Archive for November, 2008

ZEUGS: Thanksgiving, die Betten im Weißen Haus und West ist Ost

November 29, 2008

Wünsche einen schönen Thanksgiving gehabt zu haben! Neben Bergen von Rest-Truthahn türmen sich hier Berge von E-Mail und Kurzeinträgen hier auf. Beim Vogel kann die Katze helfen, bei den E-Mails klappt das nicht so gut.

  • Zu Halloween: Wir hatten vergessen, die Statistiken für dieses Jahr zu veröffentlichen, zum Beispiel dass 110 Millionen Häuser als potenzielle Ziele der 36 Millionen Kinder im Trick-or-Treat-Alter warteten, oder dass 93 Prozent der US-Bürger ihre Nachbarschaft für sicher halten und etwa 500.000 Tonnen Kürbisse im Jahr angebaut werden. Und das waren die trivialen Fakten für heute.
  • Zur Wahl: Wer sich fragt, wie die Machtübergabe abläuft, kann im Handbuch nachschlagen. Ein guter Einstieg wäre es, die ganzen Abkürzungen [PDF] auswendig zu lernen.
  • Zur Wahl, nochmal: Die wirklich wichtigen Dinge sind allerdings schon besprochen: Die Bush-Töchter Barbara und Jenna haben den Obama-Töchtern Sasha und Malia gezeigt, wie man am besten auf die Betten im Weißen Haus springt. First Lady Laura Bush hält das für dringend notwendig:

    They’re really tall beds; you need to get a running start.

    Wir können aufatmen, die Kontinuität ist sichergestellt.

  • Zu Wahlmännern: Die meisten Landkarten zur Wahl haben die Bundesstaaten gezeigt. Interessant ist zu sehen, in welchen Landkreisen Barack Obama gewonnen hat.
  • Zu Himmelsrichtungen: Die Karte grade stammt aus dem Blog Strange Maps, für das sich das ganze Internet gelohnt hat (zusammen mit I Can Has Cheezburger? natürlich). In einem anderen Eintrag wird beschrieben, warum West und Osten als geopolitische Begriffe für Amerikaner keinen richtigen Sinn erheben:

    From the US, the shortest route to what’s conventionally called „the East“ is in fact via the west. Going in that direction, you’ll hit the „Far East“ before you’re in the „Middle East“. And Europe, or at least that part usually included in „the West“, lies due east.

    Der Autor – also, der Autor, nicht dieser Autor – hat die Hoffnung, dass durch die „abnehmende Bedeutung Europas“ auch endlich die dominant eurocentric toponymy abgeschafft wird. Schon jetzt würden die Australier den „fernen Osten“ als den „nahen Norden“ bezeichnen. Das wird die Ostfriesen verwirren.

  • Zu Änderungsvorschlägen, während wir dabei sind: Das Blog Nothing for UnGood hat eine ganze Reihe davon, in beide Richtungen. Der beste Idee aus den Kommentaren ist die, endlich richtiges Brot in den USA einzuführen.
  • Zu Achtung: Wired hat einen Artikel über Zeppelin-Flüge über London. In Rückgriff auf den Ersten Weltkrieg lautet die Überschrift natürlich …
  • Zu den Atombombentoten: Wir sollten darauf hinweisen, dass es eine große (und schnell wachsende) Gruppe von US-Bürgern gibt, deren Reaktion auf solche Diskussionen für Europäer unerwartet kommt: Sino-Amerikaner. Angesichts 20 Millionen Toter in China durch die japanische Invasion, der Biowaffen- und Menschenversuche der Einheit 731 mit ihren anhaltenden Folgen, den wochenlangen Massakern in Nanking und anderen japanischen Kriegsverbrechen halten viele von ihnen die Debatte über einige Hunderttausend Atombombentote für irrelevant oder gar einen Versuch der Japaner, sich als Opfer darzustellen. Am bekanntesten ist die US-Historikerin Iris Chang, Autorin des Sachbuch-Bestsellers The Rape of Nanking. Das gleiche Prinzip gilt auch für Philippino-Amerikaner, insbesondere wegen des Sack of Manila. Amerikaner japanischer Abstammung sehen das oft anders.
  • Zum Begriff Nazi: Schwierig für Deutsche kann zusätzlich sein, dass das Lager Ping Fan wie selbstverständlich als Asian Auschwitz oder Auschwitz of the East bezeichnet wird. Mehr noch, auch in ernsthaften Medien wie den New York Times werden die Versuchsreihen der Japaner als schlimmer beschrieben:

    [W]hile Nazi scientists like Josef Mengele conducted hideous experiments on concentration camp prisoners, their lesser-known Japanese counterparts, led by Gen. Shiro Ishii, were waging full-scale biological warfare and subjecting human beings to ghastly experiments of their own — and on a far greater scale than the Germans.

    Ausdrücklich sind hier nicht die Vernichtungslager gemeint, sondern die Versuche. Trotzdem wird vom Asian Holocaust gesprochen. Chang benutzt das Wort für die Massenmorde in Nanking.

  • Zum Bürgerkrieg: Newsweek hatte während der Wahl einen Bericht darüber, wie sehr der zentrale Krieg der US-Geschichte im Süden noch gegenwärtig ist.
  • Zu Sprachen: Wir haben in diesen Blog schon allein wegen des Speicherplatzes und der juristischen Probleme keine Bilder. Aber der interessierte Leser AD schickt einen Link [JPG] zu einem Wahlschild aus der FAZ, der die Vielsprachigkeit in Teilen der USA deutlich macht.
  • Zu Religion: Mehr und mehr Amerikaner wollen die Religion (wieder) aus der Politik zurückdrängen. Ob der Trend anhält, ist unklar.
  • Zur Religion, nochmal: Denn wenn das wirklich so weitergeht, werden die USA wie Großbritannien, wo ja bekanntlich kaum jemand noch zur Kirche geht. Und wer ist daran schuld? Nun, natürlich Buffy! Denn die Serie, so die Soziologin Kristin Aune, verleite Frauen dazu, sich dem Heidentum zuzuwenden:

    Because of its focus on female empowerment, young women are attracted by Wicca, popularised by the TV series Buffy the Vampire Slayer.

    Das amerikanische Fernsehen als Ursache für den Niedergang der Church of England? Wenn das die Pilgrims gewusst hätten, hätten sie bestimmt vor Freude noch einen Schlag Truthahn ‚draufgelegt.

