Stonewall is regarded as the single most important event that led to the modern movement for gay and lesbian civil rights.
– National Park Service der USA
Inzwischen wird der interessierte Leser – egal, ob er die „New York Times“ oder andere Zeitungen liest, ABC News verfolgt, bei MTV abhängt oder nur dieses Blog besucht – mitbekommen haben, dass Buffy in Heft 12 mit einer Frau geschlafen hat. Für unsere Slayer ist das eigentlich ein Schritt in die Normalität – zwei frühere Partner waren Vampire und damit streng genommen Leichen.
Die Diskussion in der amerikanischen Presse geht auch weniger um den Akt an sich als um die Frage, was Joss Whedon mit Buffys Beziehung zu Satsu machen wird, jetzt, wo seine Schöpfungen auf dem Papier leben und der FCC den Stinkefinger zeigen können. Denn Buffy war schon für den unkonventionellen Umgang mit Geschlechterrollen und Sexualität berüchtigt, als die Funkaufsicht argwöhnisch jeden Kuss verfolgte.
Am bekanntesten war damals die Liebe zwischen Willow und Tara [YouTube]. Willows coming out wurde über Jahre vorbereitet und die emotionale Tiefe der Beziehung betont, die zur Längsten ihre Art im amerikanischen Fernsehen wurde. Junge Lesben verwiesen auf Willow und Tara als Vorbilder und alle machten sich Gedanken, ob der Name ihrer Katze – „Miss Kitty Fantastico“ – nicht ein versteckter Witz über great pussy war.
Dummerweise hat Whedon hat eine an Leon Uris erinnernde Angewohnheit, seine Charaktere zu töten. Tara wurde erschossen, einfach so. Ihr sinnloser Tod und Willows anschließende mörderische Raserei wurden in den USA zu einem Politikum: Wütende Homosexuellen-Gruppen warfen Whedon vor, Vorurteile wie das dead lesbian cliché zu bedienen. Er wies das entschieden zurück:
I knew some people would be angry with me for destroying the only gay couple on the show; but the idea that I couldn’t kill Tara because she was gay is as offensive to me as the idea that I did kill her because she was gay.
Wer die Reaktionen auf Taras Tod liest, wird von der Vehemenz der Kritik überrascht sein. Überhaupt wirkt die homosexuelle Subkultur in den USA im Vergleich zu ihren europäischen Gegenstücken lauter, aggressiver, mehr in your face – genauso wie die Leute, deren Lebensinhalt der Hass auf Homosexuelle zu sein scheint. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die öffentliche Debatte in Amerika viel bösartiger geführt werden darf, wirkt alles irgendwie extrem.
Dahinter steckt eine brutale politische Realität. Die Gesetze zur Homosexualität werden von den Bundesstaaten und Kommunen gemacht, und auf diesen Ebenen sind die USA eher eine direkte Demokratie. Entsprechend wird zum Beispiel die Frage, ob Homosexuelle heiraten dürfen, gerne durch Volksabstimmungen entschieden. Die Antwort lautet im Moment meistens „nein“.
Schwule und Lesben stehen damit – wie jede andere Minderheit in den USA – vor der Herausforderung, das Volk auf ihre Seite zu ziehen. Wenn sie etwas erreichen wollen, müssen sie an die Öffentlichkeit gehen und laut ihr Anliegen vortragen – sehr laut. Ihre Gegner tun das allerdings auch, und das führt zu dem dramatisch gehobenen Schallpegel, der Betrachter aus Übersee nach Ohrenstöpseln greifen lässt. Da das Volk in Europa bei so etwas gar nicht erst gefragt wird, reicht hier die dezentere und vor allem leisere Lobbyarbeit bei hochrangigen Politikern.
Der Mechanismus erklärt auch andere Dinge in den USA wie die heftige Debatte, welcher Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt gay ist. Die Faustregel 1 in 10 war lange ein eiserner Glaubensgrundsatz unter amerikanischen Homosexuellen – wie sie entstand, sehen wir gleich – während homophobe Gruppen die Zahl möglichst kleinreden wollen.
