Archive for September, 2008

Das (nicht-)autorisieren von Interviews

September 27, 2008

In einem Kommentar zu einem Blog-Eintrag von Stefan Niggemeier über die republikanische Vize-Kandidatin Sarah Palin weist Formwandler auf einen Unterschied bei der Pressearbeit hin, der nicht allen interessierten Lesern bekannt sein dürfte: In Deutschland werden Interviews nachträglich „autorisiert“. Im angelsächsischen Raum geschieht das nicht.

Die schon länger geführte Diskussion in Deutschland über diese Praxis ist für uns nicht relevant, daher halten wir es kurz und zitieren zur Vorgehensweise einfach einen früheren Eintrag von Niggemeier:

In Deutschland ist es immer noch die Regel, dass alle Interviews nachträglich autorisiert werden. Wenn ein Interviewpartner (oder sein Pressesprecher) hinterher pointierte Bemerkungen und offenherzige Kommentare bereut, kann er sie in aller Regel und Ruhe nachträglich revidieren.

Was Angelsachsen davon halten, erklärt der englische Dienst der Deutschen Welle:

[I]n the US, Britain or Australia, the idea of a journalist giving an interview subject a whack at editing his or her own comments after the fact would be grounds for derision, if not dismissal.

Außerdem könnte man nicht so lustige Listen und amüsante Aufzählungen erstellen.

Die verschiedene Vorgehensweise führt zu einem Unterschied in der Zahl der saudummen Bemerkungen von Politikern, die die Bevölkerung erreichen. Während amerikanische, australische, britische und kanadische Politiker scheinbar ständig their foot in their mouth haben, sind ihre deutschen Kollegen durch ein Netz und einen doppelten Boden vor den größten Fettnäpfchen geschützt. Entsprechend wirken sie – zumindest im Durchschnitt – rhetorisch geschickter.

Den Angelsachsen bleibt dagegen nur eins: Kinn hoch und durch. Um einen der schönsten Versprecher von Dan Quayle einmal wörtlich zu nehmen:

I stand by all the misstatements that I’ve made.

META: Livestreaming von „Wie wählt Amerika?“

September 26, 2008

Ich habe gerade erfahren, dass Zaplive.tv die Veranstaltung „Wie wählt Amerika?“ streamt, für die Leute, die einfach keinen Flug mehr nach Berlin bekommen haben. Der Link dafür ist:

http://www.zaplive.tv/web/rocco?streamId=rocco%2F2a4dec50-0e54-4e47-b4c5-2d957ca04101.

Bitte keine Fragen an mich, was die Technik angeht. Es gibt einen Grund, warum dieses Blog weder Bilder noch Videos hat.

META: Dieser Autor, live und in Farbe bei „Wie wählt Amerika?“

September 23, 2008

Zu meiner großen Freude und meinem noch größeren Erstaunen bin ich zu der Veranstaltungsreihe „Wie wählt Amerika?“ eingeladen worden – Danke an Carsten Bösel vom TransatlanTicker. Genauer gesagt nehme ich am

Montag, dem 29. September 2008 ab 19.00 Uhr im
Amerika Haus Berlin
Hardenbergstraße 22-24
10623 Berlin (Direkt am Bahnhof Zoo)
Eintritt kostenlos

an der Diskussionsrunde „Wie Amerikaner in Deutschland und Deutsche in Amerika den Wahlkampf erleben“ teil. Yippee!

Meine Mit-Gäste sind der Musiker Todd Fletcher, der Schriftsteller Werner Peters und Professor Eric Langenbacher von der Georgetown University. Moderatoren sind Heather DeLisle von der Deutschen Welle und Rik DeLisle, den Berliner von Jahrzehnten im Hörfunk kennen werden.

Organisiert wird das Ganze von der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Institute for Cultural Diplomacy und der Initiative Amerika Haus Berlin. Die tiefere Vorstellung dabei ist, die Wahl und damit auch ein Stück der USA den Bürgern auf eine etwas persönlichere Art näher zu bringen. Meine Rede.

Sehr aufregend, das alles. Zum Glück wird wohl die Schönste Germanin auch dabei sein, um meine Hand zu halten.

Wahlen, Teil 7: Das System der Wahlmänner

September 21, 2008

Die Parteitage sind vorbei, die Kandidaten stehen fest, und wir werden fast täglich mit Umfragen zugeschüttet, wer mit wie viel Prozentpunkten führt. Höchste Zeit zu erklären, wie der Präsident gewählt wird – einige interessierte Leser werden nämlich schon ungeduldig. Dann wird auch klar, warum die Umfragen nur ein grobes Maß sind.