W/ or w/o Zombies, w/e

November 24, 2008

Dieser Autor hat zum Entsetzen der Schönsten Germanin eine gewisse Vorliebe für Zombies, ob als Kurzgeschichte wie Death and Suffrage von Dale Bailey [1] (wo sie wählen gehen), als Film wie Return of the Living Dead (wegen des Humors) oder als Computerspiel wie Resident Evil (das übrigens für die Wii neu aufgelegt wird).

Mit besonderem Interesse verfolgt er daher die Berichte über Valves neues Spiel Left 4 Dead, wo man als Gruppe gegen die Untoten antritt. In einer Rezension von Wired ist ihm dabei folgende Abkürzung in einem screenshot aufgefallen (Hervorhebung hinzugefügt):

They can’t change back
Don’t take them w/ you
Save yourself!!

Man müsste meinen, with sei als Wort kurz genug, dass man dafür keine Abkürzung braucht. Aber nein, die faulen Angelsachsen haben dafür w/ im Gebrauch und w/o für without. Angeblich gibt es auch w/e für whatever. Das ist diesem Autor nicht untergekommen, aber vielleicht ist das eine Generationsfrage.

Dummerweise dürfte der alte iMac Core Duo (nicht: Core 2 Duo) im Keller nicht schnell genug sein für Left 4 Dead, selbst das (immer noch hypothetische) neue MacBook würde nicht helfen und ohnehin hat dieser Autor keine Zeit für so etwas. Seufz.

Aber vielleicht ist das gut so, denn offenbar führen Online-Spiele zu Abkürzungs-Verwirrungen. Ein Blogger berichtet davon, wie er zum Spott seiner Freunde steif und fest behauptet habe, statt w/ sei /w die richtige Abkürzung für with. Die Lösung: /w ist bei WoW der Befehlscode für whisper.

([1] Death and Suffrage von Dale Bailey, in The Living Dead von John Joseph Adams (Hrsg), Night Shade Books 2008)

Freitagabend, die TV-Sendezeit des Todes

November 21, 2008

Dollhouse [YouTube], die neue Serie des Buffy-Schöpfers Joss Whedon, hat von Fox den Sendeplatz am Freitagabend zugewiesen bekommen. Damit ist sie jetzt schon fast sicher zum Tode verurteilt: Dieser time slot ist das Hospiz des amerikanischen Fernsehens.

Die Liste von Sendungen, die im Friday night death slot starben, ist lang: Star Trek, Star Trek: Enterprise, Malcolm in the Middle, The A-Team, Dark Angel und Firefly zum Beispiel (letzteres war auch von Whedon und wurde von Fox brutal abgeschoben, was dem Sender einen gewissen Ruf eingebracht hat). Früher war das nicht so, da haben Amerikaner auch am Freitagabend vor der Glotze gesessen, und ganz früher sogar am Samstagabend. Inzwischen sind diese Zeiten für die TV-Macher verloren.

Es gibt auch Sendungen, die am Freitag Fuß fassten – Battlestar Galactica, Miami Vice, Dallas, X-Files zum Beispiel. Auffällig ist aber, dass sie bei dem kleinsten Zeichen von Erfolg so schnell wie möglich auf andere Sendeplätze verlegt wurden.

Dollhouse hatte eine Reihe von anderen Problemen. Da jetzt noch der Horror-Sendeplatz am Freitagabend dazu kommen, wundert es nicht, dass schon Nachrufe geschrieben werden, bevor die Serie angelaufen ist, und dass es bereits eine Rettet- Dollhouse-Bewegung gibt. Good luck with that, möchte man da sagen: Die Premiere ist am Freitag, dem 13. Februar 2009.

[Korrigiert 1. Feb 2009: Premiere ist im Februar, nicht im Januar. Zuerst gesehen von SB, vielen Dank]

November, der amerikanische Roman-Monat

November 18, 2008

Einige Amerikaner wirken im November abwesend, überarbeitet, gehetzt, ungepflegt, sind kaum zu erreichen und trinken viel zu viel Kaffee, denn sie nehmen am National Novel Writing Month (kurz NaNoWriMo) teil. Das Ziel ist, wie der Name sagt, innerhalb eines Monats einen Roman zu schreiben. Im vergangenen Jahr versuchten sich als 100.000 Menschen daran. Heraus kamen 15.000 Romane.

Erfinder des Ganzen ist der Journalist Chris Baty. In seinem Buch No Plot? No Problem! [1] beschreibt er, wie der Überschwang des Dot-Com-Booms 1999 ihn und 21 Bekannte dazu brachte zu glauben, sie könnten in 30 Tagen einen Kurzroman mit 50.000 Wörtern schreiben:

We were in our mid-twenties, and we had no idea what we were doing. But we knew we loved books. And so we set out to write them.

Baty und fünf seiner Freunde schafften es tatsächlich. Das Ganze ist seitdem explodiert:

1999: 21 Teilnehmer und sechs Gewinner
2000: 140 Teilnehmer und 29 Gewinner
2001: 5.000 Teilnehmer und mehr als 700 Gewinner
2002: 13.500 Teilnehmer und etwa 2.100 Gewinner
2003: 25.500 Teilnehmer und rund 3.500 Gewinner
2004: 42.000 Teilnehmer und knapp 6.000 Gewinner
2005: 59.000 Teilnehmer und 9.769 Gewinner
2006: 79.000 Teilnehmer und 13.000 Gewinner
2007: 101.510 Teilnehmer und 15.333 Gewinner

Die Regeln sind denkbar einfach. Man schreibt einen Roman, egal auf welche Sprache – auch auf Deutsch wird fleißig getippt – und lädt ihn am Ende des Monats auf die Website hoch. Dort zählt eine Maschine die Wörter, guckt, ob es 50.000 oder mehr sind, und löscht dann den Text. Das war’s.

Wie man sich denken kann, soll das Ganze nicht hochkünstlerische Werke hervorbringen, auch wenn immerhin etwa 25 der Romane veröffentlicht wurden. Es geht darum, die Scheu vor dem Schreiben zu verlieren, das Gefühl los zu werden, dass man so etwas nie schaffen könne. Daher werden die Texte auch bewusst keiner Jury vorgelegt. Die Gewinner tun es nur für sich. Wer schummelt, ist selbst schuld.

