Aus sehr aktuellem Anlass weisen wir heute darauf hin, dass die witching hour nicht nur etwas mit Halloween zu tun hat. Entnervte amerikanische Eltern bezeichnen damit auch die Zeit am späten Nachmittag, etwa eine Stunde vor dem Abendessen, wo die Kinder völlig am Rad drehen. Mehrere Dinge kommen zusammen: Alle haben Hunger, das Nickerchen ist ziemlich lange her, sie kommen gerade aus der Schule und im Winter kriegen sie nicht genug Auslauf. Die Eltern übrigens auch nicht.
Archive for Februar, 2009
Die tägliche Hexenstunde mit den lieben Kleinen
Februar 26, 2009ZEUGS: Das Ende der USA, konstante Playboy-Maße und alte Atombomben
Februar 23, 2009Es hat sich richtig, richtig viel Zeugs angesammelt. Zudem will dieser Autor die Serie über Japan zu Ende bringen, denn sein Gehirn ist klein und hat Probleme, die ganzen geschichtlichen Zusammenhänge über längere Zeit festzuhalten. Das Blog dürfte in den kommenden Wochen daher viele ZEUGS- und Kriegseinträge führen. Dafür werden die Zombies zurückgefahren: Wenn selbst Spiegel Online bemerkt hat, wie viel Spaß Left 4 Dead macht, können wir das Thema getrost den MSM überlassen.
- Zu Ayn Rand: Aber einen haben wir aber noch. Die Macher von L4D haben den vier Spielfiguren eine Reihe von recht witzigen Sprüchen mitgegeben, um die Momente zwischen den Gefechten aufzulockern. Am interessantesten ist dabei Zoey (Gesichtsmodel: Sonja Kinski), ein Filmfreak, die ständig Zitate wie Game over, man! einstreut. Und als Zoey nun in einem zerstörten Flughafen eine große Atlas-Statue mit der Weltkugel auf dem Rücken entdeckt, sagt sie etwas wie:
It’s Ayn Rand International Airport!
Darauf hin sagt der Biker Francis, der alles hasst [YouTube]: I hate Ayn Rand. Auf den Schildern steht eigentlich „Metro International Airport“ – abgekürzt „MIA“ und damit noch ein Witz.
- Zum Ende der USA: Offenbar wird dieses Blog 2010 überflüssig werden, denn das Land wird sich dem ehemaligen KGB-Agenten Igor Panarin zufolge in seine Einzelteile auflösen. Grund: Die Wirtschaft und ein „moralischer Zusammenbruch“. Die neue Karte [GIF] enthält schlechte Nachrichten für Europa: Die östlichen Staaten könnten Teil der Europäischen Union werden. Gut, dann bloggen wir halt über den moralischen Zusammenbruch, das ist bestimmt auch lustig.
- Zu halbnackten Frauen in Sportzeitschriften und dicke Amerikaner: Fangen wir schon mal damit an. Wir hatten davon gesprochen, dass Sports Illustrated nicht Hungerhaken als Models nimmt, sondern gesunde Frauen. Einen anderen Trend finden wir bei Playboy: Dort nimmt der BMI der Frauen seit der Erstausgabe stetig ab, während er in der amerikanischen Bevölkerung zugenommen hat. Seltsamerweise ist die Körbchengröße aber gleich geblieben, nämlich zwischen C und D. Hmmm.
- Zu UFOs: Während wir bei Karten sind: Wo gibt es in den USA die meisten UFO-Sichtungen? Die Informationen stammen aus einem Bericht von Popular Mechanics über unbekannte Flugobjekte.
- Zu Kanada: Die Briten des BBC schreiben über das Verhältnis von Kanada zu den USA. Wir erwähnen das hier wegen der vielen Star Trek-Anspielungen.
- Zu Helme beim Football: Dass Fußballspieler Weicheier sind, haben wir inzwischen ausreichend belegt. Aber was für ein Mann gilt unter Footballspielern als hart? Nun, da wäre Anquan Boldin von den Arizona Cardinals, dem der New-York-Jets-Spieler Eric Smith regelwidrig den Helm ins Gesicht rammte [YouTube]. Boldins Nebenhöhlen wurden zertrümmert. Die Ärzte setzten ihm sieben Platten und 40 Schrauben ein und verdrahteten seinen Kiefer. Wie lange setzte er danach aus? Ganze zwei Spiele. Und natürlich verzichtete er auf Schmerzmittel.
His show of toughness clearly has lifted this team. It has raised the bar of commitment for everyone. Quarterback Kurt Warner said he’s never seen a teammate command so much respect in the locker room.
Die Cardinals verloren, wie der interessierte Leser wissen wird, später knapp den Superbowl.
- Zur ersten Atombombe: Im Jahr 1953 wurden die Kommunisten Julius and Ethel Rosenberg unter dem Vorwurf hingerichtet, geheime Unterlagen zur Atombombe an die Sowjets weitergegeben zu haben. Der Fall ist umstritten. Wir erwähnen das hier, weil ein Mitangeklagter, Morton Sobell, im Alter von 91 Jahren seine Mitschuld eingestanden und Julius Rosenberg belastet hat. Inzwischen sehen selbst die Kinder der Rosenbergs ihren Vater als Spion. Ob die Mutter wirklich schuldig war, ist weiter umstritten, und auch, ob wirklich nützliche Geheimnisse weitergegeben wurden.
- Zur ersten Atombombe, nochmal: Übrigens ist das erste bei dem Manhattan Project hergestellte Plutonium wiedergefunden worden. Wo und wie wurde das gefährliche Material gelagert? In einem achtlos weggeworfenen und ziemlich verrosteten Safe auf dem Gelände einer der ersten Atomanlagen im Bundesstaat Washington.
[S]loppy work by the contractors running the site saw all kinds of chemical and radioactive waste indiscriminately buried in pits underground over the 40 years Hanford was operational, earning it the accolade of the dirtiest place on Earth.
In Hanford wird mehr als 60 Jahre später immer noch aufgeräumt. Im Krieg hatten halt weder Umweltschutz- noch Sicherheitsbestimmungen die höchste Priorität. Auch einige Forscher ließen bei Unfällen ihr Leben, Stichwort Demon Core.
- Zur ersten Atombombe, ein letztes Mal: Das New Yorker-Magazin hat einen faszinierenden Bericht über einen 61-jährigen amerikanischen Lastwagenfahrer, der über die Jahrzehnte eine „beunruhigend genaue“ Rekonstruktion von Little Boy erstellt hat. Unter anderem hat er herausgefunden, dass die Bombe weiblich war. Ehrlich. Bitte keine Bikini-Witze.
- Zu Energie einer sanfteren Art: Die USA sind jetzt der weltgrößte Produzent von Windenergie und haben damit Deutschland überholt. In diesem Jahr dürfte auch die Spitze bei Solarenergie erreicht werden.
