Leseliste: Ausgewählte Einzelwerke zu den USA

Ich habe leider weder den Überblick noch die Zeit, um eine umfassende Leseliste zu den USA zu erstellen – so etwas ist ohnehin eher etwas für Amerikanistik-Studenten, nicht normalsterbliche Blog-Leser. Aber es gibt einige Bücher, die ich ich empfehle, einfach weil sie gewisse Einsichten zu bestimmten Punkten bieten. Daher diese Liste. Sie ist kurz und wird es bleiben, dafür aber sehr genau klar erklären, was ich an diesen Büchern interessant finde.

Neue Titel werden oben hinzugefügt. Ergänzungen werden als META-Eintrag im Blog selbst bekannt gegeben.


An Empire of Wealth. The Epic History of American Economic Power, John Steele Gordon, Harper Perennial New York 2004. ISBN 0-06-050512-5 (Hinzugefügt am 13. Juni 2007).

Die meisten Geschichtsbücher über die USA befassen sich mit der politischen Entwicklung des Landes – welche Kriege, welche Gesetze, welche Wahlen bestimmend waren. Man kann den Aufstieg Amerikas von einem Haufen elender Kleinstsiedlungen (oder, je nach Weltbild, von einem Haufen zerstrittener Steinzeitkulturen) zur Weltmacht aber auch aus wirtschaftlicher Sicht betrachten. Das ist John Steele Gordons Ansatz in Empire.

Die Siedlung von Jamestown war demnach als erste erfolgreich, weil ihre Bewohner einen Weg fanden, für den Mutterkonzern einen Profit zu machen – mit Tabak. Danach wird die Entwicklung der einzelnen Kolonien an Hand ihrer Produkte verfolgt – Tabak auch für Maryland, Rehleder (durch Handel mit den Indianern), Reis und Indigo für Carolina, Holz und Schiffsbau in Neu-England. Der Unabhängigkeitskrieg wird nicht an Schlachten festgemacht, sondern an den verzweifelten Maßnahmen, die nötig waren, um ihn zu finanzieren.

Entsprechend wenig gibt es über die Indianer zu sagen, die als unabhängige Kraft im großen wirtschaftlichen Bild bald keine Rolle mehr spielten:

Once the Indians became used to the superior metal tools, cloth and firearms of the Europeans, the skills needed to use the raw materials at hand began to disappear. Before long, the Indians had no choice but to trade for what they needed on increasingly unequal terms, and inevitably, lost their economic sovereignty. Once that was gone, their political sovereignty and the rest of their culture soon followed.

Man beachte die Reihenfolge der Niedergänge: Wirtschaftlich, politisch, kulturell. Dass die Indianer schnell keine Lust mehr hatten, mit Holz, Knochen und Stein zu arbeiten, ist keine neue Erkenntnis. Aber hier wird Handel zum Schicksal.

Diese wirtschaftliche Sicht der Welt bringt eine gewisse Kaltschnäuzigkeit mit sich, die erfrischend direkt ist. Gordon betont, dass die Sklaverei abscheulich und unentschuldbar war. Aber er bietet auch diese Rechnung: Um 1700 musste man für einen europäischen Arbeiter (indentured servant) 15 Pfund zahlen. Der Vertrag galt dann vier Jahre. Ein Sklave aus Afrika kostete zwar das Doppelte, aber den hatte man sein Leben lang und bekam noch seine Kinder als Eigentum dazu.

Dass es dagegen 1650 in ganz Virginia „nur“ (im Vergleich zu später) 300 Sklaven gegeben hatte, lässt sich auch erklären: Damals starben noch ein Viertel der Ankömmlinge in der Neuen Welt, ob Europäer oder Afrikaner, innerhalb des ersten Jahres nach ihrer Ankunft. Die Investition in einen Sklaven lohnte sich nicht.