Baty gibt den angehenden Autoren eine Reihe von respektlosen Ratschlägen mit wie plot happens, keep it simple oder englightment is overrated und sammelt hilfereiche Tips, wie man seine Kinder los wird und den Partner besänftigt. Eine Rohfassung ist wie Brotteig, sagt er: You need to beat the crap out of it. Als Vorbild für die richtige Einstellung zur Kreativität zitiert er die dreifache Gewinnerin Rise Sheeridan-Peters:

I don’t wait for my muse to wander by; I got out and drag her home by the hair.

Die ganze Website gibt es inzwischen auch auf Deutsch. Dort steht: „Es ist nicht so schrecklich, wie es klingt.“

Aus dem NaNoWriMo sind ähnliche Veranstaltungen entstanden, wie Script Frenzy im April oder das Young Writers Program, das sich an Schüler und Lehrer wendet.

Aber ehrlich, ein ganzer Monat ist doch für Weicheier. Will keiner der interessierten Leser jetzt noch einsteigen?

[1] No Plot? No Problem! A Low-Stress, High-Velocity Guide to Writing a Novel in 30 Days Chris Baty, Chronicle Books, San Francisco 2004

(Nach einem Hinweis von NMK, der den Wettbewerb vor mehreren Jahren entdeckte, aber immer noch nicht teilgenommen hat)

Dog Latin und falsches „englisches“ Latein

November 13, 2008

Via, concursus, tempus, spatium, audi me ut imperio — screw it! Mighty forces, I suck at Latin, okay? But that’s not the issue. I’m the one in charge, and I’m telling you: Open up [the] portal, now!

– Willow kämpft mit einem Zauberspruch in der Buffy-Folge „Get it Done“

Dieser Autor sollte inzwischen wissen, dass er kein Wort Latin in dieses Blog aufnehmen kann, ohne sofort von den Leuten zu hören, die ganz genau wissen, ob die Würfel gefallen sind oder geworfen wurden. Dieses Mal war es der interessierte Leser SK, dem zuerst auffiel, dass der Hühnchengeschmack-Schriftzug

Gustatus similis pullus

beim Alien-Aufnäher eigentlich

Gustatus similis pullo

heißen müsste („similis kriegt den Dativ“). Überhaupt gebe es viele Fehler im „englischen“ Latein, sagt SK, was seltsam sei, denn in den USA gebe es keinen Mangel an fähigen Lateinern.

Nun, das können wir erklären. Dauert nur etwas.

In vielen Fällen – allerdings leider nicht in allen – handelt es sich um dog latin, eine weitere Ausprägung der angelsächsischen Liebe zu Wortspielen. Im Gegensatz zum schon besprochenen pig latin werden beim „Hundelatein“ lateinische Worte oder Worte, die nur lateinisch klingen, bewusst falsch zusammengesetzt.

Der König des Pseudolateins ist der britische Autor Terry Pratchett. Von ihm stammt

Fabricati diem, punc

das man eher aus dem Mund von Dirty Harry kennt. Etwas anspruchsvoller ist Nil illegitimo carborandum für Don’t let the bastards burn you. Und dann wäre noch

Stercus stercus stercus moriturus sum!

was wir dem Leser als Übung überlassen. In Thief of Time finden wir eine Variante von Dog Latin ohne Latein als sich der Mönch Lu-Tze über die angeblichen Kampfsportarten Okidoki, Shiitake, Upsidazi, Tung-pi und No Kando lustig macht.

Die größte Verbreitung hat Dog Latin inzwischen durch J.K. Rowling und Harry Potter gefunden. Der Zauberspruch Engorgio! kommt vom Englischen to engorge (immerhin noch mit einem sehr entfernten lateinischen Vorfahren) und Muffliato! von to muffle, um zwei Beispiele zu nennen.

Dass das Ergebnis katastrophal falsch ist, gehört beim Dog Latin zum Witz dazu. Wer will, kann eine sozialkritische Komponente hineininterpretieren, eine Verhöhnung von Latein als „Angebersprache“ für formelle Gelegenheiten und welche, die es zwanghaft sein wollen.

Meist ist aber eher spasus maximus angesagt. Pratchett selbst sagt dazu:

Latin is barely taught anywhere anymore — it certainly wasn’t taught to me. But dog-Latin isn’t Latin, except by accident. It’s simply made-up, vaguely Latin-sounding phrases

(Es muss nicht immer falsches Latein sein. Carpe diem, wollte man diesem Autor einmal einreden, bedeute eigentlich „Gott ist ein Fisch“: Carpe sei der Ursprung von „Karpfen“ und diem komme von deus, also „Gott“. Deswegen auch die ganzen Fischaufkleber bei den Christen. Klang zunächst auch ganz logisch.)

So etwas ist natürlich im Deutschen nicht unbekannt. Die Synchronisatoren von Life of Brian übertrugen Biggus Dickus stilecht als „Schwanzus Longus“. Ihre Kollegen gaben uns bei Asterix „Miraculix“, „Lügfix“ und „Teefax“. Die englische Asterix-Übersetzung bietet ihrerseits „Getafix“, „Vitalstatistix“ und „Selectivemploymenttax“.

Allerdings findet man mehr solcher Spielereien im Englischen, denn die Angelsachsen haben weniger Berührungsängste mit Latein als die Germanen (meistens, zumindest). Das wundert nicht, den England gehörte etwa 350 Jahre lang zum Römischen Reich. Nach der Invasion der Normannen 1066 kam noch ein ganzer Schwung von Vokabeln lateinischen Ursprungs aus dem Französischen hinzu. Das Lateinische sieht man im amerikanischen Englisch deutlicher als im britischen, denn die Amerikaner haben viele der französischen Verunreinigungen wieder entfernt. Color, honor und rumor haben im Original kein u.

Als Folge bekommen Angelsachsen – und natürlich erst Recht die hispanischen US-Bürger – einen gewissen lateinischen Wortschatz kostenlos als Teil ihrer Muttersprache mitgeliefert. Das macht Spielchen mit Latein einfacher. Nehmen wir die Buffy-Folge „Superstar“, wo unsere Helden darüber sprechen, dass Magie ziemlich schwierig ist. Xander, der ein aufgeschlagenes Zauberbuch in der Hand hält, stimmt dem zu:

Right. You can’t just go librum incendere and expect –

worauf das Buch vor seiner Nase in Flammen aufgeht. Selbst Amerikaner, Briten, Kanadier und Australier, die nicht gelernt haben, in wieviele Teile (fast) ganz Gallien geteilt wurde und bei dem Wort latin eher an Jay-Lo denken, erahnen hier den Sinn mit Hilfe von library und to incinerate.

