Archive for April, 2007

ZEUGS: Gegendarstellungen, Amokläufer und Grabsteine für Wicca

April 27, 2007

Heute etwas länger, weil es vermutlich erst Mitte nächster Woche wieder einen Eintrag geben wird:

  • Zur Meinungsfreiheit: Der Vollständigkeit halber sollten wir ergänzen, dass es für Zeitungen in den USA keine Pflicht zur Gegendarstellung gibt. Wie das Supreme Court in Miami Herald vs Tornillo befand, wäre ein solches Gesetz eines Bundesstaates verfassungswidrig, denn der Staat darf der Presse keine Vorschriften machen, was sie zu veröffentlichen hat. Die seriösen Zeitungen drucken natürlich Korrekturen.
  • Zur Meinungsfreiheit und zu nackten Hintern: In einem Streit die Hosen herunterzulassen ist in Maryland legal. Berufungsrichter John W. Debelius erklärte zu einem Fall, bei dem ein 44-Jähriger in Germantown (doch, wirklich) in einem Gartenzaunkrieg blank zog: „If exposure of half of the buttock constituted indecent exposure, any woman wearing a thong at the beach at Ocean City would be guilty.“ Was sagte der Anwalt der Verteidigung? „With hard work, we cracked the case, no buts about it.“ Was für ein smart ass.
  • Zur Campari-Parodie: Von Flynt und „Hustler“ gibt es weitere Anzeigen-Parodien, bei denen man noch deutlicher sieht, was sich Firmen in den USA alles gefallen lassen müssen.
  • Zu dem Massaker von Virginia Tech: Der „Spiegel“ hat etwas Interessantes gemacht: Die Kommentare der europäischen Zeitungen für seine englische Website übersetzt und dann die Reaktionen der amerikanischen Leser wieder ins Deutsche. So viel zu der Idee, dass die Völkerverständigung durch eine Verständigung der Völker gefördert wird. Überhaupt scheint man dieses Mal in den USA mehr von den Kommentaren in Europa mitbekommen zu haben. Der Politikwissenschaftler und Kriminologe James Q. Wilson schreibt zur Berichterstattung in der europäischen Presse:

    At least two papers said we should ban semiautomatic assault weapons (even though the killer did not use one); another said that buying a machine gun is easier than getting a driver’s license (even though no one can legally buy a machine gun); a third wrote that gun violence is becoming more common (when in fact the U.S. homicide rate has fallen dramatically over the last dozen years).

    Sein Fazit: „Many of their claims are a little strange.“ Unser Eintrag hier wird noch einige Wochen dauern.

  • Zu Vornamen und Titel: Moment, sagten wir James Q. Wilson? Da dies ein deutscher Text ist, hätten wir Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. (gut, Dr. mult.) James Wilson schreiben müssen, auch wenn er selbst in der Zeitung alle Titel weglässt und „nur“ seine Unis Harvard, UCLA und Pepperdine angibt. Vergleichen wir das nun mit seinem Eintrag bei der Human Rights Foundation, wo er zusammen mit Elie Wiesel, Gary Kasparow und Harry Wu im Internationalen Rat sitzt: Dort wird er mit der gebotenen Höflichkeit als „Dr. Wilson“ geführt.
  • Zu anderen Blogs: Kongressabgeordnete bloggen auch zum Tagesgeschehen im Kapitol, oder zumindest wird in ihrem Namen gebloggt. Die Website gehört der Zeitung „The Hill“, die für sich in Anspruch nimmt, unparteiisch über die wunderbare Welt der amerikanischen Legislative zu berichten.
  • Zu anderen Blogs, etwas weniger politisch: Die Kongressbibliothek hat jetzt auch einen Blog, der sich viel mit geschichtlichen Themen befasst, wie mit dem Waldseemüller Map von 1507, auf dem zum ersten Mal die Neue Welt mit „Amerika“ beschriftet wurde. Aufhänger ist oft der aktuelle Eintrag zu Today in History der Library of Congress.
  • Zu Übergewicht in den USA: Oh no! Die Amerikaner drohen hinter den Deutschen zurückzufallen:

    Bier, Fett und Bewegungsmangel machen die Deutschen laut einer Studie zu den dicksten Bürgern der EU. Sie lägen beim Gewicht gleichauf mit den USA, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“.

    Die Erhebung stammt von der International Association for the Study of Obesity (IASO). Deren Europa-Chef Vojtech Hainer sagt dagegen dem „Spiegel“, dass die Deutschen noch nicht die Amerikaner eingeholt haben. Phew! Leider scheint die Studie nicht online zu sein, damit wir selbst feststellen können, wer Recht hat, der „Spiegel“ oder die „SZ“. Klar ist aber: Wenn die USA bei den Industriestaaten in Führung bleiben wollen, müssen die Supersizes wieder her.

  • Zur Religion und Staat: Gefallene amerikanische Soldaten, die der Wicca-Religion angehören, können nun auf ihrem Grabstein ein pentacle (Pentagramm) führen. Die Veteranenbehörde nahm angesichts mehrerer Klagen das Zeichen in ihre Liste der Grabsymbole auf. Davon gibt es jetzt 39. Da ein Bundesberufungsgericht 1986 in Dettmer vs Landon befand, dass der Wicca-Glaube eine Religion ist, war der Ausgang der Klagen auch abzusehen. Bei der US-Armee gibt es schätzungsweise 1.800 Wicca („Wiccen“?), die sich als military pagans bezeichnen. Da der Staat nach dem First Amendment keine Religion bevorzugen darf (die Establishment Clause), dürfen Wicca in den USA auch rechtlich bindende Trauungen vornehmen und ihre Kirchen bei der Bundessteuerbehörde IRS einen begünstigten Status beantragen.
  • Zum Kongress: Als Ergänzung zu der Thomas-Datenbank der Library of Congress zu Gesetzen hier noch der Hinweis auf die Abstimmungs-Datenbank der „Washington Post“. Dort ist jedes Votum im Kongress seit 1991 gespeichert, sowie lustige Informationen über Dinge wie wer wieviele Abstimmungen verpasst hat.

