Archive for September, 2010

META: Blogpause bis 11. Oktober 2010

September 27, 2010

Wie bereits vor Jahren angekündigt machen wir jetzt eine Pause, damit sich dieser Autor ausgiebig mit Civilization V befassen kann. Ja, das ist ein Computerspiel. Die interessierte Leserin AT hat als erste darauf hingewiesen, dass sie wegen Montezuma und Co. eh nicht zum Lesen kommen würde. Und der interessierte Leser TL verweist auf das passende Civ-Musikvideo [YouTube] für die Leute, die nicht verstehen können, warum man darum so einen hype machen kann.

(Man beachte den Schriftzug Boom, bitch wenn Gandhi den Einsatz von Atomwaffen ankündigt. Die Konstruktion mit bitch(es) nach einem Komma findet man unter anderem in dem Web-Comic xkcd bei dem berühmten T-Shirt-Spruch Science. It works, bitches. Wir sollten sie irgendwann erklären, aber nicht jetzt.)

Nach der Pause werden wir über fanfic reden, damit die Schönste Germanin nicht immer völlig entsetzte Blicke von deutschen Bekannten bekommt, wenn sie von ihrer Sucht erzählt. Die interessierten Leser, die nicht die kommenden Tage mit Zhugenus verbringen, können zur Vorbereitung die Zeit mit Rosencrantz and Guildenstern Are Dead überbrücken. Ja, das sind die Jungs aus Hamlet.

Und jetzt hat dieser Autor eine Verabredung mit Wu Zetian. Bis Montag, dem 11. Oktober 2010 dürfte das Schlimmste vorbei sein, denn dieser Autor kann jederzeit aufhören [JPG]. Ehrlich.

(Korrigiert 4. Okt 2010: Korrekte deutsche Schreibweise für „Cho-Ko-Nu“ ist Zhugenu, nach einem Hinweis von DFP, vielen Dank)

Die Minutemen bei Civ V und der Anfang des Unabhängigkeitskriegs

September 23, 2010

Inzwischen ist das Demo zu Civilization V erschienen (mit den erwarteten Folgen für die Psyche dieses Autors). Jetzt können wir genau sagen, was für Eigenschaften die amerikanische Sondereinheit Minuteman hat:

All tiles cost 1 movement regardless of terrain.

Dazu muss man wissen, dass Infanterie-Einheiten bei Civ normalerweise zwei Bewegungspunkte haben. Auf ebener, unbewaldeter Fläche kommen sie damit zwei Felder weit. Hügel, Wälder, Sümpfe und Dschungel verbrauchen dagegen pro Feld zwei Bewegungspunkte – allerdings nicht bei den Minutemen. Anders formuliert, sie kommen auch in unebenem Gelände schnell voran. Noch anders formuliert, es handelt sich um Guerilla-Kämpfer. Das entspricht ihrem tatsächlichen geschichtlichen Charakter.

Wir gehen zurück in die Zeit unmittelbar vor den Unabhängigkeitskrieg. Schon seit jeher mussten in der Kolonie Massachusetts alle wehrfähigen Männer im Alter zwischen 16 und 60 Jahre eine Waffe besitzen und Mitglied einer Miliz sein. Das System hatte sich gegen die Indianer und die Franzosen bewährt, mit Folgen, die wir in unserem Einträg über den French and Indian War besprochen haben.

Als die Beziehungen zum Mutterland im Oktober 1774 immer schlechter wurden, baute der Provinz-Kongress von Massachusetts die Streitkräfte um. Alle Offiziere wurden entlassen und die Posten neu gewählt. Damit wurde man die Drecks-Loyalisten los. Und ein Viertel der Milizen wurde in eine Sondereinheit eingebracht, deren Mitglieder sich in drei Punkten von den anderen unterschieden:

  1. Sie waren Freiwillige.
  2. Sie trainierten mehrmals in der Woche (und bekamen deswegen eine finanzielle Entschädigung).
  3. Sie trugen ihre Waffen und Ausrüstung ständig bei sich.