Die Germanen mussten dagegen ja unbedingt die Varusschlacht gewinnen. Als Folge haben ihre Nachkommen ein eher distanziertes Verhältnis zu Latein. Weil die Sprache fast komplett in der Schule gelernt werden muss, hat sie auch mehr von ihrer Funktion als Bildungsmarker behalten. Das wiederum führt dazu, dass Deutsche mehr Hemmungen haben, mit Latein herumzualbern, denn ein Fehler entlarvt sie als (angeblich) schlecht gebildet. Latein ist in Deutschland eine ernste Sache.

Als nächstes muss man wissen, dass Latein in angelsächsischen Geschichten, TV-Serien und Filmen eine feste Funktion hat: Es verleiht Macht, Würde, Mysterium. Die Humanistin Naomi Chana zitiert im Zusammenhang mit der obigen Buffy-Folge ihren Kollegen Peter Goodrich:

[T]he contemporary function of Latin is rhetorical. It acts as a sign, a figure or trope, the conduit of extremity of emotion. It indicates a charge or condensation around the subject or judgment being delivered.

Wie die moderne Verwendung der alten Duz-Formen des Englischen ist das stellenweise schlicht unlogisch. Warum sollte ausgerechnet die Wicca Willow, also eine bekennende Heidin, die Sprache der Römisch-Katholischen Kirche benutzen? Für sie als Jüdin wäre Hebräisch abgebrachter gewesen. Egal. Wenn es Magie sein soll, ist bei den Angelsachsen Latein angesagt.

Jetzt fehlt nur noch ein Faktor, um erklären zu können, warum man in Deutschland so viel falsches „englisches“ Latin sieht: Der Kulturimperialismus.

Denn auf kaum einem anderen Gebiet hat sich das Angelsächsische so durchgesetzt wie bei der Fantasy-Welle. Ob Bücher wie Lord of the Rings oder Harry Potter, TV-Serien wie Buffy oder die billige Kopie Charmed, Kinofilme wie The Last Unicorn oder Conan the Barbarian, Rollenspiele wie Dungeon & Dragons, Computerspiele wie NetHack oder der Abklatsch World of Warcraft, „keltische“ Musik wie die von Enya, die Briten und Amerikaner beherrschen diesen Bereich bis zur Ausschließlichkeit. Deutschlands letzte Alben fristen irgendwo in einem Reservat im Schwarzwald ihr klägliches Darsein.

Damit schleppen die Angelsachsen auch jede Menge Latein oder wenigstens Pseudolatein in die Welt. Wenn einem Deutscher heute irgendwo in den Medien Latein über den Weg läuft, ist es entsprechend meist aus einer englischsprachigen Quelle.

Daher würde man selbst dann mehr falsches „englisches“ Latein finden, wenn die Fehlerquote in beiden Sprachräumen gleich wäre. Allerdings nimmt dieser Autor an – ohne es belegen zu können – dass die Quote im „deutschen“ Latein geringer ist. Nach seiner Erfahrung trauen sich Deutsche nur dann mit Latein aus der Deckung, wenn sie sich ihrer Sache sicher sind. Angelsachsen sind da viel enthemmter.

Daher die Beobachtung von SK. Quod erat demonstrandum.

Natürlich haben die Angelsachsen auch ihre eigene Würfelwerfer-Subkultur. Ihre Ausläufer finden wir im Wahlkampf, bei amerikanischen Latein-Blogs, bei den Mottos der Bundesstaaten und übersetzten Klassikern wie Cattus Petasatus. Und auch dort regt man sich auch über unabsichtlich falsches Latein wie beim Hühnchengeschmack auf. Nehmen wir folgende Diskussion zu der Angel-Folge „To Shanshu in L.A.“:

What is the subject and what is the predicate of Et illi quinque sacrificium est? I made the minimal change and corrected sacrificum to sacrificium, which assumes that sacrificium is the subject (with singular est) and illi quinque is the predicate. If you want illi quinque to be the subject and sacrificium to be the predicate, you need a plural verb.

Das ist, um bei Brian zu bleiben, die gute alte Schule des Romanes eunt domus [YouTube].

Am Ende sollte dieser Autor in diesem Blog trotzdem lieber nur noch Spanisch benutzen. Dazu kam bislang noch kein einziger Kommentar.

ZEUGS: Executive Orders, Sommerzeit ist Blödsinn und Landkarten

November 10, 2008

Monty Python muss noch einige Tage warten, denn in der deutschen Presse ist am Wochenende heillose Verwirrung ausgebrochen. Dort stand zu lesen, dass der kommende Präsident Barack Obama sofort nach dem Antritt „Gesetze“ von George W. Bush per Verordnung außer Kraft setzen wolle. Äh. Oder per Verfügungen Verordnungen von Bush verwerfen? Erlasse per Gesetz erlassen? Was denn jetzt?

  • Zur Gewaltenteilung: Wie so häufig ist hier die Eigenständigkeit der Exekutive das Problem. Bush hat als Präsident – wie seine Vorgänger auch – Executive Orders (EO) erlassen, etwas, was es Mangels getrennter Exekutive in Deutschland in dieser Form nicht gibt. Nachfolgende Präsidenten können sie genauso leicht wieder aufheben wie sie erlassen wurden. Mit Gesetzen hat das nichts zu tun, denn die EOs sind schwächer. Wo das hinführt, wenn ein Präsident Gesetze außer Kraft setzen darf, sehen wir an Venezuela.
  • Zu der Sommerzeit: Zu den Dingen, die dieser Autor abschafft, wenn er an die Macht kommt – nicht als Präsident, sondern mit einem richtigen Titel wie Gottkönig – gehört der Unfug, im Sommer mit der Uhrzeit zu spielen. Zumindest im Bundesstaat Indiana verbraucht das nämlich zusätzliche Energie statt sie zu sparen:

    We estimate a cost of increased electricity bills to Indiana households of $9 million per year. We also estimate social costs of increased pollution emissions that range from $1.7 to $5.5 million per year.

    Die Autoren gehen davon aus, dass der Effekt in anderen Teilen der USA noch ausgeprägter ist. Außer natürlich in Arizona, wo es keine Sommerzeit gibt.