Wir hatten in unserem ersten Eintrag zu den Wahlen in den USA den visuellen Hammer ausgepackt, um ein Missverständnis aus dem Weg zu räumen:

In den USA wird der Präsident nicht durch eine Wahl auf Bundesebene bestimmt, sondert durch getrennte Wahlen in den einzelnen Bundesstaaten, deren Ergebnisse kombiniert werden.

Der Mechanismus dazu ist das Wahlmänner-Kolleg (electoral college). Jeder Bundesstaat bekommt eine gewisse Anzahl von Wahlmännern –

(Bevor ein Emma-Einsatzkommando hier die Tür eintritt: Natürlich können das inzwischen auch Frauen sein. Der englische Begriff elector ist geschlechtsneutral, aber anscheinend hat man sich im Deutschen auf „Wahlmänner“ festgelegt, warum auch immer. Wer will, kann das Wort im Geiste durch etwas politisch korrektes wie „Wahlmännerinnen“ ersetzen.)

– was grob mit der Bevölkerungsgröße übereinstimmt, was man an einer Karte [GIF] von 2004 sehen kann.

Denn die Zahl der Wahlmänner entspricht der Zahl der Vertreter im Kongress. Wir erinnern uns: Jeder Bundesstaat erhält zwei Senatoren, nicht mehr und nicht weniger. Die Zahl der Abgeordneten im Repräsentantenhaus hängt dagegen von der Bevölkerungszahl ab. Es gibt aber mindestens einen. Selbst der kleinste Bundesstaat hat damit drei Wahlmänner.

Insgesamt gibt es 538 von ihnen im Kolleg – für 100 Senatoren und 435 Abgeordnete aus den Bundesstaaten und wegen einer Sonderregelung drei aus dem Regierungsbezirk District of Columbia um die Hauptstadt Washington. Für einen Sieg braucht ein Kandidat mindestens 270.

Nun reden wir von einem Land, wo sonst alles vom Vize-Unterbezirkshundefänger über Richter bis hin zu den Senatoren direkt vom Volk gewählt wird. Warum also dieses indirekte und offen gesagt umständliche System für den Präsidenten?

Die Verfassungsväter (die wirklich nur Männer waren) trauten dem Volk nicht so richtig. Eine Republik, natürlich, welcher aufgeklärte Intellektuelle des 18. Jahrhunderts wollte das nicht. Aber democracy war ein Synonym für Chaos.

Daher sollte eine Gruppe von vertrauenswürdigen und weisen Bürgern in aller Ruhe und nur ihrem Gewissen folgend die eigentliche Entscheidung treffen. Die Sitzungen dazu fanden (und finden) im jeweiligen Bundesstaat statt und nicht auf einer zentralen Versammlung, damit der ungewaschene Pöbel nicht mit Fackeln und Mistgabeln vor der Tür auftauchen und Druck ausüben konnte. Wörtlich aus den Federalist Papers:

It was equally desirable that the immediate election should be made by men most capable of analyzing the qualities adapted to the station and acting under circumstances favorable to deliberation, and to a judicious combination of all the reasons and inducements which were proper to govern their choice.

Ah, die guten alten Tage vor plain English.

Inzwischen trauen sich die Amerikaner mehr zu und die Wahlmänner sind eine Formalität. Auf einigen Wahlzetteln – zum Beispiel in North Carolina [PDF] – sind nur noch die Namen der Kandidaten aufgeführt. Auf anderen – nehmen wir Idaho [PDF] – stehen die Wahlmänner immerhin noch unter den Namen der Bewerber.

In der Praxis halten sich die Wahlmänner schon deswegen fast immer an ihren Auftrag, weil sie von den Parteien ihrer Kandidaten gestellt werden. In einigen Bundesstaaten sind sie sogar per Gesetz dazu verpflichtet, die Entscheidung zu respektieren. Aber in etwa 20 Bundesstaaten kann der Wahlmann eigentlich tun und lassen, was er will.

Das „fast“ im vorherigen Absatz kommt daher, dass tatsächlich einige Wahlmänner anders gestimmt haben, die Faithless Electors. Je nachdem, wer zählt, ab welchem Jahr man zählt, ob man auch die Vize-Wahl mitzählt, ob man die Ersatzmänner für verstorbene Wahlmänner berücksichtigt und was man als Maßstab für Untreue anlegt, gab es zwischen neun und 157 solcher Wahlmänner. Einen Einfluss auf den Ausgang hatten sie nie.

(Da hatte die Demokratin Barbara Lett-Simmons bei der Wahl 2000 George W. Bush gegen Al Gore ziemliches Glück. Sie enthielt sich, um dagegen zu protestieren, dass der District of Columbia als Nicht-Bundesstaat kein Stimmrecht im Kongress hat. Nicht auszudenken, wenn Gore deswegen gescheitert wäre.)

