Die Schönste Germanin ist, wie wir mehrfach bemerkt haben, eine begnadete Köchin. Die Gerichte sind stets raffiniert, mit frischen Zutaten zubereitet und gesund. Dieser Autor sieht es daher als seine väterliche Pflicht an, dem Nachwuchs in ihrer Abwesenheit nahe zu bringen, dass Essen auch anders daherkommen kann.
Es war bei einer dieser Gelegenheiten, bei einem üppigen Mahl aus Thunfisch (Dose), Mais (Dose) und Pommes (Tiefkühltruhe), als die amerikanischen Gene von Kind Nummer Eins und Nummer Zwei durchbrachen: Beide bekamen vom Mais plötzlich nicht mehr genug. Ohne Backenzähne konnte Kind Nummer Zwei die Körner zwar noch nicht richtig kauen – sie kamen am nächsten Tag in der Windel wieder zum Vorschein – aber das hinderte es nicht daran, noch das letzte Korn hochkonzentriert aus der Schüssel zu picken. Mais ist im Hause Stevenson seitdem der Hit.
Amerikaner essen nicht nur Mais wie doof, sie sind auch der größte Anbauer. Mit 10,5 Milliarden bushels, Tendenz steigend, stellen sie 40 Prozent der Weltproduktion, vor China mit 20 Prozent und der EU mit sechs Prozent. Die Gesamtanbaufläche hat die Größe Polens. Dabei sind – ohne heute auf das Thema weiter eingehen zu wollen – 61 Prozent dieser Fläche mit genetisch verändertem Mais bepflanzt.
(Moment, wird der interessierte Leser fragen, was ist ein Bushel denn schon wieder für ein bizarres Maß? Ursprünglich war es eine Volumeneinheit zu 35,2 (USA) oder 36,4 (Großbritannien) Litern. Inzwischen wird es als Gewichtsmaß verwendet. Ein bushel wheat sind 27,2 Kilogramm und, für uns wichtiger, ein bushel corn sind 25,4 Kilogramm. Die USA produzieren also 266,7 Millionen Tonnen Mais im Jahr.)
(Ach und noch etwas: Mais wird in den USA und Kanada corn genannt und Weizen wheat, weswegen der vorletzte Satz für Briten etwas verwirrend sein dürfte. Die sprechen von maize. Das hat nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zu Problemen geführt, wie wir weiter unten sehen werden. Zugegeben, maize maze klingt cooler als corn maze, aber wir bleiben hier beim dem nordamerkanischen Sprachgebrauch.)
Innerhalb der USA ist nun ein Bundesstaat für seinen Mais besonders berühmt: Iowa. Genau, das ist dort, wo alle vier Jahre die ersten Vorwahlen stattfinden. Wenn sie nicht gerade in ihren Wohnzimmern und Turnhallen zusammenhocken, um über den nächsten Präsidenten zu beraten, bauen diese Leute Mais an. Viel Mais. Iowa, noch nicht einmal halb so groß wie Deutschland, produziert mehr gelbe Körner als die gesamte Europäische Union.
Entsprechend kriegen die Iowaner von ihren Landsleuten ständig Mais-Anspielungen zu hören. Auch Riley Finn, Buffys Freund aus Staffel 4, blieb nicht verschont. Nach seiner Enttarnung als Mitglied einer geheimen Regierungsorganisation in „Doomed“ (Episode 11) sagt sie zu ihm:
Meanwhile, by day, you pretend to be Riley Finn, corn-fed Iowa boy.
Als Übersetzer kann man hier nur passen, denn das mit dem Mais sagt in Deutschland niemanden etwas. Riley wurde zu einem „freundlichen Typ aus Iowa“. Ein „Landbursche aus Iowa“ wäre besser gewesen, denn Riley stammt aus dem 3.000-Seelen-Dorf Huxley und Buffy sagt nichts davon, dass er freundlich ist.
(Immerhin ist der Name des Bundesstaates geblieben. In Episode 14 geht es darum, dass Riley sein altes Leben aufgibt, weswegen der Titel in Original „Goodbye Iowa“ heißt. Das war den Synchronisatoren wohl nicht reißerisch genug, auf Deutsch heißt die Folge „Die Kampfmaschine“.)
Mais wird auf verschieden Arten gegessen, die man inzwischen auch in Deutschland kennt: Als Maiskolben (corn on the cob), wie wir aus The Blues Brothers wissen („You’re gonna look pretty funny tryin‘ to eat corn on the cob with no fuckin‘ teeth!“). Dann gibt es noch Maisbrot (cornbread), das Ellen Ripley in Aliens Bishop um die Ohren haut [YouTube] („I guess she don’t like the cornbread, either“).
