Archive for September, 2006

Die Tour de France und dicke Amerikaner

September 29, 2006

Die Franzosen nennen die Tour de France gerne das härteste Straßenradrennen der Welt. Nun hindert Regel 1 dieses Blogs diesen Autor daran, direkt zu dieser Behauptung Stellung zu nehmen. Ihm ist es aber erlaubt darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Tour um eine Serie von Etappenfahrten handelt, dass man also jeden Tag stundenlang Pause macht, und dass auch Windschattenfahren erlaubt ist.

Beim Race Across America (RAAM) (um völlig willkürlich ein beliebiges, natürlich rein zufällig gewähltes Beispiel zu nennen) wird dagegen die Uhr an der Westküste gestartet und an der Ostküste gestoppt. Wer unbedingt meint, Pausen einlegen zu müssen, bitte, aber die Konkurrenz schläft nicht, im wahrsten Sinne des Wortes. In acht oder neun Tagen sollte man das schon durchziehen, wenn man eine Chance haben will. Das RAAM ist länger – etwa 4.800 Kilometer verglichen mit den 3.600 Kilometern der Tour – und Frankreich ist klimatisch ja vergleichsweise monoton. Es gibt dort zum Beispiel nichts, was mit der Wüste von Arizona vergleichbar wäre.

Wir halten als letzten Punkt fest, dass Amerikaner ständig die Tour gewinnen, die Franzosen aber nie die RAAM. Österreicher und Schweizer, ja, aber keine Franzosen. Deutsche übrigens auch nicht, aber wie wir gleich sehen werden, sind die mit anderen Dingen beschäftigt.

Das RAAM ist ein extremes Beispiel für eine Seite der USA, die in Europa kaum wahrgenommen wird: Eine Neigung zum Ausdauersport oder allgemeiner zur „Fitness“, wie es auf Neudeutsch heißt. Etwas weniger elitär als das RAAM ist Triathlon, dessen bekannteste Ausprägung immer noch der Ironman auf Hawaii sein dürfte – hier finden wir dann die Deutschen, die auch häufig genug gewinnen. Im Jahr 2005 absolvierten 382.000 Menschen in den USA einen Marathon, ein Zuwachs von etwa sechs Prozent zum Vorjahr. Der Deutsche Leichtathletik-Verband gibt für 2003 etwa 100.000 „Finisher“ an, was hochgerechnet auf die Bevölkerungsgröße grob den gleichen Anteil ergeben dürfte.

Laufen als Breitensport – hierzulande als „Jogging“ bekannt – wurde 1977 durch Jim Fixx angestoßen. Dass Fixx beim Laufen tot umfiel, tat der bis dahin schon weltweiten Bewegung keinen großen Abbruch. Auch die Amerikaner joggen bis heute weiter, einschließlich ihrer Präsidenten. George W. Bush ist allerdings wegen seiner Knieprobleme auf ein Mountainbike umgestiegen. Wir können noch andere Trends wie das von dem US-Sportarzt Kenneth Cooper entwickelte aerobic training aufzählen, das in den 80er Jahren von Jane Fonda als aerobics (im Deutschen oft „Aerobic“, singular) zu einer Massenbewegung gemacht wurde.

Klar ist: In den USA wurden in den vergangenen Jahrzehnten gleich mehrere Fitness-Arten erfunden. Irgendwann liefen und hüpften auch die Europäer mit und übernahmen dabei meist die amerikanischen Begriffe. Trotzdem ist das Bild des gemeinen US-Bürgers in Europa eher von Speckschwarten als von Schweißperlen bestimmt. Warum?

Ein Grund dafür liegt darin, dass es tatsächlich eine gigantische Zahl von übergewichtigen Amerikanern gibt. Die Entwicklung scheint zwar bei den Frauen zum Stillstand gekommen zu sein, aber das Phänomen bleibt aus Sicht der Volksgesundheit ein echtes, ernstes, dramatisches Problem. Amerikaner sind im Durchschnitt viel, viel, viel zu dick.

Die USA verfetten allerdings nicht allein. Auch in Deutschland spricht man von einer Epidemie und in Großbritannien und Kanada ist die Entwicklung ähnlich alarmierend. Selbst der Iran und Saudi-Arabien, beide nicht wirklich für ihre Liebe zum American way of life bekannt, haben inzwischen „massive“ Probleme. Mireille Guiliano mag mit ihrem Buch French Women Don’t Get Fat erfolgreich die Amerikaner provoziert und sich eine gute Auflage gesichert haben, aber die Wirklichkeit sieht leider völlig anders aus. Sie hat inzwischen gewarnt, dass Frankreich in zehn bis 15 Jahren so aussehen könnte wie Amerika.

Dass die USA zuerst so viele Dicke hervorgebracht haben, ist nicht überraschend. Der Zweite Weltkrieg war in Nordamerika keine wirkliche Zeit des Hungers und da das institutionalisierte Fast-Food (im Gegensatz zur Currywurst) erst spät nach Europa kam, sieht man heute in Deutschland immer noch wenige Leute mit weißen Haaren bei McDonald’s. Das wird sich ändern; bei einigen deutschen Freunden dieses Autors sind schon erste graue Ansätze zu erkennen, wenn sie in ihren Burger beißen. Bei der Vorliebe für Salz, Fette und Zucker gibt es am Ende keine großen biologischen Unterschiede zwischen den Menschen (im Gegensatz zum Root Beer). Auch viele deutsche Familien haben inzwischen zwei Autos. Wer also meint, Schadenfreude bei dem Gedanken an dicke Amerikaner empfinden zu müssen, sollte sich damit besser beeilen.

In den USA ist Übergewicht zudem viel mehr ein Thema als in Deutschland. Der Kampf gegen obesity wurde zu einer nationalen Priorität erklärt und die Medien (und erst die Werbung) reden ständig darüber, meist mit abschreckenden Bildern von dicken Bäuchen und Hintern. Wer in den USA einkaufen geht, wird mit endlosen Reihen von diet und lite (Kurzform von light) Produkten konfrontiert. Der Film Supersize Me wurde gedreht, um Amerikaner vor der Gefahr von schlechten Essgewohnheiten zu warnen. Er ist der einzige diesem Autor bekannte Belehrungsfilm, der so gut gemacht ist, dass Leute ihn sich nicht nur freiwillig anschauen, sondern dafür auch noch Geld zahlen. Dass er im Ausland ein bestimmtes Image von den USA fördert, ist eine bedauerliche, aber wohl unvermeidbare Nebenwirkung.

Die traurige Tatsache: Alle westlichen Industrieländer verfetten. Die Amerikaner haben nur früher damit angefangen und reden (mal wieder) am lautesten darüber, was die sportliche Seite des Landes oft verdeckt. Es sieht im Moment auch leider nicht danach aus, als ob Europa dem gleichen Schicksal entkommen wird – benötigt werden wie überall mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung.

Vielleicht sollten die Franzosen diese ganzen Pausen bei der Tour de France nochmal überdenken.