Nächster wichtiger Punkt: Da die Wahlen nach den Gesetzen der Bundesstaaten vorgenommen werden, entscheiden diese auch, nach welchem Verfahren die Wahlmänner verteilt werden. In der Verfassung steht in Artikel II lediglich:

Each state shall appoint, in such manner as the Legislature thereof may direct, a number of electors […]

Gut, in der Praxis ist das im Augenblick nicht wichtig, weil 48 Staaten die übliche Mehrheitswahl (winner-takes-all) haben. Wer die meisten Stimmen hat, kriegt ausnahmslos alle Wahlmänner. Wie schon besprochen sehen die Amerikaner (und Briten) eine Reihe von Vorteilen bei der Mehrheitswahl. In Maine und Nebraska werden die Wahlmänner dagegen vereinfacht gesagt nach dem Verhältnis verteilt. Wir werden am Ende des Textes zeigen, warum die Hoheit der Bundesstaaten wichtig werden könnte.

So weit zu dem Verfahren. Jetzt kommen wir zu den Besonderheiten, die sich daraus ergeben. Zuerst zwei weniger wichtige Effekte.

Erstens, die dezentrale Organisation der Wahl macht eine systematische Wahlfälschung schwieriger. Man stelle sich das Theater vor, wenn 2000 die Stimmen zentral in Washington ausgezählt worden wären und nicht in den einzelnen Bundesstaaten.

Der zweite Effekt ist eine Folge der verschiedenen Zeitzonen in einem Land, dessen heutige Größe sich die Verfassungsväter nicht hätten träumen lassen. Da jeder Bundesstaat für sich selbst wählt, gibt er auch seine Ergebnisse sofort nach dem Schluss seiner Wahllokale bekannt. Ehrlich, soll das ganze Land auf diese beach bums auf Hawaii warten? Als Nebeneffekt macht es den Wahlabend spannender, weil die Ergebnisse Stück für Stück eintrudeln. Europäer müssen da mit der Eurovision Vorlieb nehmen.

Für zwei wichtigere Effekte schauen wir uns zuerst das Verhältnis von Wahlmännern und Bevölkerung in den Bundesstaaten an. Nehmen wir Wyoming mit 515.000 Einwohnern: Er stellt zwei Senatoren und einen Abgeordneten und bekommt damit drei Wahlmänner. Das vergleichen wir jetzt mit Kalifornien mit 36,5 Millionen Menschen und 55 Wahlmännern (Zahlen gerundet):

Wyoming: 515.000 / 3 = 171.700 Bürger pro Wahlmann

Kalifornien: 36.500.000 / 55 = 663.600 Bürger pro Wahlmann

Eine Stimme in Wyoming ist also mehr wert als eine Stimme in Kalifornien. Insgesamt erhalten die Bürger in den kleinen Bundesstaaten mehr Einfluss als sie es bei einer landesweiten Wahl haben würden. Je nachdem, wen man fragt, ist das entweder eine fürchterlichere Verzerrung oder ein fantastisches Feature.

Auf jeden Fall können wir unseren Merksatz ergänzen:

In den USA wird der Präsident nicht durch eine Wahl auf Bundesebene bestimmt, sondert durch getrennte Wahlen in den einzelnen Bundesstaaten, deren Ergebnisse kombiniert werden. Dabei findet eine Gewichtung zugunsten der kleineren Bundesstaaten statt.

Der zweite Effekt ergibt sich aus der Mehrheitswahl. Nehmen wir wieder Kalifornien. Wenn ein Kandidat – in diesem Fall wohl der Demokrat Barack Obama – 18.250.001 Stimmen erreicht hat, bekommt er alle Wahlmänner. Selbst wenn er alle denkbaren 36.499.999 Stimmen bekommen würde (Gouverneur Arnold Schwarzenegger würde nie für ihn stimmen), nützt ihm das nichts. Ob 50,1 Prozent oder 99,9 Prozent der Stimmen, die Zahl der Wahlmänner ist gleich.

Wie jeder Deutsche seit 2000 weiß, können diese beiden Eigenschaften dazu führen, dass der Kandidat mit weniger Gesamtstimmen (popular vote) die Wahl gewinnt. Außer bei Bush gegen Gore war das bei der Wahl von 1876 (Rutherford Hayes vs Samuel J. Tilden) und der Wahl von 1888 (Benjamin Harrison vs Grover Cleveland) der Fall – drei Mal in 220 Jahren.