Tatsächlich gehen die meisten Studien heute von einer niedrigeren Zahl von eher fünf Prozent aus. Das sehen Feinde von Homosexuellen-Rechten wie die Traditional Values Coalition als Vorteil:
[P]olitically, the leverage is not there when you take the numbers and spread them across America.
Schwule US-Politiker wie der Abgeordnete Barney Frank sagen dagegen, dass es ohnehin wichtiger für die Homosexuellen sei, sich Gehör zu verschaffen, nach dem Prinzip Qualität statt Quantität:
What’s important politically is not how many there are, but what you do about it. The extent to which you mobilize enormously outweighs the numbers.
Damit wird das coming out nicht nur ein Schritt, um die eigene Sexualität zu akzeptieren oder langfristig Vorurteile abzubauen, sondern hat eine handfeste politische Bedeutung.
Dass die Diskussion in den USA heftiger ist, hat aber auch historische Gründe. In Amerika fanden zwei der zentralen Ereignisse in der Geschichte der modernen Homosexuellen-Bewegung statt.
Das erste war theoretischer Natur und verlangt einen kurzen Abstecher in die Geschichte der Sexualwissenschaft. Denn lange Zeit sah dort die „Forschung“ zu Dingen wie Homosexualität so aus, dass die Ärzte sich ihre Fälle anschauten, am Schreibtisch ein wenig auf ihrem Bleistift herumkauten und ihre Vorstellungen dann als „Theorie“ verkauften. Das beste Beispiel ist Sigmund Freud, der wenigstens den Anstand hatte, sich ausdrücklich von der wissenschaftlichen Methode zu verabschieden.
Ein Wespenforscher namens Alfred Kinsey fand das alles komisch, denn in der Biologie bekam man für so ein unsystematisches Vorgehen eine geklatscht. Und so befragte der in Harvard ausgebildete Professor der Indiana University in standardisierten Interviews 18.000 Amerikaner zu ihrem Sexualleben. Daraus entstand der Kinsey Report, dessen erster Teil 1948 veröffentlicht wurde.
Eine ganze Menge Dinge waren dadurch plötzlich anders. So griff Kinsey mit einer Skala die Vorstellung an, dass Menschen entweder rein Homo- oder Heterosexuell sind – es kamen die Grauschattierungen der Bisexualität dazu. Wichtiger noch: Kinseys Daten wurden so interpretiert, dass einer von zehn Menschen homosexuelle Neigungen hatte. So hatte das Kinsey zwar selbst nie gesagt, aber die Zahl blieb allen im Gedächtnis.
Die Studie revolutionierte mehr als nur die Sexualforschung. Bis dahin galten Homosexuelle einzelne Kranke, gering an der Zahl. Die Chancen, einen Gleichgesinnten zu treffen, waren vernachlässigbar. Aber wenn zehn Prozent – oder auch fünf – der Bevölkerung die gleichen Neigungen haben, ändert sich alles. Man kann eine Subkultur aufbauen. Für Homosexuelle lautete die zentrale Botschaft des Kinsey-Berichts: Du bist nicht allein!
Der Report wurde in den USA zu einem Bestseller und war natürlich umstritten. In Deutschland blieb die Diskussion etwas gedämpfter, was verständlich ist, denn die meisten Proto-Bundesbürger hatten 1948 andere Sorgen.
Im Jahr 1973 strich die American Psychiatric Association als Folge der weiteren Forschung (und gegen den erbitterten Widerstand der Psychoanalytiker) die Homosexualität aus ihrem Diagnostikhandbuch. Homosexualität war offiziell keine Krankheit mehr. Die letzten Reste wurden 1986 getilgt. Bis dahin hatte das zweite Schlüsselereignis die politische Dimension eröffnet.
