Archive for Juni, 2011

Jamie Oliver, rosa Schleim und die Austern der Rocky Mountains

Juni 28, 2011

Die meisten interessierten Leser werden den britischen Koch Jamie Oliver kennen, nicht nur wegen seiner Bücher (die irgendwie überall auftauchen), sondern auch wegen seines Versuchs, britischen und amerikanischen Kindern ein gesünderes Schulessen zukommen zu lassen.

Seine entsprechende TV-Serie in den USA, Jamie Oliver’s Food Revolution, ist jetzt trotz eines Emmys und viel Lob allerseits von ABC abgesägt worden. Stattdessen werden Wiederholung von Dancing with the Stars gezeigt.

[Nach dem verfrühten Ende von Firefly, Angel, Dollhouse und nun Food Revolution mag man sich fragen, was das für Menschen sind, die bei US-Fernsehsendern solche Entscheidungen treffen. Regel Zwei und eine gute Kinderstube verbieten es diesem Autor, darauf einzugehen. Er ist allerdings froh, dass sie beim Fernsehen arbeiten statt als Fluglotsen oder in Kernkraftwerken.]

Nun schreibt das Magazin Wired in einem (empörten) Nachruf auf Food Revolution über eine Sendung (Hervorhebung hinzugefügt):

He diagrams a live cow’s choice cuts, mashes the throwaway bits usually reserved for dog and fast food, chuck thems [sic] into a washing machine, soaks them in ammonia and other toxic chemicals, and then offers a hearty bon appetit to his aghast audience. How you like them Rocky Mountain oysters?

[Wired zeigt einen Video-Ausschnitt [YouTube], in dem der Begriff pink slime eine wichtige Rolle spielt. Das Ganze erinnert an einen berühmten Spruch von Bismarck.]

Der interessierte Leser mag an dieser Stelle stutzen, weil die Rocky Mountains ja ein Gebirge sind, und Austern bekanntlich eher im Wasser zu finden sind. Andere Namen für dieses, äh, Gericht sind auch nur begrenzt hilfreich: prairie oysters (nicht mit dem Cocktail zu verwechseln), cowboy caviar, Montana tendergroins, calf fries, bull fries, dusted nuts oder swinging beef.

Allerdings: mit den letzten beiden Namen und etwas Fantasie kann man sich denken, worum es geht: Stierhoden.

When the calves are branded, the testicles are cut off and thrown in a bucket of water. They are then peeled, washed, rolled in flour and pepper, and fried in a pan.

Bekanntlich gibt es nichts Widerliches, dass nicht irgendjemand irgendwo zur Delikatesse erklären würde. So ist es auch hier.

Dieser Autor dagegen, der (zum Leidwesen der Schönsten Germanin) nichts mit den foodies am Hut hat, bleibt lieber bei den Klassikern — rosa Schleim oder nicht.

[Gefunden von NMK, vielen Dank]

ZEUGS: Mehr S&M bei Kika, Nathan Hales Arsch und der farbige Atombombenbau

Juni 24, 2011

Offenbar hat Kika beschlossen, „S&M“ von Rihanna durchgehend für die Frauenfußball-WM zu benutzen, auch die Textpassagen, die man vielleicht nicht in einem Kinderprogramm erwarten würde. Darunter war am Freitag der folgende Abschnitt:

Sticks and stones
Can break my bones
But chains and whips excite me

Das ist so ungefähr die älteste Parodie eines Kinderreims, das auch Kind Nummer Eins wohl bekannt ist:

Sticks and stones
Can break my bones
But words can never hurt me

Dieser Autor sollte nachschauen, ob irgend ein amerikanischer Kindersender im Gegenzug „Bitte Bitte“ von den Ärzten für die WM verwendet …

  • Zu Nathan Hale, während wir bei der Verballhornung von amerikanischem Kulturgut sind: Der interessierte Leser CS weist darauf hin, dass im Hacker Jargon File der Stern (also „*“, englisch asterisk) auch als „Nathan Hale“ bezeichnet wird. Wer jetzt ein WTF-Gesicht macht:

    life to give –> ass to risk –> asterisk

    Wobei es noch schlechtere Witze mit dem Namen Nathan Hale gibt (Erklärung hier, wer das Originalzitat nicht kennt).