Zudem erzählt Gordon von vielen Dingen, die zumindest mir nicht so bekannt waren. Da wäre die zentrale Bedeutung der doppelten Buchführung für die europäische Kolonisation, warum der britische Umgang mit der Staatsverschuldung den Siege über das finanztechnisch rückständige Frankreich erst möglich machte oder dass die USA vor der Erfindung des Kühlschranks der Weltmeister im Eis-Export waren.

Es gibt viele schöne Anekdoten, wie zum Beispiel alle über Edwin Drake lachten, als er nach „Steinöl“ (Petroleum) bohrte, wie der spätere Eisenbahnmagnat Cornelius Vanderbilt als Monopolbrecher Fangen mit der New Yorker Hafenpolizei spielte oder die unglaublich dreisten Strategien der Anleger an der jungen, noch unregulierten Wall Street.

Einige Themen ziehen sich dabei durch das ganze Buch, wie Thomas Jeffersons folgenschwerer Hass auf Banken: Mehr als 150 Jahre später musste der Großbanker J. P. Morgan im Alleingang das amerikanische Finanzsystem retten, weil die USA Anfang des 20. Jahrhunderts immer noch keine echte Nationalbank hatten.

Der letzte Punkt zeigt einen Aspekt des Buchs, den einige als Vorteil und andere als Nachteil sehen werden. Gordon beschreibt zwar auf mitreißende Weise die dramatischen Auswirkungen auf ein Land, das aus ideologischen Gründen den größten Teil seiner Geschichte keine Zentralbank hatte: Alle 20 Jahre schlugen die Konjunkturzyklen mit voller Wucht auf die Wirtschaft durch.

Er erklärt aber nicht, was so eine Bank genau tut. Entweder man weiß, was die Federal Reserve für eine Funktion im Gesamtsystem hat, oder man muss ihm einfach glauben. Das ist Absicht:

I decided to write what I hoped would be an economic history of the United States that was without charts, graphs, and political purposes but rich in human drama and that would give the reader a fresh slant on the extraordinary story that is American history.

Echte Wirtschaftswissenschaftler werden das frustrierend finden, aber für Laien wird damit der Stoff sehr zugänglich.

Empire bleibt damit zwangsweise bis zu einem gewissen Grad oberflächlich. Das Buch ist auch vergleichsweise kurz – etwa 400 Seiten – und bei einigen Themen wünscht man sich, es doch genauer zu wissen. Fairerweise muss man festhalten, dass dieses Gefühl besonders Ende des 20. Jahrhunderts aufkommt, also einem Zeitraum, über die Historiker noch keinen Konsens erreicht haben (sofern Historiker das jemals tun). Wer sich für eine umfassende Bewertung von Ronald Reagans Wirtschaftspolitik interessiert, ist hier falsch.

Aber als erster Überblick für jemand, der eine Einführung in die Wirtschaftsgeschichte der USA sucht oder alles einfach aus einer anderen Perspektive sehen will, ist Empire hervorragend. Der Stil ist, wie es sich gehört, leichtfüßig, lebendig und schlicht.

Das größte Manko des Buches ist die katastrophale Qualität des Umschlags. Die Farbe blättert inzwischen so stark ab, dass der Klappentext auf der Rückseite nur noch mit Mühe zu lesen ist. Und das, obwohl es noch nicht einmal in die Badewanne gefallen ist.


America Alone. The End of the World as We Know It, Mark Steyn, Regnery Publishing, Washington 2006, ISBN 0-89526-078-6. (Hinzugefügt 9. Dezember 2006)

Europäer sollten besser ihre Bilder abhängen, bevor sie dieses Buch anfangen: Schon nach der Einleitung werden sie das dringende Bedürfnis verspüren, es gegen die Wand zu werfen. Der kanadische Journalist Mark Steyn postuliert darin den Untergang des Westens und den Aufstieg des Islams in der Form, dass am Ende höchstens die USA und eine Handvoll anderer Staaten wie Neuseeland die letzten Posten der Freiheit sein werden. Europas Demokratien gehören nicht dazu.