Denn in der Nacht zum 28. Juni 1969 hatte die Polizei von New York im Bezirk Greenwich Villiage eine Razzia in einer Schwulenbar nahe dem Sheridan Square durchgeführt, dem Stonewall Inn. Offiziell ging es um die Alkohol-Lizenz (die Bar hatte keine), aber solche Überfälle auf Homosexuellen-Treffs waren Routine und die Beamten nicht zimperlich.
Aber diesmal war eine Sache anders: Die Schwulen wehrten sich. Die „New York Times“ schrieb am nächsten Tag:
The police estimated that 200 young men had been expelled from the bar. The crowd grew to close to 400 during the melee, which lasted about 45 minutes, they said.
Es kommt zu einer Straßenschlacht. Steine und Dosen fliegen, die Schwulen sperren einige Polizisten in der Stonewall Inn ein, jemand legt Feuer. Die herbeigerufene Polizei-Verstärkung befreit ihre Kollegen und löscht den Brand. Dreizehn Menschen werden festgenommen. Die Nachricht von der Schlägerei verbreitet sich in der Stadt, andere Schwule strömen hinzu. Die Krawalle dauern drei Tage. Von den Homosexuellen kommt dabei immer wieder der Ruf: Gay power!
Bereits damals war den Beteiligten klar, dass sich etwas grundlegend geändert hatte. Suddenly they were not submissive anymore, beschrieb es ein Mitglied der Polizeiführung. Der Dichter Allen Ginsberg, selbst homosexuell, schaute sich die Menge an und erklärte:
You know, the guys there were so beautiful —- they’ve lost that wounded look that fags all had 10 years ago.
Die Botschaft der „Stonewall Riots“ war: Du musst Dir das nicht gefallen lassen!
Die Homosexuellen hatten dabei von der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen gelernt. Direkt nach den Krawallen begannen sie mit den Vorbereitungen für einen Gedenkmarsch zum Jahrestag der Razzia. Der erste Gay Liberation Day-Marsch [GIF] fand tatsächlich 1970 statt.
Heute werden die Umzüge zur Erinnerung an die Stonewall Riots weltweit meist unter dem Begriff Gay Pride [Flickr] geführt. Die große Ausnahme ist Deutschland. Hier übernahm man den Namen der Straße, in dem die Bar liegt, und spricht vom Christopher Street Day (CSD).
Dass Homosexuelle in aller Welt ausgerechnet eine Straßenschlacht in New York als zentrales Fest begehen, ist ein Beleg für ein anderes Phänomen: Weil die die amerikanischen Schwulen und Lesben damals die Vorreiter waren und bis heute mehr öffentliche Politik betreiben müssen, um ihre Interessen durchzusetzen, sind auch ihre Symbole in der Öffentlichkeit bekannter. Die Folge ist etwas, das man „Subkulturimperialismus“ nennen könnte.
Das fängt mit der „Regenbogenflagge“ an, die Gilbert Baker 1978 in San Francisco entwarf (damals noch mit acht statt sechs Streifen [Video]). Die Kluft der „Lederkerle“ (leathermen) geht auf schwule US-Veteranen zurück, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Motorrad-Clubs zusammenschlossen. Von dort aus ging schwarzes Leder in den heterosexuellen SM über. Begriffe wie gay und queer müssen in Deutschland nicht erklärt werden – höchstens, dass gay auf Englisch nicht mehr nur für „schwul“ steht, sondern auch allgemeiner als Synonym für „homosexuell“ benutzt wird.
Entsprechend sah sich Buffy schon im Heft zuvor mit der Frage von Satsu konfrontiert, ob sie denn gay sei. Nein, sagte Buffy (als gute Angelsächsin war sie natürlich nicht so direkt, sondern sagte Not so you’d notice). Bisexualität war in der Serie bislang eher Interpretationssache. Wir werden abwarten müssen, wie weit Buffy auf der Kinsey-Skala nach rechts driftet.