  • Zur Zombie-Apokalypse: Im Gegensatz zu den leichtsinnigen Briten sind die amerikanischen Streitkräfte auf die Untoten bestens vorbereitet, zumindest auf dem Papier:

    While your standard M4 is the weapon of choice for counter-Zombie operations, there are multiple think-outside-the-box options. Try a spear (highly recommended, aim for the head), aluminum baseball bat (the shortest melee weapon practical for use against Zombies) or sword (Attention! Decapitated heads can still bite you).

    So geht hoffentlich die echte Schlacht von Yonkers besser aus.

  • Zur Unabhängigkeitserklärung: Das Language Log untersucht den Unterschied zwischen unalienable und inalienable.

    Thanks to the Google Ngram search tool, we can date the change fairly confidently to the first half of the 19th century, with a cross-over point around 1830.

    Wie das Blog allerdings selbst zugibt: Es gibt wichtigere Themen. Aber trotzdem.

  • Zum Erie-Kanal: Die New York Times hat eine Fotoreportage über die Ruinen an der Wasserstraße.
  • Zur Atombombe: Vor kurzer Zeit sind umfangreiche Farbfilme von dem Bau der Anlagen in Oak Ridge wiedergefunden worden. Man beachte die Holzbauweise. Dieser Autor findet die alten Schaufelbagger am faszinierendsten, aber das kann daran liegen, dass er als Kind Mike Mulligan and His Steam Shovel geliebt hat.
  • Zu Holzhäusern und der gefährlichen Natur: Popular Mechanics zeigt acht Schritte, um sein Haus vor Tornados zu schützen. Deutsche dürften sich über Punkt 6 freuen.
  • Zu Farben des iPad: Schwesterlein Mein antwortete darauf lediglich, in echtem Germlisch:

    Die Oakland Raiders, awesome choice!! And don’t forget to wear your iPatch when using it

    Wobei die Trikots doch deutlich sauberer sind als was inzwischen am Familien-iPad hängt.

META: Ankündigung neuer Einträge jetzt über Twitter

Juni 21, 2011

Bekanntlich ist die kybernetische Entwicklung dieses Autors mehr oder weniger mit dem Blog stehen geblieben — er hat keinen Facebook-Account, twittern tut er nicht, und was auch immer danach gekommen sein mag, das ganz bestimmt auch nicht. Alles neumodischer Schnickschnack.

Aber WordPress kann jetzt für ihn twittern (oder tweeten, oder wie das auf Neudeutsch heißt), und zwar neue Einträge. Sprich, wer kein RSS benutzen will, weil das für alte Leute ist, kann sich über @scotstevenson informieren lassen, wenn ein neuer Eintrag kommt. Das wären dann in der Regel zwei Tweets pro Woche, mal einer mehr, eher einer weniger.

Sollte dieser Autor doch eine plötzliche Liebe zur Viel-Zwitscherei entwickeln, wird er eine Warnung absetzen, damit alle in Deckung gehen können.

Warum die Amerikaner ihre Anführungszeichen so komisch setzen

Juni 18, 2011

Schauen wir uns einmal die Satzzeichen in diesem Zitat über Satzzeichen bei Zitaten an:

„In American English,“ he said, „commas and periods almost never follow quotation marks.“

[Die „germanischen“ Anführungsstriche bei diesem Zitat sind ein bekanntes Problem von WordPress, bitte ignorieren.]

Nein, das sind keine Tippfehler: Das Komma und der Punkt gehören nach der amerikanischen Satzlehre tatsächlich in das Teilzitat. Vergleichen wir das mit dieser BBC-Meldung über Verzögerungen bei Doctor Who:

Danny Cohen told a Derbyshire media conference that Moffat „needs enough time to get that done and then start work on the next series of Doctor Who“.

Die Briten setzen ihre Satzzeichen in diesen Situationen (vereinfacht gesagt) wie die Deutschen: Wenn Komma oder Punkt Teil des Zitates sind, kommen sie in die Anführungsstriche, sonst außerhalb. Noch ein Beispiel für die Art, wie Amerikaner und Briten durch eine gemeinsame Sprache getrennt werden, wie es so schön heißt.