(Wenn irgendwo steht, dass es vier Mal waren: Bei der Wahl von 1824 (John Quincy Adams vs Andrew Jackson) erreichte keiner der Kandidaten die notwenige Zahl der Wahlmännerstimmen und die Entscheidung wurde entsprechend dem 12. Verfassungszusatz vom Repräsentantenhaus getroffen. Allerdings wurde die Zahl der abgegebenen Stimmen nicht erfasst.)

Der Streit um das System ist nicht neu und die Argumente dafür und dagegen sind seit Jahrzehnten bekannt. Die Reformer sind davon abgekommen, eine Verfassungsänderung zu verlangen – so groß ist der Leidensdruck nicht, als dass man am Heiligsten des Heiligen herumspielen will. Allerdings gibt es einen anderen Vorschlag.

Den Bundesstaaten steht es wie gesagt frei zu entscheiden, wie sie ihre Wahlmänner verteilen. Daher könnten sie verfügen, dass alle an den Kandidaten gehen, der im ganzen Land die meisten Stimmen erhält. Dieser National Popular Vote Compact hätte nichts mit der Verfassung zu tun. Entsprechende Gesetze wurden 2007 in 42 Bundesstaaten vorgeschlagen und sind inzwischen in vier gültig: Hawaii, Illinois, Maryland und New Jersey. Der Mechanismus greift aber erst, wenn die teilnehmenden Staaten zusammen mindestens 270 Wahlmänner stellen. Gegenwärtig sind es 50.

Nach dieser ganzen Vorrede wissen wir, warum landesweite Umfragen nur ein grobes Maß sind. Eigentlich müssten die Wahlforscher in jedem der 50 Bundesstaaten eine repräsentative Umfrage vornehmen und die Ergebnisse entsprechend dem Wahlmänner-Kolleg gewichten. Das ist ihnen aber zu viel Arbeit.

Man kann aber die Umfragen der verschiedenen Institute in den einzelnen Bundesstaaten zusammenfassen. Entsprechende Karten erstellt zum Beispiel Real Clear Politics. Demnach hat Obama 202 Wahlmänner sicher, der Republikaner John McCain 189 und für 147 ist noch keine Tendenz erkennbar. Erzwingt man dort eine Tendenz, steht es 273 Wahlmänner für Obama und 265 für McCain. Zu den toss up states ohne klare Tendenz gehören Riesen wie (natürlich) Florida (27 Wahlmänner), Pennsylvania (21), Ohio (20) und Michigan (17).

Daran sieht man besser als an allen landesweiten Umfragen: Das Rennen ist noch völlig offen.

Warum man amerikanische Holzlager vermeiden sollte

September 19, 2008

Dieser Autor und die Schönste Germanin verbringen ihre Herbst- und Winterabende, wie könnte es anders sein, Hand in Hand und Auge in Auge vor dem Kamin im Wohnzimmer und machen dabei Taubengeräusche. Morgen wird das Holz dafür angeliefert. Es handelt sich um ein Sonderangebot mit einer unpraktischen Menge: Zu viel für die bisherigen Lagerorte im Haus, zu wenig für eine Holzmiete. Was man bräuchte, wäre ein Holzlager – ein woodshed also.

Das erwähnen wir hier, weil es eine Redewendung gibt, die immer wieder zu Übersetzungsproblemen führt: A trip to the woodshed ist eine Strafe im Sinne einer Tracht Prügel. To take somebody to the woodshed heißt, jemandem „die Leviten zu lesen“.

Wir finden den Spruch bei unserem Präsidentschaftskandidaten Richard Wilkins III in der Buffy-Folge „Graduation Day, Part 2“. Für seine Umwandlung in einen Dämonen muss er alle Schüler aufessen und weist seine Vampir-Lakaien daher an, dass sie die Abschlussklasse zwar fangen sollen, nicht aber beißen dürfen:

No snacking. [If] I see blood on your lips, it’s a visit to the woodshed for you boys.

Die Redewendung ist schon ziemlich alt und passt damit wunderbar zu einem Politiker, der seit sehr, sehr, sehr lange an der Macht ist und wegen seiner strengen Moralvorstellungen nur Schimpfworte wie heck (statt hell) und darn (für damn) benutzt.

Interessant ist, dass Wilkins von einem visit spricht statt von einem trip, aber man im Internet bei Diskussionen über diese Folge (und bei einigen angeblichen Mitschriften) häufig die trip-Form findet. Man hört, was man erwartet.

Die Synchronisation war so oder so wieder überfordert:

Nicht naschen. Sehe ich Blut auf euren Lippen, dann werde ich euch alle zur Strafe einsperren.

