Archive for August, 2008

ZEUGS: Sarahs Steuern, Alien-Aufnäher und Socken-Songs

August 31, 2008

Wir unterbrechen unsere Unterbrechung, weil dieser Autor mit Entsetzen festgestellt hat, dass der E-Mail-Berg zwar immer kleiner wird, dafür die ZEUGS-Liste immer länger. Das hilft ja auch nicht.

  • Zu Daten über Politiker: Natürlich sind auch die Finanzunterlagen von Sarah Palin, Gouverneurin von Alaska und designierte republikanische Kandidaten für die Vize-Präsidentschaft, öffentlich zugänglich. Die von Frau McCain haben wir inzwischen auch.
  • Zur Fahne falsch herum: Der Wikipedia-Eintrag zu Todd Palin, der First Dude von Alaska, hat ein Foto mit einer Fahne, die nicht die Sterne vorne hat. Das ist nicht falsch, sondern nur nicht-militärisch.
  • Zum angelsächsischen Humor: Wenn wir bei Dingen an der Schulter sind: Hier ist eine Auflistung von military patches, die Germanen zum Teil unpassend erscheinen dürften. Harmlos ist noch ein Beispiel für die CSAR (Combat Search and Rescue [PDF]) mit einem Bild von Elvis und dem Spruch:

    If he’s out there, we’ll find him

    Aber dann hätten wir noch:

    Be vewy vewy quiet, we’re hunting I-Wackis

    Die komische Aussprache geht auf Elmer Fudd zurück, der bekanntlich sonst wabbits wie Bugs Bunny jagt. Es sind natürlich nicht offizielle Aufnäher (oder wie man sie nennt, offenbar werden sie heute mit Klettband befestigt). Das US-Militär hat eine Datenbank mit den echten.

  • Zu Hühnchengeschmack: Und es gibt auch einen Patch für die Einheit, die am Roswell UFO Incident von 1947 beteiligt war. Das ist der Beweis!
  • Zu den Mottos der Bundesstaaten: Es reicht natürlich nicht, einen Patch zu haben, man braucht auch ein Motto für seine Einheit. Einige sind vorhersehbar wie das Alta peten der 530. Anti-Aircraft Artillery (offizielle Übersetzung Aiming at high things), andere wie das der 114. Combat Support Hospital mehrdeutig (Between Life and Death) und wiederum andere tongue-in-cheek, wie das des 7. Signal Command mit Difficile est sumisso esseIt’s hard to be humble. Womit wir wieder beim Humor sind.
  • Zur Nationalhymne und Fahneneid, wenn wir schon bei Symbolen sind: Auch die Demokraten haben selbstverständlich ihren Parteitag mit beiden Bekenntnissen zur Republik, der Verfassung, den Grundwerten, dem Mutterland etc. pp. usw. eröffnet.
  • Zu der Nationalhymne, nochmal: Der interessierte Leser KK weist auf ein Musikvideo mit singenden rappenden US-Präsidenten hin.
  • Zu der U.S. Navy: Ein neuer Vergleich der Seestreitkräfte bescheinigt den USA, sogar über die Hälfte der weltweiten Marine-Kampfkraft (naval combat power) zu verfügen:

    We are now in the third century of either Britain or the United States as the dominant naval power in the world.

    Mit einer eisfreien Arktis wird auch Kanada mehr Schiffe brauchen.

  • Zur langfristigen Strategie, weil dieser Eintrag jetzt ohnehin militärisch gefärbt ist: Die ersten Offiziere des US-Heers mit Erfahrung in Afghanistan und Irak sind in die höheren Ränge berufen worden:

    Among the 40 newly named one-star generals are Sean MacFarland, commander of the unit that brought order to Ramadi; Steve Townsend, who cleared and held Baqubah; Michael Garrett, who commanded the infantry brigade that helped turn around the „Triangle of Death“ south of Baghdad; Stephen Fogarty, the intelligence officer in Afghanistan […].

    Unerwartet ist dabei das hohe Tempo, mit dem die alte Garde ersetzt wird. Äh. Das für eine Riesenbürokratie vergleichsweise hohe Tempo, muss es natürlich heißen.

  • Zur sehr langfristigen Strategie: Warum ist der Wandel wichtig? Der Historiker Justin Elliott erzwang jüngst über das Gesetz zur Informationsfreiheit (Freedom of Information Act, das wir auch besprechen müssen) die Veröffentlichung einer Militärstudie, die auf der Basis von historischen Vergleichen die Bedeutung der Anpassungsfähigkeit betont [PDF]:

    The Roman model suggests that it is possible for the United States to maintain its military advantage for centuries if it remains capable of transforming its forces before an opponent can develop counter-capabilities.

    Zu den etwa 600 Jahren römischer Vorherrschaft fehlen den USA ja auch nur noch 380 oder so. Die Studie sei Lesern empfohlen, die sich für Alexander den Großen, die Römer, die Mongolen, Napoleon oder die Bedeutung der gepanzerten Reiter von Byzanz bei Age of Kings interessieren.

  • Zum starken Föderalismus: Zurück zur Wahl: Im November entscheiden die Bürger von Massachusetts (unter anderem) darüber, ob die Einkommenssteuer des Bundesstaates abgeschafft werden soll. Die des Bundes bliebe davon natürlich unberührt. In fünf Bundesstaaten wird abgestimmt, ob die staatlichen Sonderprogramme für Minderheiten (affirmitive action) gestrichen werden sollen. Auch das würde nur auf Landes- und Kommunalebene gelten.
  • Zur Direktwahl: In New York treten Vater und Sohn gegeneinander an. Erwähnten wir, dass die seltsamsten Dinge im Repräsentantenhaus geschehen?
  • Zu Tube Socks: Der interessierte Leser K weist darauf hin, dass der Begriff vielen Deutschen von dem Lied „Teenage Dirtbag“ von Wheatus bekannt sein dürfte. Die dort zitierten Keds sind offenbar irgendwelche Turnschuhe, aber da dieser Autor seine Mode nur einmal pro römischer Herrschaftszeit wechselt, kann er nicht so viel dazu sagen.
  • Zu The Wizard of Oz: Ja, und wie ist jetzt Buffy Between the Lines? Für eine Amateurproduktion hervorragend. Wir finden dort natürlich den für Amerikaner obligatorischen Kansas-Spruch, diesmal vorgetragen von Anya, als Dawn hinwegteleportiert wird:

    Dawn is not in Texas anymore.