Die britische Form, die so genannte logical punctuation, ist die ältere, die amerikanische, auch traditional genannte Form, ist die jüngere. Die Amerikaner führten die Änderung offenbar nach der Revolution aus ästhetischen Gründen ein:

According to Rosemary Feal, executive director of the MLA, it was instituted in the early days of the Republic in order „to improve the appearance of the text. A comma or period that follows a closing quotation mark appears to hang off by itself and creates a gap in the line (since the space over the mark combines with the following word space).“

Ob das nun wirklich besser aussieht, ist Geschmacksache. Es ist auf jeden Fall die vorgeschriebene Form in den meisten amerikanischen Veröffentlichungen (wobei die genauen Regeln komplizierter sind als dieser Autor sie hier jetzt darstellt). Allerdings stößt in diesem Fall der Kulturimperialismus an harte Grenzen: Selbst die englischsprachige Wikipedia folgt den Briten. Dort finden wir zu dem Autor Terry Pratchett:

His early reading included the works of H. G. Wells and Arthur Conan Doyle and „every book you really ought to read“ which he now regards as „getting an education“.

Das Wikipedia-Stilhandbuch schreibt zu der Entscheidung, die outside-Variante zu verwenden:

It is used here because it is deemed by Wikipedia consensus to be more in keeping with the principle of minimal change.

Schlimmer noch für amerikanischen Traditionalisten: In der neuen Volksliteratur von Twitter, Blogs und Facebook gibt es eine Gegenbewegung. Aufrührerische US-Bürger setzen frech ihre Punkte und Kommata dort, wo man sie im ehemaligen Mutterland auch hintun würde. Der amerikanische Englisch- und Journalismus-Professor Ben Yagoda spricht in dem oben zitierten Slate-Artikel von einen klaren Trend zur britischen Form bei seinen Studenten:

[F]or the past several years, my students have found it irresistible, even after innumerable sardonic remarks from me that we are in Delaware, not Liverpool. As a result, I have recently instituted a one-point penalty on every assignment for infractions. The current semester is nearing its end, but I am still taking points away.

[Dieser Autor, der in seinem Leben genug Probleme damit hat Dinge wie address und „Adresse“ auseinanderzuhalten, neigt in englischen E-Mails auch dazu, die britische Schreibweise zu benutzen, obwohl ihm das Problem klar ist. Dissent is patriotic, möchte er dazu sagen.]

Stehen wir vor einer amerikanischen Gänsefüßchen-Revolution? Vermutlich nicht. Die Stilwächter des Chicago Manual of Style sagten Yagoda zufolge zu der Frage, wann eine Umstellung kommen wird:

How about never? Is never good for you?

Die amerikanischen Profis werden wohl weiter bei der traditionellen Form bleiben, während die britische Variante still und leise die amerikanische Bevölkerung unterwandert. Aber hey, vielleicht muss man den Briten auch mal einen Sieg gönnen.

[Slate-Artikel von MLJ gefunden, vielen Dank]

Dosentreten als Spiel und als finanzpolitische Strategie

Juni 15, 2011

Wer Wirtschaftsnachrichten verfolgt, wird den Vorwurf kennen, die Politiker in den USA (wo es einen Schuldenberg gibt) und in der EU (wo es eine Schuldenkrise gibt) verfolgten beide die gleiche kurzsichtige Strategie: Eine Lösung der Probleme möglichst lange vor sich her zu schieben.

In den englischen Medien wird dafür zunehmend das Bild einer Dose benutzt, die man auf einer Straße vor sich hin tritt. Schauen wir uns an, was Fed-Chef Ben Bernanke zum Streit im Kongress über die Erhöhung der Schuldenobergrenze sagte (Hervorhebung hinzugefügt):

There’s only so far that we can kick the can down the road

Und vor einigen Tagen schrieb der Economist zu Griechenland:

An irreverent official at the International Monetary Fund recently installed a jarring ringtone on his mobile phone. It is the sound of cans being kicked down a road.

