hin und wieder Entwürfe dazu ein, aber die kommen nicht weit und können als Wählerberuhigung gesehen werden – Leute, ich hab’s probiert, aber die böse Verfassung hat’s verhindert. Um das Bodenrecht abzuschaffen, müsste die Verfassung geändert werden oder das Oberste Gericht radikal von seiner bisherigen Interpretation abweichen.

Schließlich: Einem gebürtigen US-Bürger kann nicht die Staatsbürgerschaft entzogen werden, denn sie ist laut Verfassung sein Geburtsrecht und steht über den Gesetzen. Naturalisierte Amerikaner können sie schon verlieren, was man von enttarnten Altnazis kennt.

Und damit haben wir uns wirklich genug mit dem 14. Verfassungszusatz beschäftigt.

Fe fi fo und etwas Mahna Mahna

Mai 14, 2007

Dieser Autor wurde am Wochenende von Kind Nummer Zwei stundenlang mit Lall-Lauten zugedröhnt und hat heute als Folge davon selbst gewisse Probleme mit mehrsilbigen Wörtern. Da kommt es gerade recht, dass Xander in Buffy Staffel 8, Teil 3 in der letzten Szene einer Seite mit folgender Aufzählung anfängt:

Say it with me now: Fe Fi Fo –

Angelsachsen wissen jetzt zwei Dinge: Das nächste Wort heißt fum und ein Riese kommt. Tatsächlich lautet das erste Wort nach dem Umblättern fucking und erst das zweite fum und es kommt kein Riese, sondern eine Riesin. Aber das Prinzip bleibt gleich. Amerikaner, Briten, Kanadier & Co. wussten, was sie zu erwarten hatten.

Denn diese Sequenz gehört zu dem „Refrain“ des britischen Märchens „Jack and the Beanstalk“:

Fe fi fo fum!
I smell the blood of an Englishman.
Be he ‚live, or be he dead,
I’ll grind his bones to make my bread.

Für die erste Zeile gibt es mehrere Schreibweisen wie fee fie foe fum. Das ist kein Wunder, denn die Sequenz gibt es im angelsächsischen Raum seit Ewigkeiten. In King Lear (Akt III, Szene 4) gibt sich Edgar als wahnsinniger Tom O’Bedlam aus und faselt dabei:

Child Rowland to the dark tower came,
His word was still, „Fie, foh, and fum,
I smell the blood of a British man.“

Da Lear vor dem Einfall der Normannen in 1066 spielen soll, ist es richtig, dass Shakespeare hier von Briten und nicht von Engländern spricht [1].

Das Märchen ist in Deutschland unter dem Namen „Hans und die Bohnenranke“ bekannt. Einige Versionen haben dabei sogar die Sequenz behalten, ohne sie in die deutsche Phonetik (etwa: „Fieh-Fei-Foh-Fomm“) zu übertragen. Das „englische Blut“ wird dagegen zu „Menschenfleisch“. Damit geht (mal wieder) ein Stück der Bedeutung verloren: Wenn ein nicht-englischer Angelsachse einem Engländer fe fi fo fum sagt, muss es nicht immer nett gemeint sein. Die Aufzählung würde sich damit gut als Schlachtruf für Fußballfans eignen, wenn die Deutschen ihn nur kennen würden.

(In einer anderen Variante des Märchens ist es der schlechte Atem der Engländer, der sie verrät, nicht ihr Blut:

Fe, fa, fi-fo-fum,
I smell the breath of an Englishman.
Let him be alive or let him be dead,
I’ll grind his bones to make my bread.

Das ist nun wirklich garstig. Man bemerke auch die etwas andere Sequenz in der ersten Zeile.)

Aber hat sich das nicht vielleicht doch in Deutschland eingeschlichen, wie beim „Three Billy Goat Gruff“? Zwar wusste der (inzwischen leidgeprüfte) germanische Umkreis dieses Autors nicht, was auf „Fieh Fei Foh“ folgt. Aber der interessierte Leser mag sich selbst ein Bild machen. Dazu sollte er heute jeden mit einem fröhlichen „Fieh Fei Foh?“ begrüßen und gucken, was sie antworten. Wer Angelsachsen kennt, kann sie als Kontrollgruppe benutzen. Nur keine Scheu, es dient der Wissenschaft.

