Archive for Juni, 2006

Kurz erklärt: Wo das Pentagon liegt

Juni 29, 2006

Das Pentagon, also das US-Verteidigungsministerium, liegt nicht in der Hauptstadt Washington, sondern in Arlington, Virginia. Das ist nur nahe Washington, eine Formulierung, die sorgfältige Journalisten benutzen, wenn sie richtig liegen, aber nicht ihre Leser verwirren wollen.

Als Faustregel kann man sich merken, dass alle Gebäude südlich des Flusses Potomac (Bild siehe hier) in Virginia liegen. Insbesondere die Stadt Quantico, in deren Nähe eine Akademie des FBI (siehe Schweigen der Lämmer) und ein Stützpunkt der Marines liegen, sind nicht in Washington. Das Gebiet hätte zwar nach den ursprünglichen Plänen auch zum Regierungsdistrikt gehören sollen, aber Virginia wollte dann im 19. Jahrhundert das Land wiederhaben.

Neben dem Pentagon liegt der Nationalfriedhof Arlington, in dem unter anderem Tote aus allen Kriegen liegen, an denen die USA beteiligt waren, vom Unabhängigkeitskrieg bis zum jetzigen Irak-Krieg. Allgemein finden die Amerikaner es nicht schlecht, dass ihre Militärs gewisse Dinge im Blick behalten müssen.

Kurz erklärt: Eheringe

Juni 27, 2006

Amerikaner tragen ihre Eheringe an der linken Hand. Warum das so ist, ist scheinbar nicht klar. Diverse mehr oder weniger verlässliche Quellen im Internet führen es auf die Römer zurück, bei denen der linken Hand eine besondere Verbindung zum Herzen nachgesagt wurde. Diesem Autor wurde die Wahl auch damit begründet, dass so bei den meisten Leuten die rechte Hand als „Hauptarbeitshand“ frei bleibt.

Die Kombination von linker Hand bei Amerikanern und rechter Hand bei Deutschen führt in binationalen Ehen nicht nur zu verwirrten Gesichtern bei der Trauung. Hält man auf der richtigen Seite Händchen, kann man die Ringe klimpern lassen. Nur Glockenläuten ist schöner, zumindest wenn man mit der Schönsten Germanin verheiratet ist.

Die Grobstruktur der USA (oder wo man vor Bush am sichersten ist)

Juni 25, 2006

Seit Jahren muss sich dieser Autor Erklärungen von diversen Mitmenschen anhören, dass man ja nicht in die USA reisen oder ziehen könne, weil dort George W. Bush an der Macht ist. Der Hinweis, dass genau das Gegenteil der Fall ist, dass man nirgendwo auf der Welt so sicher vor einem amerikanischen Präsidenten ist wie in den USA selbst, führt erfahrungsgemäß zu fotoreifen Gesichtsausdrücken. Die wenigsten Bush-Kritiker wissen offenbar, wie wenig Einfluss der Präsident und überhaupt die ganze Bundesebene auf die amerikanische Innenpolitik hat.

Um diese Wissenslücke zu schließen, wollen wir heute den grundsätzlichen Aufbau, sozusagen die Grobstruktur, der USA besprechen. Zumindest die amerikanische Tourismus-Industrie sollte das freuen.

Bei den „Vereinigten Staaten von Amerika“ ist der Name Programm: Es handelt sich um einzelne, souveräne Staaten, die einige wenige Aufgaben an einen Überbau abgegeben haben. Sehr wenige Aufgaben, so wenige, dass die USA noch nicht einmal einen Innenminister haben (es gibt zwar einen Secretary of the Interior, aber er ist hauptsächlich für die Nationalparks und die Beziehungen zu den Indianern zuständig). Die Faustregel lautet, dass der Bund sich um die Außenpolitik und einige länderübergreifende Dinge kümmert und der Rest bei den einzelnen Staaten bleibt, insbesondere der Teil, der mit dem Alltag der Bürger zu tun hat.

Das ist vereinfacht dargestellt, denn die Grenzen sind in den vergangenen 220 Jahren an einigen Stellen verwischt worden. Besonders seit dem Bürgerkrieg hat der Bund seinen Einfluss immer weiter vergrößert – aber das behandeln wir später, wie auch die Änderungen im Rahmen des New Deal. Als Faustregel reicht es erstmal.

Jeder der 50 Staaten hat eine „residuale Souveränität“. Sie haben eigene Heere und Luftwaffen (die Nationalgarden), komplett eigene Rechtssysteme, erheben getrennt vom Bund ihre Steuern, entscheiden eigenständig darüber, wer Alkohol trinken und wer heiraten darf. Sie sind für die Bildung wie auch für die Gesundheit zuständig – so hat Massachusetts gerade eine Pflichtversicherung eingeführt. Auch bei der bundesweiten Krankenversicherung für Bedürftige, Medicaid, legen die Bundesstaaten fest, wer genau Anspruch auf Leistungen hat. Die Altersvorsorge Social Security ist dagegen ein Bundesprogramm.

Auch über Dinge wie die Sommerzeit entscheiden die Bundesstaaten. Arizona zum Beispiel stellt die Uhren nicht um mit der Begründung, dass man schon mehr als genug Sonne habe. Interessanterweise haben die Navajo, deren Nation zum großen Teil in Arizona liegt, nicht mitgezogen, weswegen eine Ecke von Arizona doch die Sommerzeit hat. Aber nicht die ganze Ecke: Innerhalb des Navajo-Gebietes liegt die Hopi-Nation, und da gibt es wieder keine Sommerzeit. Allein daraus kann man schließen, dass die beiden Stämme sich nicht wirklich mögen, aber das ist ein Thema für einen anderen Eintrag.

Wir können die Frage der Souveränität auch von der anderen Seite aufziehen. Es gibt kein Einwohnermeldeamt in den USA, keine bundesweiten Personalausweise, keinen landesweiten Führerschein und kein Bundesgesetzbuch in der Art, wie man es in Deutschland kennt. Das Justizsystem des Bundes ist von dem der Bundesstaaten getrennt. Die Steuern auf Benzin, Zigaretten und Bier sind von Bundesstaat zu Bundesstaat und oft von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Der Bund kann nicht die Mehrwertsteuer erhöhen, weil die sales tax sich wie viele andere Steuern aus einem Anteil des Bundesstaates und der Kommune zusammensetzt.