Kurz erklärt: Chop Suey

April 25, 2007

Mit großer Belustigung liest dieser Autor immer den Menü-Eintrag zu Chop Suey in deutschen China-Restaurants: Oft genug wird das Gemisch aus Fleisch und Gemüse als „traditionelles chinesisches Gericht“ angeboten. Tatsächlich stammt es wohl von Chinesen, aber amerikanischen, weswegen es zur „chinesisch-amerikanischen“ Küche gehört. Chop Suey kommt also aus den USA.

Die genauen Ursprünge sind nicht bekannt, die Entstehungszeit liegt aber wohl in den 1860ern. Vermutlich war es ein Gericht von armen chinesischen Arbeitern. Nachweislich falsch ist die Geschichte, dass es 1896 von dem Koch des chinesischen Botschafters Li Hung Chang erfunden wurde, denn das Wort ist bereits 1888 im Oxford English Dictionary zu finden.

(Nach einem Vorschlag von SH, vielen Dank)

Free Speech, Teil 3: Von dem Recht, Tom Cruise seinen Schuh vögeln zu lassen

April 21, 2007

Der prominente US-Prediger Jerry Falwell wurde offenbar nicht von seiner Mutter in einem Scheißhaus entjungfert. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der konservative Geistliche sich zuvor mit Campari betrunken hätte oder dass er sich bis heute vor jeder Predigt damit zudröhnt, weil er sonst seinen eigenen bullshit nicht ertragen könnte.

Man kann also nachvollziehen, warum Falwell unglücklich war, als 1983 in einer Ausgabe des Erotik-Magazins „Hustler“ eine ganzseitige Parodie einer Campari-Anzeige [JPG] mit seinem Foto erschien, in der er angeblich genau das zu behaupten schien. Der deutsche Leser mag sich die Reaktion von Kardinal Karl Lehmann vorstellen, wenn ihm, mit Bild, in einem Heft des deutschen „Playboy“ in einer gefakten Jägermeister-Anzeige Geschlechtsverkehr mit seiner Mutter andichtet würde.

Falwell klagte auf Verleumdung (defamation) mit der Begründung, die Autoren hätten gewusst, dass das alles nicht wahr sei. Dummes Zeug, erwiderte „Hustler“-Verleger Larry Flynt. Der streitbare Vorsitzende der Moral Majority müsse sich das gefallen lassen, denn solche Satiren gehörten nach dem First Amendment zur Meinungsfreiheit dazu.

Falwells Klage war in diesem Punkt tatsächlich tapfer. Der Supreme Court hatte in New York Times vs Sullivan entschieden, dass man nur dann der Verleumdung eines Politikers schuldig gesprochen werden kann, wenn die falschen Behauptungen mit „bösartiger Absicht“ gemacht wurden:

The constitutional guarantees require, we think, a federal rule that prohibits a public official from recovering damages for a defamatory falsehood relating to his official conduct unless he proves that the statement was made with „actual malice“ — that is, with knowledge that it was false or with reckless disregard of whether it was false or not.

Der Beweis muss dabei mit „convincing clarity“ geführt werden. In der Praxis ist actual malice daher kaum zu beweisen, denn dazu müsste man den Angeklagten in den Kopf schauen können. Das Gericht stellte später in Curtis Publishing vs Butts fest, dass diese Regelung nicht nur für public officials wie Politiker gilt, sondern auch für public figures, zu denen Falwell unzweifelhaft gehört.

Was bedeutet das? Nehmen wir als völlig fiktives, aus der Luft gegriffenes Beispiel an, eine amerikanische Zeitung würde berichten, dass sich Präsident George W. Bush die Haare färbt (eine Frisur ist ja ganz schnell ein Politikum). Nehmen wir weiter an, dass dem nicht so ist. Bush hätte trotzdem vor Gericht nur dann eine Chance, wenn er belegen könnte, dass die Redaktion das wusste – nicht „sich hätte denken können“ oder „hätte annehmen sollen“, sondern nachweislich wusste, dass er sich nicht die Haare färbt, oder dass ihr die Wahrheit komplett und völlig egal war. Die Beweislast liegt bei ihm.

Das klingt im ersten Augenblick etwas hart – der arme Schröder Bush, so tief getroffen in seinem männlichen Stolz! Aber New York Times vs Sullivan basiert auf leidvollen Erfahrungen. In den 60er Jahren versuchten Rassisten, die Bürgerrechtsbewegung mit Verleumdungsklagen mundtot zu machen. Das 1964 gefällte Urteil stoppte diesen Missbrauch und gab ein wichtiges Prinzip vor:

[W]e consider this case against the background of a profound national commitment to the principle that debate on public issues should be uninhibited, robust, and wide-open, and that it may well include vehement, caustic, and sometimes unpleasantly sharp attacks on government and public officials.