- Zu Energie, nochmal: Aus dem Peak-Oil-Blog The Oil Drum eine Analyse, ob die USA auch nur theoretisch in der Lage wären, ihren jährlichen Heizbedarf nachhaltig durch Holz zu decken (Antwort: Nein). Wir erwähnen das hier, weil es in dem Text viel Kartenmaterial zum Energieverbrauch und Energiemix gibt.
- Zur Meinungsfreiheit: Das First Amendment hat in den vergangenen Wochen zwei Siege verbucht. Der Supreme Court zeigte kein Interesse daran, das unter Präsident Bill Clinton verabschiedete Copa-Gesetz zu retten. Es hätte gewerbliche Inhalte im Internet unter Strafe gestellt, die „schädlich für Minderjährige“ sein könnten. Die Bürgerrechtsgruppen ACLU und EFF hatten dagegen geklagt. Und Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger ist mit dem Versuch gescheitert, den Verkauf von gewalttätigen Computerspielern an Minderjährige zu verbieten. Richter Alex Kozinski wollte wissen, wo solche Gesetze enden würden:
Why not a law targeting games that teach children bad living habits, such as eating unhealthy food or using plastic bags?
Zudem sah das Gericht keine wissenschaftliche Basis für die Behauptung, dass solche Spiele gefährlicher seien als beispielsweise gewalttätige Bücher, die nicht verboten seien. Es war der neunte Versuch, so ein Gesetz einzuführen. Da werden sich die Zombies freuen – oder vielleicht auch nicht.
Obama und „The Best and the Brightest“
Februar 20, 2009Im Zusammenhang mit dem Kabinett von Barack Obama liest man in amerikanischen Medien und Blogs immer wieder einen Satz: the best and the brightest. Das ist eine Anspielung auf die Regierungszeit von John F. Kennedy, denn es ist der Titel eines Standardwerkes des preisgekrönten Journalisten David Halberstam über den Vietnam-Krieg.
Darin geht er der Frage nach, warum eine Gruppe von Leuten, die (insbesondere von sich selbst) als die Elite des Landes gesehen wurden, so komplett ins Klo greifen konnte. Es ist eine Geschichte von Arroganz, von Intellektuellen, die von ihrer eigenen Intelligenz geblendet werden, von einem Mangel an gesundem Menschenverstand und davon was passiert, wenn eine Gruppe sich ständig selbst erzählt, wie toll sie doch ist.
They were all so glamorous and bright that it was hard to tell who was the most brilliant
Der Titel ist also ironisch gemeint.
Jetzt gibt es nur ein Problem: Es wird schon so lange von the best and the brightest gesprochen, dass einige Leute gar nicht mehr wissen, wie der Spruch gemeint ist. Das bemängelte Halberstam selbst 1992 in einer Einführung zu einer Neuauflage des Buchs.
Dummerweise sind es im Moment ausgerechnet amerikanische Politiker und einige Journalisten in Washington, die das nicht zu wissen scheinen, wie die New York Times schon im Dezember spöttisch bemerkte:
As Barack Obama rolls out his cabinet, “the best and the brightest” has become the accolade du jour from Democrats (Senator Claire McCaskill of Missouri), Republicans (Senator John Warner of Virginia) and the press (George Stephanopoulos). Few seem to recall that the phrase, in its original coinage, was meant to strike a sardonic, not a flattering, note.
Der interessierte Leser als Übersee muss daher selbst versuchen zu erkennen, ob der Autor weiß, was für ein Bild da benutzt. In dem Fall es oben zitierten Blogs Fabius Maximus ist es noch einfach, denn es gibt einen Zusatz zur Überschrift:
(Here We Go, Again)
Der Krieg gegen Japan, Teil 5: Die Einäscherung Tokios
Februar 18, 2009The bodies were all nude, the clothes had been burned away, and there was dreadful sameness about them, no telling men from women or even children. All that remained were pieces of charred meat.
– Militärarzt Shigenori Kubota, Tokio, 10. März 1945 [1]
Im Frühjahr 1945 zeigten die amerikanischen Luftangriffe auf die japanische Rüstungsindustrie kaum Wirkung. Nach der Befreiung von Guam im Sommer 1944 hatten zwar die neuen B-29 Superfortress [YouTube] einen Stützpunkt, von dem aus sie fast das gesamte japanische Kerngebiet erreichen konnten. Allein, die Bomber trafen nicht. Bei einem Präzisionsangriff auf das Nakajima-Musashino-Flugzeugmotorenwerk im Nordwesten Tokios wurde am 9. Januar genau ein einziges Lagerhaus zerstört. Sechs der 72 B-29 kehrten nicht zurück. Das war der fünfte Versuch. Inzwischen lagen die Verluste in Asien volle 100 Prozent über denen in Europa.
Die Probleme mit der Zielerfassung hatten mehrere Gründe. Die japanische Luftverteidigung zwang die Bomber tagsüber, so hoch zu fliegen, dass sie in den Jetstream gerieten, ein bis dahin kaum verstandenes Phänomen. Wegen des schlechten Wetters mussten die Piloten häufig die Ziele mit primitiven Radargeräten suchen. Nachts war es, nun, dunkel.
In dieser Situation übertrug das US-Militär das Kommando an Curtis LeMay, ein wortkarges Organisationsgenie. In Deutschland ist er am besten wegen seiner zentralen Rolle bei der Berliner Luftbrücke bekannt. Das ist ironisch, denn seinen Ruf erbombte er sich über Deutschland.
LeMay sagte später, ihm sei seine neue Aufgabe in Japan in etwa wie folgt erklärt worden:
You go ahead and get results with the B-29. If you don’t get results, you’re fired. […] If you don’t get results, it will mean eventually a mass amphibious invasion of Japan.
Aber sieben Wochen später hatte LeMay nicht mehr Erfolg vorzuweisen als seine Vorgänger. Bei acht Angriffen war kein einziges der ausgeschriebenen Ziele zerstört worden. In nur etwas mehr als einem Drittel der Fälle wurden die Bomben überhaupt über das Primärziel abgeworfen. Dabei gingen 36 B-29 verloren und 324 Soldaten waren tot, verwundet oder vermisst.
Im Hintergrund fand ein Richtungsstreit in der amerikanischen Militärführung statt. Den Befürwortern von Präzisionsangriffen stand eine Gruppe gegenüber, die sich für Flächenbombardements aussprach. Angesichts der ausbleibenden Erfolge mit der ersten Methode gewann die zweite immer mehr Anhänger.
Als Argumente wurden zwei japanische Besonderheiten aufgeführt: Erstens, ein großer Teil der Militärindustrie – je nach Quelle bis zu 90 Prozent – war dezentralisiert. Die Herstellung fand zu einem großen Teil in kleinen Werken in Wohngebieten statt und nicht wie in Deutschland in Industrievierteln. Zweitens, die japanischen Häuser waren überwiegend aus Holz und Papier gebaut. Für Angriffe auf diese paper cities war die gelgefüllte M-69 Brandbombe entwickelt worden – eine Napalmwaffe.