Der Reuters-Wirtschaftsbloger Felix Salmon zeigt (bizarrerweise mit Daten des Konkurrenten Bloomberg) dass die Sache mit der Dose das neue Lieblingsbild der Presse geworden ist, obwohl es viele Alternativen wie extend and pretend, delay and pray oder fake it till you make it gibt, ganz zu schweigen von dem Klassiker to punt. Das fake it wird der interessierte Leser als Lied von Seether kennen.

Aber so einfach ist das nicht, denn inzwischen wird das meme einfach zu kick the can verkürzt. Das Dumme dabei: Zumindest in den USA ist das der Name für ein Kinderspiel, eine Variante von „Verstecken“. Salmon wusste das nicht, entweder weil Briten das Spiel nicht kennen oder weil er eine seltsame Kindheit hatte (oder beides).

Ob es das Spiel in Griechenland gibt, konnte dieser Autor nicht in Erfahrung bringen.

ZEUGS: Katanas, Drohnen und die Vernichtung der gelben Armeen

Juni 9, 2011

Die Erziehung von zweisprachigen Kindern in einem einsprachigen Land ist nicht ohne Tücken.

So meinte der öffentlich-rechtliche Kindersender Kika am Wochenende, einen Bericht über die Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft ausgerechnet mit dem Lied „S&M“ von Rihanna unterlegen zu müssen. Zwar wurde das Stück so geschnitten, dass man nach einer Textpassage hauptsächlich das em-em-em am Ende des Refrains ausmachen konnte. Aber bekanntlich hören kleine Ohren die Dinge am besten, die sie nicht mitkriegen sollen, und so machte sich dieser Autor schon auf die Frage von Kind Nummer Eins gefasst, warum die Frau „SM“ statt „WM“ singt. Zum Glück war der Beitrag offenbar so interessant, dass sie nicht aufkam.

Das Problem gibt es natürlich auch umgekehrt: Dank Lady Gaga bereitet sich in den USA gerade das gute (und nützliche) deutsche Wort „Scheiße“ aus, komplett mit dem „ß“. Was uns zu einem weiteren Beispiel für den germanischen Kulturimperialismus bringt:

  • Zu Lehm, Holz und Wolle: „The Atlantic“ berichtet über den internationalen Erfolg des Spieles Siedler von Catan, das auch in den USA Fuß fasst:

    As I was writing this post, WalMart.com was completely sold out of the game. As of this week, two different versions of Settlers were in the top 10 board game sellers on Amazon — and neither Risk nor Monopoly were in the top 10.

    Dass niemand mehr Risiko spielen will, versteht dieser Autor vollkommen, seitdem er die neuen Weicheier-Formulierungen gesehen hat: Zu seiner Zeit hieß es noch „vernichten sie die gelben Armeen“. Von „befreien“ war nie die Rede.

  • Zu Katanas und dem asiatisch-amerikanischen Kulturaustausch, wenn wir bei Gewalt sind: Der interessierte Leser R argumentiert überzeugend, dass es „das Katana“ (wie „Schwert“) heißen muss statt „die Katana“ (der Duden war hier keine Hilfe). Er war zudem der erste von mehreren Lesern, die Highlander vermisst haben. CT weist weiter darauf hin, dass streng genommen das Schwert in Blade keine kein Katana ist, schon allein wegen der zweiseitigen Klinge. Der Eintrag wurde entsprechend geändert. Noch strenger genommen halten Buffy und ihre Mädels auf dem verlinkten Bild übrigens auch nicht ein Katana, sondern ein bokken (bokuto). Aber das lassen wir jetzt.
  • Zum Bürgerkrieg: Slate untersucht, wie die berühmte Dokumentation von Ken Burns die amerikanischen Vorstellungen von dem Krieg geprägt haben.

    The film was perfectly calibrated to please most every constituency in the post-Vietnam culture wars. While many noted an anti-war crosscurrent in its brutal images of mangled limbs and bloated corpses, the film’s dominant notes present an unapologetic patriotism and an appealing vision of war as a source of honor, high ideals, and unity of purpose—precisely what had been lost in Vietnam and its aftermath.