  • Zur Wahl: Auch bei der Wahlbeteiligung gab es Verwirrung. Zwar ist sie in absoluten Zahlen mit bis zu 128,5 Millionen ein Rekord. Angesichts der schnell wachsenden Bevölkerung ist das aber kein Wunder. Als Anteil sind das dagegen knapp 62 Prozent, weniger als der „moderne“ Rekord von 67 Prozent 1960. Historisch unangefochten bleibt die Wahl von 1876 mit 81,8 Prozent. Allerdings durften Frauen, junge Bürger und viele andere mehr damals noch nicht teilnehmen.
  • Zu Minderheiten: Nach den Vietnamesen in Kalifornien weist die Ehrenwerte Mutter auf Tongaer in Texas hin. Die Football-Mannschaft der Trinity High School in Euless veranstaltet entsprechend vor ihren Spiele eine Haka [YouTube], die man sonst von den Kollegen auf Hawaii [YouTube] und den Rugby-Spielern aus Neuseeland [YouTube] kennt. Sehen so Leute aus, die sich mit einem torlosen Unentschieden zufrieden geben?
  • Zu American Football: Natürlich nicht. Entsprechend ist es kein Wunder, dass Football selbst in Mexiko immer beliebter wird. Kulturimperialismus funktioniert halt auch auf Spanisch.
  • Zur Meinungsfreiheit: Es blieb auch in diesem Wahlkampf nicht aus, dass die Kandidaten mit Adolf Hitler verglichen wurden, zum Beispiel Hillary Clinton oder John McCain. Das ist wohl eine Sonderform von Godwin’s Law. Wer glaubt, Obama sei wegen seiner Hautfarbe gegen immun, sollte sich besser Attack of the Killer Tomatoes [YouTube] wieder ins Gedächtnis rufen. Alles nur eine Frage der Zeit.
  • Zu Witze über Obama: Der Komiker Bill Maher ist unglücklich über den Ausgang der Wahl:

    It’s very difficult. We have been spoiled, first with Bill Clinton and then George Bush. And here’s a president now who — he’s not stupid. He’s not angry. He’s not a phony. He’s not fat. He’s not cheating on his wife. Who needs a jerk like that around for the next four years?

    Die Hautfarbe ist für Maher kein Problem: He’s not a black person. He’s the president.

  • Zur direkten Demokratie: Der interessierte Leser TB weist auf die Ballotpedia hin, eine Wiki mit den Ergebnissen der Volksbefragungen.
  • Zur Briefwahl in Oregon: Weil dort alles per Briefwahl gemacht wird, sind vielleicht die Wahlinfos interessant, die jeder Bürger zugeschickt bekommen hat. Das erste Dokument hat 155 Seiten.
  • Zu Literaturempfehlungen: Tony Hillerman ist tot.
  • Zu Halloween: Man kann sich seine Kürbisse auch per Roboter schnitzen lassen. Auch haben wollen!
  • Zu Gang Signs: Für die interessierten Leser, die mehr über the shocker wissen wollen, aber sich nicht trauten zu fragen, hier eine Diskussion darüber in einer amerikanischen Studentenzeitung. Was diesen Autor daran erinnert, dass noch ein Eintrag aussteht, wie Deutsche auf den lustigen Gedanken kommen, die Amerikaner seien Prüde.
  • Zu Unterteilungen in den USA: Dieser Autor wird häufig gefragt, in welche Regionen man die USA noch teilen kann oder welchen Charakter welche Landesteile haben. Wir bieten heute dazu die Bezeichnungen für Softdrinks, Naturkatastrophen [PDF] und Tee-Sorten bei McDonalds als Marker für Nord- und Südstaaten als Beispiele an.
  • Zu Polizei-Daten gibt es eine andere Karte: Nimmt man die Adressen der Schießereien in Chicago und trägt sie bei Google Maps auf, weiß man, wo man vielleicht nicht wohnen möchte.
  • Zu Laptops: Danke an alle, die Partei für die Anschaffung eines neuen MacBooks ergriffen haben. Leider hat die Schönste Germanin Recht wenn sie sagt, dass ihre Maschine noch älter ist und eine kaputte L-Taste hat. Trotzdem: Pffff! Wer sich übrigens Sorgen über die Durchsuchungspraxis bei Laptops an der amerikanischen Grenze macht: Der Kongress arbeitet an dem Problem. Bekanntlich geht das aber nicht so schnell.
  • Zur Wahl, ein letztes Mal für heute: Eigentlich stand das Buffy-Kabinett schon fest – dummerweise hat jemand in letzter Minute gemerkt, dass der Kandidat kein gebürtiger Amerikaner ist. Vielleicht muss doch Dr. Horrible eingreifen …

Wahlen, Teil 9: Einige Bemerkungen zur Wahl von Barack Obama

November 6, 2008

Vermutlich sollte dieser Autor zum Ende dieser Serie etwas über den Ausgang der Wahl schreiben. Dieser Eintrag ist vergleichsweise kurz, denn die vergangenen Tage haben ihre Spuren in einer beginnenden Sehnenscheidenentzündung hinterlassen.

Deswegen ist es gut, dass wir auf die historische Bedeutung der Wahl nicht eingehen müssen, denn das tut die Presse schon – dumm nur, dass dort sonst das Wort „historisch“ so häufig verwendet wird, dass es abgenutzt ist. Wir brauchen auch nicht auf Martin Luther King hinzuweisen, denn das findet man ebenfalls überall. Wer zu faul ist, sich die immer wieder zitierte Traum-Rede selbst durchzulesen, dem liefern wir hier die Schlüsselpassage:

I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.

Vielleicht wundert den interessierten Leser etwas, dass dagegen wenig von Thomas Jefferson die Rede ist, der ja mit dem besprochenen American Creed das allgemeinere Ideal lieferte, auf das sich King bezog:

We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal …

So erhabend die Formulierung ist, dummerweise glaubte Jefferson im Bezug auf die Schwarzen nicht daran. Die Rassen waren für ihn zu unterschiedlich, um gemeinsam in einer Gesellschaft leben zu können. Der Historiker Joseph J. Ellis beschreibt Jeffersons Ansichten so [1]:

Blacks and whites were inherently different, and though he was careful to advance the view „as a suspicion only,“ people of African descent were sufficiently inferior to whites in mental aptitude that any emancipation policy permitting racial interaction was a criminal injustice to the freed slaves as well as a biological travesty against „the real distinctions that nature has made.“

Hier haben wir einen Mann, der trotz seiner titanenhaften Größe nicht an seine eigenen Ideale herankam. Richtig kompliziert ist der Fall wegen der anhaltenden Debatte, ob Jefferson der Vater von mehreren Kindern seiner schwarzen Sklavin Sally Hemings war. Besser, man bleibt bei King, der felsenfest daran glaubte, dass alle Menschen irgendwann normal zusammenleben werden.