    Da die Serie in Kalifornien spielt, ahnen auch die beiden Nicht-Buffy-Fans unter den interessierten Lesern, dass die Ex-Dämonin es mit kulturellen Bezügen nicht immer leicht hat.

Und damit setzen wir unser Nicht-Programm fort.

META: Blogpause bis zum 8. September 2008

August 24, 2008

Das etwas forcierte Tempo der vergangenen Wochen und einige Widrigkeiten in der wirklichen Welt haben dazu geführt, dass mein Eingangskorb für unbeantwortete E-Mail – ob für USAE, privat oder Familie – inzwischen furchterregende Dimensionen angenommen hat. Daher gibt es bis

Montag, dem 8. September 2008

eine Blogpause. Im nächsten Eintrag wird es vermutlich – unter anderem – um den amerikanischen Porno-Star Jenna Jameson gehen.

Der Krieg gegen Japan, Teil 4: Der Jahrestag der dritten Atombombe

August 21, 2008

No one expected the war to end when it did, even after the two atomic bombs and the entry of the Soviet Union into the war on August 9, the Japanese, though doomed, were expected to fight on for some considerable time.

– Roland Spector, In the Ruins of Empire, 2007

Heute vor 63 Jahren, am 21. August 1945, wäre unter anderen Umständen die dritte Atombombe auf Japan abgeworfen worden. Das vorgesehene Ziel war Sapporo auf der nördlichen Hauptinsel Hokkaido, der Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1972.

Einige interessierte Leser werden jetzt stutzen. Die Geschichte der Atombombe wird meist so erzählt, dass die USA zunächst nur drei davon bauen konnten, aber die zwei nach der Testbombe verbliebenen in kurzer Folge abwarfen – eben am 6. und 9. August – um den Eindruck zu erwecken, sie hätten jede Menge davon. Das ist auch wahr. Die Frage ist, was man mit „zunächst“ meint.

(Wie erfolgreich war die Täuschung? Gemischt. Zwar konnten die hardliner im japanischen Militär nach Nagasaki nicht mehr behaupten, die Amerikaner seien genetisch zu dumm technisch nicht in der Lage, eine Atombombe zu bauen, und die Zerstörung in Hiroshima sei die Folge von vielen Magnesium-Sprengsätzen oder gar einer Naturkatastrophe. Aber auf Grundlage von Japans eigenen zwei Atomwaffenprogrammen erklärte Admiral Soemu Toyoda, die USA könnten nur über wenig spaltbares Material verfügen.

Auf der anderen Seite warnte Heeresminister Korechika Anami – eigentlich einer der Falken – Stunden nach dem Angriff auf Nagasaki seine Kollegen im Kabinett [1]:

[T]he Americans appeared to have one hundred atomic bombs … while they could drop three per day. The next target might well be Tokyo.

Die Details dieser Aussage gehen auf den abgeschossenen US-Jagdflieger Marcus McDilda zurück, der unter japanischer Folter die Zahl erfand und Kyoto und Tokio als nächste Ziele nannte. McDilda wusste in Wirklichkeit nichts über die Bomben.)

Tatsächlich war der „Kern“ der dritten Atombombe (damit insgesamt die vierte) am 13. August [PDF] fertig. Für September und Oktober waren je drei Bomben fest zugesagt – zusammen also sieben bis Ende Oktober 1945. Danach wäre es schneller gegangen:

Improvements in bomb design being prepared at the end of the war would have permitted one bomb to be produced for every 5 kg of plutonium or 12 kg of uranium in output. […] Assuming these bomb improvements were used, the October capacity would have permitted up to 6 bombs a month.

Für uns ist der Zeitraum bis Ende Oktober wichtig, denn der erste Abschnitt der zweiteiligen Invasion von Japan, Operation Downfall, sollte am 1. November 1945 beginnen (der zweite im Frühjahr 1946). Es gab dabei einen Streit, ob die nächsten Atombomben weiter so schnell wie möglich abgeworfen werden sollten – in der Hoffnung, dass Japan irgendwann genug haben würde – oder ob man sie sammeln und dann alle auf einmal „taktisch“ zur Unterstützung der Invasion einsetzen sollte.

Die Frage wurde bis Kriegsende nicht beantwortet. Da Präsident Harry S. Truman festgelegt hatte, dass weitere Atomwaffen nur mit seiner Genehmigung eingesetzt werden durften, hätte er am Ende die Entscheidung getroffen.

(Wir werden in einem späteren Eintrag sehen, dass hochrangige US-Militärs in dieser Zeit die ganze Invasions-Strategie wieder infrage stellten, weil die alliierten Geheimdienste langsam die Größenordnung von Ketsu-Go zu erahnen begannen. Die Frage wäre dann gewesen, wie die Atombomben – falls überhaupt – bei einer Blockade eingesetzt worden wären.)

Wie kommen wir vom 13. zum 21. August? Einmal musste der Kern der Bombe aus Los Alamos auf die Pazifik-Insel Tinian gebracht werden. Diese war wegen ihrer besonders langen Startbahnen auch Ausgangspunkt der Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki gewesen.