Das war der Ton der DVD. Die deutschen Untertitel wurden offenbar wieder getrennt synchronisiert:

Also keine Snacks. Erwische ich euch mit Blut auf den Lippen, gibt’s Hausarrest.

Das ist geringfügig besser, weil es näher an der Sprachebene liegt. Dieser Autor würde „Seh‘ ich Blut auf euren Lippen, kriegt ihr Jungs eine Tracht Prügel“ oder eine Variante mit „dann setzt es was“ vorschlagen.

Falls es den Synchronisatoren ein Trost ist: Der Holzlager-Spruch ist inzwischen so alt, dass auch eine US-Site sich genötigt sah, die Anspielung zu erklären. Die Jugend von heute …

Wahlen, Teil 6: Gewaltenteilung als Faktor bei der Präsidentenwahl

September 16, 2008

Deutsche haben bekanntlich Schwierigkeiten mit der Gewaltenteilung. Im Moment macht sich das insbesondere bei Diskussionen über die Präsidentschaftswahl bemerkbar. Wir zeigen daher heute am laufenden Wahlkampf, warum die Entscheidung für einen Kandidaten auch davon abhängen kann – einige Amerikaner würden sagen „abhängen sollte“ oder „abhängen muss“ – wie die Verhältnisse im Kongress aussehen.

(Dieser Autor möchte die folgende Diskussion nicht als Unterstützung für die eine oder andere Partei oder den einen oder anderen Kandidaten verstanden wissen. Für dieses Blog gilt ab sofort: Richard Wilkins III for President!)

Der interessierte Leser wird sich erinnern: Nicht der Präsident macht die Gesetze, sondern der Kongress, notfalls ohne und im Extremfall gegen ihn. Es gibt damit zwei bestimmende Mächte in der amerikanischen Alltagspolitik, die selbst dann zusammenarbeiten müssen, wenn dort verschiedene Parteien das Sagen haben.

Wenn nun alle vier Jahre die Präsidentschaftskandidaten auftreten, ihre auf Hochglanz polierten Programme vorstellen und mit leuchtenden Augen ihre Wahlversprechen aufsagen, stellt sich dem amerikanischen Wähler nicht nur die Frage, ob ihm das alles gefallen würde. Er überlegt sich auch: Kriegt er seine Wundergaben überhaupt durch den Kongress?

In diesem Wahljahr sind entprechende Planspiele einfach. Den Umfragen zufolge werden die Demokraten ihre Mehrheit im Senat wie im Repräsentantenhaus halten oder sogar ausbauen.

[Kaum ist dieser Eintrag fertig, sacken die Demokraten zum ersten Mal seit Monaten in den Umfragen deutlich ab. Nee, is‘ klar. Danke auch. Das ignorieren wir, denn es geht ums Prinzip und dieser Autor hat keine Zeit, alles umzuschreiben.]

Damit kann sich der Demokrat Barack Obama bei einem Sieg Hoffnungen machen, sein Wahlprogramm zumindest in groben Zügen umsetzen zu können. Für seine Anhänger wäre das der Idealzustand. Dabei hätten allerdings auch solche Programmpunkte eine Chance verwirklicht zu werden, die Republikanern als extrem gelten.

Umgekehrt wissen wir jetzt schon: Der Republikaner John McCain könnte als Präsident nur die Abschnitte seines Wahlprogramms durchsetzen, die den Demokraten in den Kram passen. Auch McCains Kandidaten für die Staats- und Regierungsämter – insbesondere die neuen Richter am Supreme Court – müssten erstmal am demokratischen Senat vorbei.

Damit können wir schon mal erklären, warum die Programme der Kandidaten unterschiedlich streng bewertet werden. Wenn McCain propagieren würde, alle Erstgeborenen Cthulhu zu opfern, würde das zwar Rückschlüsse auf seinen Charakter zulassen. Aber angesichts der Mehrheiten im Kongress ist das sonst bedeutungslos, denn so etwas machen die Demokraten natürlich nie mit. Ein Programmpunkt von Obama dagegen, für die Tinte der Dollar-Scheine das Blut von Jungfrauen zu verwenden, müsste viel ernster genommen werden. Bestimmt wollen das alle Demokraten.

Für eingefleischte Republikaner ist ein demokratischer Kongress natürlich eine Tragödie. Wie ihre demokratischen Gegenspieler wünschen sie sich zu Abermillionen nichts sehnlicher, als dass ihre Partei nicht nur die Präsidentschafts- und Kongresswahlen gewinnt, sondern am besten auch den Superbowl, den Stanley Cup und die World Series. Nur wenn alles in einer Hand ist, so das Argument der Parteianhänger, kriegt man etwas geschafft.

