Archive for Januar, 2011

Einige Bemerkungen zum Turboencabulator

Januar 31, 2011

Kind Nummer Eins durfte letztens zum ersten Mal Back to the Future sehen. Erschreckend, dass die Welt von 1985 auf es so fremdartig wirkte wie die von 1955 — wie, keine Handys? Noch erschreckender ist natürlich, dass die „ferne Zukunft“ in der Serie das Jahr 2015 ist. Wie auch immer, der Nachwuchs weiß jetzt, dass es flux capacitor heißt und nicht „Fluxkompensator“. In einer Familie von nerds ist so etwas wichtig.

Und es bringt uns zu einem weiteren wichtigen Standardgerät der amerikanischen Hochtechnologie: Den turboencabulator. Der interessierte Leser möge sich eine Minute und 49 Sekunden für dieses klassische Einführungsvideo [YouTube] Zeit nehmen, das den wohl besten Überblick über die Maschine gibt. Wer gerade nicht streamen kann, muss sich erstmal mit diesem Zitat der Beschreibung begnügen, das aber nur ein Schatten des Filmvortrags ist:

Undoubtedly, the turbo-encabulator has now reached a very high level of technical development. It has been successfully used for operating nofer trunnions. In addition, whenever a barescent skor motion is required, it may be employed in conjunction with a drawn reciprocating dingle arm to reduce sinusoidal depleneration.

Nein, dieser Autor wird nicht bei der Übersetzung helfen. Dieses Mal muss der interessierte Leser schon etwas mitdenken.

Wer sich jetzt an Jabberwocky erinnert fühlt und den Turboencabulator für Unfug hält, möge sich das Datenblatt [JPG] von General Electric anschauen. In dem Literaturverzeichnis [JPG] ist auch die Zeitschrift für Physik aufgeführt; dieser deutsche Artikel scheint allerdings nicht im Netz verfügbar zu sein. Auch Chrysler [YouTube] hat das Gerät für seinen Dodge Viper im Einsatz.

(Es gibt tatsächlich eine Verbindung zwischen dem Turboencabulator und Jabberwocky: Die sinusoidale Depleneration ist ein bekanntes Problem bei Vorpal-Klingen. Aber das ist nicht Thema dieses Blogs).

Man findet den Turboencabulator inzwischen überall in amerikanischen Ingenieurskreisen. Die ursprüngliche Maschine wurde offenbar zuerst am 24. August 1942 beschrieben. Wann das erste Modell gebaut wurde, ist unklar. Eine militärische Nutzung kann daher nicht ausgeschlossen werden. Inzwischen ist die Technik deutlich weiter: Rockwell Automation (auch ein echtes Unternehmen) bietet den retroencabulator [YouTube] an. In diesem Video werden für Freaks auch Einzelteile der Maschine gezeigt.

Interessanterweise hat bislang nur die englische Wikipedia einen Eintrag zum Turboencabulator. Offenbar müssen andere Länder noch sehr lange forschen, um in diesem Bereich zu den USA aufschließen zu können.

(Nach einem Vorschlag von DKS, vielen Dank)

Noch mehr Macht für Washington: Der New Deal und die Verfassungsrevolution von 1937

Januar 23, 2011

In unserem Gesamtüberblick über die USA haben wir erwähnt, dass der Bund über die Jahrhunderte immer mehr Macht auf Kosten der Bundesstaaten gewonnen hat. Den ersten der zwei größten Schritte dahin haben wir schon beschrieben: Das nach dem Bürgerkrieg im 14. Verfassungszusatz eingeführte Prinzip, dass die Bürgerrechte auch für die Bundesstaaten bindend sind.

Dass wir den zweiten Schritt vor uns her geschoben haben, die „Verfassungsrevolution von 1937“ im Rahmen des New Deal, erweist sich als Glücksfall: Jetzt können wir Bezug nehmen zu aktuellen Entwicklungen wie die Forderungen der Tea Party Movement oder die Einwände gegen die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama. Fast so, als hätten wir es geplant!

Wir müssen dazu zurück zur Weltwirtschaftskrise. Nein, nicht die von 2008, sondern zur Great Depression, die im Oktober 1929 mit dem Kurssturz an der Wall Street [YouTube] begann und ihren tiefsten Punkt 1933 erreichte. Die unglaubliche Not dieser Zeit — Massenarbeitslosigkeit, Hunger, der Zusammenbruch der Wirtschaft — ist nicht unser Thema. Für uns ist die Reaktion des Bundes wichtig.

Die Krise traf den republikanischen Präsidenten Herbert Hoover. Der hatte im Wahlkampf noch erklärt:

We in America today are nearer to the final triumph over poverty than ever before in the history of any land.