Allerdings gab es noch einen Grund für die Verzögerung. General George C. Marshall – später Friedensnobelpreisträger und Europäern vom Marshall-Plan bekannt – und der militärische Leiter des Manhattan-Projekts, Leslie Groves, hatten dafür gesorgt, dass gewisse Komponenten erst mit Verzögerung auf die Insel gebracht wurden [1]. Sie taten das in der Hoffnung, dass Japan nach zwei Atombomben kapitulieren würde.

Sie hofften es, aber sie glaubten nicht daran. Marshall wurde nach dem Krieg mit der Einschätzung zitiert:

There is one point that was missed, and that, frankly, we missed in making our plans. That was the effect the bomb would have in so shocking the Japanese that they could surrender without losing face.

Als ein Beleg für den amerikanischen Pessimismus wird auch gerne darauf hingewiesen, dass Kriegsminister (der Titel damals) Henry L. Stimson am 10. August in den Urlaub aufbrechen wollte, als die streng geheime Mitteilung aus Japan über die Bereitschaft zur Kapitulation ankam – mit der Bedingung, dass das Kaisertum erhalten bleiben müsse. Die USA antworteten mit der Byrnes‘ Note, in der die Frage offen gelassen wurde. Japan kapitulierte trotzdem am 15. August.

(Außenminister James F. Byrnes kennen Deutsche wiederum von seiner zentralen Rede zur Deutschlandpolitik von 1946, der „Speech of Hope“.)

Einige interessierte Leser werden immer noch stutzen – wieso Sapporo? Schließlich stand die Stadt nicht auf der ursprünglichen Liste der Atombomben-Ziele vom 25. Juli:

Hiroshima, Kokura, Niigata, Nagasaki

(Das Arsenal von Kokura war das eigentliche Ziel der zweiten Atombombe. Wegen schlechter Sicht entschied die Besatzung der Bock’s Car, das Ausweichziel Nagasaki anzufliegen. Bei dem hastig ausgeführten Angriff wurde Fat Man über den falschen Teil der Stadt gezündet, ein Grund, warum die Zerstörung geringer ausfiel als in Hiroshima.)

Allerdings hatte die Wirkung der ersten beiden Bomben far exceeded optimistic expectations, und das US-Militär überarbeitete vor diesem Hintergrund die Liste. Die Vorschläge wurden am 14. August vorgelegt:

Sapporo, Hakodate, Oyabu, Yokosuka, Osaka, Nagoya

Auf beiden Listen fehlen Kyoto – das Stimson wegen der kulturellen Bedeutung gegen den Wunsch des Militärs von den Angriffen ausnahm – und Tokio.

Die japanische Hauptstadt war aber Mitte August durchaus als Ziel im Gespräch, wenn auch nicht klar zu sein scheint, für welche Bombe. Der britische Botschafter in den USA, John Balfour, sprach am 14. August mit Truman. Er schrieb dazu, der Präsident habe niedergeschlagen gewirkt und erklärt, noch keine Antwort aus Japan erhalten zu haben:

[Truman] remarked sadly that he now had no alternative but to order an atomic bomb dropped on Tokyo.

Ganz falsch lag McDilda also vielleicht doch nicht. Einige Stunden später erhielt Truman die Nachricht von der Kapitulation Japans, womit sich auch diese Frage erledigte.

(Etwas Hintergrund: Japans Armee verhinderte zwischen dem 10. und 15. August fast den Frieden. Heeresminister Anami erklärte am 11. August in der Presse:

Even though we may have to eat grass, swallow dirt, and lie in the fields, we shall fight to the bitter end, ever firm in our faith that we shall find life in death.

Admiral Takijiro Onishi stellte Kabinettsmitgliedern zwei Tage später einen „sicheren Sieg“ in Aussicht, wenn die Regierung nur bereit sei, 20 Millionen Menschen zu opfern [1]. Eine Gruppe Militärs versuchte einen Staatsstreich.

Die Alliierten wussten das nicht – viel wurde ohnehin erst 1989 bekannt. Sie sahen nur, dass weiter gekämpft wurde, dass die Geheimdienste weiter Durchhalteparolen abfingen und dass eine Antwort auf die Byrnes‘ Note weiter ausblieb.

Schließlich ging den Amerikanern die Geduld aus. Sie warfen am 13. August Flugblätter mit dem Text des eigentlich geheimen Kapitulationsangebots und der amerikanischen Antwort über Japan ab. Aus Angst vor einem Putsch befahl Kaiser Hirohito dem Militär danach unmissverständlich ein Ende der Kämpfe.)

Am Ende bleibt der Einsatz einer dritten Atombombe natürlich Spekulation. Japan kapitulierte.

Wir halten hier fest, dass es bei einer Fortsetzung des Kriegs um auch nur eine Woche vielleicht nicht bei Hiroshima und Nagasaki geblieben wäre. Die USA waren durchaus in der Lage, auch kurzfristig weitere Atombomben einzusetzen. Diesen Punkt – und die komplette Neuausrichtung der konventionellen Bomben-Strategie ab dem 11. August – werden wir noch einmal in dem Eintrag über den alliierten Gesamtplan aufgreifen, dem Gegenstück zu Ketsu-Go.

Das wird allerdings einige Wochen dauern. Wegen der Jahrestage der Atombombenabwürfe haben wir diese Serie forciert; ab jetzt gehen wir wieder zu einem breiter gefächerten Programm über.

(Nächster Eintrag der Serie: „Die Einäscherung Tokios“)

([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire. Penguin Books 1999)

ZEUGS: Tojos Tagebuch, Freemans Unfall und Mohammeds Ehefrau

August 18, 2008

Heute eine noch buntere Mischung als sonst, denn dieser Autor ist wie jedes Jahr beim Fantasy Filmfest.