Der letzte Punkt gab den Männern ihren Namen: Sie sollten „innerhalb einer Minute“ kampfbereit sein. Wie gut das klappte, mussten sie am 19. April 1775 in Lexington und Concord [Animation] zeigen, den ersten beiden Schlachten des Unabhängigkeitskriegs, die meist als eine behandelt werden. Das Ganze lief etwa so ab:

Die Briten entsandten 700 Soldaten aus Boston ins etwa 30 Kilometer entfernte Concord, um ein mutmaßliches Munitionslager der Kolonialisten zu zerstören. Diese schickten sofort Reiter aus, um ihre Milizen zu mobilisieren (verewigt 1861 von Henry Wadsworth Longfellow im Gedicht Paul Revere’s Ride). Bei dem kleinen Ort Lexington trafen die Soldaten auf eine Gruppe Milizionäre – keine Minutemen – unter der Führung von John Parker. Er soll seiner Einheit folgenden Befehl gegeben haben:

Stand your ground; don’t fire unless fired upon, but if they mean to have a war, let it begin here.

Beide Seiten brüllten erstmal herum – Parker etwas leiser, denn er starb gerade an Tuberkulose. Dann fiel der erste Schuss des Krieges. Bis heute weiß niemand, wer ihn abgab. Acht Milizionäre starben, der Rest floh. Die britischen regulars marschierten weiter auf Concord zu. Allerdings strömten von überall her immer mehr patriots ins Kampfgebiet.

Die Folgen waren vorhersehbar. Eine Gruppe von etwa 90 britischen Soldaten bekam den Auftrag, die North Bridge einzunehmen. Sie standen plötzlich etwa 400 Minutemen und Milizionären gegenüber. Die Briten wurden geschlagen – etwas zur Überraschung der Rebellen, die selbst nicht wirklich mit einem Sieg über die Truppen der Weltmacht gerechnet hatten.

Am Depot angekommen mussten die Rotröcke feststellen, dass es schon lange leer war. Die Mission war ein Fehlschlag. Die Soldaten sammelten sich und begannen den langen Marsch zurück nach Boston. Den ganzen Weg wurden sie immer wieder aus dem Hinterhalt angegriffen. Die Briten wurden zerrieben:

Only one British officer remained uninjured in the leading three companies. He was considering surrendering his men when he heard them up ahead cheering. A full brigade with artillery of about 1,000 men under the command of Hugh, Earl Percy had arrived to rescue them.

Am Ende schafften die Überlebenden es nur Dank dieses Ausfalls ihrer Kameraden nach Boston zurück. Der Rest des Krieges ist bekannt.

Das Ganze ist natürlich von den Amerikanern ausführlich patriotisch verarbeitet worden, als Schiffsnamen, Ortsnamen, etc. Es gibt dabei gleich zwei berühmte Minutemen-Statuen, die selbst Amerikaner gerne verwechseln:

In Concord steht die einfallsreich benannte Concord Minuteman Statue [JPG] von Daniel Chester French aus dem Jahr 1874 (French ist in Europa besser bekannt für die Statue von Abraham Lincoln im Lincoln Memorial). Die Figur träg einen Hut und zu seinen Füßen steht ein Pflug. Es zeigt also einen Bauer.

Dass der Bauer in Concord steht, kann man sich gut merken, wenn man „The Concord Hymn“ von Ralph Waldo Emerson aus dem Jahr 1837 kennt, die auf dem Sockel verewigt ist:

By the rude bridge that arched the flood,
Their flag to April’s breeze unfurled;
Here once the embattled farmers stood;
And fired the shot heard round the world.

Die Zeile mit dem Schuss, der rund um die Welt zu hören gewesen sei, ist die bekannteste aus dem Stück und wird gerne für Anspielungen verwendet. Sie ist allerdings auch schlicht falsch – der erste Schuss wurde ja nicht an der North Bridge in Concord abgegeben, sondern in Lexington. Wie auch immer, der Bauer in Concord ist heute das Zeichen der Nationalgarde des Heeres.

In Lexington steht dagegen die Minuteman-Statue [JPG] von Henry Hudson Kitson aus dem Jahr 1900. Sie soll Parker zeigen, auch wenn niemand wusste, wie er aussah. Die Figur hat keinen Hut und es steht auch kein Pflug zu seinen Füßen, obwohl Parker (unter anderem) ein Bauer war. Im Gegenzug nennt man ihn halt einen Minuteman, was aber nicht zutrifft. Tief im Herzen ist das alles nicht so wichtig.