Die USA sind also ein janusköpfiges Gebilde: Der Bund ist nach außen gewandt, die einzelnen Staaten nach innen. Beide kontrollieren sich gegenseitig: Der Bund sorgt dafür, dass kein Staat seine Nachbarn anfällt oder plötzlich eine Diktatur ausruft. Die Staaten sorgen gemeinsam dafür, dass der Bund nicht ausrastet. In den Federalist Papers werden die USA daher auch als eine compound republic bezeichnet.

Damit ist Landes- und Kommunalrecht in den USA ungleich wichtiger als in Deutschland, wo die meisten zentralen Fragen auf Bundesebene entschieden werden. Für Europäer ist es vielleicht am einfachsten, sich die USA nicht wie Deutschland vorzustellen, sondern wie die Europäische Union, nur dass Brüssel sich inzwischen wesentlich mehr in das tägliche Leben des Bürgers einmischt als Washington. Diese Sichtweise trifft auch die Einstellung der Amerikaner zu ihrer Bundesregierung: Geldverschwender, Schmarotzer, eine Quelle von ausufernder Bürokratie, deren Mitglieder sich nur in die eigene Tasche wirtschaften. Brüssel halt.

Hat man erstmal begriffen, wie wenig die US-Regierung im eigenen Land zu sagen hat, werden viele andere Dinge verständlich:

Wenn Bush davon redet, die Steuern zu senken, betrifft das nur die Bundessteuern, nicht die Gesamtsteuern. Das ist etwa so, als würde die EU erklären, dass sie das viele Geld nicht braucht und gerne einige Milliarden an die einzelnen Mitgliedsstaaten zurückgeben würde. Land und Kreis erheben trotzdem weiter die Steuern, von denen sie glauben, dass sie sie brauchen. Wer sich wundert, warum viele US-Bürger einer landesweiten allgemeinen Krankenversicherung skeptisch gegenüberstehen, soll sich überlegen, wie es wäre, wenn die EU alle nationalen Versicherungen durch eine zentrale, von Brüssel gelenkte würde ersetzen wollen.

Die Aufgabenteilung zwischen Bund und Bundesstaaten ist auch einer der größten Streitpunkte zwischen Demokraten und Republikanern. Die Demokraten wollen viele Aufgaben – insbesondere soziale – dem Bund übertragen, während die Republikaner sie bei den einzelnen Staaten belassen wollen. Um bei dem Modell der EU zu bleiben: Die Demokraten wollen, dass die Entscheidungen in Brüssel und nicht in Berlin getroffen werden, während die Republikaner auf die nationale Autonomie pochen. Was einer der Gründe ist, warum so viele Amerikaner die Republikaner wählen: Sie sind sozusagen die Euro-Skeptiker Amerikas.

Da große Teile der deutschen Presse die Aufgabenteilung von Bund und Bundesstaaten nicht verstehen, werden die Republikaner fälschlicherweise als grausame Ultra-Kapitalisten dargestellt, die alle sozialen Errungenschaften abschaffen wollen. Meistens geht es aber nur um die Frage, ob diese Aufgaben beim Bund oder den Bundesstaaten besser aufgehoben sind. Der Streit tobt in verschiedenen Formen schon seit vor der Gründung der USA, wie die Federalist Papers zeigen. Es ist ein Problem in allen föderalen Staaten: Ähnliche Fragen klärt Deutschland im Moment mit der Föderalismusreform.

So weit so gut. Aber leider ist die Situation in den USA noch komplizierter.

Die Kommunen haben in vielen Bundesstaaten einen Grad an Autonomie, den Europa seit den griechischen Stadt-Staaten der Antike nicht mehr gesehen hat. Auch sie ziehen selbst Steuern ein, können die Verkehrsordnung ändern, selbst Gesetze zu Verschlüsselungen beim WiFi erlassen. Was Pornografie ist, entscheidet nach dem „Miller Test“ die Gemeinde. Eine landesweite Zensurbehörde – Entschuldigung, Indizierungsbehörde – wie die Bundesprüfstelle in Deutschland gibt es nicht. Der Sheriff eines Landkreises wird direkt von den Bürgern gewählt. Jede Stadt stellt ihre eigene Polizei, deren Befugnisse an der Stadtgrenze enden und die nur der Regierung der Stadt gehorcht. In Amerika gibt es tausende Waffengesetze, da der Bund nach dem Second Amendment nicht in diesem Bereich tätig werden darf.

Die USA als einen einzelnen Staat zu sehen, ist also eigentlich schon falsch. Aber das Land besteht auch nicht wirklich aus 50 Bundesstaaten, sondern vielmehr aus 3.600 Kommunen. Dazu kommen mehr als 560 autonome Indianer-Nationen als sovereign domestic nations. Wenn man es ganz genau nimmt, müsste man auch die ganzen anderen Sonderverwaltungszonen wie school zones und Universitäten dazu nehmen, die alle eine gewisse Autonomie haben. Man kommt dann auf etwa 85.000 Verwaltungseinheiten – alles mehr oder weniger unabhängige, nach außen abgeschlossene Module. Der gemeine Amerikaner würde insbesondere auf eine Eigenschaft dieser Module hinweisen wollen: Alle wollen sein Geld. Meist werden deren Steuern nämlich direkt und zweckgebunden erhoben.

Noch eine Besonderheit gibt es: Die USA sind nur auf oberster Ebene eine repräsentative Demokratie.

Je weiter man in der Hierarchie hinabsteigt, desto mehr Elemente einer direkten Demokratie kommen hinzu – Volksentscheide zum Beispiel, wie in der Schweiz. Dabei werden auch Fragen wie die Abschaffung der Einkommensteuer eines Bundesstaates oder den Ausbau des Nahverkehrssystems gerne mal vom Volk entschieden. Da Ämter und Posten in den USA so gut wie immer über Direktwahl bestimmt werden – die große Ausnahme ist der Präsident – hat der einzelne Bürger damit einen sehr großen Einfluss auf die Dinge, die unmittelbar sein Leben bestimmen.