Der Bund Teil 8: Präzedenzfälle und der Supreme Court

September 28, 2006

Vor etwa 150 Jahren wurde der Sklave Dred Scott von seinem Besitzer aus dem Sklavenstaat Missouri in einen Teil des damaligen Territoriums von Louisiana gebracht, in dem es keine Sklaverei gab. Scott klagte: Durch den Umzug in ein freies Gebiet seien er und seine Familie frei, lautete sein Argument. Der Fall landete vor dem Supreme Court.

In Scott vs Sandford stellten die Richter 1857 jedoch fest, dass Scott gar nicht klagen durfte, weil er als „Wesen einer untergeordneten Art“ (being of an inferior order) nie ein Bürger der USA sein könne. Dies sei auch eindeutig die Einstellung der Verfassungsväter zu Schwarzen gewesen:

[T]hey were at that time considered as a subordinate and inferior class of beings, who had been subjugated by the dominant race, and, whether emancipated or not, yet remained subject to their authority, and had no rights or privileges but such as those who held the power and the Government might choose to grant them.

Und im übrigen sei das Verbot der Sklaverei in verschiedenen Teilen des Territoriums, der vom Kongress mühsam ausgehandelte Missouri Compromise, ohnehin verfassungswidrig, weil es Sklavenhalter ohne ausreichendes Verfahren ihres Besitzes enteignete – ihrer Sklaven nämlich.

Der Supreme Court der USA hat in den vergangenen Jahrhunderten hin und wieder ins Klo gegriffen, aber selten so tief wie bei Scott vs Sandford. Das Urteil war ein weiterer Schritt auf dem Weg in den Bürgerkrieg (1861-1865): Erst mehr als eine halbe Million Tote später wurde es durch den 13. Verfassungszusatz aufgehoben. Wie wir in der vorherigen Folge dieser Serie gesehen haben, ist eine solche Änderung die seltenere der zwei Arten, wie Entscheidungen des Gerichts korrigiert werden können: Häufiger werden alte Urteile durch neue ersetzt.

Deswegen kommt dem Obersten Gericht in den USA auch eine wichtigere Stellung in der Alltagspolitik zu als in Deutschland. Die amerikanische Verfassung ist kurz und gibt nur die groben Linien vor. Sie wird selten geändert – 27 Mal in 220 Jahren (eigentlich nur 17 Mal, weil die ersten zehn amendments, die Bill of Rights, gemeinsam eingeführt wurden). Fast alles wird per Gesetz und Urteil geregelt. Das Grundgesetz ist dagegen lang und detailliert und die Deutschen spielen ständig daran herum – bislang 52 Mal in 57 Jahren. Damit haben auch Präzedenzfälle in den USA eine größere Bedeutung.

Wir können das gut an der Art sehen, wie es nach dem Bürgerkrieg mit den Rechten der Schwarzen weiterging. Fast 40 Jahre nach dem Dred-Scott-Fall erklärte der Supreme Court in Plessy vs Ferguson, dass Schwarz und Weiß zwar grundsätzlich gleich und dass Schwarze auch Bürger der USA seien. Aber dies bedeute noch lange nicht, dass die Rassen zusammen leben müssten. Mit dem Urteil wurde die Rassentrennung nach dem Prinzip separate but equal als rechtens bestätigt.

Allein Justice Marshall Harlan stimmte dagegen. In den Urteilstexten werden auch die abweichenden Meinungen festgehalten (dissenting opinion) und seine ist heute fast besser bekannt als die der Mehrheit:

[I]n view of the constitution, in the eye of the law, there is in this country no superior, dominant, ruling class of citizens. … Our constitution is color-blind … In my opinion, the judgment this day rendered will, in time, prove to be quite as pernicious as the decision made by this tribunal in the Dred Scott Case.

Harlan sollte Recht behalten: Auch Plessy gilt heute als ein Griff ins Klo. Die „Jim Crow“-Gesetze, mit denen die Südstaaten die Rechte der Schwarzen einschränkten, wurden gestärkt. Erst 1954 hob der Supreme Court in Brown vs Board of Education das vorherige Urteil auf und stellte fest, dass separate nicht equal sein kann. Der Kongress folgte 1964 mit dem Civil Rights Act.

Im Bezug auf die Schwarzen hat der Supreme Court also innerhalb von etwa 100 Jahren seine Position komplett geändert, frei nach dem guten deutschen Motto „was geht mich mein Geschwätz von gestern an“. Daran sieht man, welchen Einfluss die gesellschaftlichen Ansichten auf die Arbeit des Gerichts haben. Da sich eine Gesellschaft aber nie wirklich einheitlich entwickelt, sind solche Umbrüche immer umstritten. Dem Gericht wird gerne vorgeworfen, die Nation willkürlich in die eine oder andere Richtung zu lenken.

Das zurzeit mit Abstand kontroverseste Urteil ist Roe vs Wade, in dem das Gericht 1973 das Recht auf Abtreibung festschrieb. Die Entscheidung dabei nicht nur umstritten, weil Abtreibung im Westen immer umstritten ist. Das Gericht leitete das Recht auf Abtreibung von dem Recht auf Privatsphäre ab. Von einer Privatsphäre steht aber nichts in der Bill of Rights – es ist selbst ein abgeleitetes Recht.

Einigen Leuten ist das zu indirekt. Ihr Vorwurf lautet, das Gericht habe schlicht ein neues Grundrecht erfunden, das dazu noch im Gegensatz zu der bisherigen Rechtsprechung stehe. Andere Kritiker wie der heutige (September 2006) Richter Antonin Scalia sehen nicht ein, warum überhaupt der Bund dafür zuständig sein sollte – schließlich wird so etwas normalerweise von den Bundesstaaten entschieden, wie auch die die Todesstrafe. Und wenn schon der Bund darüber entscheiden muss, dann doch eher der Kongress, der den Willen des Volkes umsetzt.

Legislating from the bench nennen Kritiker diese angebliche Neigung der Judikative, sich über die Legislative hinweg zu setzen. Und damit sind wir wieder da, wo wir angefangen haben: Bei dem Vorwurf der Usurpation.

Wegen der Bedeutung der Präzedenzfälle werden wir immer wieder zum Supreme Court zurückkehren. Dieser kurze Ausflug soll daher erstmal reichen und auch die Serie über den Aufbau des Bundes abschließen. In einer Art Anhang werden wir uns nur noch einige Eigenschaften des Gesamtsystems anschauen, die vielleicht nicht sofort einleuchtend sind.

[Geändert 18. April 2007: Links eingebaut, Subtraktionsfehler korrigiert]

Warum Einkaufen in den USA so nervig ist: Die Sales Tax

September 25, 2006

Einkaufen in den USA hat für Deutsche einen besonders nervigen Aspekt: Der Preis, der auf der Ware steht, ist nicht der, den man an der Kasse bezahlt. Die Mehrwertsteuer (sales tax) wird immer getrennt berechnet.