Die Minutemen gingen im Laufe des Kriegs in die reguläre Armee auf. Ihr Name wurde später insbesondere für die landgestützten ICBMs verwendet.

Und jetzt muss dieser Autor ins Bett – das Voll-Spiel wird um 02.00 Uhr in der Nacht zum Freitag freigeschaltet. Play like it’s 1775! (oder so ähnlich).

Wortspiele und kulturelle Anspielungen bei den Civ-V-Errungenschaften

September 15, 2010

Eigentlich wollte dieser Autor zur bevorstehenden Veröffentlichung von Civilization V nur die amerikanische Sondereinheit Minutemen erklären. Aber der interessierte Leser AK hat unvorsichtigerweise zu den 120 Errungenschaften von Civ V eine Frage gestellt. Und so werden wir wie schon bei Left 4 Dead 2 die Liste durchgehen und einige Unklarheiten beseitigen.

Leider müssen wir festhalten, dass die Namen dieser achievements deutlich weniger witzig sind als die bei L4D2. Einige sind sogar schlicht langweilig („City of Gold“, „City of Light“, „City of Science“) und andere trivial („Second City“, „All Roads Lead to Rome“).

Sehr erfreulich dagegen ist die Vorliebe für Zitate aus Dr. Horrible („The World Is A Mess, And I Just Need To Rule It“, „He Threw A Car At My Head!“). Der interessierte Leser wird auch sofort „The Golden Path“ (Frank Herbert, God Emperor of Dune), „Ruler Of The Twelve Colonies“ (Battlestar Galactica), „Go Boldly Where No Man Has Gone Before“ und „One To Rule Them All“ erkennen. Musik-Anspielungen wie „Harder, Better, Faster, Stronger“, „I’m On A Boat!“ und „Amongst The Catacombs Of Nephren-ka“ setzten wir wieder als bekannt voraus.

Vielleicht etwas schwieriger:

First In The Hearts Of Your [sic] Countrymen Beat the game on any difficulty setting as Washington.

Aus der Trauerrede von Henry Lee zum Tod von George Washington:

First in war, first in peace, and first in the hearts of his countrymen, he was second to none in the humble and endearing scenes of private life. Pious, just, humane, temperate, and sincere; uniform, dignified, and commanding, his example was as edifying to all around him as were the effects of that example lasting.

Die entsprechende Errungenschaft für Deutschland, vertreten durch Bismarck, lautet übrigens „Blood and Iron“.

Video Et Taceo Beat the game on any difficulty setting as Elizabeth.

Gemeint ist Elizabeth I., nicht unsere heutige Lisbeth. Ihr Motto „Ich schaue und sage nichts“ war charakteristisch für ihren zurückhaltenden Regierungsstil.

The African King Beat the game on any difficulty setting as Askia.

Der Film mit Humphrey Bogart und Katharine Hepburn heißt natürlich The African Queen. Ja, das ist ein Heuler. Die nächste Errungenschaft ist auch nicht viel besser:

Arabian Knights Beat the game on any difficulty setting as Harun al-Rashid.

Arabian Nights (ohne „k“, also „Nächte“ statt „Ritter“) ist die gängige englische Bezeichnung für One Thousand and One Nights.

A Woman’s Work Beat the game on any difficulty setting as Wu Zetian.

A woman’s work is never done ist ein englisches Sprichwort aus der Zeit, als Frauen hinter dem Herd zu bleiben hatten. Wer hier an Blumen und dunkle Frauenaugen denken muss, hat „This Woman’s Work“ von Kate Bush im Sinn und liegt knapp daneben.

The Alexman Beat the game on the Warlord difficulty level.

Das hat nichts mit den USA zu tun, aber weil es die Nicht-Civ-Fanatiker unter den interessierten Leser verwirren dürfte: Alex „alexman“ Mantzaris war ein Entwickler bei Civilization IV: Warlords.

Charming. Really. Beat the game on the Prince difficulty level.

In englischsprachigen Märchen ist Prince Charming der generische Name für den Prinzen (daher auch die Figur bei Shrek).

The Once And Future King Beat the game on the King difficulty level.

Ein berühmter Fantasy-Roman von T.H. White über König Artus, insbesondere seine Erziehung. Angelsachsen beschreiben das Buch gerne mit Begriffen wie „magisch“. Wunderbare Zitate, wie das hier von Merlin über das Lernen:

That is the only thing which the mind can never exhaust, never alienate, never be tortured by, never fear or distrust, and never dream of regretting.