Nun, nach dem Wall Street Crash war das dann nicht mehr der Fall. Hoover sah es hauptsächlich als die Aufgabe der Bundesstaaten und Kommunen an, die Wirtschaft anzukurbeln – die klassische Aufgabenteilung zwischen dem nach außen gewandten Bund und den nach innen gewandten Bundesstaaten. Dummerweise waren Länder und Städte völlig pleite. Eine direkte Hilfe des Bundes für den einzelnen Bürger lehnte Hoover ab. Er wurde, um es höflich zu formulieren, ein wenig beliebter Präsident.

(Hoover fasste seine Sicht der Krise später in einem Brief zusammen. Seine Rolle ist umstritten, wie so ungefähr alles im Zusammenhang mit der Krise. Wir überlassen den Streit den Profis und betrachten nur die groben Abläufe.)

Im Wahlkampf 1932 traf Hoover auf den Demokraten Franklin Delano Roosevelt.

Man kann sich FDR in erster Näherung als eine Art Dampfwalze oder Lokomotive vorstellt, auch wenn das Bild wegen seiner Lähmung durch Polio (oder Guillain-Barré) eigentlich überhaupt nicht passt. Der in Harvard ausgebildete Anwalt wurde von der absoluten Überzeugung getragen, dass nur er das Land retten konnte [1]:

He was a master politician, who took command with absolute authority: He knew […] that he could save the country and that no one else could.

Roosevelt gewann die Wahl deutlich. Seine Antrittsrede [Video] 1933 gehört zu wichtigsten und einflussreichsten Ansprachen in der Geschichte der USA.

[L]et me assert my firm belief that the only thing we have to fear is fear itself …

Dann legte Roosevelt los. Die Amerikaner sind stolz darauf, dass sie in ihrer Not nicht wie die Europäer den Lockrufen von Faschismus und Kommunismus folgten, sondern an der Demokratie festhielten. Allerdings war kein Präsident – nein, auch nicht George W. Bush – jemals so faktisch ein Despot wie FDR [2]:

For the first three months after his inauguration — the so-called Hundred Days — Franklin Roosevelt was the American dictator, in the very best sense of that term.

Gemeint sind hier die antiken Diktatoren der römischen Republik, die vorübergehend das Heft in die Hand nahmen (da alle wissen, wie das ausging, führten die USA nach den Erfahrungen mit FDR die Begrenzung der Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten ein). Roosevelts kurze Quasi-Diktatur war vor allem deswegen möglich, weil der Kongress völlig verzweifelt und zu allem bereit war. Gesetze wurden zunächst einfach durchgewunken.

Roosevelt nutzte den Freiraum, um massive Hilfsprogramme und neue Institutionen auf Bundesebene einzuführen – den New Deal. Die mehr als 100 neue Behörden wurden wegen ihrer Abkürzungen alphabet agencies genannt: AAA, CCC, FDIC, NRA (die National Recovery Administration, nicht die Waffenlobby), SEC, TVA, WPA, und so weiter. Der Bund nahm die Wirtschaft in die Hand, die USA wurden von oben nach unten umgekrempelt.

Aber Moment, war das legal? Eigentlich nein, denn die Verfassung sagte nach der bis dahin gängigen Interpretation, dass so etwas Sache der Bundesstaaten war. Entsprechend kassierte der Supreme Court die Programme wieder. Wir können den Ablauf dieser Jahre so beschreiben:

  1. Roosevelt entwirft eine Initiative gegen die Wirtschaftskrise. Sie wird unter einer bizarren Buchstabenkombination bekannt.
  2. Der Kongress nimmt den Gesetzentwurf in Windeseile an. Er zeigt sich dabei etwa so kritisch wie die Volksversammlung in Pjöngjang.
  3. Die neue Behörde nimmt die Arbeit auf. Sie ist mehr oder weniger erfolgreich.
  4. Der Oberste Gericht fällt vor Entsetzen vom Stuhl und erklärt die Institution für verfassungswidrig.

Besonders die ersten Maßnahmen des New Deal waren handwerklich so schlecht gemacht — übereilte, überstürzte, hingerotzte Gesetze — dass das Gericht kaum eine andere Wahl gehabt hätte. Aber es prallten hier auch völlig verschiedene Verfassungsinterpretationen aufeinander.