Den Verantwortlichen war klar, dass ein solcher Angriff schwerste Verluste unter den Zivilisten bedeuten würde. Das machte die Strategie umstritten. Zu den Gegnern gehörte Kriegsminister (der Titel damals) Henry Stimson.
Auch LeMay sträubte sich zunächst gegen einen Strategiewechsel. Erst nach einem direkten Befehl ordnete er einen kleineren Brandbomben-Angriff auf Tokio für den 25. Februar 1945 an. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Die USA gingen zu Flächenangriffen über.
LeMay erklärte dazu [1]:
We were going after military targets. No point in slaughtering civilians for the mere sake of slaughter. Of course there is a pretty thin veneer in Japan, but the veneer was there. It was their system of dispersal of industry.
Das Verhalten des Gegners trug dazu bei, die Kritiker verstummen zu lassen. Einen Monat zuvor hatte die japanische Armee unter Akira Muto beim Massaker von Manila 100.000 Zivilisten ermordet. Mitleid mit dem Feind fiel schwer.
LeMay fügte der neue Strategie eine Reihe von gewagten taktischen Änderungen hinzu, die seinen Ruf als the wunderkind ausbauten [3]. Flächenangriffe konnte man auch Nachts ausführen, so sein Ausgangspunkt. Da Japan – im Gegensatz zu Deutschland – kaum über Nachtjäger verfügte, konnten die B-29 niedriger fliegen. Damit brauchten sie weniger Treibstoff und vermieden den nervigen Jetstream. Und wenn es keine Gegner gab, konnten die Flugzeuge auch gleich auf ihre Abwehrwaffen verzichten. Die Folge der Gewichtsersparnis: Eine höhere Bombenlast.
LeMays Berater hielten ihn für irre. Sie sagten voraus, dass vier Fünftel der Flugzeuge nicht zurückkehren würden. Er übernahm auf drastische Art die Verantwortung und informierte seinen Vorgesetzten General Henry Arnold erst von dem Plan, als die Bomber nicht mehr zurückgerufen werden konnten.
In der Nacht vom 9. auf den 10. März 1945 warfen 325 B-29 etwa 1.700 Tonnen Brandbomben auf Tokio ab. Aus 8.519 Kanistern lösten sich 496.000 einzelne Zylinder, die beim Aufprall ihren Inhalt bis zu 30 Meter herausschossen und dann entzündeten. Heftige Winde fachten die Brände zusätzlich an.
Die 24-jährige Yoshiko Hashimoto floh nach dem Beginn der Angriffe mit ihrem Säugling, ihren Eltern und drei Schwestern aus ihrem Haus. In dem Chaos wurden sie von den Schwestern getrennt. Als sie zu einem Fluss kamen, regneten brennende Trümmer auf die Gruppe herab. Ihre verzweifelten Eltern überredeten Yoshiko, mit dem Baby in das eiskalte Wasser zu springen, wo ein Floß zu sehen war.
I dipped my head into the water and put some water on my baby. His eyes were wide open. I was worried that he might be dying. Many people were clinging to the raft. Then there came a small boat with two men inside rowing, apparently avoiding the raft and the people. I shouted at them, „Help! Help! Please at least save my baby!“
Yoshiko wurde an Bord gezogen. Nur sie, ihr Kind und zwei Schwestern überlebten. Andere hatten im Wasser weniger Glück: Die verzweifelten Menschen trampelten sich zu Tode. Das Feuer saugte den Sauerstoff aus den wenigen Gebäuden, die nicht brannten.
Masatake Obata gehörte zu den Japanern, auf dessen Haus es das amerikanische Militär ganz besonders abgesehen hatte: Daran war eine kleine Manufaktur angeschlossen, die Flugzeugteile herstellte. Als die Sirenen heulten, schickte er seine Frau, vier Kinder und zwei Schwestern zum Sumida-Park, bevor er versuchte, anderen Menschen in der Nachbarschaft zu helfen. Etwa drei Meter von ihm entfernt schlugen Brandbomben ein. Eine traf ihm am Kopf. Als er wieder zu sich kam, waren seine Schuhe und Zehen vom Feuer abgebrannt worden und seine Kleidung stand in Flammen.
Am Morgen schlug Obata sich zu einem Krankenhaus durch, wo ein Arzt ihn als hoffnungsloser Fall einstufte und in die Leichenhalle im Keller schickte. Dort wurde er drei Tage lang ohne Wasser oder Nahrung auf einer Matte zum sterben liegengelassen. Schließlich wurde er von seiner Mutter gerettet. Obatas übrige Familie war bei dem Versuch ums Leben gekommen, den Park zu erreichen [1].
Von den 4,3 Millionen Bewohnern Tokios starben zwischen 80.000 und 120.000 [2] – mehr als zunächst in Hiroshima, mehr als bis Ende 1945 in Nagasaki und etwa drei Mal so viele wie bei dem Feuersturm in Dresden einige Wochen zuvor. In den Straßen türmten sich verkohlte Leichen. Operation Meetinghouse wurde der schwerste Brandbombenangriff der Geschichte.
Nach ersten amerikanischen Schätzungen wurden 18 Prozent der industriell wichtigen Stadtteile vernichtet, daneben 22 Fabriken, die als militärische Ziele markiert worden waren. Das engere Zielgebiet, etwa 26 Quadratkilometer groß, wurde zu 82 Prozent [JPG] zerstört. Die Japaner zählten 43 getroffene Fabriken, 261.000 zerstörte Häuser, 1,1 Millionen Obdachlose und ein völlig vernichtetes Vergnügungsviertel.
Das Ausmaß der Zerstörung war auch eine Folge der japanischen Ideologie. Die offensiv ausgerichtete Kriegerkultur des Militärs hatte keine Geduld mit Defensiv-Maßnahmen wie Luftschutzbunkern (oder, für den Verlauf des Krieges entscheidender, Minenräumern). Außerdem war Zivilverteidigung schlecht für die Moral, fand die Regierung. Das Volk könnte ja auf die Idee kommen, das Militär sei nicht in der Lage, den Feind aufzuhalten [1].
In der Stadt gab es entsprechend nur 18 Bunker mit einer Gesamtkapazität von 5.000 Menschen [eine Quelle spricht von 18 Bunkern mit je 5.000 Plätzen]. Einige Familien gruben Löcher – bokugo – auf ihre Grundstücke, einen Meter breit, bis zu zwei Meter tief, bis zu fünf Meter lang. Im Alltag stürzten ständig Fußgänger in diese oft mit Blumen verzierten Gräben.
Immerhin war Tokio eine der sechs japanischen Städte mit einer Berufsfeuerwehr. Aber nach einer Stunde war klar, dass die 8.100 Mann nichts ausrichten konnten. Fatal wirkte sich in dieser Situation der Befehl der Behörden an die Zivilbevölkerung aus, bei einem Angriff immer die Stellung zu halten, egal was passierte. Die mit nassen Matten, Sandsäcken und Eimern ausgerüsteten Bürger hatten dem Inferno nichts entgegenzusetzen. Nur wer den Befehl ignorierte und floh, hatte wenigstens eine kleine Chance.