Das Werk hat eine Botschaft – White schrieb es zum großen Teil während des Zweiten Weltkriegs – aber es ist auf mehreren Ebenen geschrieben, so dass man zumindest das erste Viertel The Sword in the Stone auch Kindern vorlesen kann. Wer es noch nicht kennt, weiß jetzt, was er bis zur Veröffentlichung von Civ V zu tun hat.

Wer hier an Patrick Stewart im Rollstuhl denken muss, hat den Film X2 aus der X-Men-Serie im Kopf, wo Magneto es im Gefängnis liest und später Professor Xavier mit seinen Schülern darüber spricht.

Island Hopping Beat the game on an Archipelago-type Map.

Auch leapfrogging genannt: Strategie der Alliierten im Zweiten Weltkrieg gegen Japan, bei der die stark befestigten Stützpunkte nicht angegriffen, sondern umgangen wurden.

Battlefield Earth Beat the game on an Earth-type Map.

Weil es vielleicht nicht jeder weiß: Name eines Science-Fiction Romans von L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology. Der gleichnamige Streifen mit John Travolta gilt als einer der schlechtesten Filme aller Zeiten.

Say Hello To My Little Friend Reach Ally Status with a City State.

Klassisches Filmzitat [YouTube] aus Scarface mit Al Pacino.

Two Men Enter, One Man Leave [sic] Completely defeat another Civ and remove them from the game.

Die Regeln beim Einzelkampf in Mad Max: Beyond Thunderdome. Wer hier an Vampire denken muss, hat die Anspielung aus der Buffy-Folge „Showtime“ im Sinn und bekommt einen Stern. Das „s“ von leaves fehlt auch auf der offiziellen Steam-Website von Civ V.

We Have The Technology Fully explore the Tech Tree.

Die Eröffnungs-Zeile aus der 70er Jahre Serie The Six Million Dollar Man mit Lee Majors. Wer wie Frau Lostinabadbook hier an Alan Rickman oder Gott Alanis Morissette denken muss, hat die Version aus Dogma [YouTube, nach etwa sechs Minuten] im Sinn:

She can rebuild you
She has the technology
She can make you better, stronger, faster

Rickmans wax on, wax off kommt natürlich aus noch einem anderen Film.

Model Of A Modern Major-general Train all Units, across any number of playthroughs.

Eine Satire über das britische Militär aus dem Stück The Pirates of Penzance [YouTube] von Gilbert and Sullivan. Wer hier an klingonische Geburtshelfer denken muss, hat die Folge „Disaster“ von Star Trek: Next Generation im Sinn. Wer aber an Data denkt, irrt, denn das vor Manneskraft strotzende G&S-Lied aus Star Trek: Insurrection heißt A British Tar [YouTube].

The Best State Of A Republic Win a Cultural Victory.

Die Anspielung wird verständlich, wenn man weiß, dass man für einen Kultursieg das Utopia Project bauen muss: Thomas More veröffentlichte 1516 sein Buch mit dem Titel De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia, im Englischen besser bekannt als Utopia.

The Pen Is Mightier Win a Diplomatic Victory.

Der volle Satz lautet The pen is mightier than the sword und stammt aus einem gleichnamigen Bühnenstück von Edward Bulwer-Lytton. Wer hier an Wüsten und Panzer denken muss, hat Indiana Jones and the Last Crusade im Sinn, wo das Prinzip mit einem Wissenschaftler, einem Füller und einem Nazi demonstriert wird. Von Bulwer-Lytton stammt auch der berühmte Snoopy-Buchanfang It was a Dark and Stormy Night.

Exterminate! Exterminate! Win a Domination Victory.

Spruch der Daleks [YouTube] aus Doctor Who. Fällt eigentlich auch unter Allgemeinbildung, aber der interessierte Leser MLJ freut sich bestimmt.

I Can Has Nukes? Drop a Nuke on another Civ.

Anspielung auf die Katzenbilder-Website I Can Has Cheezburger. Katzen haben bekanntlich Probleme mit der Rechtschreibung.

Forty-niner Build 1000 mines, across any number of playthroughs.