Jetzt können wir auch eine Frage beantworten, die Europäer alle vier Jahre wieder zur Verzweiflung treibt: Warum es viele US-Bürger scheinbar nicht interessiert, wer ihr Präsident wird. Die Wahlbeteiligung auf Bundesebene ist tatsächlich vergleichsweise niedrig. Der Grund liegt aber nicht in einem allgemeinen politischen Desinteresse der Amerikaner, sondern einfach daran, dass der Bund für das Leben des Durchschnittsbürgers kaum eine Rolle spielt. Wesentlich wichtiger für ihn ist die Politik auf Landes- und Kommunalebene, wo er zudem einen großen und direkten Einfluss hat. Amerikaner sind ihrerseits völlig entsetzt, wie wenig sich Deutsche für Lokalpolitik interessieren. Oft wissen diese ja nicht einmal, wie der Polizeipräsident ihrer Stadt heißt.

Die jeweilige Haltung ist damit für das jeweilige politische System richtig – die Deutschen mit ihrer Betonung der Bundesebene und die Amerikaner mit ihrer Konzentration auf die Kommunalebene. Der Bürger ist halt nicht doof, zum Glück für beide Staaten und für die Demokratie an sich.

Und damit sind wir wieder bei den Bush-Gegnern. Die Idee, nicht in die USA zu reisen, weil Bush an der Macht ist, ist etwa so sinnvoll wie die Stornierung einer Deutschland-Reise, weil Jose Manuel Barroso Präsident der EU-Kommission wurde. Die amerikanischen Bush-Kritiker wissen das und verlassen trotz ihrer demonstrativen Agonie ja auch nicht das Land. Unter Bush gibt es keine Auswanderungswelle. Auch Michael Moore wohnt weiter in New York.

Also: Wer Nachts nicht schlafen kann, weil er sein Leib und Leben durch George W. Bush bedroht sieht, für den gibt es eigentlich nur eins: Ab in die USA! Dieser Autor kann Arizona empfehlen, schon wegen der endlosen Sonne. Nur bitte auf die richtige Urzeit achten, wenn man die Indianer besucht.

[Überarbeitet 10. April 2007. Ergänzt 8. Mai 2007: Link zum 14. Verfassungszusatz. Ergänzt 22. Jan 2011: Link zum Eintrag über den New Deal]

Kurz erklärt: „Administration“ vs „Government“

Juni 21, 2006

In den USA ist mit government nicht nur der Präsident und sein Kabinett gemeint, sondern der gesamte Apparat des Bundes. Die federal government umfasst also auch den Kongress, den Obersten Gerichtshof und alle anderen Bundesbehörden. Die „Regierung“ im europäischen Sinn ist die administration. Deswegen wird von der Bush-administration gesprochen und nicht von der Bush-government.

Nur damit es noch verwirrender wird: In Großbritannien ist die government die Regierung wie im restlichen Europa. Eine administration gibt es da nicht.

Inzwischen hält das Wort „Administration“ auch in Deutschland Einzug. Das vermeidet zwar Missverständnisse, ist aber unschön und macht als Anglizismus die Sprachbürgerwehr unglücklich. Besser ist es, bei administration einfach „US-Regierung“ zu schreiben. Bei government kann man dann von der „Bundesebene“ sprechen oder ausdrücklich sagen, was man eigentlich meint, auch wenn es länger dauert.

Amerikaner und Fußball (und etwas American Football)

Juni 18, 2006

Die Schönste Germanin hat wiederholt erklärt, dass dieser Blog sich doch einmal mit der Fußball-WM beschäftigen sollte. Die Einwände dieses Autors, dass er sich nur marginal dafür interessiert und viel lieber über etwas ur-amerikanisches wie den Superbowl schreiben würde, sieht sie nur als Bestätigung der dringenden Notwendigkeit. Auch den Hinweis, dass schon andere,
prominentere Blogger über die WM schreiben, lässt sie nicht gelten.

Also, aus aktuellem Anlass ein Eintrag über Fußball in den USA. Seufz.

Fußball – genauer, soccer – war früher in den USA unbekannt, eine exotische Sportart aus fremden Ländern, ähnlich wie dieses komische Spiel, das berittene Afghanen mit Tierkadavern treiben. Das ist nicht mehr so. Im Jahr 2003 gab es rund 18 Millionen Aktive und damit drei Mal so viele wie selbst der DFB Mitglieder hat. Der Begriff soccer mom – die Spießermutter der oberen Mittelschicht, die ihre Kinder artig zum Fußball fährt – zeigt zudem, wie sehr Fußball inzwischen Teil der amerikanischen Gesellschaft geworden ist. Soccer ist die beliebteste Sportart an amerikanischen Universitäten, mit einer Teilnehmerzahl, die seit 1990 um fast 200 Prozent zugenommen hat – bei den Frauen zumindest.

Es gibt auch echte Ligen, wie in den USA üblich allerdings ohne Auf- oder Abstieg und die Mannschaften haben auch nicht brave Namen wie in Europa, sondern heißen New Jersey Wildcats oder Minnesota Thunder. Es ist auch nicht so, dass die amerikanischen Spieler schlecht sind, auch wenn in dieser WM die Vorrunde wieder einmal Endstation sein könnte: Die USA waren immerhin zwei Mal Weltmeister (1991 und 1999) und zweimal Olympiasieger (1996 und 2004) – bei den Frauen.

Das ist einer der wichtigsten Unterschiede: In den USA ist Fußball keine Männerdomäne, der Frauenanteil liegt bei 40 Prozent. Frauenfußball findet dabei auch nicht wie in Europa fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zum Endspiel USA gegen China im Jahre 1999 kamen 90.000 Zuschauer. Die WM 2003 fand auch in den USA statt, aber da das Turnier wegen des SARS-Ausbruchs in China in letzter Minute verlegt wurde, sind die Besucherzahlen für das Finale – immerhin 26.000 für Deutschland gegen Schweden – vielleicht nicht repräsentativ. Ja, Deutschland wurde Weltmeister.

Also. Millionen Amerikaner spielen selbst Fußball und die Frauen gehören zur Weltklasse. Die Männer haben sich immerhin für die WM qualifiziert und Italien – Italien! – gestern ein Unentschieden abgetrotzt. Aber wo bleibt die Begeisterung? Wo bleiben die Fernsehzuschauer und mit ihnen das große Geld? Warum steht das Land nicht wie die meisten westlichen Staaten vier Wochen still, weil alle an den Fernsehern kleben?