Die USA verloren bei dem Angriff zwölf Flugzeuge. Von den 3.307 beteiligten Soldaten starben 96 oder wurden vermisst. Es gab sechs Verletzte. Der Erfolg des Angriffs war den Piloten sofort klar und wurde durch die Fotos der Luftaufklärung bestätigt.
General Arnold, der dann doch irgendwann von dem unorthodoxen Plan informiert worden war, zeigte sich beeindruckt. Er wies in seinem Gratulationsschreiben darauf hin, dass bis zum 1. Juli 1945 die B-29-Flotte 1.000 Maschinen groß sein würde, und betonte die Implikationen der neuen Strategie:
Under reasonably favorable conditions you should then have the ability to destroy whole industrial cities should that be required.
Nach dem Angriff auf Tokio bombardierten die USA sofort weitere Städte, darunter Kobe und Nagoya. Die Zahl der Toten stieg dabei jeweils nicht über 10.000. Am 25. März musste LeMay diese von Historikern als the blitz bezeichnete Serie abbrechen: Er hatte schlicht keine Bomben mehr [3]. Rosie the Riveter und ihre Kolleginnen in den amerikanischen Rüstungsfabriken konnten nicht so schnell Brandsätze bauen wie LeMay sie über Japan abwarf. Die B-29 wurden zunächst für die Vorbereitung der Invasion von Okinawa abgezogen.
Mehr als 60 Orte [JPG] wurden Ziele konventioneller Angriffe, zum Teil mehrfach. Von den großen Städten wurde nur die alte Reichshauptstadt Kyoto wegen ihrer kulturellen Bedeutung verschont. Einige kleinere und mittlere Orte wurden völlig zerstört. Die Totenzahlen erreichten nie wieder die Größenordnung vom März, unter anderem weil die Japaner dann doch den Zivilschutz verbesserten.
Insgesamt wurden von November 1944 bis August 1945 etwa 157.000 Tonnen konventioneller Bomben auf Japan abgeworfen. Zusätzlich wurden Millionen Flugblätter verteilt. Sie sollten die Bevölkerung dazu bringen, die Städte zu verlassen, aber auch ihre Moral brechen.
Die Folgen der Angriffe für die japanische Rüstungsindustrie waren, wie wir gesehen haben, eindeutig. Die Befürworter der Flächenbombardements fühlten sich bestätigt. Auch Kriegsminister Stimson sah trotz der Folgen für die Zivilbevölkerung keine Alternative.
Die japanische Führung beeindruckte weder die Zerstörung noch die Totenzahlen. Dass die USA im März 1945 faktisch die Fähigkeit erlangt hatten, ganze Städte zu vernichten, änderte nichts an der Entschlossenheit der Militärregierung, den Krieg fortzuführen. Der japanische Plan für die letzte Schlacht, Ketsu-Go, wurde am 8. April fertiggestellt. Die Verluste unter der Zivilbevölkerung wurden eingeplant und in Kauf genommen.
Die alliierten Codebrecher erfuhren als Teil der Million abgefangenen Funksprüche pro Monat von dem Durchhaltewillen der Regierung. In einem Schreiben des deutschen Botschafters hieß es am 5. April [1]:
To judge by its inner make-up, the new Cabinet is devoting itself to continuing the war with the utmost exertion of energy.
Erst als bei einem weiteren Angriff auf Tokio am 25. Mai der Kaiserpalast zerstört wurde, zeigte sich die Führung schockiert. Für viele hochrangige Politiker und Militärs war es offenbar wirklich undenkbar gewesen, dass die Flammen des Gegners die heilige Struktur berühren könnten.
Am Ende waren es die Erfahrungen aus Europa, die die Flächenbombardements beendeten. Nach der deutschen Kapitulation wurden die Auswirkungen des Bombenkriegs in der Strategic Bombing Survey (USSBS) untersucht. Die Angriffe auf die Wohngebiete, so die Erkenntnis, hatten die Wirtschaftskraft des Reichs vergleichbar wenig geschwächt. Dagegen hatte die Zerstörung des deutschen Schienennetzes geradezu dramatische Folgen.
Mitte Juni wurden diese Ergebnisse den für Japan zuständigen Militärs vorgelegt. Sie erkannten, dass die Gleise auf der gebirgigen Inselkette noch wesentlich anfälliger waren als die im flachen Mitteleuropa. Zudem hatten die Japaner kaum Alternativen zur Schiene: Die Gewässer waren vermint oder unter Kontrolle der alliierten U-Boote und 97 Prozent der Straßen waren ungeteert. Die Gegner der Flächenangriffe setzten sich wieder durch.
Die neue Strategie wurde am 11. August 1945 verkündet – zwei Tage nach dem Abwurf der zweiten Atombombe auf Nagasaki, vier Tage vor der japanische Kapitulation. Als neue Ziele wurden zunächst 54 Bahnhöfe und 13 Brücken ausgeschrieben. Dazu kam es nicht mehr, denn Präsident Harry Truman setzte die B-29-Angriffe nach dem Angriff auf Nagasaki aus, um den Japanern Zeit zum Nachdenken zu geben.
Welche Folgen die neue Strategie gehabt hätte, werden wir besprechen, wenn es um den Kriegsplan der Alliierten geht.
(Nächster Eintrag der Serie: „Das Schicksalswort mokusatsu“)
([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire. Penguin Books 1999 [2] Marius B. Jansen The Making of Modern Japan Harvard University Press 2000 [3] H.W. Crocker III. Don’t Tread on Me. A 400-Year History of America at War. Crown Forum 2006)
US-Sportjournalismus im Februar: Supermodels in Bikinis
Februar 12, 2009Liebe Männer (und Lesben), wir wenden uns heute aus aktuellem Anlass einem kulturellen Phänomen zu, das zum Erwachsenwerden eines jungen Amerikaners gehört. Die Frauen (und Schwulen) unter den interessierten Lesern sind entschuldigt und können sich wie die Schönste Germanin mit Fan Fiction von Twilight beschäftigen.
Denn die neue „Swimsuit Edition“ des Magazins Sports Illustrated ist erschienen. Zeit, seinen inneren 13-Jährigen zu wecken!
Wer amerikanische Blogs oder Nachrichten verfolgt, wird das schon wissen, oder besser, wird kaum verhindert haben können, dass er es weiß. Von Alpha-Bloggern wie Glenn Reynolds von Instapundit bis Medienriesen wie MSNBC gibt es nur ein Thema: Das diesjährige Cover-Model ist die Israelin Bar Refaeli. Leonardo DiCaprio kann stolz sein, denn seine Freundin (falls sie das noch ist, dieser Autor ist bei so etwas nie auf dem Laufenden) hat damit eine der höchsten Ehrungen erhalten, die die Model-Welt zu bieten hat.