Es gibt in der Mitte des Spektrums aber eine andere politische Schule. Sie sagt, dass es besser ist, wenn alle Beteiligten mit Gewalt zum Kompromiss gezwungen werden. Eine Herrschaft einer Partei – egal welcher – über die Legislative und Exekutive macht diese Leute nervös. Genau diese Situation gab es schließlich in den ersten Jahren unter George W. Bush, und einige Amerikaner halten das Ergebnis für, äh, möglicherweise nicht ganz optimal. Das Letzte, das die USA jetzt bräuchten, wäre ein ähnlich extremer Ausschlag in die entgegengesetzte Richtung.

Damit ist der sich abzeichnende Sieg der Demokraten im Kongress für einige Amerikaner ein Argument dafür, ihre Stimme dem Republikaner McCain zu geben.

Jede Seite soll nur die halbe Macht bekommen, sagen diese Wähler. Dann könne man davon ausgehen, dass Kongress und Präsident das tun, was laut Verfassung zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört: Sich gegenseitig zu kontrollieren. Extreme Gesetze fänden keine Mehrheit oder würden umgekehrt mit einem Veto zerquetscht. Demokrat und Demokraten oder Republikaner und Republikaner ist dagegen grundsätzlich schlecht, weil eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

Diese Denkweise ist Deutschen fremd, denn ohne Gewaltenteilung sind solche Strategien nicht möglich. Die Exekutive geht aus der Legislative hervor und der Kanzler wird ohne Mehrheit im Parlament gar nicht erst Kanzler. Es ist ein Entweder-Oder-System. Als Gegenstück kommt höchstens die Große Koalition in Frage, aber die wird selten vorher angekündigt, gilt meist als Notlösung und kann vom Wähler kaum bewusst herbeigeführt werden.

Und jetzt muss dieser Autor Flyer für Richard Wilkins III verteilen.

[Korrigiert 16. Sep 2008: „Europäern“ durch „Deutschen“ im vorletzten Absatz ersetzt, zuerst gesehen von R., vielen Dank]

Sarah Palin und echtes Hockey

September 11, 2008

Sarah Palin, Gouverneurin von Alaska und Vize-Präsidentschafts-Kandidatin der Republikaner, bezeichnet sich gerne als hockey mom. Die Leser dieses Blogs erkennen sofort die Anspielung auf soccer mom, der Begriff für die sprichwörtliche durchschnittliche amerikanische Mutter, die ihre Kinder zum Fußball fährt. Nur dass man in Alaska selbstverständlich Eishockey spielt und nicht Fußball, schon wegen des Permafrosts.

Das bringt uns zu einem Übersetzungsproblem: Diverse deutsche Medien und Blogger (nicht aber die Schönste Germanin) haben angefangen, Palin eine „Hockey-Mutter“ zu nennen.

Hier wird nicht mitgedacht. Mit hockey ist in Nordamerika eine super-schnelle und ultra-spannende Sportart mit massivem Körpereinsatz gemeint, die mit einer Gummischeibe auf einer Eisfläche gespielt wird. Hierzulande sagt man „Eishockey“ dazu.

In Deutschland ist „Hockey“ dagegen eine Rasensportart mit einem kleinen, runden Ball, die nach der persönlichen Erfahrung dieses Autors zu massiven Rückenschmerzen führt, weil die Schläger viel zu kurz sind, egal, was der Sportlehrer behauptet. In den USA und Kanada sagt man dazu –

Eigentlich wollte dieser Autor schreiben, dass man gar nichts dazu sagt, da Hockey wie Handball praktisch unbekannt sei. Etwas Recherche führte ihn aber zu dem Begriff des field hockey und der erstaunlichen Erkenntnis, dass es tatsächlich eine U.S. Field Hockey Association gibt. Die erklärt allerdings selbst:

In the United States, the sport is truly a „niche“ sport, played primarily in the Northeast and California.

Der Hinweis auf Kalifornien sagt wieder alles. Die Wikipedia ergänzt noch ein Detail, das der Verband nicht so betont:

In North America field hockey is regarded as a girls‘ and women’s sport

Eine Kinder- und Frauensportart also, wie Fußball. Echte Männer spielen Eishockey, auch wenn wir festhalten müssen, dass es selbst in der NHL einige Symptome einer Verweichlichung gibt. Alles eine Folge der Helmpflicht.

Wie auch immer. Palin ist bestimmt keine „Hockey-Mutter“, sondern eine „Eishockey-Mutter“. Auch der Begriff klingt für diesen Autor auf Deutsch etwas seltsam, aber vermutlich wird er sich in den kommenden Wochen einschleifen.