Das liegt daran, dass sie nicht landesweit einheitlich vom Bund festgelegt wird, sondern von den Bundesstaaten. In vielen Fällen kommen noch Anteile der Kommune und der Stadt dazu. Wie im Gesamtüberblick beschrieben, arbeiten diese unabhängig von einander. In jeder Stadt kann die Mehrwertsteuer also anders sein.

[Einschub für Besserwisser: Eigentlich ist die Mehrwertsteuer nach dem deutschen Modell keine sales tax, sondern eine value added tax (VAT). Für den touristisch interessierten Endkunden ist das eher schnurz, deswegen gehen wir hier nicht weiter darauf ein. Eine leicht verständliche Erklärung der Unterschiede an einem Beispiel findet man hier.]

Mit Hilfe von Google oder mit Tabellen im Internet (zum Teil kostenpflichtig) kann man herausfinden, wo welche Sales Tax gilt. Wichtig ist dabei: Einige Bundesstaaten verzichten zwar auf die Steuer, aber ihre Kommunen und Städte nicht. Überhaupt gar keine Mehrwertsteuer haben zum Beispiel Delaware und New Hampshire. Diese Bundesstaaten leben auch nicht von Luft und Liebe, sondern holen ihr Geld auf andere Arten herein.

Wie das in den meisten anderen Bundesstaaten läuft, zeigen wir am Beispiel von Arizona. Der Bundesstaat selbst erhebt 5,6 Prozent Mehrwertsteuer. Maricopa County, um einen Bezirk herauszugreifen, erhebt weitere 0,7 Prozent – damit werden Straßen oder neue Gefängnisse für Sheriff Joe gebaut.

Jetzt kommt es darauf an, in welcher Stadt in Maricopa man lebt: Phoenix erhebt eine Mehrwertsteuer von 1,8 Prozent (insgesamt also 8,1 Prozent), Gilbert 1,5 Prozent (insgesamt 7,8 Prozent) und Carefree trotz seines Namens sogar drei Prozent (insgesamt 9,3 Prozent). Wie in Deutschland gibt es Dinge, die nicht so stark besteuert werden. Arizona erhebt zum Beispiel gar keine Mehrwertsteuer auf Lebensmittel für den Privatgebrauch. Städten ist das zwar gestattet, aber Phoenix, Mesa und Youngtown verzichten ebenfalls darauf.

Bei richtig großen Anschaffungen kann sich damit die Fahrt von Carefree nach Phoenix schon lohnen. Das System führt deswegen zu einem Wettbewerb, möglichst wenig Steuern zu erheben. Dabei muss man allerdings im Kopf behalten, dass in vielen Bundesstaaten die Bürger selbst über die Steuern und ihren Verwendungszweck abstimmen. Das ist wieder das Prinzip der direkten Demokratie.

Eine Mehrwertsteuer in Höhe von bald 19 Prozent vermag dieser Autor in den USA nicht zu finden. Wer aber bei seiner nächsten US-Reise große Augen macht bei den Preisunterschieden, Sales Tax hin oder her, sollte wissen: Bei der Rückkehr nach Deutschland ist Zoll zu entrichten sowie die so genannte Einfuhrumsatzsteuer. Deren Ziel:

Durch diese Einfuhrbesteuerung wird verhindert, dass die eingeführten Waren ohne Umsatzsteuer an den Endverbraucher gelangen.

Wo kämen wir denn da auch hin.

Trinity und South Park und die Gefahren der Synchronisation

September 23, 2006

Da schreibt man seitenweise über den Gesetzgebungsprozess oder die Gewaltenteilung in den USA und es gibt kaum Rücklauf. Aber erwähnt man eine einzige Zeile aus The Matrix, kommen die Nachfragen: Wo genau sagt Trinity im englischen Original Dodge this?

Beim Kampf auf dem Wolkenkratzer, als Neo und Trinity Morpheus befreien wollen (ein Plan, den Tank als loco bezeichnet, ein schönes Beispiel für den Einfluss des Spanischen auf die Populärkultur in den USA). Sie sie kämpfen alles nieder, bis Agent Jones hinter Neo auftaucht. Da dieser nicht zugehört hat, als Morpheus ihm die Sinnlosigkeit von Schüssen auf Agenten erzählte (wie gesagt, dumm wie Dachpappe), leert er seine Magazine auf Jones, der allen Kugeln locker ausweicht (to dodge a bullet).

Nach noch mehr Bullet Time liegt Neo besiegt am Boden. Jones stellt sich über ihn, hebt seine Waffe, bis sie für Neo die Sonne verdunkelt und sagt:

Only human.

Bevor er abdrücken kann, hält ihm Trinity ihre Waffe an den Kopf, sagt Dodge this und streckt ihn nieder. Kurz und knackig, der bester Spruch des ganzen Films.

In der deutschen Version sagt sie dagegen:

Nur eine Maschine.

Hier haben wir ein Beispiel für die wundersamen Dinge, die bei der Synchronisation von amerikanischen Filmen passieren: Was auf Deutsch herauskommt, hat hin und wieder nichts mit dem Original zu tun. Wir werden unsere Rückkehr in die Matrix daher als Anlass für eine kurze Diskussion über dieses Problem nutzen und daran eine Bitte an die Kino-Fans anschließen.

Aus Fairness vorweg: Übersetzen ist die Hölle. Als Zweisprachiger weiß dieser Autor aus eigener Erfahrung, dass man nie dafür die Anerkennung bekommt, die man verdient – wer die Arbeit wirklich würdigen kann, braucht sie schließlich nicht. Die Römer hielten sich griechische Sklaven für ihre Übersetzungen und im Großen und Ganzen trifft das die Einstellung, die bis heute der Zunft entgegengebracht wird.

Es gibt auch Dinge, die nicht sinnvoll übersetzt werden können, bei Filmen zum Beispiel Shakespeare in Love, aber auch Moulin Rouge. Sie sind wegen des Wortwitzes und den Zitaten in fast jedem Satz auf Deutsch nur Schatten ihrer selbst. Das gleiche gibt es natürlich auch umgekehrt, wie Goethe auf Englisch: I call architecture frozen music ist zwar vom Inhalt her korrekt, trifft den Ton des Originals aber überhaupt nicht.

Es soll also hier nicht darum gehen, dass einige Übersetzungen besser sind als andere oder dass es hin und wieder zu Fehlern kommt, die in Internetforen genüsslich auseinander genommen werden – so etwas passiert, wo Menschen arbeiten. Auch über die Gewalt, die regelmäßig der Sprachebene angetan wird, wollen wir hinwegsehen – wie in Alien 3, wo die Insassen des Gefängnisses im Original in dumpfen Kraftausdrücken sprechen, in der deutschen Version aber wie leicht verwirrte Gymnasiasten daherkommen. Selbst die Fälle, in denen die Synchronisatoren plötzlich glauben, selbst kreativ werden zu müssen und zusätzlichen, unfassbar dummen Text einbauen wie bei Hot Shots wollen wir hier nicht behandeln. Es geht um Fälle, wo der Sinn verändert wird.