Im Kern ging der Streit um die Commerce Clause, die „Handelsklausel“ der Verfassung in Artikel 1, Sektion 8, Absatz 3. Dort wird dem Kongress das Recht zugesprochen (Hervorhebung hinzugefügt):

to regulate commerce with foreign nations, and among the several states, and with the Indian tribes

Das war mehr als 150 Jahre so verstanden worden: Wenn es um den Handel innerhalb eines Bundesstaates ging, hatte der Bund sich herauszuhalten. Erst wenn die Landesgrenze überquert wurde, konnte der Kongress mitreden. Damit waren ganze Bereiche der Zuständigkeit des Bundes entzogen, wie Fabriken oder Bergwerke.

Als Beispiel mag das Urteil Schechter Poultry vs. United States von 1935 gelten. Darin stellte das Oberste Gericht fest, dass der Bund sich nicht in den Hühnchenhandel innerhalb des Bundesstaates New York einzumischen habe, da die Vögel nicht über die Landesgrenzen geschleppt wurden:

Activities local in their immediacy do not become interstate and national because of distant repercussions.

Allgemeiner formuliert lautete die Kritik, dass Roosevelt die Macht des Bundes auf Kosten der Bundesstaaten ausweiten wolle. Der Vorsitzende des Obersten Gerichts, Charles Evans Hughes, fasste seine Ablehnung der New-Deal-Philosophie in einem berühmten Satz zusammen [1]:

Extraordinary conditions may call for extraordinary remedies. But extraordinary conditions do not create or enlarge constitutional power.

In der Praxis war das Gericht tief gespalten. Vier der neun Richter – die sogenannten Four Horsemen – waren gegen die Maßnahmen, drei – die Three Musketeers – waren dafür. Die anderen zwei, Hughes und Owen J. Roberts, entschieden sich mal so, mal so.

Roosevelt reichte es irgendwann mit den bockigen alten Männern. Nach seiner Wiederwahl startete er einen Frontalangriff auf den Supreme Court: Im Februar 1937 schlug er vor, das Gericht auf bis zu 15 Richter zu erweitern, dem court-packing plan. Als Präsident hätte er die zusätzlichen Stellen besetzen können.

Das ging allen dann doch etwas weit. Aus dem Plan wurde nichts. Aber kurz nach dem Vorstoß passierte etwas seltsames: Roberts wechselte bei der Entscheidung über West Coast Hotel Co. vs. Parrish – es ging um den Mindestlohn – zu den Musketieren. Amerikanische Historiker sprechen von the switch in time that saved nine, eine Anspielung auf das Näh-Sprichwort a stitch in time saves nine. Das Gericht gab ab hier seinen Widerstand auf.

Seit dem gilt, sehr vereinfacht gesagt, dass alle Dinge in einem Bundesstaat, die den Handel in anderen Bundesstaaten betreffen, Sache des Bundes sein können. Statt also die Macht des Bundes zu begrenzen, erhält dieser nun durch die Handelsklausel

virtually unlimited access to matters heretofore reserved for the states

Wohlgemerkt: Nicht ein Buchstabe der Verfassung wurde geändert, der Kongress wurde nicht befragt und die Bundesstaaten schon gar nicht. Das Oberste Gericht entschied einfach, dass ein einziger Satz plötzlich komplett anders zu verstehen sei als er bislang von allen Gerichten zuvor verstanden worden war. Daher der Begriff der „Verfassungsrevolution“.

Dass alle mitmachen, hat einen einfachen Grund: Viele Dinge funktionieren jetzt besser. Der interessierte Leser wird in der obigen Liste der Alphabet-Behörden die Börsenaufsicht SEC erkannt haben, die es bis heute gibt. Auch das Hilfsprogramm Social Security und die Gesetze zum Mindestlohn gehen auf den New Deal zurück, um zwei weitere Beispiele zu nennen.

Der Preis dafür ist ein massiver Machtzuwachs des Bundes auf Kosten der Bundesstaaten. Etwas bösartig formuliert sieht der Ablauf jetzt so aus:

  1. Der Kongress regt sich über X auf. Das geht so nicht!
  2. Aber Moment, sagen sich die Abgeordneten. Hat X nicht irgendwas mit Handel zu tun, irgendwie? Aber natürlich! Dude, das ist unser Beritt!
  3. Der Kongress erlässt ein Gesetz zu X.

Ursprünglich sah die Verfassung eine Möglichkeit für die Bundesstaaten vor, den Elan der Abgeordneten in Washington in Schach zu halten: Der Senat wurde, ähnlich wie der Bundesrat in Deutschland heute, von den Bundesstaaten besetzt. Durch den 17. Verfassungszusatz wurde 1913 jedoch die Direktwahl der Senatoren eingeführt, um die Macht des Volkes zu stärken. Jetzt bleibt den Staaten nur der Gang vor das Oberste Gericht (weswegen einige Leute eine Rückkehr zum alten Senats-System fordern).