Die zehn berühmtesten Amerikaner aus Sicht der US-Jugend

September 8, 2008

In Anlehnung an unseren Eintrag über angelsächsische Redensarten im Kindesmund sprechen wir heute über die Amerikaner, die nach Ansicht der US-Jugend am berühmtesten sind. Das Magazin des Smithsonian hat 2.000 Schüler der elften und zwölften Klasse dazu befragt. Die Aufgabe lautete genau:

Starting from Columbus to the present day, jot down the names of the most famous Americans in history.

Präsidenten und ihre Ehefrauen waren ausgeschlossen, also nix mit Washington oder Lincoln. In einer zweiten Frage wurde gezielt nach berühmten Frauen gesucht. Da die Antworten kombiniert wurden, sind vermutlich überproportional mehr berühmte Frauen dabei als wenn man einfach so gefragt hätte.

Wir gehen in drei Schritten vor: Erstens, der interessierte Leser möge selbst überlegen, wer für ihn auf diese Liste gehört.

Nur zu, wir warten so lange.

(Um etwas Abstand zum nächsten Teil zu gewinnen: Die Ergebnisse unterschieden sich nur in zwei Punkten von den Antworten einer Gruppe von parallel befragten 2.000 Erwachsenen, die 45 Jahre und älter waren – welche zwei das waren, sagen wir gleich. Beide Gruppen gaben auch Mom als Antwort an und wir wissen jetzt, dass Jenna Jameson der berühmteste amerikanische Pornostar ist, zumindest beim pubertierenden männlichen Jungvolk. Dieser Autor hatte den Namen natürlich zuvor noch nie gehört.)

Fertig? Sehr schön.

Zweitens, die Liste. Wir geben sie unkommentiert wieder, und der interessierte Leser überlege sich jetzt, ob er jeden darauf kennt. Wenn nicht, liefern wir das Wissen im dritten und letzten Schritt nach.

  1. Martin Luther King Jr. (auf 67 Prozent der Listen)
  2. Rosa Parks (60 Prozent)
  3. Harriet Tubman (44 Prozent)
  4. Susan B. Anthony (34 Prozent)
  5. Benjamin Franklin (29 Prozent)
  6. Amelia Earhart (23 Prozent)
  7. Oprah Winfrey (22 Prozent)
  8. Marilyn Monroe (19 Prozent)
  9. Thomas Edison (18 Prozent)
  10. Albert Einstein (16 Prozent)

Sehr zur Überraschung der Forscher – alles Kulturpessimisten – tauchen Britney, Bonds und selbst Buffy nicht auf. Bei den Erwachsenen waren statt Monroe und Einstein Betsy Ross und Henry Ford unter den ersten zehn.

Weiß jetzt jeder, wer diese zehn Leute waren oder sind?

(Um auch hier wieder Platz zu gewinnen, noch ein Wort zur Stichprobe: Etwa 70 Prozent der befragten Jugendlichen waren weiß, 13 Prozent schwarz, neun Prozent Hispanics, sieben Prozent asiatisch und ein Prozent Indianer. Das entspricht grob der Verteilung in der Gesamtbevölkerung. Warum sind Rasse und ethnische Gruppe wichtig? Weil die ersten drei Personen auf der Liste Schwarze sind.)

Und damit kommen wir, drittens, zur Auflösung. Bei den Personen, die bekannt sein dürften, erklären wir entsprechend weniger.

  1. Martin Luther King Jr. (1929-1968) Bürgerrechtler, zentrale Figur der Civil Rights Movement in den 60er Jahren, Friedensnobelpreisträger. Seine Rede I have a dream [YouTube] gilt, zumindest wenn man Amerikaner fragt, als Meilenstein in der Weltgeschichte der Rhetorik:

    I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.

    King wurde am 4. April 1968 ermordet.

  2. Rosa Parks (1913-2005) wurde berühmt, weil ihr die Füße weh taten. Am 1. Dezember 1955 weigerte sie sich während einer Busfahrt in Montgomery ihren Sitz einem Weißen zu überlassen, wie es das Gesetz des Bundesstaates Alabama vorschrieb. Sie wurde festgenommen, eins führte zum anderen, und am Ende fielen die Gesetze zur Rassentrennung. I did not get on the bus to get arrested, betonte sie. I got on the bus to go home. Nach ihrem Tod wurde Parks als erste Frau in der Geschichte der USA in der Rotunda des Kapitols aufgebahrt. Die Ehre ist meist für verstorbene Präsidenten reserviert.
  3. Harriet Tubman (circa 1820-1913) Ehemalige Sklavin, die 1849 ihrem Besitzer entkam und über zehn Jahre hinweg 19 Mal heimlich in den Süden eindrang, um Leidensgenossen in den Norden zu schmuggeln. Als eine „Schaffnerin“ der Underground Railroad brachte sie so mehr als 300 Sklaven die Freiheit. Sie ersann dafür eine Reihe Tricks, darunter

    using the master’s horse and buggy for the first leg of the journey; leaving on a Saturday night, since runaway notices couldn’t be placed in newspapers until Monday morning; turning about and heading south if she encountered possible slave hunters; and carrying a drug to use on a baby if its crying might put the fugitives in danger.