  • Zur Quellenlage zum Krieg gegen Japan: Der interessierte Leser DKS weist darauf hin, dass vor einigen Tagen erstmals ein Tagebuch von Hideki Tojo, Japans Ministerpräsident bis Juli 1944, veröffentlicht wurde. Am 13. August 1945 nennt er seine Nachfolgeregierung einen Haufen Feiglinge – die Weicheier wollten kapitulieren, nur weil zwei Städte durch Atombomben vernichtet worden seien und die Sowjets den Krieg erklärt hätten! Tojo versuchte nach dem Krieg, Selbstmord zu begehen, scheiterte aber. Er wurde 1948 als Kriegsverbrecher hingerichtet.
  • Zu Humor in Extremsituationen: Der US-Schauspieler Morgan Freeman hatte vor einigen Tagen einen Unfall. Und was tat der 71-Jährige, als Schaulustige ihn an der Unfallstelle fotografieren wollten? Witze reißen wie „Hier gibt’s nichts gratis“.
  • Zur Bürger-Kontrolle über die Polizei: In New York gehen sie noch einen Schritt weiter als in Berkeley: Hier läuft „Jimmy Justice“ mit einer Videokamera herum und filmt Polizisten, die dummes Zeug machen. Einer seiner Lieblingsziele: Verkehrspolizisten, die im Halteverbot stehen. Der Link zeigt Beispiel-Filme.
  • Zur Polizei und Kommune: Die Stadt Garden Grove schreibt ihrer Polizei vor, je einen Geistlichen aus den größeren Glaubensgemeinschaften im Stab zu haben. Unter anderem gibt es einen Katholiken, einen Mormonen, einen Juden, einen Muslim und einen Buddhisten. Letzterer heißt Kusala Bhikshu:

    As a chaplain, he’s been asked by police officers if it’s all right to kill. His answer: „Never kill out of hatred or anger.“

    Der ursprüngliche Name des früheren Lutheraners lautet Carl Kohlhoff.

  • Zu Bevölkerungsgruppen: Wer das jetzt für politisch korrekten Schnickschnack hält, hat wohl nicht gesehen, dass die offizielle Website von Garden Grove eine Version auf Vietnamesisch enthält. Ein Fünftel der Bevölkerung stammt aus Vietnam, allgemeiner sind etwa ein Drittel asiatischer Abstammung.
  • Zu Kalifornien: Trotzdem müssen wir festhalten, dass der bevölkerungsreichste Bundesstaat in den restlichen USA als Hort von Freaks und Irren gilt. Das wissen die Kalifornier auch, und machen selbst Witze darüber. Als also eine Gruppe von Zen-Mönchen bei den jüngsten Waldbränden erfolgreich ihr Kloster verteidigten, ließ die San Francisco Chronicle in ihrer Karikatur [GIF] das ungläubige Feuer fragen This is California, isn’t it? Es versteht sich von selbst, dass kalifornische Mönche einen Kampf gegen die Flammen bloggen.
  • Zur Meinungsfreiheit: Auch der schönste First Amendment ist natürlich machtlos gegen die Schere im Kopf. Random House – eine Bertelsmann-Tochter – hat ein Buch über Mohammeds Ehefrau Aisha aus Angst vor islamistischer Gewalt gestoppt. Betroffen ist der Roman The Jewel of Medina von Sherry Jones.
  • Zu whatever und anderen Modebegriffen: Eine internationale Gruppe von Buffy-Fans hat eine zusätzliche Audio-Season namens Buffy Between the Lines geschaffen, die zwischen Staffeln 5 und 6 angesiedelt ist. Wir erwähnen das hier, weil es auf dem Feed vor der ersten der zwölf Folgen eine „Special Feature Episode“ gibt, in dem die Produzenten Tabitha Smith und AthenaMuze über das Projekt reden:

    And I thought maybe like one or two people would say, hey, yeah, whatever, you know, if I had time. But a lot of people gave like a really great response to it. So I was like, „Okay, jazzed!“ and so I sat down and like asked everybody I knew, you know, would you be interested to be involved?

    Ein whatever finden wir zwar auch, aber hier geht es um das like, ein anderes Modewort, das man seinem Englischlehrer nicht zumuten sollte. In den Episoden selbst [PDF] findet sich davon natürlich nichts. Und ja, die Folgen sind erstaunlich gut gemacht. Eine zweite Staffel ist gerade angelaufen.

Und jetzt muss dieser Autor weiter thailändische Fantasy-Thriller gucken gehen.

Kurz erklärt: Warum die US-Flagge auf Uniformen verkehrt herum ist

August 15, 2008

Nach unserem ganzen Gerede über die Bedeutung der Flagge und Hinweisen auf den Flaggenkodex mag sich der interessierte Leser fragen, warum amerikanische Soldaten das Ding auf der Schulter verkehrt herum [JPG] tragen, also mit den Sternen auf der rechten Seite. Das ist auch vielen Amerikanern nicht klar.

An dieser Stelle hilft es, sich die Filme in Erinnerung zu rufen, in denen die Kavallerie [JPG] nach vorne stürmt. Da der Teil mit den Sternen an einer Stange befestigt war, zeigte er immer nach vorne.

Entsprechend haben amerikanische Soldaten die Flagge auf der rechten Schulter auch so, dass die Sterne rechts liegen. Eine „richtige“ Flagge auf der Schulter mit den Sternen auf der linken Seite würde symbolisieren, dass sich der Soldat zurückzieht.

Und bekanntlich ziehen sich amerikanische Soldaten nicht zurück, sie greifen nur in eine andere Richtung an.

(Nach einem Vorschlag von RR, vielen Dank)

Der Krieg gegen Japan, Teil 3: Die Totenzahlen der Atombomben

August 12, 2008

Let all souls here rest in peace, for we shall not repeat the evil.

– Inschrift am Kenotaph in Hiroshima.

Zu der Diskussion über den Krieg im Pazifik gehört der fortgesetzte, wenn auch etwas abklingende Streit über die Opferzahlen der Atombomben. Da wir früher oder später solche Zahlen zitieren müssen, sollten wir auf den Hintergrund, einige Fehler und die noch strittigen Angaben eingehen.