Anders formuliert: Die amerikanische Politik ist kein Ort für Weicheier und Warmduscher. Wer ein zartes Gemüt hat, sollte sich eine andere Arbeit suchen, eine, wo die Leute höflicher und zuvorkommender miteinander umgehen, vielleicht als Eishockey-Spieler in der NHL. Wer in die amerikanische Politik geht – und dazu wird ja keiner gezwungen – muss sich darauf gefasst machen, dass jede Menge unfreundliche Dinge über ihn gesagt und geschrieben werden, die sehr ins Persönliche gehen.

Zurück zu Falwell. Der zeigte sich von der juristischen Situation unbeirrt und ließ es darauf ankommen. Und unterlag auch prompt. Denn für das Gericht war es unmissverständlich eine Parodie – für Doofe stand ja es sogar unten auf der Seite und im Inhaltsverzeichnis noch dazu. Kein normaler Mensch würde glauben, so das Gericht, dass es sich um eine Tatsachenbehauptung handelte. Und ohne Tatsachenbehauptung keine Verleumdung.

Aber Falwell hatte auch wegen des Seelenpeins geklagt, den die Redaktion ihm absichtlich zugefügt habe (intentional infliction of emotional distress). Hier bekam er zunächst Recht: Die Anzeige sei wirklich abscheulich (outrageous), befand dann auch ein Berufungsgericht. Flynt gab sich nicht geschlagen und rief das Oberste Gericht an. Der wiederum gab „Hustler“ Recht.

In ihrer einstimmigen Begründung zu Hustler vs Falwell hielten die Richter fest, dass die Campari-Satire den gleichen Schutz genieße wie die klassische politische Karikatur, die in den USA schon immer derbe gewesen sei. Selbst George Washington habe sich als Esel darstellen lassen müssen. Washington! Als Esel!

Die „Hustler“-Parodie sei natürlich geschmacklos und ein „armseliger Verwandter“ dieser Karikaturen, hieß es weiter. Aber ihre Abscheulichkeit ändere nichts an dem Grundprinzip, dass diese Art von Aussage geschützt sei. Im Gegenteil, hieß es unter Berufung auf ein früheres Urteil:

[T]he fact that society may find speech offensive is not a sufficient reason for suppressing it. Indeed, if it is the speaker’s opinion that gives offense, that consequence is a reason for according it constitutional protection.

Deutsche kennen den Fall aus dem Film „The People vs Larry Flynt“, sind sich aber meist der Bedeutung dieser ganzen Urteile nicht bewusst: In den USA darf man über Prominente faktisch alles sagen, schreiben oder zeichnen, so lange man es irgendwie als politische Rede oder Witz verpackt. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist wichtiger als deren Ehre, Gefühle oder Würde.

Historisch galt das für Politiker eigentlich schon immer, insbesondere für Präsidenten. Der Esel namens Washington war auch nur der Anfang:

Accused of changing the rationale for „his“ war, and hounded for mismanaging it. Derided as an uninspiring public speaker. Belittled as an idiot. Blamed for dividing the nation. Charged with incompetence in his administration. Accused of trampling on the Constitution. Engaged in censorship and manipulation of the press. Mockingly compared with lower primates. Pressured for a key Cabinet Advisor’s resignation. Of course, we’re referring to [Abraham] Lincoln.

Die Forderung nach dem Tod des Präsidenten ist in den USA dabei inzwischen fast schon Routine. Die konservative Kommentatorin und Bloggerin Michelle Malkin nennt das „Assassination Chic“ (Flynt, wenn wir schon mal dabei sind, nennt Malkin eine „superior asshole“, eine „talentless media freak“, eine „hard-right bitch“ und eine „neofascist whose IQ test would probably have to be calculated in negative integers“, alles natürlich öffentlich und straffrei). Wir hatten schon über das Verbot von konkreten Planungen gesprochen.

Aber es sind eben nicht nur Politiker, sondern alle Personen des öffentlichen Lebens, die man in den USA so auf die Schippe nehmen kann, wenn das noch der richtige Ausdruck ist. Tom Cruise masturbiert da bei Oprah in „Scary Movie 4“ mit seinem Schuh, während anderswo Hillary Clinton und Bush [JPG] als Hitler auflaufen. Ob das alles tatsächlich witzig oder für die politische Debatte wichtig ist, ist kein Kriterium. Das muss nur die erklärte Intention sein. Der amerikanische Staat ist insbesondere nicht für Kulturkritik zuständig.

In Deutschland gilt dagegen, dass der Schutz der Würde des Menschen nach Artikel 1 des Grundgesetzes auch für Politiker und Prominente gilt. Grundsätzlich haben selbst absolute Personen der Zeitgeschichte ein Recht auf den Schutz der Intimsphäre, etwas, wovon Bill Clinton nur träumen konnte. Wir sind wieder bei dem Unterschied zwischen den Verfassungen, die jeweils ein anderes höchstes Gut haben.

Zu besonders lustigen Effekten führt dabei § 103 StGB, der es Deutschen verbietet, ausländische Staatsoberhäupter zu beleidigen. Bei antiamerikanischen Demonstration werden dann Strafanzeigen zu Plakaten gestellt, die in den USA als harmlos gelten würden. So wurde Bush bei seinem Besuch in Mainz 2005 doch glatt ein „Terrorist“ genannt. Gemessen an dem, was ihnen zu Hause entgegenschlägt, sind Demonstrationen in Deutschland für amerikanische Politiker hauptsächlich eins: Erholsam.