Zum Einstieg in die Befragung eignet sich vielleicht eine ähnliche Sequenz, die nun wirklich jeder kennen muss: „Mahna Mahna“. Wer darauf nicht mit einem „Duu-Duu Dududu“ antwortet, ist ein Außerirdischer oder ein Mitglied der Al-Kaida und muss den Behörden gemeldet werden. Bei den anderen kann man in einem zweiten Schritt mit „Fie Fei Foh“ nachlegen.

Wir erwähnen „Mahna Mahna“ nicht nur, weil es ähnlich albern ist wie fe fi fo fum und wir zwischen zwei trockenen Einträgen über den 14. Amendment etwas Auflockerung brauchen. Der interessierte Leser MM hatte nach dem Hinweis auf Chop Suey eine Diskussion über Dinge vorgeschlagen, die zwar Amerikanern angedichtet werden, aber eigentlich nicht aus den USA stammen. Das greifen wir jetzt auf.

(Sein erster Vorschlag war Ketchup, das eigentlich aus Asien stammt – daher auch Ketjap Manis. Die Amerikaner haben nur (also, „nur“) die Tomaten beigefügt. Inzwischen führt Ketchup in den USA die Beliebtheitsliste allerdings nur nach verbrauchtem Volumen an, nicht mehr nach Umsatz: Hier liegt Salsa vorne. Über den Siegeszug der Tex-Mex-Küche werden wir gesondert sprechen.)

Denn „Mahna Mahna“, das jeder mit der Sesamstraße oder den Muppets verbindet, ist eine europäische Erfindung. Als „Mah Nà Mah Nà“ wurde es von dem Italiener Piero Umiliani geschrieben und 1968 in dem Film „Svezia, inferno e paradiso“ veröffentlicht. Wie man von einem Softporno über die angeblichen Schweinereien der Schweden zu den Muppets kommt, hinterfragen wir jetzt nicht. Auch Puppenbastler brauchen mal eine Pause von Kinderdingen.

Und deswegen hören auch wir jetzt auf, bevor jemand noch mit Sting oder Trio kommt. „Da da da“ muss sich dieser Autor noch lange genug anhören.

([1] Asimov, Isaac Asimov’s Guide to Shakespeare, Wings Books 1993, ISBN 0-517-26825-6)

ZEUGS: Mutantensänger, Meinungsfreiheit und Märchen

Mai 12, 2007

Heute ist wieder Eurovision Song Contest! Wir erwähnen das nicht nur, weil es erklärt, warum es keinen richtigen Eintrag gibt – selbstverständlich sitzt das ganze Haus (außer die ganz Kleinen – man weiß ja nie) vor dem Fernseher.

Nein, der Grand Prix ist die ultimative Wunderwaffe gegen alle blöden Bemerkungen über die angebliche Kulturlosigkeit der Amerikaner. Man muss nur lächeln und etwas wie Luxembourg, deux points! antworten und die Diskussion ist beendet – schlagartig. Das ist natürlich gemein, sogar fast grausam, und dieser Autor kommt sich danach immer sehr schlecht vor. Nein, ehrlich.