Ein „49er“ war ein Goldsucher, der beim Kalifornischen Goldrausch (1848 bis 1855) nach Westen zog. Entsprechend heißt auch die Footballmannschaft, die in diesem Jahr von den Arizona Cardinals in Grund und Boden gestampft werden wird, die San Francisco 49ers.

Paul Bunyan Chop down 1000 forest tiles, across any number of playthroughs.

Der Holzfäller Bunyan, ein Riese, ist der Hauptdarsteller in einer Reihe von Sagen aus der Pionierzeit. Sein Begleiter heißt Babe the Blue Ox, weswegen es in den USA in der Forstwirtschaft ständig Anspielungen auf blaue Ochsen gibt.

With Liberty And Justice For All Fully Explore the Liberty Policy Track.

Stammt aus dem bereits besprochenen Fahneneid.

Eighty-eight Miles Per Hour Fully Explore the Rationalism Policy Track.

Ah, die Wissenschaft. Die Anspielung müsste eigentlich ebenfalls bekannt sein, aber sie kommt aus einem der Lieblingsfilme dieses Autors, und daher nehmen wir diese Errungenschaft hier trotzdem auf. Das ganze Zitat lautet

If my calculations are correct, when this baby hits 88 miles per hour, you’re gonna see some serious shit.

und stammt von Dr. Emmett „Doc“ Brown aus Back to the Future [YouTube].

Die Geschwindigkeit scheint bei der Synchronisation zu 140 Kilometer pro Stunde umgerechnet worden zu sein. Das ist fürchterlich ungenau – eigentlich sind es 141,6 Km/h (und serious shit ist auch absolut nicht die gleiche Sprachebene wie „Superknüller“, nebenbei). Zudem wurde aus dem flux capacitor ein „Fluxkompensator“ statt eines Flusskondensators gemacht. Zusammen mit dem Mangel an DeLoreans dürfte das der Grund sein, warum Deutsche trotz ihrer schönen Autobahnen selten Zeitsprünge machen – da helfen auch die ähnlich berühmten 1,21 Gigawatt [YouTube] nicht mehr.

Shotgun Shacks, die traditionellen Wohncontainer

September 11, 2010

Wir haben in unserem Eintrag zur schlechten Dämmung vieler amerikanischer Häuser über traditionelle Bauarten gesprochen, die mit dem Beginn des Ölzeitalters aufgegeben wurden – die saltbox, cracker und adobe houses. Eine typisch amerikanische Bauweise fehlt uns: Die shotgun houses, auch shotgun shacks genannt.

Musikalisch gebildete interessierte Leser kennen den Begriff. Kein geringerer als Elvis selbst wurde in einem Shotgun Shack geboren:

One hundred miles southeast of his future mansion in Memphis, Tennessee, Elvis Aaron Presley entered the world in East Tupelo, Mississippi, in the early morning hours of January 8, 1935. The two-room shotgun shack where Elvis was born was light-years away from Graceland in all respects.

Dann hätten wir noch diese Textzeile von den Talking Heads aus „Once in a Lifetime“:

And you may find yourself living in a shotgun shack
[…]
And you may ask yourself, well, how did I get here?

Meist dadurch, dass man arm war. Vereinfacht gesagt handelt es sich um ein schmales, längliches Gebäude [Foto], in dem die Zimmer ohne einen Flur hintereinander liegen. Die Vordertür liegt an einer der schmalen Seiten. Das soll zu dem Namen geführt haben: Ein Schuss von der Vordertür aus würde durch die Hintertür herausgehen, ohne irgendwas zu treffen. Sehr nützlich gegen Zombies, natürlich, und der Left 4 Dead 2-Spieler wird sofort ahnen, dass solche Häuser besonders in den Südstaaten zu finden sind.

Was aber trotzdem keine ausreichende Erklärung für den komischen Baustil ist. Die kennt niemand sicher. Vermutet wird unter anderem, dass die Luft so besser durch das Haus ziehen und alles abkühlen kann. Einen anderen möglichen Grund erkennt man an einer Karte des unteren Mississippi, die jüngst in dem wunderbaren Blog Strange Maps gepostet wurde (der Anlass für diesen Eintrag). Dort sieht man, dass die Häuser auf langen, schmalen Grundstücken stehen. Nach dieser Theorie wurden während der französischen Kolonialzeit die Steuern nach der Länge des Uferstücks erhoben. Entsprechend wollten alle etwas vom Ufer, aber bloß nicht zu viel, und auf das schmale Grundstück passte ein schmales Haus besser.