Kritiker sehen insbesondere den Zehnten Verfassungszusatz ausgehebelt, der da sagt: Der Bund darf nur die Dinge regulieren, die ausdrücklich in der Verfassung aufgelistet sind (die enumerated powers). Alles andere bleibt bei den Bundesstaaten.

In den vergangenen Jahren haben die Richter das Pendel wieder etwas zurückgeschlagen lassen. Ein wichtiges Urteil war 1995 United States vs. Lopez. Der Bund hatte versucht, mit dem Hinweis auf die Handelsklausel Waffengesetze in Schulzonen zu regeln. Jetzt reichts, sagt das Gericht: Wenn das so weiter geht, kann der Kongress einfach alles bestimmen und den Föderalismus komplett aufheben.

[I]f we were to accept the Government’s arguments, we are hard pressed to posit any activity by an individual that Congress is without power to regulate.

Jetzt reichts, sagen inzwischen auch einige der Bundesstaaten — das Schlagwort lautet States‘ rights. Gegen die als „ObamaCare“ genannte Gesundheitsreform haben 26 der 50 Staaten Rechtsmittel eingelegt. Einer ihrer Einwände lautet: Wo bitte steht in der Verfassung, dass der Bund den Bürger zu einer Versicherung zwingen kann? Na, das Gesundheitssystem hat doch auch mit dem Handel zu tun, argumentieren die Befürworter. Am Ende wird wieder das Oberste Gericht entscheiden müssen.

Zu den lautesten Vertretern einer Rückkehr zu einem stärkeren Föderalismus gehört heute die Tea Party Movement. Hier wird die Bedeutung des Zehnten Verfassungszusatzes betont – daher der Begriff des Tenther. Die extremsten Vertreter fordern, dass der Bund sich auf besagte 30 Zuständigkeiten beschränken muss. Alles andere, ob Meinungsfreiheit, Waffengesetze, Homo-Ehe oder Gesundheitspolitik, soll bei den Bundesstaaten bleiben (Hervorhebung im Original):

The federal government was delegated certain enumerated powers from the people of the several states. Everything else is left to those states to decide for themselves. Whether they want school prayer, the death penalty, abortions, medical marijuana or machine guns.

Das wäre nicht nur eine Rückkehr zu der Struktur der USA vor dem New Deal, sondern auch vor dem Bürgerkrieg. Es ist daher gleichzeitig völlig richtig und völlig irreführend, diese Leute als „konservativ“ zu bezeichnen, denn sie sehen die meisten Republikaner als Teil des Problems an. Allerdings muss man betonen, dass die Mehrheit der Tea Party Movement nicht so weit gehen will. Einig sind sie sich, dass die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte gestoppt werden muss.

Wie erfolgreich der von den (Erz-)Konservativen und dem heutigen Obersten Gericht vorangetriebene sogenannte New Federalism sein wird, ist unklar — wie auch, ob das wirklich die Richtung sein sollte, in die sich das Land bewegt. Der Streit über die Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten dürfte nie entschieden sein.

([1] Brogan, Hugh The Penguin History of the United States Penguin Books 1999 [2] Gorden, John Steele An Empire of Wealth, Harper Perennial 2004)

ZEUGS: Der Sheriff beim Amoklauf, Geheimdiensttherapien und Sexstudien

Januar 17, 2011

In der wichtigsten Schreibstube dieses Autors herrscht seit Wochen ein ziemliches Chaos, weswegen sich alles in diesem Blog verzögert. Sorry.

  • Zum Polizeisystem der USA: Was beim Amoklauf von Tucson etwas an der europäischen Presse vorbeiging, ist dass der Sheriff von Pima County — der Mann also, der die Diskussion über das politische Klima anstieß — ein Demokrat ist, der im kommenden Jahr zur Wahl steht. Damit muss er nicht Unrecht haben. Aber man sollte es wissen, schon allein weil eine (kleine) Mehrheit der Amerikaner eher den Linken als den Rechten die Schuld an den schrillen Tönen gibt. — Die Berichterstattung der amerikanischen Medien über den Angriff wird von selbigen inzwischen massiv kritisiert. Die Diskussion darüber sprengt allerdings den Rahmen dieses Blogs.
  • Zum Secret Service: Wired beschreibt anlässlich des Angriffs, wie der Dienst mit verdächtigen Leuten umgeht, die böse Briefe schreiben: Man bekommt Besuch von netten Männern in gut sitzenden Anzügen.

    Those agents, after sitting down in the living room, are likely to afford the letter writer the kind of polite listening that normally costs $150 an hour in a therapist’s office, as they assess whether he or she represents a threat.