  • Zu Farben: Mehrere interessierte Leser aus beiden Kulturkreisen haben darauf hingewiesen, dass Neid auch gelb sein kann. Dieser Autor hatte es bislang nur mit grünem Neid zu tun, aber Google bestätigt das, und Google weiß alles. So lange es in beiden Ländern gleich ist, ändert es nichts an der Argumentation.
  • Zu Steuern: Am 30. April war in den USA Tax Freedom Day. Die Amerikaner arbeiten also seit dem 1. Mai nicht mehr für den Staat, sondern für sich selbst. Aber Moment – da Bund, Bundesstaat und Kommune in den USA ihre Steuern getrennt eintreiben, ist das nur ein Durchschnittswert, wie man an der Karte sieht [JPG], die dem Link beigefügt ist. In Oklahoma war es am 12. April schon so weit, in Connecticut müssen die Bürger noch bis zum 20. Mai für die öffentliche Hand knechten.
  • Zur Meinungsfreiheit im Internet: Directory Aviva hat eine Zusammenfassung der relevanten Gesetze für Blogger in den USA. Schauen wir uns Beleidigungen in Kommentaren an: Auch hier genießen amerikanische Blog-Betreiber einen etwas größeren Schutz als ihre deutschen Kollegen. Da ist er wieder, der Unterschied zwischen dem First Amendment und Artikel 1 des Grundgesetzes.
  • Zu American Football: Die NFL Europe hat einen neuen Besucherrekord verbucht: Insgesamt knapp 90.000 Zuschauer bei den drei Partien. In der Familie Stevenson wird gerade diskutiert, wann Kind Nummer Eins groß genug ist, um zum ersten Spiel zu gehen.
  • Zur Nationalgarde: Die hat schneller als erwartet ihre Sollstärke von 350.000 erreicht. Wir erwähnen das hier wegen unserer Diskussion über Berufsarmeen, denn die Presseerklärung geht auf Dinge wie den persönlichen Einsatz der Gouverneure bei der Anwerbung, zum Teil doppelt so hohe Boni und neue Werbekampagnen ein, die alle eine Rolle gespielt haben dürften. In einem kurzen Beitrag über die Probleme bei der Rekrutierung finden wir zudem einen Elefanten, der ein guter Freund eines gewissen Gorillas ist.
  • Zu Kansas City: Die zwanghaften Linkverfolger unter den interessierten Lesern werden bei Kansas City, Kansas eine Besonderheit bemerkt haben: Die Stadt ist teil einer unified government mit dem Bezirk Wyandotte County. Hier wurden also Stadt und Landkreis, sonst getrennte Einheiten, zusammengelegt. Das mag als Erinnerung dienen, dass unsere Beschreibung der Grobstruktur der USA eine Vereinfachung ist. In der Praxis gibt es jede Menge Zwitterformen.
  • Zu Indianern: Der Name „Wyandotte“ im vorherigen Punkt kommt von einem Stamm, der auch mit den Namen „Huron“ oder „Wendat“ verbunden ist. Entsprechende Ortsnamen gibt es auch in Ohio, Michigan und Oklahoma; dort liegt die Wyandotte Nation. Eigentlich war ihr ursprüngliches Gebiet im Süden Ontarios, also an der Ostküste. Die Verbündeten der Franzosen wurden aber in den Beaver Wars (etwa 1650 bis 1700) von ihren Erzfeinden, den mit den Briten verbündeten Irokesen, fast ausgelöscht. Die Überlebenden flohen nach Westen. Als Teil des Indian Removal wurden sie dann zunächst nach Kansas und nach Oklahoma umgesiedelt, was die Verteilung über die halbe USA erklärt und zeigt, wie kompliziert das Thema sein wird.
  • Zu Trollen: Die Schönste Germanin möchte erwähnt wissen, dass Nachwuchs mit bikulturellem Hintergrund ein Hort der Peinlichkeiten sein kann. Weil Kind Nummer Eins gerne bei Brücken – an einigen Tagen bei jeder Brücke – über Trolle diskutiert, gibt es schon mal komische Reaktionen von anderen Eltern („Trolle? Was für Trolle?“ – „Sie erzählen Ihren Kindern was?“). Sollte sich die Trollplage jemals nach Deutschland ausbreiten, werden sie alle noch dankbar sein. So nämlich.
  • Zu Trollen, nochmal: Wer sein Wissen über angelsächsische Märchen testen will, dem sei die mehrfach preisgekrönte Comic-Serie „Fables“ von Bill Willingham empfohlen. Hintergrund: Die Märchenfiguren wurden aus ihrer Heimat vertrieben und müssen jetzt in New York leben. Da die Lebensläufe der Charaktere als bekannt vorausgesetzt werden, wimmelt es nur vor Anspielungen. Der hochgeschätzte Kollege CR hat diesem Autor die ersten Bände geliehen, dummerweise ohne ihm zu sagen, wann in aller Welt er sie lesen soll.