Ein Maß für die Normalität wird sein, in wie weit die Amerikaner Obama wie seine Vorgänger durch den Kakao ziehen. Schon jetzt wird seine Rasse in Witze eingebaut. Als Obama in Chicago zur Abstimmung ging und an der Schlange vorbei durch den Seitengang seines Wahllokals geführt wurde, hieß es sofort, dass offensichtlich selbst ein schwarzer Präsidentschaftskandidat nicht durch die Vordertür gelassen werde. Die Satirezeitung The Onion hält es ohnehin für typisch, dass der schlechteste Job des Landes an einen Schwarzen geht:

As part of his duties, the black man will have to spend four to eight years cleaning up the messes other people left behind. The job comes with such intense scrutiny and so certain a guarantee of failure that only one other person even bothered applying for it.

Solche Witze sind natürlich geschmacklos, aber das gilt auch für die über komische Nasen oder Sprachstörungen. Der Umgang mit dem Thema Rasse entspannt sich.

Was uns zum Bradley-Effekt bringt, der sich erwartungsgemäß und entgegen den Hype darüber in den Medien als Blödsinn erwiesen hat. Wenn Bundesstaaten wie New Hampshire (96 Prozent Weiße) oder Iowa (95 Prozent) an einen Schwarzen gehen, kann man getrost sagen: Die Rasse war bestenfalls ein drittrangiger Faktor. Das wusste aber jeder, der sich genauer die Leute bei einer Obama-Veranstaltung [JPG] angeschaut hat.

Dass es vor einigen Jahrzehnten diesen Effekt gegeben haben könnte, ist allerdings unbestritten. Nicht umsonst zeigen sich die Veteranen der Bürgerrechtsbewegung wie John Lewis überwältigt davon [YouTube], wie sehr sich die amerikanische Gesellschaft geändert hat. Vermutlich ist das die tiefere Lehre der Wahl: Gesellschaften können sich ändern. In diesem Fall ist es die amerikanische, aber wir können das Prinzip getrost verallgemeinern.

Und darüber könnte man bestimmt sehr ergreifende und tiefsinnige Dinge schreiben, wenn man keine Schmerzen in den Handgelenken hätte. So hören wir jetzt besser auf und überlegen uns, ob wir in den nächsten Eintrag irgendwie Monty Python einbauen können.

([1] American Sphinx. The Character of Thomas Jefferson, Joseph J. Ellis, Vintage Books 1998)

(Danke an DKS und NMK für Links)

ZEUGS: Die Wahl 2008

November 4, 2008

Da wir uns alle in einigen Tagen eine andere Form der Unterhaltung suchen müssen, heute ein Zeugs-Eintrag nur zur US-Wahl.

  • Zu Wahlen: Ja, aber was machen wir dann die kommenden vier Jahre? Nun, man kann sich alte Wahlkämpfe anschauen. Wer Dramen, menschliche Schicksale und politische Brutalität sucht, dem sei Thomas Jefferson gegen John Adams von 1800 empfohlen:

    Things got ugly fast. Jefferson’s camp accused President Adams of having a „hideous hermaphroditical character, which has neither the force and firmness of a man, nor the gentleness and sensibility of a woman.“ In return, Adams‘ men called Vice President Jefferson „a mean-spirited, low-lived fellow, the son of a half-breed Indian squaw, sired by a Virginia mulatto father.“

    Damals konnten die einzelnen Bundesstaaten übrigens noch ihren Wahltag selbst festlegen und auch die Wahlmännerkarte [PNG] sah anders aus. Wer dagegen eher auf Reden steht, wird die legendären Debatten zwischen Abraham Lincoln und Stephen A. Douglas der Senatswahl von Illinois im Jahr 1858 lieben. Damals waren Männer noch Männer (Frauen hatten kein Wahlrecht) und brauchten keinen Moderator, der Fragen lieferte. Douglas gewann, aber Lincoln wurde berühmt und legte so den Grundstein für seine Präsidentschaft.

  • Zu Debatten: Im Zusammenhang mit öffentlichen Reden in den USA trifft man immer wieder auf das Wort heckler. Das ist jemand, der versucht, mit Zwischenrufen den Redner bloßzustellen oder aus der Fassung zu bringen. Früher, als es noch keine Mikrophone gab, zwangen sie die Kandidaten dazu, ihre Schlagfertigkeit zu beweisen. Nehmen wir wieder Lincoln:

    Heckler: „You’re two-faced!“
    Lincoln: „If I were two-faced, would I be wearing this one?“

    Manchmal verlieren die Politiker auch ihre Fassung, wie jüngst Bill Clinton, was nicht gut ankommt. In Großbritannien finden wir ebenfalls Heckler, wie hier im 18. Jahrhundert:

    Heckler: „Vote for you? I’d sooner vote for the Devil.“
    John Wilkes: „And what if your friend is not standing?“

    Dazu muss man wissen, dass britische Kandidaten „stehen“ (to stand for election) und amerikanische Kandidaten „laufen“ (to run for election). Die USA sind halt etwas größer.

  • Zur Geschichte der Wahlen: Auch bei der Wahl selbst ging es früher schon mal richtig zur Sache. Leichtere Formen der Gewalt bei der Stimmabgabe galten zwar als bedauerlich, waren aber nicht immer ein Grund, die Wahl anzufechten:

    „To vacate an election,“ an election-law textbook subsequently advised, „it must clearly appear that there was such a display of force as ought to have intimidated men of ordinary firmness.“

    Der Artikel geht auch auf die Entwicklung der Idee ein, dass Abstimmungen geheim sein sollen, denn das galt (sehr viel früher) als feige und unredlich.