Wie auch immer, wir sollten noch zwei Varianten des Shotgun Houses erwähnen: Die double shotgun bei dem zwei solche Häuser Seite an Seite gebaut wurden, und den camelback [JPG] mit einer weit zurückgesetzten, zweiten Etage. Beim Double Shotgun wird heute gerne die Trennwand herausgerissen, um da Innere nach einem normalen Flurplan umgestaltet.

Denn wie bei vielen traditionellen Bauweisen hat sich die Einstellung zu den Shotgun Houses in den vergangenen Jahrzehnten völlig gewandelt. In den 70ern versuchte man sie abzureißen, wo man nur konnte, weil sie als erbärmlich und rückständig galten. Inzwischen sind sie aber romantisch und erhaltenswert und werden saniert. Entsprechend gehören die Shotgun Shacks des 19. Jahrhunderts zu den großen bautechnischen Verlusten nach der Flutkatastrophe von New Orleans.

Wir können getrost annehmen, dass die heutigen, stinknormalen amerikanischen Rahmenhäuser in 100 Jahren auch eine begehrte Immobilie sein werden — solange die Polywell-Fusionsheizung läuft, versteht sich.

ZEUGS: Zeitmaschinen, Energiekrisen und Urananreicherung (und Root Beer)

September 6, 2010

Wer von den ganzen Garten-Themen langsam genug hat — keine Angst, Rettung naht. Damit ist nicht nur das kältere Wetter gemeint, sondern die in zwei Wochen anstehende Veröffentlichung von Civilization V. Es ist schon abzusehen, dass es danach zumindest einen Eintrag zu den Minutemen geben wird. Der interessierte Leser kann zur Vorbereitung auch schon die special ability Amerikas in dem Spiel studieren: Manifest Destiny. Merke: Erdkunde lernt man durch Risiko, Geschichte durch Civ.

  • Zur angelsächsischen Höflichkeit: Dieser Autor hat nicht nur Neuromancer während seines Fantasy-Filmfest-Frustes gelesen, sondern auch das Doomsday Book von Connie Willis. Dabei hat er diese Passage wiederentdeckt: Ein Wissenschaftler an einer Uni wird von einer Kollegin gefragt, ob sie ihrem zwölfjährigen Neffen einen Schal schenken soll.

    He looked at the muffler she was holding up for his inspection. It was of dark gray plaid wool. He would not have been caught dead in it when he was a boy, and that had been fifty years ago. „Yes,“ he said (…)

    Die Kollegin merkt sofort, dass irgendwas nicht stimmt, denn er flippt nicht aus vor Begeisterung. Tatsächlich macht er sich Sorgen, weil eine Studentin gerade mit einer Zeitmaschine ins Mittelalter geschickt wird. Völlig zurecht, wie sich herausstellt.

  • Zu Transition Towns und Peak Oil: Im Moment sorgt eine Studie der Bundeswehr mit dem Titel Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen [PDF] in angelsächsischen Öko-Kreisen für Aufruhr:

    Wann genau der Peak Oil erreicht werden wird, ist umstritten. Vorliegende Berechnungen variieren stark und lassen Außenstehenden kaum Möglichkeiten zu einer unabhängigen Meinungsbildung. Sicher ist allerdings, dass Erdöl endlich ist und ein Fördermaximum existiert.

    Das Dokument ist von Sites wie The Oil Drum und von diversen Blogs (man beachte den Hinweis auf Teutonic thoroughness) aufgenommen worden. Auch Spiegel Online berichtet darüber. Kurz zuvor war bekanntgeworden, dass die britische Regierung die Veröffentlichung verwandter Dokumente verweigert. In den USA sorgte der Hirsch Report 2005 für ähnliche Unruhe und wird von den Transition-Leuten gerne zitiert.

  • Zu Mais: Der interessierte Leser JP weist auf eine deutsche Seite zur Nixtamalisation hin.
  • Zur US-Marine: China hat mit Hilfe seiner schnell steigenden Militärausgaben bei der Zahl der Kriegsschiffe inzwischen gleichgezogen. Es gibt allerdings eine Diskussion darüber, ob Quantität und Qualität wirklich so übereinstimmen.
  • Zum Energieverbrauch der USA: Die Amerikaner haben 2009 weniger Energie verbraucht. Zum Teil lag das an der Wirtschaftskrise:

    Simply said, people are doing less stuff. Therefore, they’re burning less fuel.