Als Zuschauersportart hat Fußball in den USA echte Probleme. Amerikaner wollen keine Sportart sehen, bei dem die Spiele regelmäßig unentschieden und oft sogar völlig torlos ausgehen. Die daraus entstandene Mentalität bei den Spielern – „ein Punkt ist auch schon etwas“ und ähnliche Sprüche – verbietet sich ihrer Ansicht nach bei so einem Gehalt. Hier ist win or die trying gefragt. Dass es beim Fußball keine echte Spielzeit gibt und es deswegen den Spielern frei steht, durch alle möglichen Tricks – besonders durch endloses Winseln auf dem Rasen nach (angeblichen) Fouls – Zeit zu schinden, wird nicht verstanden. Europäische Fußballzuschauer tolerieren zudem einen Anteil von Fehlentscheidungen, der in den USA Amokläufe auslösen würde. Nicht umsonst hat American Football gleich sieben spezialisierte Schiedsrichter und die Möglichkeit, per Videobeweis deren Entscheidungen anzufechten.

Hart, aber wahr: Fußball gilt im Vergleich zu den vier klassischen US-Sportarten American Football, Baseball, Basketball und Eishockey schlicht als langweilig. Sehr gut zum selberspielen, besonders für Kinder, aber nichts für den Fernseher. Am brutalsten fasste es vielleicht die „New York Times“ zur WM 1994 zusammen:

Americans teach their children to play soccer until they’re old enough to learn something more interesting.

Der größte Widersacher auf dem Bildschirm dürfte American Football sein. Football ist nur etwas weniger kompliziert als Schach – zum Beispiel dürfen nur bestimmte Spieler der Angriffsmannschaft überhaupt den Ball fangen. Es ist unter anderem diese Komplexität, die Football so spannend macht. Die Fußball-Regeln und erst recht die Fußball-Taktik wirken im Vergleich bestenfalls schlicht, etwa wie Dame, um bei Brettspielen zu bleiben.

Man kann die weltweite Situation nämlich auch so darstellen: Fußball ist dort eine Zuschauersportart, wo kein Football gezeigt wird. Etwas frech, sicher, aber wahr. Damit sind übrigens nicht nur die USA gemeint, da die Kanadier auch eine Variante namens Canadian Football spielen. Daher lautet die Frage nicht, warum die Amerikaner kein Fußball gucken, sondern warum Nicht-Amerikaner (und Nicht-Kanadier) kaum Football schauen.

Besagte Regeln sind das größte Problem: Was Football faszinierend macht, macht den Zugang auch schwer. Wer die Grundprinzipien nicht mit der Muttermilch aufgesogen oder sie – bei einer extremen Soccer Mom – nicht zumindest auf dem Spielplatz gelernt hat, muss erstmal richtig büffeln. Wer davor keine Angst hat, muss dann immer noch eine Möglichkeit finden, ein Spiel zu sehen.

Das war lange Zeit in Deutschland unmöglich, wie dieser Autor aus leidvoller Erfahrung berichten kann. Inzwischen ist das anders. Die meisten Deutschen wissen zwar nicht, dass es eine einheimische Football-Liga gibt, die German Football League (GFL), natürlich mit Auf- und Abstieg, wie sich das für Europa gehört. Der American Football Verband Deutschland (AFVD) hatte nach eigenen Angaben im Januar 2005 aber immerhin etwa 24.000 Mitglieder und damit fast so viele wie der Deutsche Fechterbund. Der jährliche Zuwachs betrug etwa sieben Prozent.

Das sind die Leute, die spielen. Uns interessieren aber die Leute, die zuschauen. Zum Endspiel der GFL, dem German Bowl 2005 in Hannover, kamen knapp 20.000 Zuschauer, zum Endspiel der NFL Europe, dem World Bowl in Düsseldorf, etwas mehr als 36.000. Trotz ihres Namens ist die NFL Europe dabei eigentlich eine deutsche Liga: Von den sechs Mannschaften stammen nur noch die Amsterdam Admirals aus dem Ausland. Dass diese beim World Bowl von Frankfurt Galaxy besiegt wurden, beweist übrigens wohl hinreichend, dass gewisse Grundprinzipien quer über alle Sportarten hinweg gültig sind.

Eigentlich wäre es interessant zu wissen, wie viele Deutsche im Fernsehen Football gucken würden, wenn sie es nur könnten. Dazu müssten entweder die GFL-Spiele flächendeckend übertragen werden oder aber die NFL Europe aufhören, ihre Partien auf Bezahlsendern zu verstecken. Es gibt zwar in jeder größeren Stadt Superbowl-Partys, aber verständlicherweise sind die wenigsten Deutschen bereit, dafür bis vier Uhr Morgens aufzubleiben, auch wenn es nur einmal im Jahr ist.

Jetzt sind wir doch beim American Football und dem Superbowl gelandet. Wenn das die Schönste Germanin sieht. Schnell von Football in Deutschland zurück zu Fußball in den USA –

Wie wird es da weitergehen? Die Zahl der Aktiven wird mit Sicherheit zunehmen, schon allein weil die Zahl der Amerikaner weiter zunimmt. Das sind gute Nachrichten für die Nationalmannschaft, die darauf hoffen kann, von WM zu WM auf einen immer größeren Pool von Spielern zurückgreifen zu können. Die US-Frauen dürften aus dem gleichen Grund weltklasse bleiben. Die oberste US-Herrenliga, Major League Soccer (MLS), will 2007 die erste kanadische Mannschaft aufnehmen und bis 2010 einen Profit vorweisen können. Es geht voran.

Was Fußball als Zuschauersportart angeht, sollte man sich aber keine Illusionen machen. Die durchschnittliche Besucherzahl bei einem normalen MLS-Spiel lag 2005 bei etwa 15.000, zum MLS Cup kamen 21.100 Zuschauer. Die Medienpräsenz nimmt zwar zu und es dürfte im Moment leichter sein, in den USA Fußball zu sehen als in Deutschland Football, auch wenn man schon mal auf einen spanischen Sender ausweichen muss.

Trotzdem ist es utopisch zu glauben, dass Fußball in unseren Lebzeiten zu den big four aufschließen kann. Um auch nur eine Chance zu haben, müsste die FIFA schon größere Regelveränderungen vornehmen: Spiele dürften nicht mehr ständig unentschieden ausgehen und schon gar nicht torlos, es müsste eine echte Spielzeit eingeführt werden und jemand sollte endlich etwas gegen die Torverhinderungsregel unternehmen – „Abseits“ lautet wohl der formelle Name. Ein paar mehr Schiedsrichter und ein Videobeweis wären auch schön.