Das kommt leider regelmäßig vor – Dodge this ist noch harmlos. Wir haben schon festgehalten, dass bei der Eindeutschung systematisch die Hinweise auf den Nationalsozialismus entfernt werden. Einige Leute (hauptsächlich Banausen) werden das bei Buffy nicht so schlimm finden, aber was ist mit Casablanca?

Nach Kriegsende werden in „Casablanca“ die Nazis schlicht zu Ganoven verniedlicht, bis man der Film-Legende endlich eine neue Übersetzung gönnt.

Auch Hitchcocks Notorious wurde entfremdet. Und über die gezielte Entstellung der Originalserie von Star Trek sind wissenschaftliche Arbeiten geschrieben worden.

Bleiben wir bei diesem Beispiel, weil es die meisten interessierten Leser kennen dürften: Star Trek – „Raumschiff Enterprise“ – galt (und gilt vielen noch) in Deutschland als Kinderkram. Die Vorstellung, dass erwachsene Amerikaner sich das nicht nur anschauen, sondern zum Kult erhoben haben, löste Kopfschütteln aus – wir sind wieder bei der angeblichen Oberflächlichkeit des gemeinen US-Bürgers.

Nur, in der Originalversion ist Star Trek ganz und gar nicht für Kinder. Es herrscht ein militärischer Tonfall, niemand wird mit „Spitzohr“ angeredet wird und Spock leidet nicht am „Weltraumfieber“ sondern muss sehr, sehr dringend vögeln. Die alberne, kindliche, ja puritanische Version von Star Trek ist ein Produkt der Synchronisation, also eine rein deutsche Schöpfung. Dummerweise sahen einige Leute aber genau in Star Trek ihre Vorurteile über die USA bestätigt.

Star Trek ist ein extremes Beispiel, und aus diesem Fehler hat man offenbar gelernt. Bei der Zeichentrickserie South Park wird zwar weiter kräftig bei der Synchronisation zensiert – unter anderem werden die Witze mit jüdischem Bezug entfernt – aber es wurde nicht versucht, daraus eine Kinderserie zu machen. Bei The Simpsons gibt es auch viel an der Synchronisation auszusetzen, aber generell ist ein Bemühen erkennbar.

Bei Buffy, South Park und der ersten Übersetzung von Casablanca sehen wir übrigens auch, welchen Schaden diese „kreative“ Synchronisation in umgekehrter Richtung anrichtet: Sie verhindert, dass Deutsche sich ein realistisches Bild davon machen, wie sie in US-Medien dargestellt werden.

Den wenigsten Deutschen ist zum Beispiel klar, dass die Bösen in Die Hard (dt. „Stirb langsam“) ihre Landsleute sein sollen. „Jack“ heißt im Original Hans, „Charlie“ heißt Karl und „Henry“ ist Heinrich. Sie reden Deutsch. Dass der deutsche Dialog im Original unfreiwillig komisch ist, ist keine Entschuldigung: Auch die deutschen Stimmen in Schindlers Liste wurden nachsynchronisiert, ohne dass man dabei gleich die SS zu einer irischen Terror-Gruppe machte.

Bei Die Hard kann man aber argumentieren, dass die Veränderung aus kommerziellen Gründen ein Muss war: Die wenigsten Leute zahlen für einen Film, in dem sie als Terroristen dargestellt werden. Das Beispiel zeigt uns, dass wir nicht von einer großen antiamerikanische Verschwörung der Synchronisatoren ausgehen sollten. Auch eine bestimmte Tendenz, wie sie bei deutschen Medien diskutiert wird, vermag dieser Autor nicht zu erkennen (außer natürlich, dass man keine Nazis mag).

Werke aus anderen Ländern sind von solchen Eingriffen ebenfalls betroffen, es richtet sich also nicht nur gegen die USA. Selbst Pippi Langstrumpf hat im schwedischen Original eine ganz andere Stoßrichtung:

Immer wieder offenbare sich in der deutschen Übersetzung ein erzieherischer Grundtenor. Ganze Passagen seien weggelassen oder umgeschrieben worden.

Vor diesem Hintergrund hat dieser Autor eine Bitte:

Wer unbedingt meint, von einem Hollywood-Film aus auf die Amerikaner oder das Wesen der USA schließen zu müssen, soll es doch bitte wenigstens auf der Grundlage des Originals tun und nicht mit Hilfe der deutschen Synchronisation.

Von den deutschen Folgen von Star Trek auf das Niveau des US-Zuschauers zu schließen ist, nun, albern. Aus South Park kann man einiges über den amerikanischen Humor lernen, aber nicht, nachdem die Synchronisation alles eingedeutscht und ganze Kategorien von Witzen entfernt hat. Selbst „Willkommen im Dreck“ trifft zu ungenau Welcome to the suck: „Suck“ ist auch eine Kritik an dem Marine Corps (wie in this place sucks), die beim „Dreck“ verloren geht. Subtil, aber wichtig, wenn man den Film verstehen will.

Ja, dazu muss man Englisch können, aber wer sich mit den USA befassen will, kommt daran irgendwann ohnehin nicht vorbei. Überhaupt sollte man sich sehr sicher sein, dass man das richtige Rüstzeug für eine Interpretation mitbringt: Um bei Sam Mendes zu bleiben, wer über American Beauty und seine Bedeutung für die amerikanische Mittelschicht schreibt, sollte zumindest wissen, worauf der Titel anspielt.

Was bedeutet das alles für Trinity? Dodge this kann tatsächlich nicht direkt übersetzt werden, außer mit etwas wie „Wenn du wirklich so schnell bist, du Arsch, dann weiche doch dem hier aus“, und das ist zu lang. Das „Arsch“ ist gerechtfertigt, denn die Konstruktion mit „[VERB] this“ ist eine festgelegte Redewendung mit einem aggressiven Unterton (siehe kiss this, etwa „Leck mich“).

Bei „Nur eine Maschine“ fehlt diese aggressive Komponente, was schlecht ist, denn Trinity ist eine aggressive, gewalttätige Figur, wenn auch eine mit enormer Selbstkontrolle. Der Sinn wird zumindest angekratzt. Die deutsche Version betont immerhin einen anderen Aspekt ihres Charakters, ihre Schlagfertigkeit (als Neo auf der Fetisch/SM-Party seine sexistische Bemerkungen über Hacker macht, bekommen wir das erste Beispiel dafür).

Einen wirklich besseren Vorschlag hat dieser Autor am Ende leider auch nicht. „Schluss jetzt“ behält die Aggressivität, ist aber nicht cool, und Trinity ist saucool. Vielleicht hätte es eine ganz einfache Alternative gegeben: „Kuckuck“. Das hat was, ist aber ziemlich weit weg von Dodge this.

Manchmal bleibt halt nur das Original.

Kurz erklärt: Hallo?

September 20, 2006

Amerikaner melden sich als Privatpersonen am Telefon nicht mit ihrem Namen, sondern mit Hello. Es ist Sache des Anrufers, nicht des Angerufenen, sich zu identifizieren. Auf Deutsche wirken die ersten zwei Sätze eines solchen Gespräches merkwürdig distanziert und formell. Amerikaner sehen dagegen nicht ein, warum sie irgendwelchen Fremden ihren Namen nennen sollen – Freunde erkennen sich an der Stimme.

