Einige Bemerkungen zum Energieverbrauch der USA

März 20, 2008

In Nord-Minnesota wurde im vergangenen Monat die Rekord-Tief-Temperatur von Minus 40 Grad gemessen. Mit 196 Zentimeter riss der Schneefall-Rekord in Wisconsin. Allgemein war die Schneedecke über Nordamerika so dick wie seit 1966 nicht mehr.

Nun wäre das zusammen mit der ungewöhnlichen Kälte in anderen Ländern und dem ersten Schnee in Bagdad seit Menschengedenken ein guter Einstieg für einen Eintrag über die kritischen Haltung einiger Amerikaner zur globalen Erwärmung. Aber das ist ein arg kontroverses Thema für dieses bescheidene Blog, das wir daher erst anpacken werden, wenn die Hölle zufriert.

Stattdessen nehmen wir die ungewöhnlich tiefen Temperaturen in diesem Winter als Aufmacher für ein Thema, das zu etwas – wenn auch nicht viel – weniger Aufregung führt: Dem Energieverbrauch der USA.

Beginnen wir mit der Kälte. Dass Wisconsin und Minnesota nicht den Notstand ausgerufen haben, liegt daran, dass es dort ständig schweinekalt ist. Wir hatten im Zusammenhang mit dem Superbowl über die Kleidung der Greenbay-Packers-Fans [JPEG] gesprochen. Auch die 3,5 Millionen Menschen im Ballungsgebiet Minneapolis-St. Paul laufen dick eingepackt herum, haben Notfallausrüstungen im Haus und wärmen über Nacht den Motor ihres Autos mit einem block heater vor.

Das verbraucht natürlich Energie.

Das umgekehrte Extrem finden wir in Arizona. Zum Superbowl Anfang Februar war es dort gemütlich, 16 bis 20 Grad, aber im Sommer liegen die Temperaturen wochenlang über 40 Grad, Plus diesmal. Dann klebt normaler Straßenteer an den Schuhen, ausgekipptes Wasser verdunstet beim zuschauen und man muss auch ohne einen Tropfen Regen ständig die Scheibenwischer austauschen, denn die Sonne zerstört das Gummi.

Auch die 1,5 Millionen Menschen in Phoenix – inzwischen die fünftgrößte Stadt der USA – wissen, wie man damit klarkommt: Hier stimmt wirklich das Vorurteil, dass Amerikaner nirgendwohin zu Fuß gehen. Alle trinken Unmengen Wasser (oder sollten es zumindest) und was ein Dach und eine Tür hat, hat auch eine Klimaanlage.

Die Energie verbraucht.

Ein dritter Punkt: Die Entfernungen. Die USA sind der drittgrößte Staat der Welt. Selbst wenn man Alaska und Hawaii ausklammert, sind die Wege lang, für Fracht, für Personen, für die Auslieferung der Buffy-Comics. Die Strecke Berlin-Rom passt in Kalifornien, und wer in Europa von Paris nach Warschau fährt, hat in den USA gerade einmal Texas durchquert.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Bevölkerung an den Küsten konzentriert ist. Böse Menschen sprechen von der West Coast und East Coast, die durch eine unbedeutende Einöde namens Fly-Over getrennt sind.

Noch mehr Energie.

Nun wird bei Diskussionen über Energie gerne darauf hingewiesen, dass US-Bürger mehr davon pro Kopf verbrauchen als die Deutschen. Die einzig sinnvolle Antwort darauf lautet: well, duh, denn die Bedingungen sind anders. In Mitteleuropa würden Temperaturen wie in Minnesota oder Arizona als Klimakatastrophen eingestuft. Deutschland ist zwar eine große Nation mit großartigen Menschen, aber als Staat eher klein kompakt.

Schon allein wegen des Klimas und der Entfernungen verbrauchen die Amerikaner im Durchschnitt mehr Energie, und sie werden es bei vergleichbarer Lebensqualität auch immer tun. Selbst wenn die westliche Zivilisation morgen zusammenbrechen sollte, würden die Menschen in Minnesota mehr Brennholz verfeuern als in Hessen und die Pferdekutschen der amerikanischen Post würden wieder [JPEG] mehr Heu pro Brief verbrauchen.

Das klingt schrecklich banal. Ist es auch. Aber dieser Autor hat die Erfahrung gemacht, dass es nicht allen Diskussionsteilnehmern klar ist.

Damit soll nicht behauptet werden, die USA würden absolut gesehen nicht zu viel Energie verbrauchen. Die Effizienz von vielen Dingen ist (räusper) ausbaufähig, wie selbst die amerikanische Regierung zugibt. Energieverbrauch und Umweltschutz sind zwar politische Themen, haben aber besonders auf Bundesebene eine andere Priorität, wie wir am Präsidentschaftswahlkampf sehen. In den Programmen von Hillary Clinton und Barack Obama wird Energiesparen als Unteraspekt der energy independence geführt, bei John McCain bilden Energie und Umweltschutz Punkt 13 von 15. Amerikanische Befürworter der Solarenergie klagen:

The greatest obstacle to implementing a renewable U.S. energy system is not technology or money (…). It is the lack of public awareness that solar power is a practical alternative

Ob die USA übermäßig viel Energie verbrauchen, ist daher hier nicht das Thema – das wäre auch ein sehr viel kürzerer Eintrag. Es geht darum, dass ein direkter Vergleich zwischen einem Flächenstaat, der sich über mehrere Klimazonen erstreckt, und einem, äh, übersichtlichen Land in der gemäßigten Zone wenig sinnvoll ist.