Bevor nun der interessierte Leser aber bei seinem nächsten USA-Besuch anfängt, wahllos Amerikaner zu beleidigen, eine dringende Warnung. Diese ganze Rechtslage gilt nicht für „normale“ Menschen (private figures), die vor Beleidigung und Verleumdung durchaus geschützt sind. Die EFF hat die Unterschiede für Blogger zusammengefasst, wobei – natürlich – die Einschränkung gilt: Im Detail hängt es von den Gesetzen der einzelnen Bundesstaaten ab.

Im nächsten Eintrag beschäftigen wir uns mit Obszönitäten und Pornografie. Viel schlimmer kann es ja jetzt nicht mehr kommen.

(Danke an DKS für den Link zum Lincoln-Quote)

Zu Virginia Tech: Verfassungsänderungen

April 18, 2007

Bei der Berichterstattung über das Massaker von Virginia Tech gibt es einen interessanten Unterschied zwischen den deutschen und amerikanischen Medien. Es geht um die Antwort der Pressesprecherin von Präsident George W. Bush auf die Frage, ob jetzt strengere Waffengesetze benötigt werden:

As far as policy, the President believes that there is a right for people to bear arms, but that all laws must be followed.

„The right to bear arms“ ist eine Anspielung auf den Second Amendment, der Verfassungszusatz, der allgemein das Waffenrecht regelt, während „all laws“ insbesondere die Waffengesetze der einzelnen Bundesstaaten meint. Bush ist also gegen eine Verfassungsänderung.

Diese Aussage hängen deutsche Journalisten höher als ihre amerikanischen Kollegen. Mindestens ein deutscher Fernsehsender – Regel 2 dieses Blogs verbietet es, den Namen zu nennen – hat sogar seine „Tag danach“-Berichterstattung damit aufgemacht.

Der Grund für den Unterschied dürfte sein, dass den Amerikanern klar ist, wie wenig der Präsident mit Verfassungsänderungen zu tun hat. Bushs Meinung dazu ist vielleicht irgendwie interessant, aber am Ende nicht relevant. Da wir Verfassungsänderungen noch nicht im Detail besprochen haben, holen wir das hier nach.

(Das Thema Waffengesetze ist eines der kompliziertesten und vor allem kontroversesten, das es im Zusammenhang mit den USA gibt. Wir werden dazu irgendwann einen Eintrag machen, aber nicht jetzt und heute auf die Schnelle.)

Eine Verfassungsänderung ist ein Sonderfall der normalen Gesetzgebung. Artikel 5 der Verfassung schreibt vor, dass zwei Drittel der Abgeordneten im Senat wie im Repräsentantenhaus der Änderung zustimmen müssen.

Dann aber geht der Entwurf nicht an den Präsidenten, sondern muss von drei Viertel der Bundesstaaten ratifiziert werden, entweder durch ihre Abgeordneten – der normale Weg – oder durch spezielle Verfassungskonventionen. Letzteres ist bislang nur einmal vorgekommen, beim 21. Verfassungszusatz, der den 18. Verfassungszusatz aufhob und damit die Prohibition beendete.

So oder so gilt: Der Präsident hat kein Vetorecht. Er ist bei der ganzen Prozedur nur Zuschauer. Das bestätigte der Supreme Court 1798 in Hollingsworth vs Virginia:

The negative [veto] of the President applies only to the ordinary cases of legislation: He has nothing to do with the proposition, or adoption, of amendments to the Constitution.

Das gehört zu der Maschinerie, die verhindern soll, dass der Präsident sich zum König (heute: Diktator) macht.

Es gibt eigentlich noch eine zweite Art, die Verfassung zu ändern: Zwei Drittel der Bundesstaaten können eine nationale Verfassungsversammlung einberufen. Die dort beschlossenen Änderungen müssten dann wie oben beschrieben von drei Viertel der Bundesstaaten akzeptiert werden. Damit können diese den Kongress umgehen, wenn er versuchen sollte, die Macht an sich zu reißen und eine „Diktatur der Legislative“ zu errichten.

Dieses Verfahren ist noch nie angewandt worden und macht Verfassungsrechtler nervös, denn eine solche national constitutional convention wüsste vielleicht nicht mehr, wo sie aufhören sollte – das hatten wir schließlich schon einmal. Uns zeigt es wieder, welche Macht die Bundesstaaten haben.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Verfassung geändert wird? Ohne uns mit inhaltlichen Fragen zum Second Amendment zu beschäftigen, können wir sagen: Sehr gering. In dem System haben nur Änderungen eine Chance, die nicht kontrovers sind, und das trifft gerade auf die Waffenrechte nun wirklich nicht zu. Do the math, würde ein Amerikaner sagen: Es gab bei mehr als 10.000 Anträgen in 220 Jahren 27 Änderungen. Klammern wir die ersten zehn aus, die ganz am Anfang als Bill of Rights als Block eingebaut wurden, sind es 17.

ZEUGS: Baseball, die gescheiterte Sommerzeit und mehr zur Polizei

April 16, 2007

Natürlich standen mal wieder Ereignisse in der wirklichen Welt der Pflege der bisherigen Texte im Wege, aber etwas Fortschritte gab es schon. Wir bleiben dran, kehren aber erstmal zu unserem normalen Programm zurück.