Warum Amerikaner (Briten, Kanadier) nicht sagen, was sie meinen

September 18, 2006

Hey, how are you? fragt der Amerikaner und ist dann überrascht, wenn der Deutsche erzählt, sein Frettchen sei gerade überfahren worden. Just come on over sometime! sagt der Brite und ist entsetzt, wenn der Deutsche irgendwann wirklich vor der Tür steht. Angelsachsen meinen nicht immer, was sie sagen, Deutsche dagegen meist schon. Kommen die beiden Kulturen zusammen, gibt es ganz andere Probleme als nur den Händedruck.

Denn Amerikaner, Briten, Kanadier und die anderen aus diesem Kulturkreis sprechen in gewissen Situationen verschlüsselt. Das gebietet die Höflichkeit. Es gilt zum Beispiel als krude, direkt no zu sagen und daher wird etwas anderes gesagt, das jeder andere Angelsachse als ein „Nein“ versteht, aber nicht „Nein“ heißt [Liebe Frauen: Einige Probleme mit dem Wort „Nein“ sind allerdings wohl eher geschlechts- als kulturbedingt. Tut mir leid].

Auf die Frage an die beste Freundin, wie einem ein Kleid steht, wird eine Deutsche vielleicht das Gesicht verziehen und „Du, nicht wirklich“ sagen oder „Ich weiß nicht, ob es dir so gut steht“, eine Amerikanerin aber eher etwas wie „Würde blau nicht besser zu deinen Augen passen?“. Für eine Amerikanerin heißt das, du siehst aus wie eine magersüchtige Vogelscheuche mit einem Heroin-Problem, während eine Deutsche das Gefühl hat, man redet aneinander vorbei. Augen? Was faselt die von meinen Augen? Ich will wissen, ob mein Arsch fett aussieht!

Andere Beispiele: Bei einer Diskussion mit Amerikanern heißt I wonder if this is really the best solution übersetzt „nein“. I’m wondering if we might need more time heißt „nein“ und We might want to review some parts of the project heißt „nein“. Amerikaner sind verwirrt (oder schlicht sauer), wenn Deutsche nach solchen Sätzen kurz überlegen und sagen, nee, so ist’s gut, und dann einfach weitermachen. Aus der Sicht des Amerikaners war die Aussage klar und deutlich.

Die Regel gilt auch für den Alltag. Ein höflicher Kanadier wird nicht sagen, dass ihm ein Geschenk nicht gefällt, denn das würde sich nicht gehören und könnte die Gefühle des anderen verletzten. Und das ist – um zum zentralen Punkt der Geschichte zu kommen – im Zweifelsfall wichtiger als die reine Wahrheit. Deswegen sagt man es – wenn überhaupt – verschlüsselt, und weil der andere den Code kennt, versteht er es und alles bleibt höflich. Nicht umsonst gibt es im Englischen die Begriffe little white lie und polite lie, die beide wesentlich schwächer sind als eine „Notlüge“: Es handelt sich um eine gesellschaftlich akzeptierte, mehr noch, eine gesellschaftlich vorgeschriebene Flunkerei.

Das wirft die Frage auf, wie Briten & Co. reagieren, wenn ihnen wirklich ein Geschenk gefällt. Kurz gesagt, sie flippen völlig aus. Das wollte ich schon immer haben, Liebling, schau her, was sie mir gebracht haben, schon als Kind, nein, bereits vor der Geburt wollte ich genau das haben, warte, bis es die Nachbarn sehen, vielen, vielen, vielen dank, diesen Tag werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen und meine Enkelkinder werden noch davon sprechen, ich lasse es mir auf meinen Grabstein meißeln. Wenn einem als Deutscher die ganze Situation peinlich wird und man sich langsam fragt, ob man verarscht wird, ist es genau richtig.

So anstrengend glückliche Angelsachsen für Deutsche sein können: Umgekehrt ist das Problem ernster. Ein Amerikaner, der einem Deutschen ein Geschenk macht, ist eigentlich immer enttäuscht, denn Deutsche flippen bei so etwas nie aus. In dem Codebuch eines Angelsachsen ist das normale deutsche Dankeschön aber ein Zeichen dafür, dass man das Geschenk nicht mag. Dieser Autor hat über die Jahre schon einige betrübte Landsleute trösten müssen, die mit der Klage She didn’t like my present! What did I do wrong? I don’t understand! völlig geknickt von einem Date zurückgekommen sind. Nein, sie hat es geliebt, aber sie ist eine Deutsche. Die sind halt so. Heirate sie trotzdem.

Jetzt kommt der Teil, der einigen interessierten Lesern nicht unbedingt gefallen dürfte: Die gerade beschriebenen Prinzipien gelten ganz besonders für das Verhalten von Angelsachsen im Ausland, also in unserem speziellen Fall für das von Amerikanern in Deutschland. If you don’t have anything nice to say, don’t say anything, schärft man den Kiddies ein und so halten sie im Urlaub oder beim Austauschprogramm den Mund: Kritik am Gastgeber ist so ziemlich der Gipfel der Unhöflichkeit.

Und deswegen ist es so gut wie unmöglich aus Amerikanern oder Briten oder wem auch immer herauszubekommen, wie es ihnen in Deutschland wirklich gefällt. Wenn sie gut erzogen sind, werden sie immer sagen, dass es toll ist. Einfach super. Total spitze. Alles andere wäre ein Zeichen einer katastrophalen Kinderstube, nur knapp weniger schlimm als das Schnäuzen mit dem Tischtuch oder die ausgedehnte Ohrreinigung mit dem Eßstäbchen.

Für Deutsche ist das frustrierend. Wenn jemand einige Zeit in einem Land verbracht hat, gehen sie davon aus, dass es Dinge gibt, die einem nicht gefallen haben – natürlich. Es gilt als „ehrlich“, diese anzusprechen und eine „differenzierte“ Meinung als ein Zeichen eines kultivierten, kritischen Geistes. Wer alles toll, super und spitze findet, gilt als dumm, leichtgläubig, oberflächlich – letzteres ist nicht umsonst eines der häufigsten deutschen Vorurteile über Amerikaner. Aus US-Sicht ist das in gewisser Weise ein Kompliment.

Zwar ist das Prinzip solcher kulturellen Codes den meisten Deutschen von Ländern wie Japan bekannt, wo offenbar „nein“ nur deswegen im Wörterbuch steht, weil die Sprachpolizei es verlangt. Bei den Briten oder Amerikanern erwarten sie es aber komischerweise nicht. Es wird auch nicht im Englischunterricht vermittelt, was diesem Autor ein völliges Rätsel ist: Es bleibt dem Leser als Übung überlassen sich vorzustellen, wie das normale Verhalten von deutschen Austauschschülern in London, New York oder Ottawa wirkt. How did you like your stay? heißt es dann am Ende, und jedes Jahr laufen dann tausende nichts ahnende deutsche Kinder ins kulturelle Messer.