Die erste wichtige Größe ist die Zahl der Toten bis Ende 1945, denn das umfasst den größten Teil der Strahlentoten. Für Hiroshima wird in der deutschen Presse meist 140.000 Menschen angegeben. Das sind die offiziellen japanischen Angaben [PDF].

(Eigentlich gehört ein „plus oder minus 10.000“ dahinter, aber Journalisten hassen Spannen, weil sie den Lesefluss stören, und lassen sie deswegen meist einfach weg. Darauf bezieht sich auf jeden Fall ein etwaiges „mindestens“.)

Der interessierte Leser wird sich denken können, dass diese Zahl umstritten ist. Wir überspringen die Details und weisen darauf hin, dass die Wissenschaftler der gemeinsamen japanisch-amerikanischen Radiation Effects Research Foundation (REFR) heute Spannen angeben: 90.000 bis 140.000 Tote für Hiroshima und 60.000 bis 80.000 für Nagasaki. Die binationale Stiftung ist der Nachfolger der ursprünglichen Atomic Bomb Casualty Commission, die ab 1948 die Folgen der Bomben erforschte.

Wieso ist das so schwer, die Zahl der Opfer zu schätzen? Die RERF schreibt dazu:

[T]he total number of deaths is not precisely known because records of military personnel in each city were destroyed; entire families perished, leaving no one to report the deaths; and forced laborers were present in unknown numbers.

Die Militärakten wären wichtig für die kontroverse Frage, wie viele der 40.000 Soldaten in Hiroshima – dem Hauptquartier der Zweiten Armee – unter den Toten waren.

Das Problem betrifft nicht nur die Atombomben. Auch bei dem Brandbomben-Angriff auf Tokio am 9.-10. März 1945 (auf den wir getrennt eingehen werden) beträgt die Spanne 80.000 bis 120.000 Tote. Selbst für die Hauptstadt hatte niemand einen Überblick, wie viele Menschen in den zerstörten Vierteln wirklich lebten.

Die genau Zahl der Atombombentoten bis Ende 1945 ist also unbekannt, aber es gibt mit der Spanne einen gewissen Konsens. Alle Angaben, die eine größere Präzision vortäuschen, führen zum Streit: Eine höhere Zahl bringt den Vorwurf, eine „japanische Opferrolle“ solle gestärkt, eine niedrigere, eine „amerikanische Täterschaft“ solle abgeschwächt werden.

Um das Problem zu vermeiden, werden wir in diesem Blog die Angaben der RERF verwenden, auch wenn es umständlich ist.

Der zweite Punkt ist die Frage, wie viele Menschen sofort starben. Das ist wichtig, um die Entscheidungsfindung der japanischen Militärregierung nachvollziehen zu können. Heute vor 63 Jahren stritt man in Tokio bekanntlich immer noch darüber, ob man wirklich kapitulieren sollte, Atombomben hin oder her.

Allgemein scheint die Antwort „die Hälfte“ der Totenzahl bis Ende 1945 zu sein, egal, welche Ausgangszahl genommen wird. Bei der obigen Spanne wären das 45.000 bis 70.000 Tote in Hiroshima und 30.000 bis 40.000 in Nagasaki.

(Am 7. August wurde der japanischen Regierung aus Hiroshima gemeldet, dass es 130.000 „Opfer“ gebe, also Tote und Verletzte. Da niemand die Folgen der Strahlung verstand, schien die Bombe damit eher weniger schwerwiegend zu sein als der Angriff auf Tokio. Nach der zweiten Bombe berichtete der Gouverneur der Präfektur Nagasaki zudem, es gebe nur eine „kleine“ Zahl von Opfern, und stärkte mit dieser bizarren Fehleinschätzung die Falken [1]. Japan kapitulierte schließlich am 15. August.)

Ein Fehler, den wir nicht nur hier, sondern bei allen Konflikten bis hin zum laufenden Irak- und Afghanistan-Krieg finden, ist die falsche Übersetzung von casualties. Damit sind im Englischen nicht Tote gemeint, sondern Tote und Verwundete. Die meisten deutschen Berichte beruhen (wie dieses Blog) wegen mangelnder Japanischkenntnisse auf englischsprachigen Veröffentlichungen.

Zuletzt haben wir die Frage, wie viele Menschen insgesamt bis heute an den Folgen der Atombomben gestorben sind. Jetzt müssen wir etwas ausholen und ins Detail gehen, denn hier tobt ein bitter geführter Streit, der eher an Deutschland vorbeigegangen ist.

Die Überlebenden der Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki werden in Japan hibakusha genannt. Am 31. März 2008 betrug ihre weltweite Zahl offiziellen japanischen Angaben zufolge 243.692 bei einem Durchschnittsalter von 75,1 Jahren. Nach den Kriterien der japanischen Regierung leiden etwa ein Prozent von ihnen an Strahlenfolgen.

Wir werden in einigen Absätzen die Daten von 2007 brauchen: Damals lebten noch 251.834 Hibakusha, von denen 2.242 als strahlenkrank eingestuft wurden.

(Sind das wirklich alle? Schwer zu verstehen, aber offenbar wahr: Die Hibakusha und ihre Nachkommen sind in Japan Diskriminierung ausgesetzt. Das dämpft die Bereitschaft, sich als Strahlenopfer zu erkennen zu geben. Gleichzeitig gibt es eine Debatte darüber, ob die Kriterien der japanischen Regierung für die Verstrahlung nicht zu eng gefasst sind. Wir bleiben bei den offiziellen japanischen Angaben, behalten das aber im Hinterkopf.)