Aber der Reihe nach, denn das hier ist ein seriöses Informationsblog. Kicher.
Sports Illustrated (SI) ist das führende amerikanische Sportmagazin und gehört zu Time Warner. Angeblich lesen es jede Woche 19 Prozent der erwachsenen amerikanischen Männer. Es erscheint seit 1954.
Nun ist der Februar für amerikanische Sportzeitschriften ein Problemmonat, denn so viele Nachrichten fallen nicht an. Das war schon 1964 so, bevor es den Superbowl gab und als die NBA noch klein war. Der damalige Chefredakteur von SI, Andre Laguerre, hatte da eine Idee. Er rief eine junge Mode-Fotografin namens Jule Campbell zu sich und fragte sie:
How would you like to go to some beautiful place and put a pretty girl on the cover?
Fast könnte man denken, dass Fotografen mehr Spaß im Leben haben als Autoren, aber gut. Der anhaltende Erfolg der Ausgabe wird zu einem großen Teil Campbell zugeschrieben. Sie lehnte das abgemagerte, „leichenähnliche“ (cadaverous) Model-Ideal der Zeit nach dem Vorbild von Twiggy ab. Campbell wollte healthy girls sehen, wie man sie – wo sonst – in Kalifornien fand.
Das Prinzip gilt bis heute, wie der SI-Redakteur Terry McDonell am Beispiel Refaelis erklärt:
The cover has to reflect the athleticism and sexiness of the culture. This photo is modern, her hair and swimsuit look natural. You see her freckles. Her body is amazing and she looks intelligent. […] A skinny waif won’t work here.
Natürlich wird dem interessierten Leser als erstes der intelligente Ausdruck aufgefallen sein. Dass SI sich (sehr zur Freude ihrer männlichen Leser) nicht wie andere Zeitschriften Hungerhaken aussucht, führt in diesem Jahr zu einem interessanten Effekt. Refaeli gibt ihre Maße auf ihrer Website als 89-60-89 an, ohne Einheiten. So kriegt man amerikanische Teenager dazu, das metrische System zu lernen.
Seit 1997 hat man die störenden Sportler ganz aus der Ausgabe verbannt, außer natürlich, sie treten wie Steffi Graf selbst im Bikini auf. Auf der Liste der Models im SI-Archiv (das, wie wir ausschließlich wegen unserer Chronistenpflicht erwähnen, auch Fotos enthält) findet man Namen wie Cindy Crawford, Tyra Banks, Naomi Campbell, Rachel Hunter oder Heidi Klum.
Klum erklärt, warum sich die Models um den Cover-Platz reißen:
I’ve done many, many, many different covers in the fashion world … but never had as big a splash as Sports Illustrated […] I went to [The Tonight Show with Jay] Leno, the morning shows in New York and L.A. — it was a huge thing — suddenly I became a household name.
Rebecca Romijn sprach 1998 davon, dass ihre Tagesgagen sich nach ihrem SI-Auftritt verdoppelten. Es gibt auch Sekundäreffekte, wie Tyra Banks herausfand:
Every darn sports person called and asked me for a date.
Die „Swimsuit Edition“ oder „Swimsuit Issue“ (daher die Abkürzung „SI si“) ist mit 66 Millionen Lesern inzwischen das größte Zeitschriften-Event in den USA. Die Werbeerlöse betragen 35 Millionen Dollar.
An dieser Stelle mag sich der interessierte germanische Leser fragen, was das den bitte alles soll. Frauen in Bikinis mögen Anfang der 60er Jahre aufregend gewesen sein, irgendwie. Allerdings gab es schon damals seit einem Jahrzehnt den Playboy. Inzwischen haben die Amerikaner etwas namens „Google“ erfunden und jeder Teenager auf dem Planeten kennt die magischen drei Wörter SafeSearch is off. Wieso noch der ganze Zirkus?
SI hat – wie Playboy – daran gearbeitet, sich als kontrovers darzustellen, auch wenn das immer eher lächerlich war. Zwei Wochen nach der Bademode-Ausgabe druckt die Zeitschrift mit heller Freude empörte Leserbriefe. Nehmen wir Schwester Mary Ephrem Loretto im Jahr 1967:
My copy was burned immediately, and the subscription will cease. Perhaps you do not know it, but nudity is more destructive to our youth than an atom bomb.
Aber irgendwie ist das alles nicht mehr wie früher, oder vielleicht gibt es einfach weniger sportinteressierte Nonnen. Wurden 1978 nach dem Auftritt von Cheryl Tiegs in Brasilien noch mehr als 340 Abos gekündigt – es gab, nun, etwas mehr zu sehen als bis dahin üblich – passiert das kaum noch.
Die Sonderausgabe ist eine Institution geworden, sich darüber aufzuregen gilt als talibanesque. Eher gibt es Beschwerden, wenn nicht genug zu sehen ist, wie John Leo vom Universal Press Syndicate 1993 schrieb:
There’s only one frontal topless photo, no wet T-shirts, and maybe only four trademark SI girlie shots out of the 36 photos in the spread. The truth is, if this issue were a car, it would have to be recalled.
Ganz ernst ist die Beschwerde nicht zu nehmen. SI selbst geht mit einer gehörigen Portion Selbstironie an die Sache heran und die restliche Republik hat auch ihre tongue in cheek. Es gibt endlose Parodien und Varianten. Die Wikipedia führt eine Liste von Comic-Versionen, darunter die Marvel Illustrated Swimsuit Issue oder Lady Death Swimsuit 2007 [JPG]. Blogger stellen die Battlestar Galactica Swimsuit Edition 2008 zusammen. Selbst das ehrwürdige Magazin National Geographic, der sehr große Bruder von Geo, ließ sich 2003 auf den Spaß ein und brachte eine Swimsuit Edition mit der Bademode der vergangenen 100 Jahre heraus.
Schließlich ist das SI-Heft ein Stück der eigenen Biografie, denn es markiert, wann sich gewisse Dinge im Leben eines Jungen grundsätzlich ändern.
Den Ablauf kann man sich so vorstellen: Woche für Woche, so lange man denken kann, wird eine Zeitschrift ins Haus geliefert, in der wirklich wichtigen Dinge des Lebens besprochen werden: Football, Baseball, NHL-Hockey, Basketball. Nur im Februar wird eine Ausgabe enttäuscht in die Ecke gepfeffert, die mit den ganzen halbnackten Frauen. Wer will denn das sehen? Yuck!
Irgendwann ist es aber soweit. Irgendwas ist an der Sonderausgabe, nun, anders geworden. So schlimm ist sie gar nicht mehr. Vielleicht ist sie sogar interessant. Vielleicht muss man sie mit auf sein Zimmer nehmen, um sie hinter geschlossener Tür zu studieren, vielleicht sogar mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke. Auf jeden Fall dann, wenn Mutti nicht im Raum ist.