Wird Deutschen mit viel Kontakt zu Angelsachsen zum ersten Mal klar, dass es einen Code gibt, bricht schon mal Panik aus. Jeder Satz, jede Äußerung wird hinterfragt: Meint er das oder sagt er es nur, weil er höflich ist? Und wie verhalte ich mich denn? Ich will auch das Codebuch!

Man muss zuerst damit leben lernen, dass man einige Dinge nicht erfahren wird. Ein guter Gast wird bei einem immer das Gefühl geben, dass man sein Leben verändert hat. Wer es sich nicht darauf beruhen lassen kann oder will, muss mitdenken, sich in den anderen hineinversetzen und sich auf seine Empathie verlassen. Wer selbst Gast ist, spart sich bitte seine Kritik für sein Tagebuch auf und konzentriert sich auf einen möglichst konkreten Punkt, der dann ehrlich gelobt wird, oder zumindest so ehrlich wie möglich. It was different heißt übrigens übersetzt „es war schrecklich“. So einfach kommt man nicht davon.

Eine weitere Faustregel ist das oben beschriebene Prinzip, dass viele Dinge auf Deutsche übersteigert wirken (Vorsicht aber bei Amerikanern, die lange genug in Deutschland leben und wissen, welche Reaktion angebracht ist). Hilfreich ist auch die „Dreierregel“: Wenn ein Angelsachse drei Mal etwas sagt (Please come visit us again!) und man schon leicht genervt ist, dann gilt es mit ziemlicher Sicherheit. Einmal ist dagegen kein Mal.

Am Ende sollte man sich aber auch vor Augen halten: In keinem Land erwartet man von einem Ausländer ein völlig „korrektes“ Sozialverhalten. Die meisten Amerikaner wissen, dass Deutsche, sagen wir mal, direkter sind. Einen gewissen Spielraum hat man also schon, so lange man nichts dagegen hat, Stereotypen zu bedienen.

Wer die Regeln kennt, oder wenigstens von ihnen weiß, kann sie dann auch gezielt brechen. Die Schönste Germanin benutzt hin und wieder die Einleitung I’m German, so I’m sorry if this seems like a direct question, die jedem Angelsachsen in Hörweite und insbesondere diesem Autor das Blut gefrieren lässt. Ist der Ruf erst ruiniert …

Kulturelle Ikonen 1: The Cat in the Hat

September 15, 2006

Im Jahr 1957 bekam der Zeichner Theodor Seuss Geisel, Sohn deutscher Einwanderer, von seinem Verleger eine Aufgabe: Es musste eine Lesefibel her, die Kindern tatsächlich Spaß machen würde. Welch radikaler Gedanke!

Geisel setzte sich hin und schuf mit einem Wortschatz von 220 Wörtern und eigenwilligen Zeichnungen unter dem Pseudonym Doctor Seuss (ausgesprochen wie juice) eine freche kleine Geschichte in Reimform, die seitdem kleine und große Amerikaner begeistert: The Cat in the Hat.

Die Handlung ist schnell erzählt: Bruder und Schwester sitzen an einem regnerischen Tag allein zu Hause – die Eltern sind weg – und langweilen sich, weil sie nicht nach draußen können (und es noch keine Computer gibt). Doch kommt plötzlich The Cat durch die Tür und sagt:

I know it is wet
And the sun is not sunny.
But we can have
Lots of good fun that is funny.

Es folgt Chaos pur. Die Wohnung wird auf den Kopf gestellt, die Möbel werden beinah geschreddert. Die Kinder stehen der Katze und ihren Spielgefährten Thing One und Thing Two zunächst völlig hilflos gegenüber, während der Goldfisch in ohnmächtiger Empörung schimpft. Richtig hektisch wird es, als die Mutter die Einfahrt heraufkommt, denn dann bleiben nur noch Sekunden, um die Eindringlinge los zu werden und alles wieder aufzuräumen …

Kaum ein amerikanisches Kind kommt an The Cat in the Hat oder einem der anderen Bücher von Dr. Seuss vorbei. Anspielungen auf The Cat finden sich zum Beispiel in Addams Family Values (es gab 2003 auch eine Filmversion des Buchs mit Mike Myers, was aber ein Frevel war und hier nicht weiter erwähnt werden wird). Es gibt endlose Nachahmer. Am besten bekannt dürfte A Grandchild’s Guide to Using Grandpa’s Computer von Gene Ziegler sein, das (meist ohne korrekte Quellenangabe und als Fragment) im Internet zirkuliert. Der bekannteste Ausschnitt lautet:

If a packet hits a pocket on a socket on a port,
and the bus is interrupted as a very last resort,
and the address of the memory
makes your floppy disk abort
then the socket packet pocket
has an error to report!

Seuss schrieb nach The Cat in the Hat viele weitere Bücher im gleichen Stil. Die Katze selbst taucht nochmal in The Cat in the Hat Comes Back auf, wo das Alphabet und ein Zeugs namens „Voom“ eine wichtige Rolle bei der Frage spielen, wie man Schnee wieder sauber kriegt. In Green Eggs and Ham, eines der Lieblingsbücher dieses Autors als kleiner Junge, versucht eine Figur namens „Sam“ hartnäckig dem Protagonisten das Gericht des Titels schmackhaft zu machen.

Kind Nummer Eins zieht dagegen Fox in Sox vor. Das fängt mit drei kurzen Wörtern und einem Namen an – fox, socks, box, Knox – und steigert sich dann über ganz unscheinbare Kombinationen wie

Knox in box.
Fox in socks.

hin zu fürchterlichen Zungenbrechern:

Through three cheese trees
three free fleas flew.
While these fleas flew
freezy breeze blew.

(Dieser Autor, dem ein gewisser interkultureller Sadismus nicht völlig fremd ist, animiert gerne seinen Nachwuchs dazu, mit diesem Buch zu nichtsahnenden deutschen Bekannten zu gehen. Eingelullt von den ersten Seiten fangen sie auch bereitwillig an es vorzulesen, bis ihnen spätestens nach der Einführung von Slow Joe Crow dämmert, worauf sie sich eingelassen haben.)

So witzig wie seine Bücher sind, so sauber die Reime, Dr. Seuss hatte auch eine sehr ernste politische Ader. In The Lorax wird die vernichtende Wirkung der Industrialisierung auf die Umwelt angeprangert („I speak for the trees!“); die Kurzgeschichte The Sneetches ist eine Parabel über Rassismus und Diskriminierung; The Butter Battle Book ist ein Anti-Kriegs-Buch. Alle sind für Kinder verständlich, und die Moral sollten selbst Erwachsene verstehen. Radikale Gedanken können halt auch in Form von Kinderreimen daherkommen.

Neue Serie: Kulturelle Ikonen

September 15, 2006

Da unsere Serie über den Aufbau der US-Bundesregierung bald zu Ende ist, wollen wir langsam den Nachfolger in Stellung bringen: Kulturelle Ikonen der USA. Hier sollen fiktive Figuren vorgestellt werden, die zwar jedem Amerikaner bekannt sind – sogar jedem Kind – und auf die immer wieder angespielt wird, die aber in Deutschland kaum jemand kennt.