Und was ist mit Buffy? Nun, das ist dann doch Stoff genug für einen eigenen Eintrag, schon wegen der Muppets. Das machen wir nächstes Mal. Ehrenwort.

META: USA Erklärt ist für den Grimme Award nominiert

Mai 10, 2007

Zu meiner großen Freude und noch größeren Überraschung ist dieses Blog für den Grimme Online Award nominiert worden. Vielen Dank an die Nominierungskommission für diese Ehre und an alle, die USA Erklärt weiterempfohlen haben. Es ist schon atemberaubend, sich in einer Liste mit dem BR, der „Zeit“, dem ZDF und dem UNHCR wiederzufinden.

Zwei Fragen, die mir heute mehrfach gestellt wurden:

  • Ja, ich mache das ganz alleine. Es gibt keine Redaktion. Das Hosting geht daher auch nicht über das hinaus, was WordPress kostenlos anbietet (Danke übrigens).
  • Nein, es gibt hier kein Flash, keine Grafiken und auch keine Bilder. Nur Texte. Das ich damit in der Rubrik „Wissen und Bildung“ den Trend verpasse, ist die Geschichte meines Lebens.

Die Kehrseite ist leider, dass es noch länger mit der Antwort auf E-Mails dauern könnte (falls das überhaupt noch geht). Sorry.

Danke nochmal und möge die beste Site gewinnen.

Mehr Macht für Washington: Der 14. Verfassungszusatz

Mai 8, 2007

Wir haben in unserem Gesamtüberblick etwas lakonisch darauf hingewiesen, dass die Aufgabentrennung zwischen Bund (Ausland) und Bundesstaaten (Inland) seit dem Bürgerkrieg nicht mehr so streng ist. Es wird Zeit, dass wir uns genauer anschauen, was da passiert ist. Buffy muss bis zum nächsten ZEUGS-Eintrag warten, auch wenn Willow sich gerade in fürchterlicher Gefahr befindet.

Nach dem Bürgerkrieg verabschiedete der Kongress drei Verfassungsänderungen: Nummer 13, 14 und 15. Der 13. Amendment schaffte die Sklaverei ab, der 15. Amendment sollte sicherstellen, dass ehemalige Sklaven die gleichen Wahlrechte hatten (was durch die Jim-Crow-Gesetze fast 100 Jahre lang umgangen wurde). Beide sind vergleichsweise selbsterklärend. Uns interessiert hier der 14. Amendment von 1868, der die Verfassung tiefgreifend änderte.

Dieser Verfassungszusatz ist lang und behandelt (mal wieder) mehrere Dinge auf einmal. Uns reicht dieser Satz, der im Prinzip sagt, dass kein Bundesstaat die Rechte des Bürgers einschränken darf:

No State shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States; nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws.

Moment, wird jetzt der aufmerksame interessierte Leser sagen. „Life, liberty, or property“? „Due process“? Hatten wir das nicht schon irgendwo? Tatsächlich finden wir diese Formulierungen bereits im Fifth Amendment:

No person shall be […] deprived of life, liberty, or property, without due process of law …

Der Trick an der Sache: Bis zum 14. Amendment galt das nur für den Bund, wie alle anderen in der Verfassung garantierten Rechte. Den Bundesstaaten stand es frei, in ihren eigenen Verfassungen andere Rechte festzulegen. Gegenüber dem Bund mochte ein Bürger zwar die Rechte aus der Bill of Rights haben, aber gegenüber seinem Bundesstaat waren die wertlos – es galt, was in dessen Verfassung stand. Man sprach von der dual citzenship, der doppelten Staatsbürgerschaft.