    Burns ist der Namensgeber des Ken Burns effect, den der interessierte Leser von seiner Foto-Software kennen wird — zumindest wenn er einen Mac besitzt.

  • Zu Davy Jones Locker: Der interessierte Leser MA verweist in diesem Zusammenhang auf das Monkees-Mitglied mit dem gleichen Namen. Wie irgendwie immer gibt es auch hier eine Verbindung zu SpongeBob.
  • Zum Untergang der Welt: Wie befürchtet ist jemandem aufgefallen, dass „das Jüngste Gericht“ nicht die exakte Übersetzung von rapture ist, und zwar dem interessierten Leser LM. Formell lautet die Übersetzung „Entrückung“, aber eine informelle Umfrage im Bekanntenkreis dieses Autors (wo man eher Twilight liest als Left Behind) hatte für diesen Begriff blanke Verständnislosigkeit ergeben. Daher das „Jüngste Gericht“ als, äh, Dachbegriff. Zum Glück können wir das im Oktober nochmal durchsprechen, frei nach dem Motto: Thank God it’s Doomsday!
  • Zu Root Beer: Der interessierte Leser EP ist der Meinung, dass der Geruch an Dixi-Klos erinnert. Dieser Autor verbringt viel zu wenig Zeit auf Freiluft-Konzerten, um dem nachzugehen, wird es aber im Hinterkopf behalten.
  • Zu SkyNet: Die US-Luftwaffe will die Zahl ihrer Drohnen in neun Jahren verdoppeln.

    By the end of the current decade, the Air Force should have enough medium and large drones to maintain at least 65 round-the-clock „orbits,“ compared to 48 today. Add UAVs from the other services, and you’re looking at 100 or so permanently on-station killer drones, watching and waiting to swoop down with precision-guided bombs and missiles.

    Mit immer weniger Piloten können wir hoffen, dass uns ein Remake von Top Gun erspart bleibt.

Der Siegeszug des Katanas und der asiatisch-amerikanische Kulturaustausch

Juni 3, 2011

Nach dem Abschluss der achten Staffel von Buffy wollen wir uns mit einer Frage befassen, die dem interessierten Leser 40 Hefte lang den Schlaf geraubt haben wird: Warum benutzen Buffy und die anderen Slayer inzwischen japanische Langschwerter [JPEG], also katanas?

Ehrlich, WTF? Die traditionelle Waffe des Vampirjägers ist der Pflock, schon seit Bram Stoker 1897 zum ersten Mal Abraham van Helsing in den Kampf gegen den Fürsten der Dunkelheit schickte. Auch für Buffy war bislang ein spitzes Stück Holz („Mister Pointy“) gut genug. Mehr noch: In der TV-Serie, sprich, in den ersten sieben Staffeln, war ein Schwert immer ein europäisches Schwert, mit einer geraden, doppelseitigen Klinge und einem großen Heft.

Japanische Schwerter haben in Amerika nicht nur bei Buffy Einzug gehalten. Christopher Lambert kämpfte als der „Highlander“ im gleichnamigen Film [JPG] damit und Laurence Fishburne schlitzt in Matrix Reloaded so ganze Autos auf. Der Zeichner Frank Miller (Sin City) verpasste Elektra [JPEG] — wohlgemerkt, der Name stammt von der Tochter von Agamemnon aus der griechischen Antike — neben ihren sai auch ein Katana. Wenn man dem Computerspiel Left 4 Dead 2 glauben soll, liegen in den Südstaaten überall Katanas herum – praktisch, natürlich, wenn die Untoten kommen. Und wenn eine moderne Alice gegen die „Zombies in Wonderland“ vorgeht, dann auch mit einem Katana.

Nun gibt es Fälle, in denen ein japanisches Schwert in einem amerikanischen Medium ein Teil eines größeren japanischen Themas ist. Die Filme Kill Bill und Ghost Dog gehören dazu. Bei Buffy ist das nicht der Fall. Wenn überhaupt driftet die Serie in die nordische Mythologie ab, wie wir an Buffys denkwürdigem Spruch sehen:

Great muppety Odin, I miss the sex

Dieser Autor möchte eine These aufstellen: In den USA übernimmt das Katana mehr und mehr die Rolle des generischen Schwertes. Soll heißen: Wenn ein Amerikaner das Wort sword hört, taucht vor seinem geistigen Augen inzwischen eher ein japanisches als ein europäisches Schwert auf. Bedenkt man, welchen kulturellen Vorsprung die schottischen claymores [JPG] und König Arthus‘ Excalibur hatten, ist das erstaunlich.