    Die als „Moses“ gefeierte Tubman trug auch eine Waffe mit sich, um Flüchtlinge zu bedrohen, die müde wurden und zurückkehren wollten: You’ll be free or die (willkommen in New Hampshire). Im Bürgerkrieg arbeitete sie als Koch, Krankenschwester und Spionin. Nach dem Krieg setzte sie sich für das Wahlrecht für Frauen ein.

  4. Susan B. Anthony haben wir schon vorgestellt.
  5. Benjamin Franklin (1706-1790) Erfinder, Wissenschaftler, Diplomat, Philosoph, Autor, Zeitungsverleger und eine zentrale Figur der Amerikanischen Revolution. Franklin war für seine Forschung auf dem Gebiet der Elektrizität berühmt und erfand den Blitzableiter. Er war an der Unabhängigkeitserklärung beteiligt. Für seinen Wortwitz gefeiert, soll Franklin bei der Unterzeichnung gesagt haben:

    Yes, we must, indeed, all hang together, or most assuredly we shall all hang separately.

    Von 1776 an war er Botschafter der USA in Frankreich und maßgeblich an den guten Beziehungen zwischen den beiden Staaten beteiligt. In Paris war er als Bonhomme Richard beliebt, wenn nicht sogar verehrt. In seiner Jugend arbeitete er 13 Tugenden heraus, an die er sich mehr oder weniger sein restliches Leben hielt. Franklin ist auf dem 100-Dollar-Schein abgebildet. Sein Leben ist wie das von Abraham Lincoln oder Thomas Jefferson eher ein Thema für eine lebenslanges Studium.

  6. Amelia Earhart (1897-1937 [verschollen]) – Pilotin, erste Frau, die den Atlantik überquerte, stellte Geschwindigkeits- und Höhenrekorde auf. In Anspielung auf Charles Lindbergh Lady Lindy genannt, trug sie im Cockpit einen Anzug oder Kleider statt Pilotenkluft. Earhart war sehr fotogen und eine der prominentesten Frauen ihrer Zeit. Die Autorin von mehreren Büchern und Artikeln verschwand 1937 über den Pazifik, natürlich unter den vorgeschriebenen mysteriösen Umständen.
  7. Oprah Winfrey (1954-) Endlich ein Eintrag für die Kulturpessimisten – was macht eine Talkshow-Moderatorin und Autorin in einer Liste mit King, Parks und Anthony? Die Forscher weisen darauf hin, dass Winfrey – eine Milliardärin – einen enormen Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft hat. Wir werden in 50 Jahren sehen, ob sie immer noch auf so einer Liste erscheint. Falles es dieses Blog noch bis dahin gibt.
  8. Marilyn Monroe (1926-1962) Liebe Kinder: Monroe war tatsächlich eine echte Frau mit dem Namen Norma Jeane. Ihre anhaltende Beliebtheit hat nach Ansicht dieses Autors auch etwas damit zu tun, dass Schauspielerinnen und Models damals nicht halb verhungert aussahen.
  9. Thomas Edison (1847-1931) Erfinder, verantwortlich für eine riesige Anzahl von insbesondere elektrischen Geräten wie die Glühbirne. Der wirkliche Daniel Düsentrieb wurde von seiner Mutter zu Hause unterrichtet, nachdem seine Lehrer ihn für „geistig durcheinander“ (addled) befunden hatten. Über den Telegraphen fand er zur Technik, seine erster größere Erfindung war der Phonograph. Als Wizard of Menlo Park baute er das erste moderne Forschungslabor auf. Bis zu seinem Tod hatte er mehr als 1.000 Patente angehäuft.
  10. Albert Einstein (1879-1955) Der Physiker, den wir hier jetzt nicht vorstellen, nahm 1940 die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Seinen berühmten Brief [PNG] an Präsident Franklin D. Roosevelt, in dem er auf die mögliche Verwendung von Uran zum Bau von extremely powerful bombs of a new type hinwies, schrieb er ein Jahr früher.

[Danke an DKS für den Hinweis auf die Studie]