Der 14. Amendment änderte das. Die Bill of Rights, also die ersten zehn Verfassungszusätze, wurden zwar nicht „mechanisch“ auf die Bundesstaaten übertragen – und es gibt bis heute einen erbitterten Gelehrtenstreit darüber, ob das überhaupt das Ziel war. Aber der Supreme Court hat in einer Serie von Urteilen Stück für Stück die meisten Artikel für bindend befunden. Diesen Vorgang nennt man incorporation. Urteile des Obersten Gerichts zu den „inkorporierten“ Rechten sind damit auch für die Rechtssysteme der Bundesstaaten und Kommunen gültig. Auch die entsprechenden Gesetze des Kongresses sind bindend.

(Der bekannteste Teil der Bill of Rights, der bislang nicht inkorporiert wurde, ist der Second Amendment, der den Waffenbesitz regelt. Wie wir sehen werden, gibt es Streit darüber, was der Verfassungszusatz genau dem Staat verbietet, aber was es auch immer ist, der Artikel schränkt nur den Bund ein, nicht die Bundesstaaten.)

Das ist der Grund, warum der Kongress Gesetze über die Bürgerrechte (civil rights statutes) erlassen kann, die dann im ganzen Land gültig sind, und warum die Bundesermittlungsbehörde FBI bei derartigen Verbrechen eingreift. Den Bundesstaaten steht es natürlich frei, zusätzliche Rechte festlegen – so haben mehrere Bundesstaaten, aber nicht der Bund, shield laws, die das Recht eines Journalisten auf Quellenschutz festlegen. Aber weniger Rechte als im Bill of Rights geht nicht mehr.

Der 14. Amendment bewirkte damit in diesem Bereich – und erstmal nur hier, der New Deal kam später – eine ganz klare Machtverschiebung auf Kosten der Bundesstaaten. Das ist umstritten, denn es zerstört das Gleichgewicht zwischen beiden Sphären. Sollte der Bund wirklich diese Macht haben? Bereits 1930, bevor es mit der Inkorporation überhaupt so richtig losging, schrieb der Oberste Richter Oliver Holmes in Baldwin vs Missouri:

I have not yet adequately expressed the more than anxiety that I feel at the ever increasing scope given to the Fourteenth Amendment in cutting down what I believe to be the constitutional rights of the States.

Weitere Kritik gibt es an der Macht, die damit der Supreme Court erhält – wir sind wieder bei dem Vorwurf der Usurpation. Die Bundesstaaten sind den Interpretationen der Bürgerrechte durch das Oberste Gericht schutzlos ausgeliefert. Als Beispiel dafür mag (ebenfalls mal wieder) Roe vs Wade von 1973 gelten, das bundesweit Abtreibungen zulässt. Es ist der 14. Amendment, der diese Entscheidung für alle Bundesstaaten und Kommunen bindend macht.

Wir wollen diese Diskussion mit einer Warnung beenden: Das war alles mal wieder vereinfacht, so vereinfacht sogar, dass einige echte Juristen neue Bissspuren auf ihrer Tischkante haben dürften. Eine vollständige Diskussion müsste auf den oben genannten Gelehrtenstreit eingehen, was dann aber auch erklärt, warum eine 1868 verabschiedete Verfassungsänderung erst etwa ein Jahrhundert später richtig zur Geltung kam. Wer keine Angst vor dem Unterschied zwischen procedural due process und substantive due process hat, wird es lieben. Dieser Autor geht jetzt mit Kind Nummer Eins Fliewatüüt gucken.

Der Supreme Court selbst geht mit dieser Frage ohnehin eher pragmatisch um. Der Oberste Richter Antonin Scalia soll zur Inkorporation erklärt haben :

[W]e’ve been doing this for fifty years now, it’s not a problem. I just take the same rules that I apply to the Bill of Rights against the federal government, and I apply it against the states. It is manageable, the people have gotten used to it, and I’m not about to tell the people of New York state or of any state that their state government is not bound by the First Amendment. Okay?

Okay.

[Ergänzt 25. Mai 2007 Platzhalter für Link zum New Deal eingefügt]