Zu der jährlichen Gedenkzeremonie in Hiroshima gehört es nun, die Namen aller im Vorjahreszeitraum verstorbenen Hibakusha der Stadt in eine Liste einzutragen. In diesem Jahr waren es weitere 5.302 Namen für eine Gesamtzahl von 258.310 Toten (das gleiche Verfahren gibt es in Nagasaki, wo die Liste um 3.058 Namen auf 145.984 Tote ergänzt wurde).

Das Problem ist nun, dass offiziell nur die Namen von Hibakusha aufgenommen werden, die als Folge der Atombombe [PDF] starben:

Books that list the names of those who have died as a result of the atomic bombing are kept in the Monument (79 books registering 226,870 names as of August 6, 2002).

Allein für Hiroshima wurden in diesem Jahr damit mehr als zwei Mal so viele Namen formell als Atombombentote aufgenommen, als nach Angaben der japanischen Regierung 2007 überhaupt an den Folgen der Explosionen litten. Irgendwas passt da nicht.

Tatsächlich werden in der Praxis die Namen aller verstorbenen Hibakusha eingetragen, ohne Rücksicht auf die Todesursache [1]:

[W]henever such an individual dies, from any cause whatsoever, they become officially classified as a deceased hibakushka [sic].

Dafür kann man gute Argumente finden. Niemandem wäre mit langen und unwürdigen Diskussionen geholfen, ob ein Hibakusha nach 1950 an einem Krebs gestorben ist, der durch die Atombombe ausgelöst wurde (die RERF benutzt den Begriff excess cancer deaths), oder zu den etwa 91 Prozent der Fälle gehört, wo er andere Ursachen hat. Auch wer körperlich soweit den Angriff überstanden hat, dass er seine normale Lebenserwartung erreicht oder (inzwischen) übertrifft, trägt mit Sicherheit psychische Narben. Es gibt keinen Grund, nicht auch dem Leiden dieser Menschen zu gedenken.

Allerdings sind die inzwischen etwa 400.000 Namen auf den Rollen der Kenotaphe in Hiroshima und Nagasaki nach offizieller japanischer Lesart die Zahl der Menschen, die bis heute als direkte Folge der Atombomben gestorben sind. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass bei dem jetzigen Verfahren in einigen Jahrzehnten alle Bewohner von Hiroshima und Nagasaki vom August 1945 auf diesen Listen stehen werden.

(Zum nachrechnen: Die Bevölkerung beider Städte betrug direkt vor den Angriffen nach japanischen Angaben [PDF] bis zu 620.000 Menschen. Zählen wir die Namen auf den beiden Totenrollen und die Zahl der noch lebenden Hibakusha zusammen, kommen wir etwa auf 640.000 Menschen. Die Differenz lässt sich durch das oben beschriebene Fehlen von genauen Daten erklären.)

Entsprechend gibt es den Vorwurf aus den USA, Japan manipuliere die Opfer-Angaben, um auf die größtmögliche Zahl zu kommen, nämlich die aller Bürger der Städte. Während man sich mehr oder weniger auf die Opferzahl bis Ende 1945 einigen kann, werden diese japanischen Angaben als viel zu hoch (und oft als politisch motiviert) abgelehnt. Japan sieht seinerseits keinen Grund, das Verfahren zu ändern.

Wir finden die Ausläufer dieses Streits in den vorsichtigen Formulierungen der angelsächsischen Medien zu den Gedenkveranstaltungen (Hervorhebung hinzugefügt):

Nagasaki’s toll from the bomb […] is updated every year by the Japanese government which keeps a record of victims it says die of radiation illness.

In Deutschland weiß man nichts von dem Streit über die Totenlisten. Entsprechend war in den vergangenen Tagen in der Presse (und auf Blogs) einfach von „400.000 Atombombentoten“ die Rede. In Wirklichkeit ist das die Gesamtzahl der bis heute verstorbenen Bewohner von Hiroshima und Nagasaki, die sich zur Zeit der Angriffe dort aufhielten, ohne Berücksichtigung der Todesursache. Das liest sich natürlich etwas sperriger.

Ja, aber wie viele Menschen sind jetzt wirklich bis heute als Folge der Atombomben gestorben? Der oben beschriebene Streit verhindert einen Konsens. Da etwas wie „mehr als 150.000 und weniger als 400.000“ nicht sonderlich hilfreich ist, lassen wir die Frage in diesem Blog offen.

Ohnehin kommt nach jeder längeren Diskussion über die Toten in Hiroshima und Nagasaki die Zeit für einen reality check, wie wichtig ganz genaue Angaben wirklich sind. Die einzig sinnvolle Antwort auf die Frage, wie viele Menschen durch die Atombomben starben, lautet am Ende immer: Zu viele.

(Nächster Eintrag der Serie: „Der Jahrestag der dritten Atombombe“)

([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire Penguin Books 1999)

I think I can I think I can

August 8, 2008

Wir waren letztens ziemlich biestig zu der guten Frau Pink und wollen sie heute mit einem Hinweis auf anderes Lied als „Mr. President“ entschädigen.

In „Oh My God“ von dem Album Try This geht es offenbar um die gleichen sexuellen Vorlieben wie sie Buffy in Heft 14 an den Tag legt. Das interessiert uns aber weniger als die gesprochene Stelle nach etwa drei Minuten, die da lautet:

My little red engine says „I think I can I think I can“

Den Spruch finden wir an vielen anderen Orten, zum Beispiel bei LOL Cats.

I think I can ist der zentrale Satz des amerikanischen Kinderbuch-Klassikers The Little Engine That Could (1954). Die Geschichte handelt von einer kleinen tapferen Lokomotive, die trotz großer Schwierigkeiten einen liegengebliebenen Zug mit Spielzeug und Süßigkeiten zu armen Kindern zieht, die sehnsüchtig darauf warten. Der Penguin-Verlag beschreibt das Werk so:

The Little Engine That Could, written by Watty Piper and published by Penguin Young Readers Group, is one of the greatest tales of motivation and the power of positive thinking ever written.