  • Zu Baseball: Anke Gröner macht uns auf einen Artikel in der „Süddeutschen“ über Baseball aufmerksam. Irgendwie haben’s deutsche Frauen mit Baseball: Auch die Schönste Germanin liebt ihn, während dieser Autor die Spiele hauptsächlich als Entschuldigung sieht, in der Sonne zu sitzen und Hot Dogs zu essen. Bei den echten Sportarten hat Berlin Thunder übrigens gerade Rhein Fire in Grund und Boden gestampft. Hehe.
  • Zur Sommerzeit: Arizona hatte Recht: Die geänderten Zeiten haben keine Energie eingespart. Aber schön, dass alle nochmal ihre Rechner gepatched haben.
  • Zu Titeln: Ein Beispiel für einen angelsächsischen Medienmenschen, der trotz seiner akademischen Laufbahn seine Titel nicht aufführt, ist der bekannte (oder berüchtigte) konservative Kommentator und Pulitzer-Preisträger Charles Krauthammer. Abschluss in Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Oxford, Medizinstudium in Harvard, Forschung in der Psychiatrie, dann Wechsel zu den Schreiberlingen und inzwischen „der einflussreichste Kommentator der USA“, zumindest nach Ansicht der britischen „Financial Times“. Wie wird er aufgelistet? „Charles Krauthammer“, ohne „M.D.“ oder sonst etwas.
  • Zur Polizei: Ein Beispiel dafür, wie die Kommunen die Regeln für ihre Polizei festlegen, kommt aus Los Angeles. Dort dürfen wegen Special Order 40 die Beamten Verdächtige nicht fragen, ob sie eine Aufenthaltsgenehmigung haben [PDF]:

    Special Order 40 precludes LAPD officers from initiating „police action with the objective of discovering the alien status of a person,“ and from arresting or booking a person for „“illegal entry“ into the United States.

    Diese 30 Jahre alte Regelung wird im Zuge der Debatte über illegale Einwanderer inzwischen in Frage gestellt.

  • Zur Polizei, am Rande: In Großbritannien wird entsprechend einer Empfehlung einer Expertengruppe die Direktwahl von Police Commissioners diskutiert. Wenn dieser Autor es richtig versteht, ist das der Polizeichef von London.
  • Zur US-Flagge: Es gibt Situationen, in denen es selbst in den USA verboten ist, eine Fahne zu verbrennen: Wenn sie jemand anders gehört. Die mutmaßlichen Täter sind drei Studenten aus Yale, darunter ein Grieche und ein Brite. Letztere haben es in den USA ja irgendwie mit der Pyromanie.
  • Zu Indianern: Es muss nicht immer „The Onion“ sein. Wer sich für Nachrichten aus den Indianer-Nationen interessiert, kann sich bei „Indian Country Today“ informieren. Die Website gehört zu einer Wochenzeitung, die wiederum den Oneida – ein Teil des Irokesen-Bundes – im Bundesstaat New York gehört. An dem Text zu den Indianer-Nationen wird weiter fleißig gearbeitet.
  • Zu Buffys T-Shirt: Gut, wir wollen nicht so sein. Das Motiv ist das Serenity-Logo [JPG]. Der gleichnamige Film basiert auf der TV-Serie „Firefly“, die beide wie „Buffy“ von Joss Whedon stammen und in den USA äußerst populär waren. Dummerweise schmiss sie Fox trotzt massiver Proteste aus dem Programm. „Firefly“ ist für uns interessant, weil die Schimpfworte auf Chinesisch waren und man damit Ärger mit der Funkaufsicht FCC umging. Wir werden uns mit dieser Behörde im Rahmen unserer Serie über die Meinungsfreiheit befassen.
  • (Danke an DKS für den Hinweis auf Krauthammer)

    META: Eine Woche Textpflege bis zum 16. April 2007

    April 8, 2007

    Ich werde diese Woche damit verbringen, die Einträge in diesem Blog zu überarbeiten, eine Art Generalüberholung vor dem Einjährigen im Mai. Der nächste neue Eintrag kommt am Montag, dem 16. April 2007.

    Insbesondere müssen in die älteren Einträge Links zu den neueren Einträgen eingefügt werden, denn im Moment sind Serien wie zum Beispiel der Aufbau des Bundes nur umständlich als Ganzes zu lesen. Ich habe es auch versäumt, von Anfang an ein einheitliches System für die Formatierung von Film- und Buchtiteln anzuwenden – kein style book. Und wenigstens einige der schlimmsten Rechtschreibe-Fehler müssten sich beseitigen lassen.

    Hinweise und Vorschläge werden dabei natürlich gerne entgegen genommen, unter der üblichen E-Mail-Adresse. Vielen Dank!

    Kurz erklärt: Punkte und Anführungszeichen

    April 6, 2007

    Ist irgendjemanden etwas an dem Xander-Zitat im letzten Eintrag aufgefallen? Schauen wir uns die Stelle nochmal an:

    “Xander.” Renee, I told you, it’s “Xander.” Or “Sergeant Fury.”

    Im zweiten und dritten Satz ist der Punkt innerhalb des Teilzitates, nicht außerhalb, wo man ihn im Deutschen setzen würde. Das ist kein Tippfehler: In den USA ist das üblich. Auch ein Komma kommt in so einem Fall in der Regel innerhalb der Anführungszeichen. Bei Kommata ist das in Großbritannien ebenfalls die gängige Praxis, nicht aber beim Punkt, der meist außerhalb der Anführungsstriche gesetzt wird.

    „Üblich“, „in der Regel“, „gängige Praxis“ und „meist“ schreiben wir deswegen, weil es mal wieder keine einheitliche Vorgehensweise gibt, auch wenn der Englischlehrer einem das so vorgegaukelt haben mag. Man findet durchaus, dass Komma und Punkt wie in Deutschland gesetzt werden, also außerhalb des Teilzitates. Entscheidend ist der styleguide, nach dem sich das Medium richtet – wie immer.