Wer es international schon zu etwas gebracht hat – Mickey Mouse, Superman oder King Kong – braucht eine solche Einführung nicht; auch echte Personen müssen draußen bleiben. Und wie immer freut sich dieser Autor über Vorschläge, wer noch aufgenommen werden könnte.

Neo und die Knock-Knock Jokes

September 13, 2006

Eigentlich könnte man gut zehn Einträge dieses Blogs nur mit Stoff aus The Matrix bestreiten. Zum Beispiel: Neos Wohnungsnummer ist die 101 (sichtbar, als er zur Fetisch/SM-Party abgeholt wird), was die Nummer für Einführungskurse an amerikanischen Unis ist. Die dritte Nachricht auf seinem Computerschirm in dieser Nacht lautet Follow the white rabbit, eine der endlosen Anspielungen auf Alice in Wonderland in US-Filmen. Dem Buch werden wir einen eigenen Eintrag widmen müssen.

Als letzte Nachricht zeigt der Schirm dann das hier an:

Knock, knock, Neo.

Tatsächlich klopft es sofort danach an der Tür, zwei Mal. Und Neo sagt: Who is it?, worauf die Antwort kommt: It’s Choi. Als Neo dann murmelt: Yeah, wissen alle Angelsachsen im Kino, dass etwas nicht stimmt: Er hätte It’s Choi who? sagen müssen. Denn der Dialog war bis dahin ein leicht umformulierter knock-knock joke.

Knock-Knock Jokes (KKJs) sind ein ritualisiertes Frage-und-Antwort-Spiel für zwei Personen. Das Gerüst dafür sieht so aus:

Person 1: Knock-knock.
Person 2: Who’s there?
Person 1: [SPRUCH].
Person 2: [SPRUCH] who?
Person 1: [POINTE]!

Ein Beispiel:

Knock-knock.
Who’s there?
I love.
I love who?
I don’t know, you tell me!

Sammlungen von KKJs findet man zum Beispiel hier oder hier. Man sollte diese Art von Witz kennen, schon allein weil sie für Nicht-Muttersprachler die Hölle sein können: Viele basieren auf Varianten bei der Aussprache und anderen Wortspielen.

Knock-knock.
Who’s there?
Madam.
Madam who?
Madam finger is caught in the door!

(Madam ist hier „Mah däääm“, also my damn). Als Ausländer kann man im Zweifelsfall nur die festgelegten Teile mitmachen, in der Hoffnung, die Pointe zu verstehen. Sonst bitte lachen, wenn man den Witz erklärt bekommen hat, und wenn es nur darüber ist, dass man ihn beim ersten Mal nicht verstanden hat: Humor gilt in angelsächsischen Ländern als Zeichen von Intelligenz und es ist besser, über sich selbst zu lachen als gar nicht.

Weswegen es wohl auch passt, dass Neo den Witz abbricht: Not too bright, sagt das Orakel später über ihn, völlig zu Recht. Dumm wie Dachpappe wäre die bessere Beschreibung. Trinity, da können wir uns sicher sein, hätte es verstanden: Dodge this! ist schließlich die beste Zeile im ganzen Film.

Und überhaupt muss sich dieser Autor jetzt nochmal The Matrix anschauen um eine Entschuldigung zu finden, einen ganzen Eintrag lang nur über Carrie-Anne Moss zu schreiben. Wie gut, dass die Schönste Germanin mit ihrem neuen MacBook abgelenkt ist …

Die ultimative Einführung in American Football

September 10, 2006

Die Football-Saison hat wieder angefangen! Endlich! Der Spielplan ist gebookmarkt und die ehrenwerten Eltern haben Hintergrundinfos über die Arizona Cardinals aus der örtlichen Zeitung geschickt. Deren Chancen auf den Super Bowl (am 4. Februar 2007 übrigens) sind zwar etwa so groß wie die von VFL Bochum auf die deutsche Fußball-Meisterschaft. Trotzdem sind alle Cardinal-Tickets für die gesamte Saison schon ausverkauft. Bei spannenden Sportarten ist das so.

Dieser Autor hatte seinen Kollegen nach dem Ausscheiden der USA bei der Fußball-Weltmeisterschaft erklärt, dass es einen Plan B gibt: Die Amerikaner würden einfach der restlichen Welt Football beibringen und sie dann in Grund und Boden stampfen. Die Kollegen hielten das für einen Spruch. Nix Spruch: Heute fangen wir damit an. Heute gibt es die ultimative Einführung in American Football.

(Das ist natürlich ein unverhohlener Akt des Kulturimperialismus, und deswegen sind alle Leser entschuldigt, die lieber die urgermanische Sportkultur bewahren wollen. Viel Spaß, wir sehen uns dann in zwei oder drei Tagen für den nächsten Eintrag wieder.)

Nun können wir Football hier nicht vollständig erklären. Es ist eine komplexe Sportart, etwa auf einer Ebene mit Schach. Aber wenn man erstmal die zwei Grundprinzipien verstanden hat, kann man sich den Rest selbst herleiten, denn wie Schach ist alles sehr logisch. Wir werden uns daher darauf beschränken, genau diese beiden Prinzipien vorstellen, damit der interessierte Leser sich den Rest schnell anlesen kann. Oder besser, anschauen kann, denn Football lernt man beim Zuschauen (und wer bei „zuschauen“ jetzt an Cheerleader denkt: Sorry, das wird ein eigener Eintrag).

Dieser Autor hat lange mit sich gekämpft, ob er auch gleich die ganzen Fachbegriffe einführt, von tight end über fair catch bis zu unnecessary roughness. Das stört den Lesefluss aber erheblich. Wir werden uns mit zwei Begriffen begnügen, die ohnehin in Deutschland bekannt sind: touchdown und quarterback. Die anderen Vokabeln kommen später von selbst.

Das erste Grundprinzip lautet: Bodengewinn.

Auf dem Football-Platz stehen sich zwei Mannschaften gegenüber, die beide möglichst viel Boden erobern wollen. Wo aktuell die Grenze verläuft, zeigt der Ball an. Deswegen lautet das Ziel für jede Mannschaft: Ball kriegen und nach vorne bringen. Wenn eine Mannschaft das ganze Feld (100 Yards, also etwa 90 Meter) eingenommen hat und mit dem Ball die Zone hinter dem Feld erreicht hat, ist das der besagte Touchdown. Das gibt die meisten Punkte – sechs.

Das zweite Grundprinzip lautet: Spannung.

Man könnte Football natürlich so laufen lassen wie Fußball: Eine Mannschaft hat den Ball so lange, bis die andere ihn irgendwie bekommt. Das wäre aber unerträglich, denn dann könnte man auf Sicherheit spielen und den Ball endlos in den eigenen Reihen hin- und herschieben, ohne dass irgendwas passiert. Fußball halt.