Sollte diese Entwicklung zutreffen — beweisen kann dieser Autor das nicht — wäre sie ein weiteres Beispiel für ein Phänomen, dessen Ausmaß in Europa massiv unterschätzt wird: Der kulturelle Austausch zwischen den USA und Asien.

Enge Kontakte, wenn auch nicht immer freundliche, bestehen natürlich seit Jahrzehnten. US-Soldaten schlugen gemeinsam mit den Europäern den Boxer-Aufstand in China nieder und die Philippinen waren eine amerikanische Kolonie. Die Handelsreisen der clipper ships nach Asien machten viele Familien in den USA stinkreich. Japans Isolation wurde durch eine amerikanische Flotte beendet. Die Kriege gegen Japan, Nordkorea und Nordvietnam waren prägend. Seit mehr als einem halben Jahrhundert stehen Zehntausende GIs in Japan und Südkorea. Die beiden größten Übersee-Handelspartner der USA sind heute China und Japan, nicht irgendwelche europäische Staaten.

In den USA selbst geben 13 Millionen Menschen – etwas mehr als vier Prozent der Bevölkerung – an, Asiaten zu sein. Es gibt damit mehr Asian-Americans auf der Welt als Griechen. Die USA sind das einzige westliche Land mit mehr Buddhisten [PDF] als Muslimen. Das alles prägt das Weltbild: Die Weltkarten an der amerikanischen Westküste verbannen Europa an den äußeren linken Rand [JPG]. Washington und New York — die Hauptstadt und das Finanzzentrum — liegen zwar im Osten der USA und dominieren damit die europäischen Nachrichten über Amerika. Aber Hollywood liegt an der Westküste, wo Schnitzel fast exotischer ist als Sushi.

Schon das macht es schwer der Alten Welt zu vermitteln, wie viel Asiatisches inzwischen die amerikanische Kultur durchdringt und wie viel Amerikanisches in Asien aufgegangen ist.

Die Leute auf beiden Seiten des Pazifiks sind außerdem sehr geschickt dabei, neue Elemente nahtlos bei sich einzubauen. Japanisches — um das einfachste Beispiel zu nehmen — wird in den USA in einen Sternenbanner gewickelt und Amerikanisches bekommt in Japan einen großen roten Kreis aufgedrückt.

Schauen wir uns als Beispiele einige Filme an, wo der Zugang am einfachsten sein dürfte (oder zumindest am meisten Spaß macht).

Da wäre Star Wars, für viele Europäer der Inbegriff des amerikanischen Popcorn-Kinos. Was war George Lucas‘ Inspiration für das Drama über die Beziehungsprobleme der Familie Skywalker? Kakushi-toride no san-akunin, ein Werk des japanischen Großmeisters Akira Kurosawa, im Westen besser bekannt als Hidden Fortress.

Allein der Einfluss Kurosawas ist ungeheuer. Steven Spielberg nennt ihn ehrfürchtig den „Shakespeare des Visuellen“. Der Stoff von Shichinin no samurai (1954), auf Englisch die Seven Samurai, ist gleich mehrfach verarbeitet worden: John Sturges nahm 1960 die Handlung, zog Yul Brynner, Steve McQueen und Charles Bronson (und Horst Buchholz) hinzu, bettete alles in das amerikanische Genre des Westerns ein und schuf so den Klassiker The Magnificent Seven:

Once you begin you’ve got to be ready for killing and more killing, and then still more killing, until the reason for it is gone.

Die Magnificent Seven dienten ihrerseits als Grundlage von diversen Werken wie Stephen Kings Dark Tower oder Pixars Käfer-Film A Bug’s Life (1998). Ob Winnetou und sein Freund Old Firehand (1966) nun mehr von Sturges oder direkt von Kurosawa beeinflusst wurde, ist offenbar ansichtssache.