    Langfristig positiver ist aber die zunehmende Verwendung von effizienteren Geräten und der größere Einsatz erneuerbare Energien. Und dann hätten wir noch den nächsten Eintrag …

  • Zum Energieverbrauch, nochmal: Ohne großes Tamtam in der Presse haben die USA zum ersten Mal seit 50 Jahren eine neue Anlage zur Urananreicherung in Betrieb genommen. In dem Blog Energie from Thorium begrüßt man die Vorteile des neuen Systems:

    And to get even better, it employs a new advanced technology: the gas centrifuge, which promises vast efficiency improvements and far less power consumption than the previous way (gas diffusion) that we’ve done enrichment.

    Die Sache mit den Zentrifugen hat man vermutlich den Iranern abgeguckt.

  • Zu Schulnoten: Slate geht der Frage nach, warum das E im System fehlt. Anlass ist eine Schule, die auch noch das D abschaffen will.
  • Zu Betsy Ross: So lieb war die Fahnennäherin wohl doch nicht.

    But what books like Silver Thimble won’t tell you is that she also accepted a hefty £14 payment (roughly $2,000 in today’s dollars) for that „first“ flag. Or that she was married three times.

    Zu unserem Eintrag über Johnny Appleseed finden wir dort auch einen Link, denn auch hier gibt es ein nettes Detail:

    Johnny Appleseed was bringing the gift of alcohol to the frontier. That’s why he was so popular. That’s why he was welcome in every cabin in Ohio. He was the American Dionysus. He was the guy bringing the booze.

    Denn mit den Äpfeln konnte man sich nicht nur gesund ernähren, sondern auch hard cider brauen. Zum Glück haben wir das auch besprochen.

  • Zu Root Beer: Es gibt mehr als Root Beer pur. So viel mehr! Amerikaner schwärmen von ihren Kindheitserlebnissen mit einem root beer float:

    If you just add a scoop of ice cream to root beer, better be ready to catch all the foam as it comes erupting over the sides. Next to a vinegar and baking soda volcano, a root beer float is God’s gift to chemistry experiments for kids.

    In den Kommentaren wird ein Geheimnis verraten, wie es noch besser wird: Vor der Herstellung des Floats soll man das leere Glas 30 bis 60 Minuten ins Gefrierfach legen. Vielleicht kann man das so den Deutschen schmackhaft machen?

ZEUGS: Die Mais-Ernte, Dilberts Haus und schlumpfblaue Samurai

September 1, 2010

Mehr durch Dussel als wegen eines grünen Daumens haben wir den Mais im Pädagogischen Gemüsegarten genau zur richtigen Zeit geerntet. Die zwei (in Zahlen: 2) Kolben schmeckten natürlich dramatisch besser als das Zeugs aus dem Laden. Und jetzt wissen wir, dass Kind Nummer Eins und Zwei sich nicht nur um Schokolade und Gummibärchen streiten können.

Seitdem hat dieser Autor gelernt, dass cover crop auf Deutsch „Gründünger“ heißt und dass red clover zwar „Rotklee“ genannt wird, aber crimson clover nicht „Karmesin-Klee“, sondern „Inkarnat-Klee“ heißt, vermutlich vom Lateinischen Trifolium incarnatum. Wer durch den Garten mehr lernt, der Vater oder die Kinder, ist noch offen.

  • Zu Maisanbau bei den Indianern: Wer tatsächlich den ganzen Eintrag bis zum Ende gelesen hat, wird einen faszinierenden Bericht des Economist über die landwirtschaftliche Revolution in Brasilien lieben. Mit einer Mischung aus alternativen Methoden wie Direktsaat (no-till agriculture, um noch eine Vokabel einzustreuen) und modernster Gentechnik hat sich das Land zu einem Agrar-Riesen gewandelt.

    In less than 30 years Brazil has turned itself from a food importer into one of the world’s great breadbaskets […]. It is the first country to have caught up with the traditional „big five“ grain exporters (America, Canada, Australia, Argentina and the European Union).