Stattdessen macht man es spannend. Die Mannschaft mit dem Ball muss erstmal zeigen, dass sie mindestens zehn Yards einnehmen kann. Dafür hat sie vier Versuche. Schafft sie es, darf sie sich an weiteren zehn Yards versuchen. Schafft sie es nicht, wird ihr der Ball weggenommen und die anderen sind an der Reihe. So etwas wie einen „strategischen Rückpass“, „den Ball halten“ oder gar „Zeit schinden“ gibt es im Football nicht: Wer keinen Boden gewinnt, hat Probleme. Man kann höchstens versuchen, möglichst langsam Boden zu erobern. Aber es versteht sich von selbst, dass Football echte Spielzeit hat, denn das ist spannender. Die Möglichkeiten zur Verzögerung sind äußerst begrenzt.

Und war es eigentlich schon. Nein, ehrlich. Der ganze Rest lässt sich aus diesen beiden Prinzipien – Bodengewinn und Spannung – herleiten.

Wie bringt man einen Ball möglichst sicher von A nach B? Man hebt ihn auf, klemmt ihn sich unter den Arm und läuft los. Hat man Freunde, halten sie einem den Weg frei, blocken den Gegner. Wie stoppt man einen Mann mit einem Ball? Man hält ihn fest und zieht ihn zu Boden. Aber wenn jeder jeden festhalten könnte, würde das ganze Spiel nach wenigen Minuten eher Rasen-Catchen ähneln, und das wäre langweilig. Daher darf nur der Spieler mit dem Ball festgehalten werden. Bei allen anderen muss man sich damit begnügen, sich ihnen in den Weg zu stellen, sie also zu blocken.

Nur, schon das Aufheben des Balles ist schwierig. Vor einem Spielzug liegt er einfach auf dem Rasen. An einem Ende des Balles stellt sich die angreifende Mannschaft auf, an dem anderen die verteidigende – so nahe stehen sie sich. Um nach dem Anpfiff möglichst schnell nach vorne hechten zu können, geht die Defensive auf alle Viere wie Sprinter am Startblock.

Der Ball muss also zuerst in Sicherheit gebracht werden. Dann müssen die Verteidiger aufgehalten werden, sonst rennen sie alle über den Haufen. Daher gehen auch einige Spieler der Angriffsmannschaft – meistens fünf – ebenfalls auf alle Viere. Anders ist die Wucht des Gegners nicht abzufangen.

Nun ist es aber etwas schwierig, so den Ball aufzuheben. Am besten geht das, wenn der Mann in der Mitte ihn zwischen seinen Beinen nach hinten reicht oder wirft. Dort steht jemand, der dann vor dem ersten Ansturm geschützt ist und dann in (relativer) Ruhe entscheiden kann, wie es weitergeht. Dieser Mann ist der Spielführer, der berühmte Quarterback, der Highschool-Held aller Teenie-Movies. Er kann den Ball jetzt selbst nach vorne tragen oder – sehr viel häufiger – ihn an eine möglichst schnelle, quirlige Person mit den Eigenschaften eines Rammbocks übergeben.

Aber das ist alles mühsam und anstrengend. Wäre es nicht klüger, das Ding nach vorne zu werfen? Der Vorwärtspass ist eine logisch Antwort auf die Frage, wie man den Ball möglichst schnell nach vorne bringt (die primitive Vorstufe verwandte Sportart Rugby kennt dieses Manöver nicht). Wenn aber jeder ständig Vorwärtspässe machen könnte, hätte man Passketten wie beim Handball und das wäre wieder langweilig. Deswegen ist nur ein Vorwärtspass pro Spielzug erlaubt und das auch nur, wenn der Werfer hinter der ursprünglichen Startlinie bleibt.

Auch Pässe sind in der Praxis nicht so einfach. Das Problem ist der Zeitfaktor.

Der Quarterback bekommt den Ball. Er könnte jetzt passen, aber dazu braucht er einen Partner: Jemand muss nach vorne laufen. Das braucht seine Zeit, die aber knapp ist: Die vordere Linie kann nicht lange den Quarterback beschützen, denn sie dürfen den Gegner ja nicht festhalten, sondern nur abblocken. Etwas mehr Zeit gewinnt man, wenn der Quarterback zwei Spieler als „Leibwache“ zur Seite bekommt. Aber nur etwas. Früher oder später brechen die Gegner durch. Daher lautet die Frage bei jedem Passspiel: Kriegt der Quarterback den Ball weg, bevor er geschnappt wird?

Die Passempfänger müssen natürlich möglichst schnell sein. Das ist der Grund, warum die USA in der Leichtathletik immer so weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben: Viele der besten Sprinter gehen zum Football, wo das Gehalt um Zehnerpotenzen höher ist und man zum Volksheld werden kann.

Der Passempfänger wird von einem oder mehreren Verteidigern bewacht. Diese dürfen auch den Ball fangen, oder genauer, abfangen. Wenn sie das schaffen, versuchen sie sofort, Boden gut zu machen, bis hin zum Touchdown. Aus den Jägern werden die Gejagten, von einer Sekunde zur nächsten.

Ja, aber warum überhaupt passen? Warum nicht einfach den Ball nach vorne treten? Das gibt es auch. Dazu stehen die großen weißen Gabeln am Ende des Feldes: Schießt man den Ball zwischen die Stangen, gibt es Punkte. Der Ball wird einem Spieler zugeworfen, der ihn mit der Spitze nach unten auf den Boden stellt und festhält. Ein zweiter Spieler schießt. Das kennen wir aus Peanuts, wenn Lucy Charlie Brown den Ball wegzieht. Bei den Profis sieht man das allerdings eher selten.

Da es langweilig wäre, wenn die Mannschaften ständig nur Feldtore schießen würden, gibt es für diese nur halb so viele Punkte wie für einen Touchdown, nämlich drei. Mehr noch: Um einen Touchdown wertvoller zu machen, erfolgt im Anschluss an ihn ein „Zusatzversuch“. Die Angriffsmannschaft kann dann probieren, ein „Mini-Feldtor“ (ein weiterer Punkt, insgesamt dann sieben) oder einen „Mini-Touchdown“ (zwei weitere Punkte, insgesamt acht) zu erzielen.

Und das ist jetzt endgültig alles, was man am Anfang über Football wissen muss: Bodengewinn und Spannung und was sich logisch daraus herleitet.

Heraus kommt ein geniales Spiel, das die Massen begeistert: Zu einem durchschnittlichen Profi-Football-Spiel kommen 68.000 Zuschauer, zu einem Bundesliga-Spiel gerade mal 39.000. Und was machen die Leute, die nicht mehr ins Stadium passen? Weil die Spiele der Cardinals ausverkauft sind, werden sie in Arizona live im Fernsehen übertragen, im Free-TV. Alle.

Damit ist der Spielplan der NFL schon deswegen wichtig, damit dieser Autor weiß, wann er gar erst nicht probieren muss, die ehrenwerten Eltern im Video-Chat zu erreichen. Sie werden nicht vor dem Computer sitzen, verständlicherweise. Bei spannenden Sportarten ist das so.

(Korrigiert 4. Feb 2007: Datum von Super Bowl)