Diesem Autor wurde jedoch glaubhaft erklärt, dass der Vatikan im Vergleich zur FIFA ein Hort von Radikalen ist und dass eher Kardinäle einen Partner an die Seite bekommen werden als Fußball-Schiedsrichter. Schon gar nicht würde man die Regeln ändern, weil es einigen Amerikanern so nicht passt. Nur weil es der größte Sportmarkt auf dem Planeten ist!

Dieser Autor versteht das nicht, aber das hatte er schon am Anfang gesagt. Wahrscheinlich ist es für die allgemeine Völkerverständigung gut, dass es genug Leute wie die Schönste Germanin gibt, die alles gucken, Football wie Fußball, Baseball wie Badminton: Hauptsache Sport.

Kurz erklärt: Grammar Nazi und ähnliche Begriffe

Juni 14, 2006

Das Wort „Nazi“ wird auf Englisch zunehmend im Alltag benutzt für jemanden, der besessen von Regeln ist und dabei fanatisch und aggressiv auftritt. Die bekanntesten Beispiele sind grammar nazi und spelling nazi für Sprachpedanten sowie health nazi für Gesundheitsfanatiker, insbesondere radikale Nichtraucher. Das Wort hat in diesem Zusammenhang keine Verbindung mehr zum Faschismus. Das sieht man unter anderem daran, dass der berühmte Soup Nazi aus der TV-Serie Seinfeld mit echtem Namen „Yev Kasem“ (gespielt von Larry Thomas) heißen soll und alles andere als arisch aussieht.

Allgemein sind sich Deutsche nicht bewusst, wie viele Anspielungen auf den Nationalsozialismus – sprachliche oder sonstige – in amerikanischen und britischen Filmen zu finden sind, da sie bei der Synchronisation systematisch entfernt werden. So übersteht auch bei der TV-Serie Buffy the Vampire Slayer selbst ein ironisches „Heil“ der jüdischen (!) Figur Willow Rosenberg nicht die Eindeutschung (Folge „The Witch“, dt. Titel „Verhext“). Nur im Internet wird ungefiltert deutlich, wie normal diese Bilder und Phrasen inzwischen sind.

Der Gebrauch dürfte sich weiter ausbreiten und festsetzen. Ähnliche Vorgänge finden wir bei Wörtern wie „Vandalismus“, bei dem sich auch niemand mehr fragt, ob es für das bloße Beschmieren von Wänden wirklich angebracht ist.

Wie man eine Verfassung bewirbt: Die Federalist Papers

Juni 11, 2006

Die EU hat ein Problem: Ihre neue Verfassung ist unbeliebt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor einigen Tagen angekündigt, den Bürgern den Sinn und Nutzen der ganzen Sache näher bringen zu wollen, um das Projekt noch zu retten. Andere Leute wollen den Namen des Dokuments ändern, weil „Verfassung“ angeblich zu staatstragend klingt. Dieser Autor wird das irgendwann zum Anlass nehmen, hier die wunderbare amerikanische Erfindung des duck test vorzustellen, aber nicht heute.

Das Problem – wie die meisten der EU – ist dabei nicht neu. Vor 220 Jahren wurde schon mal eine neue Verfassung einer misstrauischen Gruppe von unabhängigen Staaten zur Ratifizierung vorgelegt. Auch damals mussten die Befürworter die Gegner überzeugen, dass es sich lohnt, Teile der eigenen Souveränität aufzugeben. Herausgekommen sind einige der wichtigsten Dokumente der US-Geschichte, die aber in Deutschland fast unbekannt sind: Die Federalist Papers. Es ist unmöglich, länger über die USA zu reden, ohne sie zu zitieren, und deswegen führen wir sie hier ein.

Im Vergleich zu damals hat es die EU eigentlich noch einfach: Wenigstens hat sie ein Mandat, eine neue Verfassung zu schreiben. Als 55 Delegierte im Mai 1787 in Philadelphia zusammenkamen und die Tür hinter sich zuzogen, sollten sie dagegen eigentlich nur kleinere Verbesserungen an den Articles of Confederation vornehmen, das Grundgesetz des losen Bündnisses, das die 13 Kolonien durch den Unabhängigkeitskrieg geführt hatte. Rhode Island hielt selbst das für dummes Zeug und entsandte keine Vertreter. Als im September dann die Tür aufging und die neue Verfassung veröffentlicht wurde, war die erste Reaktion daher auch etwas in der Art von You did what? dem nach einem ersten Lesen ein You’re kidding, right? folgte.

Denn niemand war wirklich glücklich über die Verfassung, einschließlich der Leute, die sie geschrieben hatten. Das ganze Dokument war ein einziges Bündel von Kompromissen, gespickt mit – für die damalige Zeit – radikalen Ideen. Wie man später erfuhr, hatte das schon bei der (selbsternannten) verfassungsgebenden Versammlung (constitutional convention) für Unmut gesorgt. Die Mitglieder des Repräsentantenhauses für gleich zwei Jahre zu wählen erschien nicht Wenigen als ein erster Schritt in die Tyrannei – alles länger als ein Jahr, so das Argument, würde die Abgeordneten zu sehr vom Volk entfremden. Warum wurde die Sklaverei nicht abgeschafft? Wo waren die Bürgerrechte? Die Trennung von Kirche und Staat war schön und gut, aber musste man deswegen gleich zulassen, dass auch Katholiken Ämter besetzen dürfen?

Einige Delegierte reisten noch während der Versammlung ab, andere verweigerten die Unterschrift. Größen wie Benjamin Franklin gingen mit einer „besser wird es wohl nicht“-Mentalität heran. Helden des Unabhängigkeitskrieges wie Patrick Henry attackierten die Verfassung scharf. In Leserbriefen an New Yorker Zeitungen verdammten Autoren mit Pseudonymen wie „Brutus“ und „Cato“ den Plan. Zwar hatten auch die Befürworter mächtige Verbündete – an erster Stelle George Washington selbst, der die zusammengewürfelten amerikanischen Truppen zum Sieg geführt hatte. Aber es war klar, das Projekt stand auf der Kippe.

Gerade New York war für eine Ratifizierung kritisch. Zwar mussten im Gegensatz zur EU nicht alle Staaten der Verfassung zustimmen, sondern neun der dreizehn. Ohne das bevölkerungsreiche New York wären die neuen Vereinigen Staaten aber nicht lebensfähig.