  • Zur Geschichte: Und wer genau wissen will, wie die Wahlen damals ausgingen, ist bei dem Nationalarchiv der USA richtig. Dort wird zum Beispiel aufgelistet, wie die Verteilung der Wahlmänner seit 1789 aussieht.
  • Zum Präsidenten: In Rückblicken zu George W. Bush wird gerne dummes Zeug über seine Zustimmungsquote verbreitet. Richtig ist, dass er mit 19 Prozent insgesamt den Negativ-Rekord hält. Falsch ist, dass es jetzt im Moment so weit ist, denn Bush liegt wieder bei 28 Prozent. Wie extrem sich die Beliebtheitszahlen während einer Regierungszeit ändern, sieht man gut, wenn man sie als Kurven aufträgt.
  • Zum Kongress: Gegenüber der Legislative steht Bush richtig gut da, denn die Zustimmung zur Arbeit des Kongresses liegt bei 17 Prozent. Wobei 59 Prozent der Amerikaner am liebsten den gesamten Kongress austauschen würden. Kein Wunder, dass beide Kandidaten ständig von change reden.
  • Zur Intelligenz, wenn wir schon bei der Gerüchtekontrolle sind: Der angebliche Zusammenhang zwischen IQ und Wahlverhalten in den USA ist ein modernes Märchen.
  • Zu Hail Mary: Der konservative Kolumnist Charles Krauthammer findet, dass McCain im Wahlkampf gleich drei politische Verzweifelungspässe geworfen hat: Bei seiner Unterstützung der Truppenaufstockung im Irak (aka „the Surge“), gefangen von General David Petraeus zum Touchdown; bei der Wahl von Sarah Palin als Vize, die den Ball zwar fing, aber dann fallen ließ (der gefürchtete fumble); und schließlich das Aussetzen des Wahlkampfs für die Finanzkrise, bei dem der Pass nicht ankam. Krauthammer hat sich für McCain ausgesprochen.
  • Zur direkten Demokratie: Eine Auflistung der Referenden auf Ebene der Bundesstaaten in diesem Jahr liefert das Ballotwatch-Projekt [PDF] der University of Southern California. Von dem Verbot von kommerziellen Hunderennen und short-Verkäufen bei Aktien bis hin zur Abschaffung der Einkommensteuer und Vorgaben für den Anteil von Strom aus alternativen Energien ist alles dabei. Die Todesstrafe ist in diesem Jahr offenbar nirgendwo ein Thema.
  • Zur direkten Demokratie, nochmal: Der Wähler ist bei Referenden natürlich nicht nur auf den offiziellen Wisch angewiesen, wenn er sich entscheidet. Auch Experten und die Presse mischen sich mit ein, wie in Kalifornien, wo nicht immer alles verständlich ist:

    Proposition 7, involving solar energy, contains unfathomable language, including this: „After construction has commenced, the corporation may apply to the commission for authorization to discontinue construction.“

    Ein großes Thema in Kalifornien ist in diesem Jahr Proposition 8, bei dem es um die Abschaffung der Homo-Ehe geht. Prominente wie Ellen DeGeneres kämpfen mit Werbespots dagegen [YouTube].

  • Zu Werbespots: Die meisten Leser werden es schon kennen, aber die Hollywood-Stars haben Aufrufe zur Wahl [YouTube] gedreht, mit Will Smith, Steven Spielberg, Harrison Ford, Tom Cruise und vielen anderen auch. Zunächst heißt es dort allerdings, dass man nicht wählen gehen soll. Und ja, der letzte Satz von Borat hat etwas mit Masturbation zu tun.
  • Zum Wahlzettel in New Mexico: Der Ehrenwerte Vater weist darauf hin, dass es im Nachbarbundesstaat Arizona keine straight vote gibt, also nicht einfach mit einem Kreuz alle Demokraten oder Republikaner nach Parteizugehörigkeit wählen können.
  • Zur Meinungsfreiheit und Presse: Eine Zeitung im Bundesstaat Washington ist durch die Straßen von Seattle gefahren und hat Fotos von Häusern mit McCain-Schildern im Garten gemacht. Sie wurden dann ins Internet gestellt und zwar mit den Adressen. Ja, das war legal, wenn auch – wie man an der Reaktion der Leser sieht – unbeliebt. Inzwischen haben die Redakteure die Adressen entfernt.
  • Zum Fazit der Wahl, jetzt schon: Experten haben keine Ahnung. Vergleicht man die Vorhersagen vor dem Beginn des Vorwahlkampfs – Hillary Clinton wird problemlos die Kandidatin der Demokraten – und während des Vorwahlkampfs – Mitt Romney wird Kandidat der Republikaner – mit dem tatsächlichen Duell am Ende, wird klar: Das mit den Vorhersagen ist so eine Sache.

Zuletzt: Die Wahllokale schließen selbst für amerikanische Verhältnisse zu komischen Zeiten. Auf einer Karte kann man am besten verfolgen, wann es soweit ist. Nate Silver von FiveThirtyEight hat eine Anleitung verfasst, worauf man wann achten soll.

META: USA Erklärt im „Tagesspiegel“

November 3, 2008

Sebastian Leber vom „Tagesspiegel“ hat netterweise zur US-Wahl einen Bericht über dieses Blog geschrieben. Das Interview hat großen Spaß gemacht und dürfte auch die Leute im Starbucks gut unterhalten haben.

(Es gibt sogar ein Foto auf dem man sieht, unter was für Bedingungen dieses Blog entsteht. Furchtbar, nicht wahr? Dieser Mann muss doch einfach einen neuen MacBook bekommen, um dieses erst ein Jahr alte technisch völlig überholte weiße Modell zu ersetzen. Bitte unbedingt der Schönsten Germanin sagen!)

Die unerwarteten Auswirkungen der Panzerung beim American Football

November 1, 2008

Im Gegensatz zu allen anderen Medien auf dem Planeten sprechen wir heute mal nicht über die Wahl. Denn der Hinweis dieses Autors auf das intrinsische Weicheiertum beim Fußball wurde von den Fans der Sportart nicht gut aufgenommen: Die Schönste Germanin stampfte mit dem Fuß auf, der geschätzte Arbeitskollege NMK wies auf die „ständigen“ Pausen beim American Football hin und der interessierte Leser MB schickte einen Link zu einer britischen Satire über die Aufhebung der Unabhängigkeit ein. Darin wird auch American Football – das ohnehin den Namen nicht verdiene – abgeschafft:

Those of brave enough will, in time, be allowed to play rugby (which is similar to American „football“, but does not involve stopping for a rest every twenty seconds or wearing full kevlar body armour like nancies).