    Interessant für dieses Blog: Brasilien hatte in den 70er Jahren die Methoden der USA 1:1 kopiert, nur um festzustellen, dass sie so leider in den Tropen nicht funktionieren.

  • Zum Siegeszug des Englischen: Die BBC fragt sich, ob man nicht an britischen Schulen Französisch einfach ganz abschaffen sollte. Denn die Zahl der Schüler, die die Sprache wählt, ist in acht Jahren um 45 Prozent zurückgegangen.

    [N]o offence to the likes of Charles De Gaulle, Asterix and the Michelin Man, but does it really matter?

    Natürlich bricht die BBC dann eine Lanze für mehr Sprachen, denn offenbar hat auch sie einen Bildungsauftrag. Die Agonie der Franzosen ist länger bekannt. Aber ausgerechnet die Engländer sollen ohne Französisch auskommen? Wenn das die Normannen miterlebt hätten …

  • Zu den Federalist Papers, die nicht ganz so alt sind: Der vom Oeffinger Freidenker bekannte Stefan Sasse geht in seinem neuen Geschichtsblog auf die Entstehung der US-Verfassung ein. Unter anderem.
  • Zu US-Häusern: Der Dilbert-Zeichner Scott Adams hat ein witziges Stück über seine Schwierigkeiten beim Bau eines „grünen“ Hauses geschrieben:

    Amazingly, after a long search, you find a builder who is willing to tackle the project for about 25% more than the cost of a traditional house frame, which is reasonable given the extra business uncertainties.

    Die Sache mit dem Eichhörnchen ist natürlich äußerst bedauerlich.

  • Zum Energieverbrauch und The Man: Mit off the grid wird in den USA nicht das Leben außerhalb der Matrix bezeichnet, sondern unabhängig von den Strom-, Wasser- und Gasnetzen. Schauen wir uns dazu diese Formulierung an (Hervorhebung hinzugefügt):

    By ‚the grid‘ here […] we are of course meant to understand not just wires and pipes, but also the corporations and wealthy men who control them, and the demands they place on us of conformity and servile obedience. In other words, one of the main problems with The Grid is that it’s owned by the The Man.

    Gemessen an dem Preis der off-grid-Systeme ist das nicht wirklich ein Aufstand einer unterdrückten Unterschicht.

  • Zu Klima-Zonen und was sie für Gärten bedeutet: USA Today berichtet über den Trend in den USA, keinen Rasen mehr zu haben, insbesondere dort, wo er klimatisch eigentlich nicht hingehört.

    [M]aintaining non-native plants requires 10,000 gallons [etwa 37.900 Liter] of water per year per lawn, over and above rainwater. That water doesn’t just show up by itself; it requires energy to get to your hose. In California, for example, the energy required to treat and move water amounts to 19% of total electricity use in the state.

    Die Schönste Germanin und dieser Autor haben in Schottland immer wieder den perfekten britischen Rasen bestaunt, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass man dafür britisches Wetter braucht. Dann doch lieber gelegentliche Braun-Phasen im Sommer.

  • Zu Spenden, weil die Kongresswahl immer näher rückt: Die öffentlich zugänglichen Daten über die Gelder erlauben interessante Analysen für einzelne Berufsgruppen.

    [US-Präsident Barack Obama], Democrats got 88 percent of 2008 contributions by TV network execs, writers, reporters

    Man beachte, dass aus Gründen der Transparenz die Namen und Arbeitgeber der Spender aufgelistet sind. Wir warten gespannt darauf, wie viele Leute in diesem Jahr wieder Probleme mit Korrelation und Kausalität haben werden.

  • Zur Senken der Flagge: Gleich mehrere interessierte Leser haben darauf hingewiesen (Dankeschön!), dass es eine Situation gibt, in der die Flagge völlig zulässig gesenkt wird: Bei Schiffen, die sich gegenseitig grüßen. Das ist richtig, das machen auch die Amis.
  • Zu Pocahontas, so als Nachwehe zum verunglückten Fantasy Filmfest: Der interessierte Leser JP ist der Meinung, dass Avatar eher von The Last Samurai abgeschrieben wurde. Annalee Newitz von io9 zieht diese Parallele ebenfalls in ihrer Analyse When Will White People Stop Making Movies Like „Avatar“? Auch eine Sichtweise. Hauptsache, die Fortsetzung ist nicht mit Tom Cruise.