    Offenbar sind die Autoren solcher Briefe allerdings nur selten ein Problem.

  • Zum Jahr im Rückblick: Der interessierte Leser RAH verweist auf eine Version des Komikers Dave Barry hin. Die Witze über Franzosen gehören für jeden Angelsachsen natürlich zum Pflichtprogramm (und müssen einem deutschen Publikum vermutlich nicht erklärt werden). Man beachte darüber hinaus die bitterbösen Kommentare über den Kongress sowie über die Medien, beides Institutionen, die in den USA weniger angesehen sind als ihre Gegenstücke in Deutschland. Der Seitenhieb auf Al Gores überdurchschnittlichen Energieverbrauch – wir sind im Vorbeigehen darauf eingegangen – gehört inzwischen auch zum Standard. Dank seiner jüngsten Kehrtwende bei Biotreibstoff dürfte Gore längere Zeit eine Zielscheibe für Komiker bleiben, ob berechtigt oder nicht.
  • Zu fehlenden Notfallausrüstungen und Humor: Wie erhöht man das Bewusstsein für den persönlichen Katastrophenschutz, wenn kein kulturelles Tabu verhindert, dass man so ein ernstes Thema witzig verpackt? Man ruft die Leute auf, sich für die Zombie-Apokalypse zu rüsten. Unter dem Motto We make dead things deader schützen die Mitglieder von Zombie Squad ihre Nachbarschaften vor den Horden von Untoten. Und wenn das gerade mal nicht akut ist:

    When the zombie removal business is slow we focus our efforts towards educating ourselves and our community about the importance of disaster preparation.

    Neben diesen Bildungsveranstaltungen sammeln sie Spenden für wohltätige Zwecke – in Form von Geld, Lebensmitteln und natürlich auch Blut (give blood not brains). Es scheint in Europa nur einen britischen Ableger der Gruppe zu geben. Vermutlich haben nicht genug Deutsche Rammbock gesehen.

  • Zu Fluoriden im Trinkwasser, während wir von Gehirnen sprechen: Die Konzentration soll gesenkt werden, da andere Fluorid-Quellen wie Zahnpasta und Mundspülungen hinzugekommen sind und damit die Flecken zunehmen. Der verlinkte Bericht in der New York Times verweist auf Zeitungsberichte über Verschwörungstheorien in den 50er Jahren:

    The story said some opponents called the campaign for fluoridation „the work of Communists who want to soften the brains of the American people.“

    Das ist ja zum Glück nicht geschehen. Äh. Sagen wir jetzt mal so.

  • Zur Nationalhymne: Wer Probleme hat, den Text zu verstehen, ist nicht allein: Das geht auch genug Amerikanern so. Das Language Log analysiert das Problem:

    [Francis Scott] Key has taken a structure whose natural English order is

    Subject V PP1 PP2

    and rendered it as

    Subject PP2 PP1 V

    Und so weiter. Wer daran Spaß wird, dem wird auch der Eintrag über Kontraktionen in der Geschichte der englischen Sprache gefallen. Lieutenant Commander Data, übernehmen Sie!

  • Zu den Persönlichkeitsrechten von Politikern: Die Juraprofessorin und konservative Bloggerin Ann Althouse will bemerkt haben, dass Präsident Obama vorübergehend die Haarfarbe gewechselt hat. Auch andere amerikanische Blogger diskutieren das jetzt, mit Fotos. Althouses Leser können beruhigt sein: Juristische Probleme drohen ihr in den USA nicht, auch keine Besuche von Männern in gut sitzenden Anzügen.
  • Zur Swimsuit-Ausgabe von SI, als Überleitung zum nächsten Punkt: io9 hat einen Bericht über die Marvel-Comic-Variante. Mit schönem Gruß an den interessierten Leser CR.
  • Zu prüden Amerikanern: Eine neue Umfrage zum Sexualverhalten der US-Bürger liegt vor. Die dazugehörige Tabelle kann dieser Autor als Diagnosewerkzeug für Schlafmangel empfehlen: Wenn man minutenlang die letzte Zeile anstarrt und sich fragt, warum dort die Angaben zu Frauen fehlen, ist es Zeit, den MacBook zuzuklappen und ins Bett zu gehen.

Alles ist Zen, selbst der Dharma-Burger

Januar 12, 2011

Zu den Dingen, für die dieser Autor so absolut keine Zeit hat, gehört Plants vs. Zombies. Bei dem Zeichentrick-Computerspiel aus dem tower defense-Genre muss man sein Haus mit einem sorgfältig zusammengestellten Gemüsebeet gegen Horden von Untoten verteidigen. Daneben gibt es auch kleinere Mini-Spiele: Zum Beispiel kann man im zen garden Pflanzen auf Bambusmatten züchten und dann verkaufen. Stundenlang.