Und daher begrüßen wir die nächste Generation von Amerikanern, der bei der Betrachtung von Refaeli ein Licht aufgeht. Ist er nicht wunderbar, dieser intelligente Ausdruck?
Sporks, Runcible Spoons und Zombie-Haikus
Februar 9, 2009Computer-Spieler sind bekanntlich Schöngeister. Das sehen wir im Moment an dem Haiku-Thread im Forum unseres Zombie-Shooters Left 4 Dead.
(Ein Haiku, falls jemand es nicht wissen sollte, ist ein japanisches Gedicht mit einer festgelegten Silbenzahl. Traditionell gibt es drei Zeilen mit fünf, sieben und dann wieder fünf Silben. Um Haikus richtig zu genießen, muss man angeblich Japanisch können, etwa so, wie Shakespeare nur im klingonischen Original die volle Wirkung entfaltet. Allerdings ist Englisch wegen der vielen kurzen Wörter und Synonyme anpassungsfähig genug, um eine eigene Haiku-Bewegung zu tragen.)
Schauen wir uns die tiefgründigen Zeilen an, die ein L4D-Spieler namens Pandas Go Nom über die Untoten gedichtet hat:
The zombies they crave
What you have inside your head
They eat it with sporks
Gut, ein kigo ist nicht zu erkennen. Aber das letzte Wort ist interessant: spork. Das ist eine Kombination aus spoon und fork, was gleich die Funktion klar macht: Ein Löffel, mit dem man auch Dinge aufspießen kann [JPG]. Beide Funktionen erfüllt sie mehr schlecht als recht, wie Dogster von den Straight Dope aus seiner Jugend berichtet:
I used sporks as a young pup at camp and for the most part I found them fairly useless. The tines were too short to spear anything with any resistance, and soup tended to dribble through the gaps.
Die deutsche Wikipedia behauptet, dass es als Übersetzung das Wort „Göffel“ gibt. Geläufig ist es allerdings nicht. Die Schönste Germanin, endgültige Autorität in allen kulinarischen Fragen, hat es genauso wenig gehört wie die unfreiwilligen Teilnehmer einer Blitzumfrage im leidgeprüften Bekanntenkreis dieses Autors. Google gibt etwa 4.000 Hits, nur einige hundert mehr als für „scot w. stevenson“. Das sagt alles.
Wenn man einem Germanen eine Spork beschreibt, weiß er schon, was gemeint ist. Daher führte auch eine Szene am Anfang von Wall-E nicht zu heilloser Verwirrung, als der kleine Müll-Robotor nicht weiß, ob er eine Spork zu den Gabeln oder Löffeln legen soll. Aber in Deutschland wird nicht viel über sie geredet.
Bei den Angelsachsen gibt es dagegen eine ganze Subkultur, die sich mit der wunderbaren Welt der Plastik-Sporks beschäftigt. Sie stehen für billiges Essen in liebloser Umgebung. Wir können spekulieren, dass hier der Grund für die Sporklosigkeit der der deutschen Sprache zu suchen ist: Es gibt kaum Ganztagsschulen und das klassische Fast-Food der Germanen wie Pommes-Schranke, Currywurst oder Döner kommt ohne Löffel aus. Deutsche machen dafür komische Dinge mit ihren dreigezinkten Pommesgabeln.
Damit entgeht den Germanen aber der Spaß, aus einer Spork einen foon zu machen. Denn den Löffel-Teil einer richtig billigen Spork kann man durchdrücken – to foon a spork – und damit das Esswerkzeug umkehren. Der Name wird entsprechend andersherum zusammengestellt, aus fork und spoon statt aus spoon und fork (allerdings scheinen einige Leute Foon als Synonym für Spork zu benutzen).
Damit können wir das Poesie-Thema dieses Eintrags wieder aufgreifen und einen sinnlosen Reim vorstellen, auch wenn es kein Haiku ist:
When the fork and the spoon united, the spork and foon were created!
Es gibt einen Haufen Gerüchte darüber, wann Sporks erfunden wurden. Gesichert ist, dass Sporks ab 1909 im Oxford English Dictionary auftauchen, unter Hinweis auf einen Versandkatalog. Sie sind damit mindestens 100 Jahre alt.
Hartnäckig hält sich die Vorstellung, dass sie zuerst 1871 als runcible spoon in The Owl & The Pussy-Cat von Edward Lear zu finden sind. Allerdings ist a) in der dazugehörigen Zeichnung [PNG] ein normaler Löffel zu sehen und b) runcible ein Unfug-Wort, das in der englischen Literatur für alles mögliche benutzt wird. Der interessierte Leser wird sofort an Neal Stephensons preisgekrönten Bildungsroman The Diamond Age denken, wo es der Codename für das Nanotech-Überbuch ist. Mit Sporks haben diese Löffel nichts zu tun.
In der Gerüchteküche Internet findet man die bizarre Behauptung, dass Sporks von den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg erfunden wurden. Angeblich war der Chef der Besatzungsmächte in Japan, Douglas MacArthur (in den entsprechenden Texten bezeichnenderweise oft „McArthur“ geschrieben), der Meinung, Stäbchen seien unzivilisiert, wollte aber nicht, dass die Japaner mit Gabeln „bewaffnet“ werden. Daher ließ er den Spork entwickeln.
Das ist ein modernes Märchen. Allein die Vorstellung, dass Millionen Japaner sich ihre Gabeln schnappen und mit dem Banzai-Schrei auf die nächsten GIs stürzen, ist hochgradig albern. Schließlich gab es in Japan keinen Mangel an Baseball-Schlägern, Sushi-Messern oder, sagen wir mal, Schraubendrehern. Abgesehen davon hatten weder die halb verhungerten Japaner noch die Amerikaner nach dem Krieg die Ressourcen frei, um kurz mal etwa 100 Millionen Sporks herzustellen.
In gewisser Weise ist das schade, denn die Japaner hätten richtige Spork-Haikus machen können. So müssen wir uns mit einem weiteren englischen Exemplar zufrieden geben, diesmal von Eric Sharwell:
All bow to the spork
Lovely plastic work of art
In rainbow colors
Der kaputte Fritz
Februar 5, 2009Das Kurzinterview mit diesem Autor auf Fritz führt uns zwangsläufig zu dem Hinweis, dass Amerikaner in dem Namen des rbb-Radiosenders einen Witz vermuten werden: To be on the fritz bedeutet, dass eine Maschine kaputt ist.
Der interessierte Leser wird sich natürlich spontan an die Buffy-Folge „Go Fish“ erinnern, wo unsere Heldin klagt:
Obviously, my sex appeal is on the fritz today.
(Der Titel ist übrigens eine Anspielung auf ein Kartenspiel.)
Woher kommt die Redewendung? Keiner weiß es. Eine Theorie besagt, dass es etwas mit deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg zu tun hatte, aber offenbar gab es den Spruch schon lange vorher, nämlich 1902. Also, keiner weiß es.