    „Buffy“ Staffel 8 und die Vornamen-Falle

    April 4, 2007

    Der regelmäßige Leser dieses Blogs wird sich fragen, warum wir noch nicht auf die gerade angelaufene Staffel 8 von „Buffy the Vampire Slayer“ eingegangen sind – schließlich ist das erste Heft der canonical comic book continuation der TV-Serie schon seit Mitte März auf dem Markt.

    Dummerweise war die Nachfrage so groß, dass dieser Autor zunächst keine Ausgabe bekommen hat. In den USA war der erste Teil von „The Long Way Home“ sogar ausverkauft [1]. Am Ende war es nur dem heldenhaften und aufopfernden Einsatz von Schwesterlein Mein und der Schönsten Germanin zu verdanken, dass es nicht noch länger dauerte.

    Natürlich lohnte sich das Warten, denn ein wirklich guter Geschichtenerzähler wie Joss Whedon (oder Neil Gaiman) kommt mit jedem Medium zurecht. Und natürlich werden wir dazu einen Eintrag machen. Wir werden zwar keine Plot-Elemente verraten, aber wer komplett vor auch der kleinsten spoiler-Gefahr geschützt sein will, sollte jetzt selbst das Heft kaufen gehen und erst dann hierher zurückkommen.

    Gut. Alles genau gelesen? Alle Anspielungen verstanden? Erkannt, was das Motiv auf Buffys T-Shirt ist? Sehr schön. Dann können wir loslegen.

    Wir befassen uns mit der Szene, in der Xander Harris mit einer Untergebenen spricht, die er „Renee“ nennt – er redet sie also mit dem Vornamen an (und ja, es ist eine Frau). Sie dagegen nennt ihn „Mister Harris“, und zwar offenbar nicht zum ersten Mal, denn er antwortet:

    „Xander.“ Renee, I told you, it’s „Xander.“ Or „Sergeant Fury.“

    Den Hinweis auf die Comic-Figur Nick Fury ignorieren wir, weil wir sonst David Hasselhoff erwähnen müssten, was dieser Autor hassen würde. Wir halten fest, dass Xander eine Untergebene mit dem Vornamen anspricht, sie aber umgekehrt bei der formellen Anrede bleibt (immerhin wechselt sie bis zum Ende der Seite auf „Sergeant“).

    Dass es es sich nicht um einen Einzelfall handelt, weiß der erfahrene Kinogänger von der Komödie „Secretary“. Dort nennt der Boss E. Edward Grey (James Spader) seine Sekretärin Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal) einfach nur „Lee“ („This isn’t just about typos, tapes, staples and pencils, is it, Lee?“) während sie ihn mit „Mister Grey“ und Sir anspricht.

    In beiden Fällen gilt: So etwas geht im Deutschen eigentlich nicht, denn der Gebrauch des Vornamens beruht zwischen Erwachsenen auf Gegenseitigkeit. Daran sehen wir, dass der Umgang mit Vornamen einer der vielen subtilen, aber wichtigen Unterschiede zwischen Angelsachsen und Germanen ist. Beide Kulturen haben ihre eigenen Regeln.

    Dummerweise macht sich das kaum einer klar und alle gehen mal wieder davon aus, dass alles wie zu Hause ist. Dieses Phänomen kennen wir von der Neigung der Angelsachsen, nicht direkt zu sagen, was sie meinen. Die Sache mit den Vornamen wird ebenfalls nur selten im Englischunterricht behandelt, mit den vorhersehbaren Folgen.

    (Und auch hier müssen wir darauf hinweisen, dass es zu dem Thema umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten gibt und dass wir daher nur eine sehr pragmatische, abgekürzte Darstellung eines eigentlich sehr komplexen Regelwerks geben.)

    Auch wenn in Deutschland der Gebrauch des Vornamens und des „Du“ im Wandel ist, gilt grundsätzlich: Beides sind Zeichen für eine informellere, engere Beziehung, in der man sich mehr herausnehmen kann, als es bei „Herr Müller-Lüdenscheid“ der Fall ist. Deutsche, die sich mit Vornamen ansprechen, sind in der Regel Freunde oder zumindest gute Bekannte.

    Das ist bei Amerikanern ausdrücklich nicht so. Das sieht man daran, dass sie einem gerne mal den Vornamen anbieten, kaum dass man sie kennt: Welcome to America, just call me Bob! Nichtsahnende Deutsche sind dann begeistert, wie leicht man mit Amerikanern Freundschaft schließt. Was für ein tolles Land! Wie offen doch die Menschen sind! Und so zugänglich!

    Die Ernüchterung folgt dann einige Tage später, wenn von der Vertrautheit, die in Deutschland zum Vornamen dazugehört, nichts zu merken ist. Dann ist man schnell wieder bei der „Oberflächlichkeit“ der Amerikaner, manchmal sogar bei dem Glauben, dass man überhaupt keine „tiefen Freundschaften“ mit ihnen schließen könne.

    Der Amerikaner versteht seinerseits überhaupt nicht, was das Problem sein soll – eine Freundschaft entwickelt sich doch mit der Zeit, durch gegenseitige Wertschätzung, nicht einfach dadurch, dass man den Vornamen benutzt. Es gibt doch jede Menge Situationen, in denen man das tut, aber sich nicht richtig kennt oder gar mag.