Und so machten sich drei Männer auf, in einer Serie von öffentlichen Briefen für die neue Verfassung zu kämpfen: Alexander Hamilton, später Finanzminister, John Jay, später Oberster Richter des Supreme Court, und James Madison, späterer Präsident. Sie wählten das Pseudonym „Publius“, nach dem legendären Begründer der römischen Republik, Publius Valerius Publicola.

In insgesamt 85 Texten – teilweise drei pro Woche – legen sie in New Yorker Zeitungen zuerst dar, warum die Articles unzureichend waren und warum eine engere Bindung nötig war. Dann gingen sie Schritt für Schritt durch die neue Verfassung, um die Einwände der Gegner zu widerlegen. Sie erklärten die Logik hinter der Struktur des neuen Staates, warum gewisse Dinge gewählt und die Alternativen verworfen wurden, alles um die Bürger zu überzeugen, dass ihre Rechte und Freiheiten ausreichend geschützt sein würden.

Der Rest der Geschichte ist bekannt: New York ratifizierte die Verfassung nach einer hitzigen Debatte am 26. Juli 1788. Zwei Jahre später stimmte zähneknirschend auch die letzte der ursprünglichen Kolonien zu: Rhode Island.

Die Papers sind nicht einfach zu lesen. Das Englische hatte damals noch eine (irgendwie germanisch wirkende) Neigung zu Schachtelsätzen und Fremdwörtern; von dem heutigen Ideal des
plain English war man noch mehr als 100 Jahre entfernt. Als gebildeter Europäer und Nordamerikaner war man mit Bildern aus der griechischen und römischen Antike zu einem Grad vertraut, den heute nur noch Geschichtsstudenten erreichen. Moderne Ausgaben haben lange, lange Fußnoten.

Und dennoch. Die Federalist Papers verfehlen auch heute ihre Wirkung nicht. Die Gedenkengänge hinter den Artikeln zu lesen, erklärt zu bekommen, warum das Repräsentantenhaus auf zwei Jahre gewählt wird, warum die Exekutive aus einem Präsidenten und nicht einem Rat besteht und warum die einzelnen Bundesstaaten weiter ihre Milizen (heute die Nationalgarde) behalten sollen, lässt die trockenen Paragraphen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Die Papers geben der amerikanischen Verfassung, wenn man so will, so etwas wie eine Seele. Und egal wie verquast der Stil ist, bis heute spricht aus ihnen noch eine glühende Leidenschaft für die Union. Eine Leidenschaft, die man bei der EU irgendwie kaum so findet.

Können wir darüber spekulieren, was Publius zur europäischen Verfassung gesagt hätte? Regel 1 verbietet uns leider derartige Ausflüge. Wären die Papers ein Modell für die Freunde der EU-Verfassung? Vielleicht. Allerdings waren schon damals nicht alle Zeitungsleser begeistert. Rettet uns vor dem schreibwütigen Publius! verlangten 27 entnervte Leser in einer Aktion von den Redakteuren. Egal wie wichtig die Politik sich vorkommen mag, manchmal gibt es aus Sicht der Bevölkerung wichtigere Dinge.

Vielleicht sollte Merkel zumindest bis nach der Fußball-WM warten.

[Überarbeitet 10. April 2007]

Deutsches im Spelling Bee und die englische Rechtschreibung

Juni 7, 2006

Andrew Hammel schreibt in seinem Blog „German Joys“ über eine sehr amerikanische Institution: Dem spelling bee, eine Art Buchstabierwettbewerb. Anlass ist der Sieg der 13-jährigen Katharine „Kerry“ Close in diesem Jahr ausgerechnet mit einem deutschen Wort: „Ursprache“. Andrew befasst sich in einem englischen Text mit deutschen Wörtern, daher will ich den Gefallen erwidern und in einem deutschen Text etwas über englische sagen.

Der Spelling Bee ist eine amerikanische Erfindung, die sich inzwischen auch in andere Länder ausgebreitet hat, wo Kinder mit der bizarren Rechtschreibung des Englischen gequält werden. Das in 1925 landesweit eingeführte Verfahren besteht in etwa darin, dass der Lehrer ein Wort ausruft, der Schüler es wiederholt und es dann buchstabiert. Scripps veranstaltet ihren Bee – der Ursprung des Wortes ist unklar – seit 1941. Wie man an Close sieht, ist das alles nicht mehr nur ein lustiger Zeitvertreib für Wortfetischisten: Sie erhält mehr als 30.000 Dollar und das Finale wurde live auf ABC übertragen. Auch Erwachsene halten Wettbewerbe ab. Und das alles nur, weil das Englische eine historische und keine wirklich phonetische Rechtschreibung mehr hat.

Ja, aber warum ändert man das denn nicht endlich, lautet der verzweifelte Ausruf eines jeden Menschen auf dem Planeten, der zum Beispiel lernen muss, dass island ein stummes „s“ und debt ein stummes „b“ hat, nur weil jemand vor Hunderten von Jahren fälschlicherweise der Meinung war, diese beiden Wörter stammen aus dem Lateinischen. Drei Gründe:

Erstens, kein Amt ist befugt, die Rechtschreibung zu ändern. Die Idee, dass die Regierungen von Deutschland, Österreich und der Schweiz ihren Bürgern im wahrsten Sinne des Wortes diktieren können, wie sie zu schreiben haben, wäre in den USA und Großbritannien ungeheuerlich – doppelplus ungut, könnte man sagen.

Zweitens, die Abweichungen von der Phonetik bringen auch Vorteile. Die Wörter two, too und to werden zwar gleich ausgesprochen, es erleichtert das Lesen aber, wenn sie anders geschrieben werden. Das ist auch das Argument für „dass“ und „das“, ist also auch dem Deutschen nicht fremd.

Drittens, eine rein phonetische Schreibweise wäre inzwischen unmöglich, weil die Varianten des Englischen sich auseinander entwickelt haben. Für Deutsche oft nicht hörbar haben die Engländer das „h“ bei den „wh-“ Worten fallen gelassen – whales, also die Wale, sprechen sie genau so aus wie Wales, dem Landesteil. Das ist die Grundlage für einen unglaublich schlechten Witz auf Kosten von Greenpeace:

Save the whales — we need the Welsh

Während Engländer – je nachdem, wie betrunken sie sind – vor Lachen auf dem Boden liegen, verstehen viele Amerikaner nicht (aber einige schon), was witzig sein soll, denn das amerikanische Englisch hat zu einem großen Teil das „h“ behalten. Was soll daran lustig sein, dass Waliser so dick sind wie Wale?