(Während wir bei Western und Kurosawa sind, könnten wir noch auf A Fist Full of Dollars des Italieners Sergio Leone mit Clint Eastwood und Marianne Koch hinweisen, denn der Film geht auf Yojimbo zurück.)

Star Wars ist etwas für die alten Semester wie dieser Autor, die noch wissen, wer zuerst geschossen hat. Schauen wir uns The Matrix an. Dass der Film vor buddhistischer Philosophie nur so trieft, ist hinlänglich bekannt:

According to Buddhism and according to The Matrix, the conviction of reality based upon sensory experience, ignorance, and desire keeps humans locked in illusion until they are able to recognize the false nature of reality and relinquish their mistaken sense of identity.

Weniger bekannt ist zu welchem Grad die Gebrüder Wachowski von japanischen Zeichentrickfilmen (animes) beeinflusst wurden. Wie Richard Donovan in Manga and the Matrix: Japan’s cultural and linguistic influences on the Matrix series erklärt:

They are on record as big fans of SF anime classics Akira (1988) and Ghost in the Shell (1996/98), which both began life as mango [sic] and are both alluded to in scenes of The Matrix.

Alluded to ist noch höflich formuliert, denn aus Ghost in the Shell von Mamoru Oshii übernahmen die Wachowskis ganze Szenen eins zu eins, wie man am direkten Vergleich sieht. Wenn zum Beispiel Agent Smith in der ersten Verfolgungsjagd nach einem Sprung über die Dächer mit hochgehaltener Waffe in der Hocke landet, dann ist das eine homage (französisch für „Diebstahl“) an Ghost, wo Major Motoko Kusanagi in genau der gleichen Haltung aufkommt.

Dann hätten wir noch Batman. Vor nicht zu langer Zeit lief mit The Dark Knight der jüngste Teil der Film-Serie an, die 1989 mit Batman begann. Angestoßen wurde das revival (englisch für „Diebstahl“) allerdings 1986 durch das Miller-Comic The Dark Knight Returns, aus dem sich der Film großzügig bediente. Miller war das egal:

Sure, they used my stuff — they used everybody’s stuff, but they used my stuff a lot — but they did it well, and that’s all I care about.

Selbst der Comic-Laie erkennt auf den ersten Blick, dass Returns sich nicht an die üblichen westlichen Konventionen hält. Kein Wunder, als einen der wichtigsten Einflüsse auf seine Arbeit nennt Miller das 7.000 Seiten lange Manga-Epos Lone Wolf and Cub von Goseki Kojima und Kazuo Koike. Der Rächer von Gotham verdankt seiner medialen Wiedergeburt zum Teil einer zwei Tausend Jahre alten japanischen Grafik-Tradition.

Der ganze Spaß läuft selbstverständlich auch umgekehrt ab.

Ghost in the Shell wäre ohne den Roman Neuromancer (1984) von William Gibson – dem Schöpfer des Wortes cyberspace – undenkbar. Gibson seinerseits wurde maßgeblich von dem Film Escape from New York (dt. Die Klapperschlange, warum auch immer) beeinflusst, der wiederum von dem Watergate-Skandal inspiriert wurde. Keine Kusanagi ohne Nixon.

Auch mit den Mangas ist das so eine Sache. Die Gelehrten streiten sich darüber, ob das ganze Genre nach dem Zweiten Weltkrieg aus eingeschleppten US-Comics hervorging oder ob diese „nur“ einen entscheidenden Einfluss hatten. So oder so sind auch sie eine Mischung aus amerikanischer und japanischer Kultur. Bei Animes ist die Situation sogar noch krasser. Der „Gott des Anime“, Osamu Tezuka, schuf seine Figuren wie folgt:

Seeking inspiration, he returned to the pre-war Disney cartoons that he loved as a child. Just like Mickey Mouse and Donald Duck, Tezuka’s animal and humans characters sported round heads with huge, expressive eyes.

Die riesigen runden Augen, die heute als ein Kennzeichen für japanische Comics gelten, kommen ursprünglich aus den USA. Inzwischen verderben beeinflussen natürlich Mangas ihrerseits die amerikanische Jugend, die verdächtig viel mit dem Begriff hentai anfangen kann.