    Damit sind wir wieder bei Renee und Xander. Es ist durchaus normal, dass ein Vorgesetzter seinen Mitarbeiter beim Vornamen nennt, dieser aber umgekehrt beim Titel und Nachnamen bleibt. Der Klassiker ist Chef und Sekretärin, wie bei „Lee“ und „Mister Grey“. Der gemeine deutsche Tourist kennt das von amerikanischen Verkäufern oder Kellnern, die auf einen zukommen und sagen: Hi, I’m Dave, how can I help you?, einen aber als Kunden mit Sir oder Ma’am ansprechen.

    Diese Asymmetrie bei der Anrede ist für Angelsachsen kein Problem, verletzt aber eine der wichtigsten germanischen Regeln: Duzen ist reziprok. Dass eine Person die andere duzt, aber von ihr gesiezt wird, kennen Deutsche nur von der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen [Faustregel für Angelsachsen: Im Deutschen werden neben Freunde nur Tiere, Kinder, Betrunkene und Gott geduzt, auch wenn Letzterer irgendwie nicht in die Reihe zu passen scheint]. Es hat fast etwas Erniedrigendes.

    Oder man hört von Deutschen die Beschwerde, dass man in so einer Situation nicht „die Distanz“ wahren kann. Der Vorname schaffe eine Vertrautheit, die man gar nicht haben wolle, heißt es dann.

    Auch hier wird die Symbolik des Vornamens in Deutschland unreflektiert auf eine andere Kultur übertragen, die dafür ganz eigene Regeln hat. Renee und Dave erwarten nämlich trotzdem, dass man sie genauso höflich und professionell behandelt, als wenn man ihre Nachnamen verwenden würde (Lee nicht, aber das ist ein sehr, sehr spezieller Fall). Der Gebrauch des Vornamens statt des Nachnamens ist hier einfach eine gesellschaftliche Konvention des Angelsachsentums.

    Entsprechend redet man sich auf der Arbeit unter Kollegen auch mit dem Vornamen an. I agree with Thomas that we all need one of those T-shirts like Buffy is wearing, heißt es dann bei einer Sitzung. In diesem Fall ist der Unterschied zu Deutschland oberflächlich gesehen zwar etwas geringer, denn in vielen deutschen Unternehmen gilt inzwischen, dass man total informell sein will und sich ganz relaxed und cool mit Vornamen anspricht.

    Trotzdem würde ein sorgfältiger Übersetzer das „Thomas“ durch „Herr Schneider“ ersetzen, denn das ist die angebrachte Sprachebene: Der Vorname wird hier in einem formellen Zusammenhang benutzt, der im Deutschen eigentlich nach dem Nachnamen verlangt, Management-Moden hin oder her. Durch das ständige Beibehalten des Vornamens bei der Synchronisation von amerikanischen Filmen wird eine Vertrautheit zwischen den Figuren suggeriert, die es im Original nicht gibt. Das kriegt man aber als Übersetzer seinem Auftraggeber nicht vermittelt – wieso, im Original steht doch der Vorname? heißt es dann. Übersetzen ist, wie wir immer wieder feststellen, die Hölle.

    Die wohl schwerwiegendsten Probleme treten auf, wenn ein amerikanischer Professor seinem deutschen Studenten oder ein Gastvater einem Austauschschüler den Vornamen anbietet – Welcome to MIT, just call me Bob! Eigentlich würde man im Deutschen eine solche Respektsperson auf keinen Fall mit Vornamen ansprechen, weswegen das Angebot um so schmeichelnder und verlockender klingt.

    Aber das kann einfach nur eine höfliche Geste sein, etwa wie das berüchtigte Come over sometime oder der Gruß How are you? Es kann allerdings auch völlig ernst gemeint sein. Was tun?

    Hier hilft uns Renee: Xander hat ihr offenbar schon einmal gesagt, sie solle ihn doch beim Vornamen nennen. Aber sie ließ sich davon nicht beirren, wie wir an dem „Mister Harris“ sehen. Sie wendet damit die schon besprochene „Dreierregel“ an, nach der man Angelsachsen nur dann ein Angebot glauben soll, wenn sie es mehrfach machen. Lieber einmal zu formell bleiben als auf eine Floskel hereinfallen, lautet daher die Empfehlung. Wenn das Angebot ernst gemeint ist, wird es wiederholt werden, wie es Xander tut.

    (Es geht noch komplizierter. Als die Schönste Germanin diesen Autor kennenlernte, sprach sie mit den Ehrenwerten Eltern nur Englisch und der Vorname war kein Problem. Irgendwann kam sie aber in die Situation, wo sie Deutsch sprechen musste. Prompt wechselte sie ins „Sie“. Die Ehrenwerte Mutter stutzte und bestand sofort auf das „Du“. Das brachte die Schönste Germanin für einige Minuten in fürchterliche Bedrängnis: Sie kannte die Dreierregel, die Ehrenwerte Mutter aber auch die deutschen Regeln. Es blieb natürlich beim „Du“ – aber niemand hat gesagt, dass binationale Beziehungen einfach sind.)

    Und jetzt kommt der Clou. Selbst wenn der Dozent oder wer auch immer wirklich mit dem Vornamen angesprochen werden will, sollte man seine germanischen Instinkte unterdrücken und ihn trotzdem mit genau der gleichen Höflichkeit und Professionalität behandeln, als wenn man noch den vollen Titel benutzen würde. Der Vorname ist auch hier nur eine andere Form der Anrede, nicht das Zeichen für eine ganze neue Qualität der Beziehung. Ein General ist auch ohne seine Uniform immer noch ein General.