Von der Bedeutung von Ayn Rand und John Galt, wer auch immer das sein mag
Februar 3, 2009Who is John Galt?
– Frage eines Obdachlosen, erster Satz von Atlas Shrugged
Im Jahr 1991 fragte die Kongressbibliothek die Mitglieder des Book of the Month Club, welche Bücher den größten Einfluss auf ihr Leben gehabt hätten. Der erste Platz war keine Überraschung: Die Bibel. Danach kam ein Roman: Atlas Shrugged von Ayn Rand aus dem Jahr 1957.
Erfahrungsgemäß haben Deutsche außerhalb einer kleinen Fangemeinde weder den Namen der russischstämmigen Philosophin und Autorin gehört, noch haben sie ihr wichtigstes Werk gelesen, können mit dem Begriff des Objectivism etwas anfangen oder wissen, wofür die Figur John Galt steht.
Das ist doof, denn Rand und Galt sind in den USA angesichts der Finanzkrise und der riesigen Konjunkturpakete wieder in aller Munde. Im Januar 2009 schrieb das „Wall Street Journal“:
Atlas Shrugged: From Fiction to Fact in 52 Years
Die Reaktionen auf den Kommentar des Wirtschaftsredakteurs Stephen Moore waren der Zeitung zufolge heftig [Video]. Er weiß sich in prominenter Gesellschaft: Zu Rands innerem Kreis gehörte Alan Greenspan, Chef der US-Notebank Fed. Er hielt 1982 ihre Grabrede.
Schon im Wahlkampf hatten einige Amerikaner davon gesprochen, bei einem Sieg von Barack Obama einen auf John Galt (going John Galt) machen zu wollen:
Obama talks about taking from those who are productive and redistributing to those who are not — or who are not as successful. If success and productivity is to be punished, why bother?
Perhaps it is time for those of us who make the money and pay the taxes to take it easy, live on less, and let the looters of the world find their own way.
Diese Zeilen der Bloggerin Dr. Helen (übrigens die Ehefrau des Alpha-Bloggers und Jura-Professors Glenn Reynolds von Instapundit) mag als sehr grobe Zusammenfassung von Atlas Shrugged dienen: Warum soll ich arbeiten, wenn sich meine Leistung für mich nicht lohnt? Schluss damit! Wir werden das gleich ausbauen, halten aber hier schon mal das Wort looters („Plünderer“) fest.
Wirklich weg war Rand nie. Der britische Guardian schrieb 2001, dass ihr Einfluss zunehme, zumindest in den angelsächsischen Staaten. Die Biografie A Sense of Life wurde 1998 für einen Oscar nominiert. Wer amerikanische Brieffreunde hat, bekam ihr Gesicht vielleicht 1999 ins Haus geliefert. Angeblich spielt ihre Philosophie in Bioshock eine Rolle („Best Game about Ayn Rand“). Dieser Autor muss allerdings erst noch die vorgeschriebenen 53.595 Zombies töten, bevor er das selbst überprüfen kann. Das wird noch etwas dauern.
An einer Rezension zu dem Weltraumspiel EVE Online von Ars Technica sehen wir, wie selbstverständlich Amerikaner ihre Ideen als bekannt voraussetzen:
Playing one of four races, you mine, trade, and fight in typical Ayn Rand fashion, selfish rationalism in space.
Eine zentrale Rolle spielt Rand in dem Kultroman Sewer, Gas & Electric von Matt Ruff. Das Buch wurde von Atlas Shrugged inspiriert und ist Rand gewidmet. Sie selbst taucht als Künstliche Intelligenz auf, raucht viel und erzählt den Leuten, wie scheiße sie sind. An dem Buch sehen wir ein Problem, das auch Amerikaner haben: Wie man den komischen Vornamen ausspricht.
„‚Ayn‘ rhymes with ’sane‘?“
„Rhymes with ‚mine,'“ Joan said.
Ruff liefert gleich einen kurzen Abriss ihrer Philosophie mit. Sie dort zu lesen ist aber geschummelt, denn wahre Männer und Frauen nähern sich Rand über Atlas Shrugged (erst Recht machen wir es uns nicht so einfach, einige Kernzitate [YouTube] abzuspielen). Etwas Mut ist nötig, denn das Werk ist zwar ziemlich spannend, hat aber mehr als 1.000 Seiten. Um die zentrale Rede im Schlussteil vorzulesen, bräuchte man drei Stunden. Bei Ruff wird eine Figur mit dem Buch zu Tode geprügelt. Das sollte zu denken geben.
Aber in diesem Blog folgen wir der Philosophie von James T. Kirk und stürmen in Orte vor, die zu betreten sich die Engel fürchten. Daher eine grobe Zusammenfassung in fünf Absätzen:
Wir befinden sich in einer nahen Zukunft. Die Welt besteht aus sozialistischen Volksrepubliken, die DDR ist überall. Das geht nicht gut: Alles bricht langsam zusammen. In den USA gibt es noch einen Rest von Marktwirtschaft, aber auch hier wird der politische Druck immer größer, die letzten „unsozialen“ Firmen zu verstaatlichen. Leistungswille ist verpönt, Ehrgeiz eine gesellschaftliche Sünde, demonstrative Betroffenheit die höchste Tugend.
Zu den wenigen Leuten, die noch kämpfen, gehört die Protagonistin Dagny Taggart, Managerin bei der Eisenbahn Taggart Transcontinental. Sie und der Industrielle Henry „Hank“ Rearden, Gründer und Präsident von Rearden Steel, versuchen irgendwie, ihre Konzerne am Leben zu erhalten, mit Kreativität, harter Arbeit und Risikobereitschaft (und ja, es gibt eine Liebesgeschichte). Als Taggart aufgefordert wird, wie alle anderen „sozial“ zu handeln, sagt sie zu ihrer Motivation als Geschäftsvorsitzende:
I’m not interested in helping anybody. I want to make money.
Taggart und Rearden bekommen noch mehr Probleme, denn plötzlich kündigen ihre besten Leute oder verschwinden einfach. Langjährige Partner, auch echte Haudegen, übergeben ihre Firmen auf einmal klaglos an den bislang so verhassten Staat. Die wenigen fähigen Leute haben kein Interesse mehr an einer Beförderung und weigern sich höflich aber bestimmt, mehr zu machen als die einfachsten Handlagerjobs. Warum, das sagen sie nicht. Ob Unternehmer, Musiker, Wissenschaftler oder gewissenhafter Handwerker, einer nach dem anderen steigt aus.
Und immer wieder taucht der Name John Galt auf. Taggart und Rearden dämmert es, dass hinter dem resignierten Spruch Who is John Galt? eine wirkliche Person stecken muss. Sie machen sich auf, um diesen Mann zu finden. Und tatsächlich schaffen sie es (und ja, Taggart findet ihn sexy).