Also: Ob Disney zu Tezuka, Kurasawa zu Lucas, Gibson zu Oshii oder Oshii zu den Wachowskis, die japanischen und amerikanischen Künstler spielen sich seit Jahrzehnten die Bälle über den Pazifik hin und her. Donovan spricht von einem intercultural feedback loop.

Die USA liegen dabei in der Schnittmenge von zwei großen Kulturräumen, die jeweils vom Westen über den Pazifik und vom Osten über den Atlantik reichen. Für den Film The Warriors (1979) über eine Jugend-Bande in New York greifen die Amis auf Anabasis von Xenophon aus der griechischen Antike zurück, für Ronin (1998) bemühen sie die 47 Ronin aus der japanischen Tradition. Auch die amerikanischen Ureinwohner leisten ihren Beitrag wie in Stephen Kings Pet Sematary und die Lateinamerikaner mit Dingen wie Desperado.

Sind Amerikaner damit fantasielose Minderbegabte, die zu keiner eigenen Kulturleistung fähig sind? Nur wenn auch Goethe ein Stümper war, weil er für Faust auf bekanntes Material zurückgriff und Schiller ein Plagiator, der Die Räuber bei Christian Friedrich Daniel Schubart abschrieb. Der „visuelle Shakespeare“ Kurosawa lieh sich seinerseits King Lear für Ran, MacBeth für Throne of Blood und Der Tod des Iwan Iljitsch für Ikiru. Die Kunst besteht darin, aus dem Bestehenden etwas Neues zu schaffen.

Denn Star Wars ist mit seinen hemdsärmeligen Rebellen und dem buckaneer Han Solo eindeutig ein amerikanischer Film, wie The Magnificent Seven als Western sowieso. Auch The Matrix mit seinen Anspielungen auf Alice in Wonderland (jetzt wieder die Version ohne Zombies) und amerikanischen Witzen hätte so nicht in Japan entstehen können:

Knock, knock, Neo.

Umgekehrt ist das Japanische nicht aus Ran wegzudenken. Es sind Synthesen.

Für die Europäer, die auf der anderen Seite des Planeten leben und wegen der ganzen Russen, Araber und Inder weniger Kontakt zu Ostasien haben, ist das meist schwer zu erkennen. Für sie sind Star Wars und The Matrix „typisch Hollywood“ und Mangas und Animes „typisch japanisch“. Dass die DNA dieser Werke riesige Abschnitte mit Material aus der jeweils anderen Kultur enthält, ist versteckt. Auch die wenigsten „Kulturschützer“ machen sich klar, dass der „amerikanische Kulturimperialismus“ auf diese Weise still und heimlich einen „japanischen Kulturimperialismus“ huckepack in die Welt trägt.

Nur manchmal macht sich der Genotyp unübersehbar im Phänotyp bemerkbar, wenn zum Beispiel ein Haufen amerikanischer Vampirjägerinnen plötzlich ihre europäischen Holzpflöcke wegwerfen und zum Katana greifen.

Wird der Wechsel irgendwo in Buffy erklärt? Bislang nicht, selbst nicht in den Folgen, in denen Buffys Schwester Dawn als Riesin in den Straßen von Tokio gegen eine Mecha-Dawn kämpft — Godzilla lässt grüßen. Unter amerikanischen Buffy-Fans scheint das alles kein Thema zu sein. Wie schon Deng Xiaoping sagte: Es ist egal, ob ein Schwert europäisch oder japanisch ist, so lange man damit Vampire töten kann.

[Danke an CHR für den Hintergrund zu Frank Miller, MLJ für Katana-Infos, DKS für den Hinweis auf die Clipper Ships und Schwesterlein Mein für Ghost Dog.]

[Geändert 08. Juni 2011: Ersetzt Blade, dessen Schwert streng genommen wohl nicht in die Gruppe gehört (nach einen Hinweis von CT), durch Highlander (zuerst vorgeschlagen von R); ändert durchgehend „die Katana“ in „das Katana“, auch nach einem Hinweis von R, vielen Dank.]