In den USA benutzen Coca-Cola und viele andere Firmen corn syrup (genauer: high fructose corn syrup, HFCS) und nicht Zucker als Süßstoff. Kritiker sehen darin einen Grund für die übergewichtigen Amerikaner, andere halten das für dummes Zeug. Maissyrup ist deutlich billiger als andere Süßstoffe, schon allein weil der Maisanbau mit Milliardenbeträgen subventioniert wird.
Wir haben den vorletzten Absatz nicht umsonst mit einem „inzwischen“ versehen, denn lange Zeit war Mais in Deutschland nur Tierfutter. Nach dem Zweiten Weltkrieg schickten die Amerikaner wegen eines corn-maize-Missverständnisses Mais als Teil des CARE-Programms nach Deutschland. Die Reaktion war helle Empörung über den offensichtlichen Versuch, den besiegten Feind noch zu demütigen. Berühmt geworden ist die „Hühnerfutter-Rede“ von Johannes Semler, dem Direktor des Wirtschaftsrates, aus dem Jahr 1948:
Was hat man für uns getan? Man hat uns Mais geschickt und Hühnerfutter, und wir zahlen es teuer. Bezahlen es in Dollar aus deutscher Arbeit und deutschen Exporten. Und sollen uns noch dafür bedanken.
Mit „Hühnerfutter“ war insbesondere Soja gemeint. Semler wurde gefeuert – nach neun Millionen CARE-Paketen und Millionensummen von CRALOG war das nicht eine Reaktion, für die die Besatzungsmächte Verständnis hatten. Die Vorbehalte gegen Mais konnten die Amerikaner überhaupt nicht nachvollziehen. Schließlich spielt er auch bei Thanksgiving eine wichtige Rolle.
Denn Mais war das Hauptnahrungsmittel der Indianer in Nordamerika (die Kartoffel stammte ursprünglich aus Peru und wurde von den Siedlern auf dem Umweg über Europa nach Nordamerika eingeführt. Für potatoes ist der Bundesstaat Idaho zuständig, nicht Iowa). Als Hermano de Soto durch den Südosten der heutigen USA stampfte und den Ureinwohnern die Lebensmittel stahl, stahl er Mais.
Die Indianer bauten Mais nach dem „Three Sisters“-Verfahren zusammen mit Bohnen und Kürbissen (squash) an. Die Bohnen kletterten den Mais hoch und sorgten für den Stickstoff im Boden, der wiederum von den Kürbissen bedeckt wurde. Das half gegen Unkraut. Allerdings trat diese Trias erst etwa 1100 nach Christus in Nordamerika großflächig in Erscheinung. Mais selbst kam etwa im Jahr 900 aus Mexiko. Dass die Indianer in Nordamerika erst so spät über dieses Grundnahrungsmittel verfügten, gilt als einer der Gründe, warum ihre Kulturen hinter denen der Südamerikaner hinterherhinkten [1].
Man kann mit Mais auch jede Menge andere Dinge machen als ihn zu essen. Besonders wichtig ist im Moment die Umwandlung in Ethanol (Alkohol) für Treibstoffe. Befürworter sehen das Verfahren als umweltfreundliche und erneuerbare Möglichkeit, den Öl-Verbrauch dramatisch zu senken. Im Dezember 2007 wurde entsprechend per Gesetz der Pflichtanteil an Biotreibstoff in den USA verfünffacht. Gegner halten diese Entwicklung für fehlgeleitet, weil Mais ihrer Meinung nach für die Ethanolgewinnung ungeeignet ist. In Brasilien benutzt man übrigens Zuckerrohr.
Die zunehmende Verwendung von Mais-Ethanol als Treibstoff ist dabei von globaler Bedeutung, denn etwa 70 Prozent der weltweiten Exporte stammen aus den USA. Je mehr Mais aber für den amerikanischen Eigenbedarf verarbeitet wird, desto teurer wird er auf dem Weltmarkt. Diesen Effekt kann man inzwischen an den Tortilla-Preisen in Mexiko sehen. Dort gab es Anfang 2007 eine „Tortilla-Krise“:
The typical Mexican family of four consumes about one kilo — 2.2 pounds — of tortillas each day. In some areas of Mexico, the price per kilo has risen from 63 cents a year ago to between $1.36 and $1.81 earlier this month [Januar].
Und jetzt kommt noch der Konsum von Kind Nummer Eins und Zwei hinzu. Oh weia.
([1] Diamond, Jared Guns, Germs, and Steel, Vintage, London 1998)