Moment, mag der interessierte Leser jetzt denken. Was in aller Welt hat das mit echten Zen-Gärten zu tun? Absolut gar nichts. Es klingt einfach nur gut.

Das Wort „Zen“ wird in den USA inzwischen für alles mögliche benutzt, besonders in der Werbung. In den meisten Fällen soll das wohl Entspannung und Ruhe suggerieren, vermutlich weil Werbefritzen nie versucht haben, im Lotus-Sitz eine halbe Stunde unbeweglich mit gradem Rücken auf einem Kissen zu hocken. Wobei auch das nicht erklärt, was der Baum bei Zen Soothing Tea Tree Shampoo von Axe zu suchen hat.

Auch andere Dinge ergeben weniger Sinn als ein Koan, wie die Schlagzeile „The Zen Machismo of Bruce Willis“ oder die „Moment of Zen“-Sequenzen bei der Daily Show von Jon Stewart. Für the zen of gibt Google inzwischen mehr als eine Million Treffer, einschließlich (natürlich) The Zen of Zombie. Schön findet dieser Autor The Zen of Python:

Beautiful is better than ugly.
Explicit is better than implicit.
Simple is better than complex.
Complex is better than complicated.
Flat is better than nested.
Sparse is better than dense.
Readability counts.

Und so weiter. Eigentlich passt hier natürlich das Wort „Philosophie“ besser. Aber das ist länger und klingt halt nicht so asiatisch-cool.

Eine gehörige Mitschuld an der Zen-Flut hat der Roman Zen and the Art of Motorcycle Maintenance von Robert M. Pirsig von 1974. Dieser hatte aber wenigstens den Anstand, in der Einleitung Klartext über das Buch zu reden:

[I]t should in no way be associated with that great body of factual information relating to orthodox Zen Buddhist practice. It’s not very factual about motorcycles, either.

Zen ist nicht der einzige Begriff, der aus dem fernen Osten entführt wurde und jetzt für den Kapitalismus anschaffen gehen muss. „Karma“, „Zazen“ (Meditationstechnik) und „Dharma“ (die Lehre) haben das gleiche Schicksal erlitten. Nike bietet Dharma-Kleidung an und Karma-Golfbälle. Es gibt Zazen-Surfbretter, Karma-Seife und Dharma-Sonnenbrillen mit Varianten wie pink bubblegum. Vermutlich war das die Lieblings-Sorte des Buddha.

Amerikanische Buddhisten nennen diese Werbenamen spöttisch dharma-burger und sammeln sie. Allerdings scheinen selbst sie nicht zu verstehen, was es mit der Dharma Initiative aus Lost auf sich hat. Noch ein Grund, lieber Fringe zu gucken.

Wenigstens ist das Spiel Zen Bound tatsächlich entspannend. Dabei muss man Holz- oder Metallfiguren möglichst vollständig mit farbgetränkter Kordel umwickeln, ohne Zeitdruck, ohne Punkte, ohne Gegner, ohne Fallen, zu ruhiger Musik. Wirklich dumm, dass dieser Autor auch dafür so absolut gar keine Zeit hat.

Die, äh, Lüge vom tiefgläubigen Amerikaner

Januar 8, 2011

Less than 20 percent of Protestants attend church during an average week in Ashtabula County — not 36 percent, as claimed by people who responded to our poll of county residents. And not 45 percent, as found by the American Institute of Public Opinion in the Gallup Poll.

— C. Kirk Hadaway, Empty pews belie Gallup’s good news, 1994

Fragt man Amerikaner, ob sie regelmäßig in die Kirche (die Synagoge, die Moschee) gehen, bekommt man eine Antwort häufiger als in Europa: Ja, na klar, sicher, was sonst. Zwei von fünf US-Bürger geben in Umfragen an, regelmäßig am Gottesdienst teilzunehmen, und mehr als 90 Prozent sagen, dass sie an Gott glauben. Das ist deutlich mehr als in anderen entwickelten Ländern. Den USA wird deswegen nachgesagt, einzigartig unter den Industriestaaten zu sein: Hier sei Religion noch wichtig.

Aber wo sind denn dann die ganzen Leute, fragen sich die amerikanischen Geistlichen, denn die Gotteshäuser sind leer (insbesondere die Männer sind AWOL). Die Umfragen decken sich ganz und gar nicht mit der Wirklichkeit der empty pews. Forscher finden das auch seltsam und haben hingeschaut, statt die Leute nur zu befragen.