Anders formuliert ist es ein Mittel, um kleinen US-Bürgern den berühmten amerikanischen Optimismus einzutrichtern, der so häufig die von the weltschmerz gepeinigten Europäer in den Wahnsinn treibt.

Der Krieg gegen Japan, Teil 2: Ketsu-Go: Japans letzter Plan

August 2, 2008

We can no longer direct the war with any hope of success. The only course left is for Japan’s one hundred million people to sacrifice their lives by charging the enemy to make him lose the will to fight.

– Lagebericht im Kaiserlichen Hauptquartier, Juli 1944 [1]

Wieso standen die Amerikaner im Sommer 1945 überhaupt vor der Frage, ob sie die Atombombe einsetzen, eine Invasion starten oder eine Blockade errichten sollten? Warum kämpfte Japan noch?

Militärisch war die Lage jenseits von hoffnungslos. Bei der Schlacht von Midway Juni 1942 hatte die US-Flotte die Wende eingeleitet. Guadalcanal war verloren. Nach einem Durchbruch bei der Bombertaktik äscherten hunderte B-29 im März 1945 Tokio ein und töteten bis zu 120.000 Menschen [2]. Weitere Städte folgten. Im April 1945 eroberten die USA Okinawa, zwar keine Hauptinsel, aber schon Teil des japanischen Kerngebietes.

Auch wirtschaftlich war das Reich am Ende. Den amerikanischen U-Booten und Minenlegern war gelungen, was den deutschen „Wolfsrudeln“ versagt geblieben war: Den Feind von seinen Rohstoffen abzuschneiden. Ab Januar 1945 kam kein Gummi mehr in Japan an, die Öl-Importe versiegten im März. Die Rüstungsindustrie hatte im Oktober 1944 ihren Höhepunkt erreicht und baute mit dem Beginn der schweren Bombardierungen deutlich ab: Allein von März bis April 1945 sank die Produktion um elf Prozent. Wurden im Juni 1944 noch 5090 Flugzeugmotoren gebaut, lag die Zahl im Juli 1945 bei 1257.

Auch Nahrung war entweder kaum vorhanden oder konnte nicht transportiert werden. Im Durchschnitt hatte jeder Japaner 1945 etwa 1.680 Kalorien pro Tag zur Verfügung. Bis zu einem Viertel der Stadtbevölkerung litt an Mangelernährung. Selbst die lebensnotwendige Mindestmenge an Salz konnte kaum noch bereitgestellt werden. Neben Hungersnöten drohten im ganzen Land Aufstände. Die Regierung hatte panisch Angst vor einer kommunistischen Revolution und sah zeitweilig darin die eigentliche Gefahr für ihre Existenz [1][2].

Nun war die Situation des Dritten Reichs vor Kriegsende nicht grundsätzlich besser. Es gab aber einen wichtigen Unterschied: Japan wurde nicht von Wahnsinnigen geleitet. Niemand schob in einem Führerbunker Phantomarmeen hin und her (oder ließ 90 Prozent seiner Generäle hinrichten). Das japanische Militär, die japanische Regierung und auch Kaiser Hirohito wussten – wie das Zitat am Anfang zeigt – schon mindestens ein Jahr früher, wie es um sie stand.

Allerdings war Japan seit 2.000 Jahren nicht erobert worden und hatte nicht vor, sich jetzt erobern zu lassen und schon gar nicht von den Amerikanern. Es musste einen anderen Weg als die Kapitulation geben.

Das japanische Militär ging bei seinen Überlegungen von zwei Annahmen aus:

„Amerikaner haben keine Geduld.“ Die Alliierten würden die schnelle Entscheidung in einer Invasion suchen, statt eine Blockade zu errichten. Der Glaube an das fehlende Durchhaltevermögen der Amerikaner prägte schon die Einstellung des japanischen Militärs vor Pearl Harbor, wie der Historiker Edward Drea bemerkt:

Americans [were] products of liberalism and individualism and incapable of fighting a protracted war.

Dazu passte die zweite Vorstellung:

„Amerikaner haben Angst vor Verlusten.“ Als faktische Militärdiktatur mit einer Jahrhunderte alten Kriegertradition könne Japan deutlich höhere Totenzahlen verkraften als die demokratische USA. Die Schlacht von Okinawa schien das zu bestätigen: Nach dem Tod von 12.500 US-Soldaten bei der Invasion – drei Mal so viele wie in fünf Jahren Irak-Krieg – wurden die Amerikaner merklich unruhig. Die 92.000 gefallenen japanischen Soldaten waren dagegen für Tokio bei allem Bedauern kein Problem; während des ganzen Kriegs lag das Verlust-Verhältnis etwa bei 10:1. Die schätzungsweise 100.000 toten Zivilisten waren für die Regierung schlicht irrelevant [2].

Dazu kam noch ein dritter Punkt. Eine Invasion von Japan ist wegen der gebirgigen Landschaft nur an zwei Stellen vom Pazifik aus sinnvoll: In der Ebene von Kanto [PNG] bei Tokio und an der Südküste von Kyushu [JPG], der südlichsten Hauptinsel. Das wussten die Amerikaner, das wussten die Japaner, und beiden Seiten war klar, dass für den ersten Schritt eigentlich nur eine Invasion von Kyushu infrage kam.

Aus diesen drei Komponenten formte Japans Führung Ende 1944 eine Strategie, die Generalleutnant Seizo Arisue nach dem Krieg so zusammenfasste:

If we could defeat the enemy on Kyushu or inflict tremendous losses, forcing him to realize the strong fighting spirit of the Japanese Army and people, it would be possible, we hoped, to bring about the termination of hostilities on comparatively favorable terms.