Für Steyn sind drei Faktoren entscheidend: Die demographische Entwicklung, die nicht mehr finanzierbaren, alles lähmenden Sozialsysteme und der fehlende Wille des Westens zur Selbstbehauptung. Die großen europäischen Staaten wie Deutschland sind für ihn schon verloren: Ihre nicht-muslimischen Bürger zeugen kaum noch Kinder; das zerstört die Finanzierung ihrer ohnehin überdimensionierten Sozialsysteme; sie weichen kleinlaut vor dem Islam zurück, wo immer dieser vorstößt, zum Beispiel bei den dänischen Mohammed-Karikaturen.

Steyns Thesen sind, um es freundlich zu formulieren, umstritten. In vielen Artikeln und Blog-Einträgen wird er ein Depp genannt, der dummes Zeug redet. Warum taucht so ein Buch auf dieser Liste auf?

Für Europäer kann es schwierig sein zu erfahren, was Amerikaner über sie denken. Die höflichen Besucher aus Übersee sagen es nicht und wie überall auf der Welt schreiben europäische Journalisten viel zu oft lieber das, was ihre „Kunden“ (oder noch schlimmer, ihre Chefredakteure) lesen wollen, statt was sie lesen müssten. Nach dem Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen 2006 und dem Abgang der „bösen Neocons“ kam in Deutschland auch das Gefühl auf, dass die Zeit von Begriffen wie „Old Europe“ vorbei sei: Amerikaner haben Europa wieder ganz doll lieb und sehen es als gleichwertigen Partner.

Alone zeigt sehr plastisch, dass dem nicht so ist. Sicher nicht alle, aber eine ansehnliche Zahl von Amerikanern vergleicht die europäische Geburtenkrise mit ihrem eigenen robusten Bevölkerungswachstum und folgert wie Steyn, dass Europa jeden Tag ein Stückchen unwichtiger wird. Wir finden hier auch andere Ansichten, mit den Europäer zu selten direkt konfrontiert werden: Dass ihre Demokratien top-down constructs sind, in denen eine kleine, vom direkten Wählerwillen abgeschirmte Elite sie wie Kinder behandelt; dass gläubige Menschen im „post-christlichen“ Europa als naiv und rückständig gelten; dass die Feigheit der spanischen Wähler nach den Madrider Anschlägen 2004 zeigt, dass die USA sich im Kampf gegen den islamischen Terrorismus nicht auf Europa verlassen können.

Ob irgendwas davon wahr oder Steyn tatsächlich ein Depp ist, ist im Rahmen dieses Blogs egal. Wichtig ist, dass es Leute gibt, die die Welt so sehen wie er und dafür jede Menge Bestätigung finden: Die ständigen Krawalle muslimischer Jugendlicher in den Pariser Vororten zum Beispiel oder die jüngste Auswanderungswelle von Europäern. Auch wenn Donald Rumsfeld und John Bolton ihre Posten räumen mussten, von Friede, Freude und Eierkuchen kann nicht die Rede sein.

Alone schaffte es (Dezember 2006) auf die Bestsellerliste der New York Times, immerhin erstmal auf Platz 30. Daher steht das Buch auch auf dieser Liste, trotz der Schäden, die das an unschuldigen Tapeten anrichten könnte.

Es gibt noch einen zweiten Grund: Der Stil. Alone ist ein ernstes Buch über ernste politische Entwicklungen, das witzig geschrieben ist. Wie wir in einem Eintrag über Humor sehen werden, ist diese Kombination in Deutschland praktisch unmöglich, auch wenn Filme wie Supersize Me den Weg bereitet haben. Steyn zeigt schön, wie Angelsachsen Botschaft und Verpackung trennen, Humor also eine Trägersubstanz für sehr ernste Gedanken sein kann.