Das Ergebnis: Nix ist mit größerer Religiosität in den USA als in anderen Industriestaaten. Wenn es um Religion geht, lügen die Amerikaner schlicht wie, nun, der Teufel.

Americans are hardly more religious than people living in other industrialized countries. Yet they consistently — and more or less uniquely — want others to believe they are more religious than they really are.

Das gilt übrigens auch für Kanadier. In der Praxis ist die Zahl der Kirchenbesucher in den USA halb so groß wie behauptet:

Instead of 40 percent of Protestants attending church, we found 20 percent. Instead of 50 percent of Catholics attending church, we found 28 percent.

Der Unterschied wird bereits deutlich, wenn man nicht fragt „Gehen Sie am Sonntag zur Kirche?“, sondern zum Beispiel die Leute bittet, genau Tagebuch über ihre Aktivitäten am Wochenende zu führen. Plötzlich geht es am Sonntagmorgen gar nicht mehr so fromm zu. Oder anders formuliert: Amerikaner lügen nicht nur über ihre Kirchenbesuche, sie sind auch noch miese Lügner.

In Wirklichkeit gehen sie nicht wesentlich häufiger in die Kirche als Europäer:

Americans attended services about as often as Italians and Slovenians and slightly more than Brits and Germans.

Europäer schwindeln nach diesen Studien zwar auch, aber „selbst in Irland“ betrage die Kluft zwischen Sagen und Tun höchstens acht Prozentpunkte, sagen die Forscher.

Ja, aber warum lügen die Amerikaner (und Kanadier) über ihre Kirchenbesuche und die Europäer nicht, oder auf jeden Fall nicht so dreist? Spekuliert wird, dass es mit dem Selbstbild zu tun hat:

Religion in America seems tied up with questions of identity in ways that are not the case in other industrialized countries. When you ask Americans about their religious beliefs, it’s like asking them whether they are good people, or asking whether they are patriots.

Formell wird das bei Umfragen als der social desirability effect bezeichnet: Die Antwort folgt den gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, nicht der Wirklichkeit. Für die große Masse der Nordamerikaner ist ein guter Mensch immer noch ein gottesfürchtiger Bürger, der artig am Sonntag in die Kirche (am Samstag in die Synagoge, am Freitag in die Moschee) geht. Wir kennen das aus Buffy: Ein Teil der Charakterisierung des corn-fed Iowa boy Riley Finn als sittlichen reinen Vorzeigebürger ist die Szene in „Who Are You“, wo er an einem Sonntagmorgen im Anzug zur Kirche geht.

(Die Kirche ist dummerweise von Vampiren überlaufen, was aber in den USA eher selten passiert und daher im Rahmen dieser Diskussion als abschreckenden Faktor für den Besuch des Gottesdienstes ignoriert wird.)

Weiter sollen Amerikaner keine Lust auf Belehrungen zu Themen wie Homosexualität oder Abtreibung haben. Früher habe es in den Gemeinden eine größere Meinungsvielfalt bei kontroversen Themen gegeben, sagt die Religionsforscherin Jane Donovan. Der heutige Zank schrecke die Leute ab:

You find people leaving churches — or not drawn to them — because they don’t want to be part of something where this is always being raised.

Was heißt das alles für die anderen Umfrage-Ergebnisse? Es gibt in den USA deutlich weniger Kirchengruppen als geschätzt, so viel ist inzwischen auch klar. Aber glauben wirklich mehr als 90 Prozent der Amerikaner an Gott, oder sagen sie das nur am Telefon, weil Atheisten in den USA einen furchtbaren Ruf haben? Das ist schwieriger herauszufinden, denn man kann den Leuten nicht in den Kopf gucken. Bekannt ist, dass die Zahl der Konfessionslosen kontinuierlich ansteigt.

Wir sollten zum Schluss betonen, dass wir hier die große Masse der Amerikaner betrachten. Dass es in den USA kleine, aber sehr laute Gruppen von tiefgläubigen Menschen und religiösen Fanatikern gibt, bezweifelt niemand. Wie wir schon besprochen haben, erklärt sich das zwanglos aus der religiösen Verfolgung in Europa und dem Schutz der Glaubensfreiheit in den USA.

Dumm nur: Berichte über Menschen, die einen Tod durch Brustkrebs bejubeln, verkaufen sich besser als solche über Leute, die sich am Sonntagmorgen noch einmal im Bett umdrehen. Daher wird das Vorurteil von dem religionsbessenen Amerikaner wohl unausrottbar sein.

Aber wenigstens der interessierte Leser weiß jetzt, das man auch einen Amerikaner am Sonntagmorgen zu Hause anrufen kann — wenn es nicht zu früh ist, versteht sich.