(Der Link erklärt nicht nur die Geschichte der Satire, die in ihrer ursprünglichen Form von dem Briten Alan Baxter nach der US-Wahl 2000 geschrieben wurde. Sie stellt auch mehrere Varianten vor, darunter amerikanische Erwiderungen (We’ll tell you who killed JFK when you apologize for „Teletubbies“) und sogar Erweiterungen (Have Meg Ryan report to Prince Andrew’s bedchamber). Alle Versionen beinhalten jede Menge Selbstironie und sind gute Beispiele für das fröhliche Hin und Her der Angelsachsen untereinander.)

Nun könnte man darauf hinweisen, dass Rugby-Spieler deswegen keinen Helm brauchen, weil sie den Kopf nicht zum denken benutzen müssen – Strategie und Taktik sind bei der Sportart halt vergleichsweise primitiv. Oder dass mehr als ein Fünftel der Verletzungen beim Rugby den Kopf betreffen und deswegen die Japaner – die nun wirkich nicht als Feiglinge bekannt sind – tatsächlich eine Helmpflicht eingeführt haben. Liebe Briten: Mut ist eine Sache, Torheit eine andere.

Aber hinter diesen ganzen Neckereien gibt es einen ernsten Hintergrund, denn die Einführung der Panzerung beim American Football hatte unvorhergesehene Folgen. Der Schritt gilt deswegen in der Zukunftsforschung als Beispiel für das law of unintended consequences, also für eine Situation, in der die Lösung eines Problems unerwartet neue schafft.

Etwas geschichtlicher Hintergrund. Football wurde früher tatsächlich ähnlich wie Rugby gespielt, ohne Vorwärtspässe und mit viel Gewühle in unübersichtlichen Menschenmassen. Allerdings war es schon damals deutlich körperbetonter, oder, um ehrlich zu sein, brutal im Sinne von lebensgefährlich. Ende des 19. Jahrhunderts war die Verletzungsrate so hoch, dass viele Sportler nichts damit zu tun haben wollten. Nachdem 1905 knapp 20 Spieler starben, rief Präsident Theodore Roosevelt Vertreter der Unis Harvard, Yale und Princeton zu sich (es gab noch keine Profiliga) und erklärte ihnen, dass es so nicht weitergehen könne.

Das Ergebnis waren zahlreiche Regeländerungen wie die Einführung des Vorwärtspasses und das Verbot von Massenformationen wie den berüchtigten flying wedge. Zudem wurde mehr Aufmerksamkeit der Schutzkleidung gewidmet. Der Erfolg machte sich in Harvard sofort bemerkbar:

Fractures fell from 29 to 5 per year, dislocations from 28 to 3; ankle sprains from 13 to 4; concussions (all involving a loss of memory) from 19 to 4; and overall injuries from 145 to 38.

Die Entwicklung des Football-Helms [JPEG] beginnt auch zur Jahrhundertwende. Wer den ersten Kopfschutz trug, ist umstritten, aber unter anderem wird er Joseph M. Reeves zugesprochen. Der spätere Admiral soll 1893 bei einem Spiel der Army gegen die Navy eine Lederhaube getragen haben, die von einem Schuhmacher in Annapolis extra angefertigt worden war. Der Kopfschutz wurde erst in den 40er Jahren Pflicht. Der spätere Präsident Gerald Ford wurde berühmt dafür, dass er an der University of Michigan noch ungeschützt spielte [JPEG], was endlose Witze über die Folgen für sein Gehirn nach sich zog.

Der erste Kunststoff-Helm wurde 1939 von dem Sporthersteller John T. Riddell vorgestellt. Kunststoffe waren während des Zweiten Weltkrieges knapp und die ersten Varianten neigten dazu zu zersplittern. Trotzdem lösten sie nach und nach die Lederhauben ab. Später kamen Luft- und Flüssigkeitspolster hinzu (Mannschaften wie die Green Bay Packers, die zu Hause in schweinekalter Umgebung spielen, müssen Frostschutzmittel benutzen). Moderne Helme sind high-tech, werden aber trotzdem mit einer Warnung verkauft:

Do not use this helmet to butt, ram or spear an opposing player. This is in violation of the football rules and such use can result in severe head or neck injuries, paralysis or death to you and possible injury to your opponent.

Das interessante Wort hier ist to spear. Irgendwann nach der Einführung der etwas stabilieren Helme fanden die Spieler heraus, dass die Dinger genug Schutz boten, um als Waffe benutzt zu werden. Man erzielte erstaunliche Ergebnisse, wenn man aus vollem Lauf und mit gesenktem Kopf den Gegner rammte, ihn also „aufspießte“. Dummerweise ist das auch nicht gut für die Halswirbelsäule des Angreifers, weswegen es zu Querschnittslähmungen und zu Todesfällen kommen kann.

Äh, sagten die Verantwortlichen. Moment mal. So war das mit dem Helm nicht gedacht. Er sollte doch vor Verletzungen schützen!

Spearing ist zwar seit den 70ern verboten, aber mit ausreichend geschützten Schultern und genug Anlauf erzielt man ein ähnliches Ergebnis [YouTube], ohne die Regeln zu brechen. Sobald Panzerung eingeführt wird, wird sie benutzt. Das bleibt selbst im günstigsten Fall nicht ohne Folgen: Wegen des ständigen Aufpralls und dem Gewicht der Ausrüstung sind Footballspieler nach einer Partei um bis zu einen halben Zoll kleiner als vorher, denn die Bandscheiben werden zusammengedrückt.

Ob Helm oder Schulterpolster, die Ausrüstung ist allerdings auch der Grund, warum Football schneller wurde als Rugby: Die Bewegungsenergie (die bekanntlich zum Quadrat der Geschwindigkeit steigt) wird zum großen Teil von der Ausrüstung abgefangen. Die Spieler beim American Football können mit einer größeren Wucht aufeinander losgehen, was zu den berüchtigten Hits [YouTube] führt (das Video enthält einen butt slap). Das kennen wir auch vom Eishockey [YouTube].

Nichts davon soll unterstellen, dass Rugby-Spieler Weicheier sind – das wäre offensichtlicher Unfug [YouTube]. Die Entscheidung gegen schwere Schutzkleidung wurde bewusst getroffen. Zwar würde eine Panzerung wie beim Football das Spiel vielleicht schneller und härter machen, aber nicht unbedingt sicherer. Eher würde sich die Art der Verletzungen ändern. Und es wäre natürlich einfach nicht mehr Rugby.

Übrigens noch eine Sportart, um zum Thema zurückzukommen, bei der die Spieler nicht ständig jammernd am Boden liegen … tut das eigentlich überhaupt jemand außer Fußballspieler?