Galt ist ein Ingenieur, der Erfinder eines revolutionären Antriebs, der keine Lust mehr hatte, sich vom Kollektiv ausbeuten zu lassen, die Schmarotzer (parasites, moochers und besagte looters) mitzuziehen und sich dafür auch noch anfeinden zu lassen. Als in seiner Fabrik die berühmte Parole From each according to his abilities, to each according to his needs ausgerufen wird, schmeißt er sein Werkzeug hin, lässt seinen Motor nutzlos zurück und kündigt an, den „Motor der Welt“ gleich mit anzuhalten. Sein Motto:
I swear — by my life and my love of it — that I will never live for the sake of another man, nor ask another man to live for mine.
Seitdem zieht er durch das Land und überzeugt die prime movers davon, sich seinem Beispiel anzuschließen, bis die Gesellschaft zusammengebrochen ist und neu aufgebaut werden kann. Und genauso kommt es am Ende auch.
Atlas Shrugged ist die Geschichte eines Streiks der Leistungsträger. Das Buch ruft sie auf, sich nicht alles gefallen zu lassen, stolz auf sich und ihre Errungenschaften zu sein, ihren Verstand und ihre Kreativität zu feiern, egal, was die Gesellschaft dazu sagt. Es erzählt vom Recht auf Eigennutz und Individualität, vom Übel des gesellschaftlichen Zwangs, ohne Gegenleistung für andere zu arbeiten, von der Pflicht ehrlich und aufrichtig zu sein sowie davon, dass man trotz aller Widrigkeiten seinen Träumen folgen soll. Hier ist die Inspiration, von der so viele Leser sprechen, die Vision, die ein Leben verändern kann.
Die Ayn Rand Society, die mit der American Philosophical Association (APA) verbunden ist, beschreibt das Gedankengebäude dahinter als virtue-focused rational egoism [sic]:
Rand identifies three cardinal values: Reason, Purpose, and Self-esteem, with the corresponding virtues of Rationality, Productiveness, and Pride.
Oder, um einen Punkt herauszunehmen, der schärfer formuliert ist:
[R]ational, productive people are good for us, while irrational parasites are worthless or dangerous.
Für ihre Kritiker ist Rand dagegen eine Verfechterin des Sozialdarwinismus und ihre Philosophie nur eine ausgeschmückte Version von greed is good. Zu ihren Gegnern gehört der amerikanische Intellektuelle Gore Vidal, der 1961 schrieb, dass Rands Philosophie nearly perfect in its immorality sei. Im Moment machen Greenspan-Kritiker ihren Einfluss für die Finanzkrise mitverantwortlich.
Dass die Linken Rand hassen, ist klar. Die Wurzeln dieser Feindschaft reichen dabei bis lange vor Atlas Shrugged zurück. Rand hatte als Kind in Russland die Revolution von 1917 erlebt und trug 1926 ihren Hass auf sozialistische und totalitäre Systeme mit nach Amerika. Ihr erster Roman We the Living ist eine Anklageschrift gegen den Kommunismus, was allerdings 1936 selbst in den USA nicht gut ankam. In anderen Teilen der Welt half es nicht, dass sie Jüdin war, auch wenn sie sehr früh Atheistin wurde.
Entsprechend mögen auch die religiösen Rechten sie nicht, denn sie hielt Religion und Mystik für dummes Zeug. Anderen Konservativen gefiel ihre Ablehnung von Präsident Ronald Reagan nicht. Rand wird überwiegend von den etablierten Philosophen ignoriert oder belächelt. Und dass die Europäer sie nicht mögen, mag zusätzlich an einer anderen Einstellung liegen:
I can say — not as a patriotic bromide, but with full knowledge of the necessary metaphysical, epistemological, ethical, political and aesthetic roots — that the United States of America is the greatest, the noblest and, in its original founding principles, the only moral country in the history of the world.
Eine Hurrah-Patriotin war sie allerdings nicht. Ihre Kritik an der Politik verschiedener US-Regierungen war bitterböse. Sie war gegen den Vietnam-Krieg und den Korea-Krieg und hielt den Eintritt der USA in beide Weltkriege für einen Fehler. Rand passt nicht wirklich in die Stereotypen, die Europäer von Amerikanern haben.
Allgemein ist Rand zu kompliziert, um in irgendein Schema gepresst zu werden, auch wenn das in diesem kurzen Eintrag vielleicht nicht klar wird. Wir haben viele der kontroversesten Themen gar nicht gestreift wie ihre Beziehung zum Feminismus. Selbst Kirk wusste, dass man nicht jeden fremden Planeten betreten sollte.
Es ist entsprechend schwer einen Amerikaner zu finden, der ihre Philosophie ganz unterstützt. Inspirationen und Einsichten, davon hört man immer wieder. Aber dann kommen eine lange Liste von Einwänden und Einschränkungen.
Daher eine Warnung: Deutsche, die zum ersten Mal Rand lesen, glauben oft, endlich den Schlüssel zum Verständnis der USA gefunden zu haben, insbesondere zu der Strömung des laissez-faire in der amerikanischen Wirtschaft. So groß ist ihr Einfluss dann doch wieder nicht. Greenspan mag in den 70ern viel mit Rand zu tun gehabt haben, verriet aber nach Ansicht der Objektivisten als Fed-Chef ihre Prinzipien in einem „Pakt mit dem Teufel“. Rands Anhänger weisen darauf hin, dass sie entsetzt über die Wirtschaftspolitik und das Verhalten der US-Bürger in den vergangenen Jahrzehnten gewesen wäre:
She would have been appalled at the level of debt Americans accumulated. Rand believed that you worked in order to purchase things you want and need with your own money. You don’t work to enslave yourself with borrowed money. You can’t afford the car you want? The house you want? Too bad. Read a book. Learn a craft. Acquire a skill. Improve society and you will be rewarded.
Den weiteren Hintergrund überlassen wir dem Ayn Rand Institute, das Rands Arbeit weiterführt.
Der interessierte Leser sollte mitnehmen, dass sie mit Atlas Shrugged und der Figur John Galt ein bleibendes Bild für Situationen geliefert hat, in denen fähige und leistungsbereite Menschen wegen der gesellschaftlichen Umstände keine Lust mehr auf Arbeit haben. Dann werden auch Schlagzeilen wie „Is John Galt Venezuelan?“ verständlich oder was gemeint ist wenn ein Unternehmer sagt: Atlas has shrugged all over the country.
Dass Deutsche dieses Bild nicht kennen und deswegen Berichte über Dinge wie die Manager-Abwanderung ohne Hinweis auf Rand und Galt schreiben, ist für Amerikaner regelrecht frustrierend. Es führt diesen Autor immer wieder in Versuchung, bewusst irgendwo eine Anspielung einzubauen, nur damit er hören kann, wie sein germanisches Gegenüber fragt:
„Wer ist John Galt?“
[Korrigiert 3. Feb 2009: Galt zerstört seinen Motor nicht, sondern lässt ihn einfach zurück. Weil niemand anders den Prototypen versteht, ist er nutzlos.]