ZEUGS: Der Mordanschlag auf Fringe, Happy Christmas und kalte Deutsche

Januar 3, 2011

Alle wieder da? Sehr schön. Wünschen einen guten Rutsch gehabt zu haben. Jetzt zurück zum Ernst des Lebens, denn schreckliche Dinge sind in den letzten Wochen von 2010 passiert!

  • Zur Sendezeit des Todes: Denn Fringe, die beste Sendung im US-Fernsehen seit Buffy, ist von Fox auf Freitagabend verlegt worden. Freitagabend! Auf das Protestgeheul der Fans hat der Sender inzwischen mit einem selbstironischen, morbiden Video [YouTube] geantwortet. Die Kernaussage:

    You may think Friday is dead … but we’re gonna reanimate it.

    Fox betont ausdrücklich, dass man die Serie liebe etc. pp. Die Autoren von Fringe haben auf ihre eigene Art Stellung genommen: Die erste Freitagsfolge am 21. Januar heißt „Firefly“. Fringe-Fans lieferten sofort den passenden Trailer [YouTube]. An einer Abwandlung von qing wa cao de liu mang mit einem Fuchs statt einem Frosch wird bestimmt auch schon gearbeitet.

  • Zum „Krieg gegen Weihnachten“: Der interessierte Leser DKS weist auf einen Unterschied zwischen Briten und Amerikanern hin: Die Amerikaner, die nicht Happy holidays wünschen, sagen Merry Christmas, die Briten aber auch Happy Christmas. Amerikaner müssen dann den Drang unterdrücken, mit einem Merry New Year oder gar Merry Easter zu antworten, so falsch fremd klingt Happy Christmas für sie.
  • Zur Angst der Germanen vor sich bewegender Luft: Dieser Autor versteht es nicht. Den Sommer verbringt er in der S-Bahn mit lauter Leuten, die aus panischer Angst vor einem „Zug“ selbst bei mehr als 35 Grad die Fenster fest verschlossen lassen wollen. Die gleichen – oder möglicherweise sogar dieselben – Deutschen scheinen jedoch völlig unfähig zu sein, im Winter bei Minus zehn Grad und kälter die Türen der S-Bahn zu schließen, obwohl so endlose Menge wirklich eiskalter Luft hineinströmt. Hallo? Es steht sogar ein Schild [Foto] neben der Tür!
  • Zu fehlenden Notfallausrüstungen: Der Blogger Rob Frost von One Straw lebt in Wisconsin und macht es richtig:

    I leave with plenty of time, wearing enough fleece line gore tex and merino wool that I could have walked the 20 miles to work if I had to. And in case I do need to, I put snow shoes, flashlights and some food in the car. My wife hands me some water as I walk out the door. I fill the gas tank and put a heavy winter camping sleeping bad [sic, „bag“] in the car in case I bin it and it takes a while for help to arrive.

    Dieser Autor hat von der Schönsten Germanin Santa Claus einen Leatherman Multi-Tool bekommt und ist damit natürlich gegen alles gewappnet.

  • Zu Rosie the Riveter: Die Frau, die als Inspiration diente, ist tot.
  • Zu Hispanics: Die ersten Ergebnisse der Volkszählung 2010 sind eingelaufen. Unter anderem zeigen sie, wie dramatisch Zahl der Hispanics zugenommen hat. Beispiel Maryland:

    Reports suggest that Hispanics make up about 7% of the population, but account for about 40% of population growth since 2000.

    Ein anderes Ergebnis steht auch schon fest: Wegen der Bevölkerungsverschiebung erhält Texas vier weitere Sitze im Repräsentantenhaus. Insgesamt hat die US-Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahre um fast zehn Prozent zugenommen.

  • Zu höflichen Angelsachsen: Ein Nachtrag zum Fantasy Filmfest 2009: Die wahre Bedeutung der Einschätzung nice erschließt sich dem Horrorfan zwanglos bei Trick ‚r Treat, als „Rotkäppchen“ Anna Paquin (bekannt aus True Blood) von ihrer „großen Schwester“ ein Verabredung aufgeschwatzt bekommen soll:

    Big Sister: He’s really, really nice.
    Anna Paquin: So he’s hideous.
    Big Sister: Just get your ass over here. Beggars can’t be choosers.

    Die Szene ist etwa 39 Minute ab Anfang. Den Film kann man natürlich zu Halloween gucken, aber bitte nur wenn keine Kinder in der Nähe sind. Und auch nicht die Schönste Germanin.

[Korrigiert 4. Jan 2010: Stellt klar, dass Briten auch Merry Christmas sagen. Zuerst gesehen von DKS, vielen Dank]