    An akademischen Titeln können wir übrigens sehen, wie kompliziert das Thema wirklich ist und warum wir es auch gleich wieder ruhen lassen: Unter Amerikanern gilt es als Angeberei, seinen eigenen Titel zu benutzen. Im Impressum von amerikanischen Tageszeitungen sucht man daher vergeblich nach Doktor- oder Professorgraden, wie sie einige deutsche Blätter führen.

    Das gleiche Prinzip kann man bei Tagungen sehen, wo der Deutsche ganz selbstverständlich etwas wie „Prof. Dr. Max Mustermann“ auf sein Namensschild kritzelt, während sein US-Kollege es bei einem „John Doe“ beruhen lässt, selbst (oder ganz besonders) wenn er ein Nobelpreisträger ist. Bei einer Tagung in Deutschland wird der Amerikaner dann schon mal für einen Studenten gehalten. Umgekehrt gilt der Deutsche in den USA erstmal als arrogant.

    (Schlimmer noch: Wenn überhaupt benutzen Amerikaner lediglich einen einzigen Titel. Egal wie viele man davon hat, man ist immer nur „Prof. Higgins“ or „Dr. Kildare“, nicht „Prof. Prof.“ oder „Prof. Dr.“ oder gar wie auf der Website der Universität Würzburg gesichtet („kein Witz!“, erklärt die Fachschaft):

    Prof. Prof. Prof. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.

    Vermutlich bietet sich in diesem Fall aber auch für Tagungen in Deutschland eine Form der Exponentialschreibweise an.)

    Fassen wir zusammen: Die Regeln für die Verwendung des Vornamens sind bei den Angelsachsen anders als bei den Germanen. „John“ kann dem deutschen „Du“ entsprechen, aber auch alles von „Herr Ober“ über „Herr Doe“ bis hin zu „Professor Doktor Doe“ bedeuten, je nachdem, wer wann mit wem spricht und wie sie gesellschaftlich zueinander stehen. Der Vorname ist insbesondere nicht automatisch ein Zeichen dafür, dass man sich nahe steht oder sich gar irgendwelche Vertrautheiten herausnehmen darf. Trotz des Vornamens kann ein sehr formelles Verhalten angebracht sein.

    Ein Trost bleibt dem vielleicht frustrierten deutschen Leser: Auch Buffy muss sich erst damit anfreunden, dass sie jetzt als Anführerin aller Slayer plötzlich anders angesprochen wird:

    Everybody calls me „Ma’am“ these days.

    Kein Wunder bei dem T-Shirt.

    ([1] „Neues vom Monsterkrieg“, Dietmar Dath, „FAZ“ 28. März 2007, Seite 38)

    [Danke an JW von Atlantic Review für den Hinweis auf den FAZ-Artikel. Danke an DKS für zahlreiche Anregungen und Beispiele]

    Himmelsrichtungen im US-Verkehr

    April 2, 2007

    In den USA sind Himmelsrichtungen im Verkehr wichtiger als in Deutschland. Es ist nicht selten, dass es im Auto einen Kompass gibt, inzwischen meist elektronisch: Die Fernstraßen (das National Highway System, (NHS) das wir später erklären werden) wurden halt alle mehr oder weniger genau in Nord-Süd- oder West-Ost-Richtung [JPG] gebaut und es ist ein großes Land. Das deutsche System, sich nach größeren Städten zu orientieren, würde nicht funktionieren, weil es einfach zu viele Ortsfremde gibt.

    Der interessierte Leser kann ein Gefühl für das Problem entwickeln, wenn er sich das Trucker-Lied „Willin'“ von Lowell George vornimmt, wie es zum Beispiel in dem director’s cut von „Abyss“ (sehr schief) gesungen wird:

    And I’ve been from Tucson to Tucumcari
    Tehachapi to Tonapah

    Viele Deutsche kriegen noch Tucson hin – das liegt, wie uns die Beatles erklärt haben, in Arizona – aber dann wird es schon finster. So etwas auf Verkehrsschildern würde aber auch Leute aus Maine verwirren, ganz zu schweigen von den ganzen Kanadiern, die im Winter in Heerscharen den warmen Südwesten der USA überfallen. Daher gibt man lieber gleich an, in welche Himmelsrichtung eine Straße führt.

    Wer mit dem einen System groß geworden ist, hat im anderen Anpassungsschwierigkeiten. Dieser Autor hat die Erfahrung gemacht, dass Deutsche nervös werden, wenn die Zielstadt nicht ständig ausgeschildert ist, möglichst noch 400 Kilometer vorher wie das bei Berlin der Fall ist. „Was weiß ich denn, wo Westen ist“, schimpfte einmal in den USA in seinem Beisein eine Deutsche, die ungenannt bleiben soll.

    Umgekehrt denken Amerikaner beim Autofahren in Deutschland auch erstmal in Begriffen wie Norden und Süden, nicht „Richtung Hannover“. Wer nicht vorgewarnt wurde und etwa von Bochum aus nach Ahlen, Westfalen will, schaut sich die Karte an und sagt sich: That’s easy, ‚rauf auf die A40 in Richtung Osten. An der Auffahrt angekommen steht er aber dann vor der Frage, ob von Bochum aus jetzt Essen oder Dortmund im Osten liegt.

    Kein Wunder, dass sich Navigationsgeräte so gut verkaufen – in beiden Ländern.

    (Dank an Schwesterlein Mein für den Beatles-Hinweis)