American Beliefs. What Keeps a Big Country and a Diverse People United. John Harmon McElroy, Ivan R. Dee 1999, ISBN 1-56663-314-1. (Hinzugefügt 10. Dezember 2006)

Der Amerikanologe McElroy hat sich Gedanken darüber gemacht, was Amerikaner zu Amerikanern macht, und herausgekommen ist eine kommentierte Liste von „Glaubensgrundsätzen“ – Dinge wie Everyone must work, Helping others helps yourself oder The least government possible is best. Diese Liste – über die man sich an der einen oder anderen Stelle sicher streiten kann – ist an sich schon interessant. Aber noch wertvoller für den europäischen Leser dürfte seine Beschreibung der Entwicklung sein, die zu diesen Grundsätzen geführt haben.

McElroy macht dabei insbesondere einen Punkt sehr deutlich, der vielen Deutschen nicht bekannt ist: Dass die britischen Kolonialisten von Anfang an, seit dem Mayflower Compact von 1620, faktisch selbstbestimmt waren und in zumindest proto-demokratischen Systemen lebten. Beliefs zeigt sehr anschaulich, wie tief die Wurzeln der amerikanischen Demokratie wirklich gehen.

Das ist nicht nur wichtig, um die Unterschiede zu der Entwicklung im französischen Kanada, spanischen Mexiko oder portugiesischen Brasilien zu erklären. Es ist auch einer der Gründe, warum 150 Jahre später die Amerikanische Revolution ein Erfolg war, während die Französische Revolution zum Desaster wurde: Die Amerikaner kämpften zunächst darum, das Bestehende zu bewahren, während die Franzosen praktisch aus dem Stand etwas ganz Neues schaffen wollten. Auf all diese Punkte geht Beliefs ein.

McElroy ist gerne Amerikaner und lässt einen das auch wissen, was für gewisse deutsche Leser ein Problem sein könnte. Die größte Schwäche des Buches ist das letzte Kapitel, wo er in einer Art Ausblick die These aufstellt, dass die USA vor die Hunde gehen, weil einige seiner Prinzipien verlassen worden sein sollen. Das dürfte die gleiche Lesergruppe wiederum freuen, auch wenn dieser Teil nicht wirklich überzeugt.

Wie America Alone würde ich das Buch allein wegen des Stils empfehlen. McElroy schreibt ein klares, schlichtes Englisch, wie es sich für jemanden gehört, der amerikanische Literatur unterrichtet hat.


Guns, Germs and Steel. A Short History of Everybody for the Last 13,000 Years. Jared Diamond, Vintage Books, ISBN 0-09-930278-0 (Hinzugefügt 09. Dezember 2006)

Diamond ist ein Evolutionsforscher, dem es zu blöd wurde, dass alle hinter hervorgehaltener Hand doch rassische Überlegenheit als Grund für die unterschiedliche Entwicklung der Kulturen verantwortlich machen. In Guns zeigt er umfassend und systematisch – „erschöpfend“ ist an einigen Stellen vielleicht das beste Wort – warum die Geografie, das Klima, die verfügbare Pflanzen- und Tierwelt und ähnliche Faktoren diese Entwicklung erklären, ohne dass man irgendwelche genetischen Überlegenheiten postulieren muss.

Diamond betrachtet in seinem Buch die ganze jüngere menschliche Geschichte und nicht nur die der USA. Trotzdem habe ich es in diese Liste aufgenommen, weil es auch sehr grundsätzliche Dinge über die Indianer erklärt. Dazu gehört die Frage, ob der Tod von schätzungsweise 95 Prozent der Ureinwohner in Nord- und Südamerika bis Ende des 17. Jahrhunderts (!) wirklich ein geplanter Völkermord war oder eine Folge von Entwicklungen, die so tragisch wie am Ende unvermeidbar waren. Hat man das aus dem Weg geräumt, kann man sich auf spätere Vorfälle konzentrieren, wo die Antwort weniger eindeutig ist.