Bei einer weltweiten Rechtschreibreform würden die Briten also dieses „h“ streichen wollen, was aus Sicht (vieler) Amerikaner aber schlicht falsch wäre. Und das ist erst der Anfang, denn Engländer tun bekanntlich auch dem „r“ schreckliche Dinge an. Und ohnehin müssten sie ja erstmal nachziehen und die ganzen französischen Verunreinigungen entfernen, wie es das amerikanische Englisch schon vorgemacht hat: „Color“ hat im lateinischen Original – und hier gibt es wirklich eins – kein „u“. Schnell würde man wieder merken, dass Großbritannien und die USA zwei Länder sind, die durch eine gemeinsame Sprache getrennt werden – eine Beobachtung, die (unter anderem) Oscar Wilde zugeschrieben wird. Und auch die Inder und Australier hätten ein Wort mitzureden.

Besonders im Zeitalter des Internets ist es gut, wenn jeder auf dem Planeten weiß, was mit knight gemeint ist (ein Ritter), auch wenn die Schreibeweise kaum noch etwas mit der Aussprache („Neit“) zu tun hat, die dummerweise auch für andere Wörter (night) gilt. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass die Deutschen oft noch gut dran sind: Macht man sich klar, dass das „k“ nicht immer stumm war und dass „gh“ so etwas wie ein „ch“ ist, sind wir schnell bei einem vertrauten Wort: „knicht“, also Knecht. Historische Rechtschreibung macht so auf eine perverse Art sogar Spaß. Wenn man nicht mehr dafür benotet wird, versteht sich.

Zumindest kann man sie als Grundlage für Unterhaltungssendungen im Fernsehen benutzen, wenn man genug davon hat. Wer sich als Deutscher Sorgen über den wachsenden kulturellen Einfluss der Angelsachsen macht, kann also beruhigt sein, dass wenigstens Spelling Bees im deutschen Fernsehen kaum auftauchen dürften. Erstmal nicht zumindest – denn auch das Deutsche schleppt inzwischen Wörter wie „Computer“ und „Handy“ mit sich herum, deren Schreibweisen rein historisch begründet sind und die erst mühsam gelernt werden wollen. Ab wann das wohl eine Marktlücke wird?

Nachklapp zu den „Illegals“: Hispanics und Rassen in den USA

Juni 4, 2006

Was sind Hispanics? Bei unserer Diskussion über die Einwanderungsgesetze tauchte der Begriff zwar auf, aber wir haben ihn nie erklärt. Jetzt, wo der Senat seinen Gesetzentwurf fertig hat und wir wohl monatelang auf den Vermittlungsausschuss warten müssen, sollten wir uns der Frage widmen und dabei auch einige grundsätzliche Dinge über die, äh, bunte Welt der Rassen in den USA besprechen. Das wird dann auch endlich ein Eintrag für’s (geistige) Auge, denn es werden Cameron Diaz, Jennifer Lopez, Michelle Rodriguez und Christina Aguilera vorkommen.

Hispanic ist ein Dachbegriff für alle Leute, deren Vorfahren aus dem spanisch-mexikanisch-lateinamerikanischen Kulturkreis kommen. Sie können Nachkommen der ursprünglichen spanischen Siedler sein, frisch aus Mexiko kommen, aber auch aus US-Gebieten wie Puerto Rico stammen.

Der Trick ist jetzt: Es handelt sich nicht um eine Rasse, sondern um eine ethnische Gruppe, die zu jeder Rasse gehören kann. Es gibt also weiße Hispanics, schwarze Hispanics, asiatische Hispanics, etc. Um das zu verstehen, müssen wir etwas ausholen –

Die USA führen seit 1790 alle zehn Jahre eine Volkszählung durch. Das dient zunächst dazu, die Zahl der Sitze für jeden Bundesstaat im Repräsentantenhaus festzulegen, denn die Staaten mit einer größeren Bevölkerung haben dort mehr Sitze. Bei der Befragung werden aber auch andere Daten erhoben. Bereits bei der ersten Zählung gab es eine Frage zur Rasse. Seit 1970 wird auch erhoben, ob man sich zu den Hispanics zählt.

Wichtig ist dabei, dass jeder Befrage selbst entscheidet, was er ist. Dieser Autor, dessen Spanisch mit El gato es loco endet und dessen Gesichtsfarbe sehr gut zum Gehäuse seines Apple iBooks passt, könnte also angeben, er sei Hispanic Black, und so würde es auch in der Statistik erscheinen. Kontrolliert wird das nicht.

Die Volkszählungsbehörde (Census Bureau) kannte in der Umfrage von 2000 fünf Rassen: „White“, „Black or African American“, „American Indian and Alaska Native“, „Asian“ und „Native Hawaiian and Other Pacific Islander“. Die Einteilung ist dabei etwas anders, als ein Europäer vielleicht erwarten würde: Unter „White“ fallen zum Beispiel auch Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Mit dieser Definition dürfte man in Teilen Brandenburgs nicht einverstanden sein. Mehrere Antworten sind möglich: 2,4 Prozent der Amerikaner gaben an, zu mehr als einer Rasse zu gehören.

Von den 281 Millionen US-Bürgern waren nach eigenen Angaben 75,1 Prozent weiß, 12,3 Prozent schwarz, 3,6 Prozent asiatisch, 0,9 Prozent indianisch und 0,1 Prozent „pazifisch“. 5,5 Prozent sprachen von „einer anderen Rasse“ – ob Orc oder Hobbit, das wurde leider nicht erfasst. Völlig getrennt davon wurde gefragt, ob man „Hispanic“ oder „Non-Hispanic“ sei. 12,5 Prozent sagten „Hispanic“.

Und damit sind Hispanics inzwischen die größte Minderheit in den USA, noch vor den Schwarzen.

Aber Moment, sagt der aufmerksame Leser, unter den Schwarzen als Ganzes sind doch auch Hispanics. Genau, wir haben Schnittmengen. Tatsächlich hat das Census Bureau endlose Statistiken über die Kombinationen. Aus politischer Sicht – und damit aus unserer Sicht – ist das erstmal egal. Wichtig ist: Mehr Leute fühlen sich als Hispanics angesprochen denn als Schwarze – wie praktisch für die Politik, dass die Statistik nach dem Selbstverständnis der Bürger erhoben wird. Wenn ich einen Wahlkampf aufbaue, ist es am sinnvollsten, erstmal an die Hispanics allgemein zu appellieren, egal welche Hautfarbe sie haben.