In einer letzten, großen Schlacht auf heimischem Boden sollten den Alliierten massivste Verluste zugefügt werden. Erst danach – und keinen Tag früher – sollten Gespräche begonnen werden. Die ausgebluteten und traumatisierten Amerikaner würden dann, so die Überlegung, deutlich bessere Bedingungen anbieten.

Am 20. Januar 1945 wurde mit dem Segen des Kaisers die entsprechende strategische Direktive erlassen.

(Erst spät wurde bekannt, dass Hirohito mehr tat als nur formell die Entscheidung abzunicken. In seinen Memoiren, die bis zu seinem Tod 1989 zurückgehalten wurden, bestätigte er, noch bis Juni mit ganzem Herzen diese Strategie unterstützt zu haben. Das ist einer der Gründe für die bis heute auf verschiedene Arten vorgetragene Forderung, Hirohito als Kriegsverbrecher einzustufen.)

Der konkrete Plan wurde im April 1945 fertiggestellt und trug den Namen Ketsu-Go – der „entscheidende“ Einsatz. Japan setzte alles auf eine Karte. Etwa 900.000 Soldaten gruben sich in Kyushu ein, mehr als die heutigen Streitkräfte von Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammen.

Dabei wurde eine umfassende Anwendung von tokko-Taktiken – Selbstmordangriffe – befohlen. Etwa 5.500 kamikaze-Flugzeuge standen bereit, sich in stündlichen Wellen von 300 bis 400 Maschinen auf die Invasionsflotte zu stürzen. Dazu kamen etwa 1.300 Boote und U-Boote für Selbstmordangriffe. Die Planer gingen davon aus, die Hälfte der Flotte noch auf See zerstören zu können.

Am 23. März verfügte das Kabinett zudem die Mobilisierung der gesamten Bevölkerung, das japanische Gegenstück zum „Volkssturm“. Alle Männer im Alter von 15 bis 60 Jahren und alle Frauen von 17 bis 40 Jahren waren betroffen. Allein für Kyushu betrug die Zahl dieser Kämpfer mehr als eine Million.

Da es weder ausreichend Waffen noch Uniformen gab, wurden primitive Stoßwaffen wie Holz- und Bambusstangen verteilt. Dem Schulmädchen Yukiko Kasai wurde eine Ahle ausgehändigt mit den Worten [1]:

Even killing just one American soldier will do. […] You must aim at the enemy’s abdomen.

Es kam nicht dazu.

Mit dem Wissen über Ketsu-Go wird klarer, warum Japan nach den Atombomben kapitulierte. Kantaro Suzuki, Ministerpräsident von April bis August 1945, erklärte nach dem Krieg die Sichtweise des Militärs zu den Folgen von Hiroshima und Nagasaki auf die Strategie so:

They proceded with that plan until the atomic bomb was dropped, after which they believed that the United States would no longer attempt to land when it had such a superior weapon […] so at that point they decided that it would be best to sue for peace.

Wenn die Amerikaner in der Lage waren, Japan einfach Stück für Stück zu vernichten, würde es keine Invasion geben. Ohne Invasion war Ketsu-Go sinnlos. Eine Kapitulation war der am wenigsten schlechte Schritt. Nicht alle japanischen Militärs folgten dieser Logik – viele wollten bis zum „ehrenvollen“ Untergang weiterkämpfen. Aber genug, um den Krieg zu beenden. Auch beim Kaiser hatte ein Umdenken stattgefunden.

Damit kommen wir wieder zu dem Punkt, wo sich die Geister scheiden.

Die einen weisen auf Ketsu-Go und sehen die Einsatz der Atombomben gerechtfertigt, weil nur sie ein Umdenken einer kritischen Zahl von Militärs bewirken konnten. Eine Invasion hätte, so das Argument, wegen Ketsu-Go dramatisch höhere Totenzahlen mit sich gebracht. Die anderen sehen diesen Mechanismus zwar auch, fragen sich aber, ob man die Bomben wirklich über Städte einsetzen musste. Wäre nicht der gleiche Aha-Effekt aufgetreten, wenn man sie auf dünn besiedeltem Gebiet vorgeführt hätte?

Darüber werden wir hier nicht diskutieren. Auch dass Ketsu-Go darauf hinauslief, einfach so viele Amerikaner wie möglich zu töten, ihnen „ein letztes Blutbad“ [3] aufzuzwingen, soll hier kein Thema sein. Es war Krieg.

Stattdessen sollte man sich klar machen, was der Plan für die japanische Bevölkerung bedeutet hätte: Mehr als eine Million Tote für eine Sache, von der die japanische Führung genau wusste, dass sie verloren war. Das japanische Volk sollte zu Hunderttausenden für eine schwache Hoffnung auf eine bessere Verhandlungsposition geopfert werden, ohne dass man sich die Mühe gemacht hatte, den bestehenden Spielraum auszuloten. Dass Japan am Ende – nach den Atombomben – deutlich mildere Auflagen bekam als Deutschland und sogar Kaiser Hirohito behielt, zeigt, wie groß dieser Raum vielleicht hätte sein können.

Ketsu-Go gehört damit zu den großen Was-Wäre-Wenn-Momenten des Kriegs. Was wäre passiert, wenn Japan nicht Anfang 1945 alle Gespräche kategorisch ausgeschlossen hätte? Hätten die Alliierten wirklich Verhandlungen ablehnen können, wenn aus Tokio noch vor der Kapitulation Deutschlands und lange vor der Potsdamer Erklärung ein öffentliches, offizielles Gesprächsangebot gekommen wäre, egal wie unverbindlich?

Wir werden das alliierte Gegenstück zu Ketsu-Go, Operation Downfall, in einem späteren Eintrag besprechen.

(Nächster Eintrag der Serie: „Die Totenzahlen der Atombomben“)

([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire. Penguin Books 1999 [2] Marius B. Jansen The Making of Modern Japan Harvard University Press 2000 [3] Hugh Borgan The Penguin History of the United States 2nd edition 1999)