Der Anteil der Hispanics nimmt zudem schnell zu. Das Census Bureau gab vor einigen Tagen eine Untersuchung heraus, nach der der Anteil von „non-Hispanic Whites“, also die klassische Mehrheit in den USA, nach etwa 69 Prozent im Jahr 2000 noch 67 Prozent im Jahr 2005 ausmachte – also noch zwei Drittel der Bevölkerung. Anders formuliert: Ein Drittel der Amerikaner sehen sich selbst inzwischen als Teil einer Minderheit. Zwischen 2004 und 2005 waren die Hispanics für fast die Hälfte des Bevölkerungswachstums in den USA verantwortlich, und zwar mehr durch Geburten als durch Einwanderung. Im Schnitt ist die hispanische Bevölkerung auch deutlich jünger.

Schaut man sich Prognosen für 2050 an, wird deutlich, warum Politiker in den USA alles tun, um es sich nicht mit den Hispanics zu verscherzen. Bis dahin soll der Anteil an „non-Hispanic Whites“ auf etwa die Hälfte fallen, der an Hispanics auf ein Viertel der Gesamtbevölkerung steigen.

Genug der Zahlen. Was heißt das?

Amerika wird braun. Die Zeiten, in denen es eine große weiße Mehrheit, einige Schwarze und „Reste“ gab, sind endgültig vorbei. Inzwischen gibt es vier Bundesstaaten ohne weiße Mehrheit: Kalifornien, Texas, New Mexico und Hawaii (majority-minority states). Es ist abzusehen, dass Florida, New York, Arizona, Maryland, Mississippi, Georgia, Nevada, Louisiana und New Jersey in den kommenden Jahrzehnten folgen werden.

Die Entwicklung sieht man auch an der Sprache, auch wenn man nicht Spanisch sprechen muss, um ein Hispanic zu sein. Ein Zehntel der Bevölkerung sprach 2000 Spanisch. Im Jahr 2005 sprachen knapp 18 Prozent der US-Bürger zu Hause kein Englisch. Die Politik hat sich angepasst. Von der Bundesregierung bis zu Städten wie Phoenix werden Webseiten und andere Informationen, einschließlich Wahlzettel, auch auf Spanisch angeboten. Da die USA keine offizielle Landessprache haben, ist das auch nur konsequent.

Das Faszinierendste für uns ist aber vielleicht: Die USA erleben zurzeit die größte soziale Umwälzung seit der Sklavenbefreiung – und kaum jemand in Europa kriegt das mit.

Jennifer Lopez und Christina Aguilera machen genug Werbung mit ihrer Identität als „Latinas“, dass es auch bis zu uns durchdringt. Aber wenn Michelle Rodriguez in Resident Evil an der Seite von Milla Jovovich Zombies tötet, geht die Demonstration von „Hispanic power“ spurlos an Europäern vorbei. Noch deutlicher wird es bei der Neuverfilmung von Drei Engel für Charlie. Die drei Schauspielerinnen decken drei Bevölkerungsgruppen und damit auch drei Zielgruppen ab: Drew Barrymore als „non-Hispanic White“, Lucy Liu als Asiatin und Cameron Diaz als Hispanic. Moment, heißt es auf dieser Seite des Atlantiks meist dazu: Cameron Diaz ist doch weiß! Ja, sie ist weiß. Aber eben auch eine Hispanic.

Auf politischer Seite ist das Unwissen noch größer. Dass die USA mit Condoleezza Rice eine schwarze Außenministerin haben, hat so ungefähr jeder mitgekriegt. Arbeitsministerin Elaine Chao und Transportminister Norman Mineta als Asiaten zu erkennen, kriegen die meisten auch noch hin. Aber dass Justizminister Alberto Gonzales ein Hispanic ist und Handelsminister Carlos Gutierrez auch, das haben die wenigsten verinnerlicht, trotz der Namen. Das Kabinett zeigt: Was auch immer man George W. Bush vorwerfen kann, Rassismus gehört nicht dazu. Unter den potenziellen Kandidaten für seine Nachfolge ist übrigens auch mindestens ein Hispanic: Bill Richardson, ehemaliger US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, jetzt Gouverneur von New Mexico.

Soviel zu der Frage, warum die Frage der neuen Einwanderungsgesetze so heikel ist. Womit wir diese Reihe dann erstmal abschließen.

Aber aus aktuellem Anlass noch eine Zahl zum Ende: Die Gesamtbevölkerung der USA soll bis 2050 von gegenwärtig etwa 299 Millionen auf etwa 420 Millionen steigen. Zum Vergleich: Die Bevölkerung der EU soll bis 2030 auf 469 Millionen sinken. Das ist für die USA eine sehr gute Nachricht: Bei so vielen Leuten müsste es endlich möglich sein, für die Fußball-WM 2050 elf gute Leute zu finden …

(Submitted to Carnival of German-American Relations)

Kurz erklärt: Majority und Minority Whip

Juni 2, 2006

Ein whip ist ein hochrangiger Posten im amerikanischen Kongress, dessen Inhaber für die Einhaltung der Parteidisziplin sorgen soll. Der Name wurde vom britischen Parlament übernommen und stammt aus der Fuchsjagd. Hintergrund in den USA ist der fehlende Fraktionszwang wegen der Direktwahl der Abgeordneten. Ein guter Whip ist für seine Partei Gold wert: Tom DeLay erhielt den Spitznamen „The Hammer“ für seine Fähigkeit, die Republikaner im Repräsentantenhaus zu einigen. Whips neigen meist dazu, eher hinter den Kulissen zu arbeiten.

Es wird unterschieden zwischen einem majority und einem minority whip. Majority Whip im Repräsentantenhaus ist im Moment der Republikaner Roy Blunt, Minority Whip ist der Demokrat Steny Hoyer. Im Senat ist der Majority Whip Mitch McConnell, ein Republikaner, und der Minority Whip ist der Demokrat Richard Durbin.

Wegen des starken Fraktionszwangs im Bundestag gibt es kein deutsches Gegenstück, was die direkte Übersetzung unmöglich macht. Hilfreich sind Formulierungen wie „… der für die Parteidisziplin verantwortliche Majority Whip …“. Bitte nicht vom „Mehrheitsführer“ sprechen – das ist der majority leader, ein ganz anderer Posten.