Ja, aber mit wem kann man die Amis dann vergleichen?

Schauen wir uns den Energieverbrauch pro Kopf der sieben führenden Industriestaaten (G-7) an, finden wir eine Zweiteilung (in Kilogramm Öl-Äquivalent):

Land KgÖÄ
Kanada 8.301
USA 7.795
Frankreich 4.518
Deutschland 4.203
Japan 4.040
Großbritannien 3.918
Italien 3.127

Die USA sind nicht allein in ihrer Verbrauchsklasse, sondern liegen zusammen mit Kanada um die 8.000er Marke herum – je nach Studie und Jahr sind mal die Kanadier oben, mal die Amerikaner. Die Europäer und Japaner folgen alle mehr als 3.000 KgÖÄ dahinter.

(Damit niemand die Tabelle falsch versteht: Es geht hier nur um die G-7-Staaten. Kanada hat nicht einmal ansatzweise den weltweit größten Energieverbrauch pro Kopf. In Katar haben wir zum Beispiel 21.396 KgÖÄ, auf Island 11.718 KgÖÄ und selbst in Luxemburg 9.409 KgÖÄ. Wir konzentrieren uns hier auf die G7-Staaten, weil sie von ihrer Wirtschaftsstruktur und ihrem Wohlstand vergleichbar sind.)

Nun sind die Kanadier von der Lebensart her ihren südlichen Nachbarn ähnlich – unser besonderer Freund Mark Steyn nennt seine Landsleute spöttisch Americans in denial. Im Winter sind sie allerdings stärker von Dunkelheit und Kälte betroffen. Die Kanadier haben daher einen hohen Stromverbrauch pro Kopf, was man eindrucksvoll sieht, wenn man ihn gegen den UN-Index der Lebensqualität aufträgt [JPG] (Stand: 2004).

In Kanada wird es dafür nicht ernsthaft heiß und die Entfernungen sind nicht ganz so groß, wie sie beim Blick auf die Landkarte wirken: Der Löwenanteil der Bevölkerung lebt dicht gedrängt im Osten an der Grenze zu den USA, was immer so aussieht, als warteten die Kanadier nur darauf, auszuwandern zu dürfen (was im Winter nicht ganz falsch ist). Klein ist Kanada trotzdem nicht. Auch die Kanadier selbst sehen sich in einer Gruppe mit den USA:

Together with the USA, Canada is one of the world’s most energy intensive economies and societies on a per capita basis. In part this is due to our size, climate and the weight of energy-intensive industries (e.g. aluminum, pulp and paper) in our economy.

Ein Vergleich zwischen Kanada und den USA könnte also sinnvoll sein. Wir belassen es bei dieser Feststellung, denn die Einzelheiten sind nicht Thema des Blogs. Auch hier wieder ausdrücklich der Hinweis, dass damit nichts über einen vielleicht übermäßigen Verbrauch gesagt wäre – wer süße kleine Robbenbabys mit Keulen erschlägt, lässt bestimmt auch Nachts im Kühlschrank das Licht an.

Versuchen wir stattdessen mit einem anderen Ansatz, doch die Europäer einzubeziehen. Wir betrachten dabei mal wieder nicht die USA als Ganzes, sondern den Energie- und Stromverbrauch der einzelnen Bundesstaaten.

Vor der Aufgabenteilung im Staatsgefüge passt das auch besser, denn Energiesparprogramme sind Innenpolitik und fallen damit in die Zuständigkeit der Landes- und Kommunalregierungen. Unser Hinweis auf die Präsidentschaftskandidaten war eigentlich unfair: Die Aufgabe des Siegers wird weniger die Umstellung der Verkehrsampeln in Upper Sandusky, Ohio auf LED-Lampen sein als die Frage, wie die USA ihre Abhängigkeit von ausländischen fossilen Energiequellen reduzieren können.

Hilft die geänderte Perspektive? Nur bedingt.

Zwar lassen sich so zum Teil Klima und Entfernung isolieren. Aber nicht alle Bundesstaaten haben die gleiche Bevölkerungs- und Wirtschaftsstruktur wie die G-7-Mitglieder. Einen Zwergen-Staat wie Rhode Island mit Deutschland zu vergleichen ist so sinnlos wie Deutschland mit den gesamten USA. Arizona hat viele Klimaanlagen, aber nur wenig klassische Schwerindustrie und über Iowa hatten wir schon gesprochen. Die Unterschiede zwischen den Bundesstaaten sind auch sonst groß: In Florida heizen 90 Prozent der Haushalte mit Strom, in Utah 89 Prozent mit Erdgas und in Maine 79 Prozent mit Öl.

(Auf Hawaii haben 61 Prozent der Haushalte überhaupt keine Heizung. Dafür darf man sie im Winter ruhig ein wenig hassen.)

Immerhin sehen wir damit, wie groß die Spannen sind. Bei der Energie führt erwartungsgemäß Alaska mit 1.193 Btu pro Kopf, sechs Mal so viel wie Rhode Island als Schlusslicht mit 212 Btu und bei einem landesweiten Durchschnitt von 339 Btu. Beim Strom haben wir Wyoming mit 26.400 Kilowattstunden pro Kopf im Jahr an der Spitze und am Ende steht Kalifornien mit einem Viertel davon, nämlich 6.700 kWh. Letzteres ist nicht nur halb so viel wie die USA als Ganzes (13.000 kWh), sondern der gleiche Wert wie in Deutschland.

(Was machen die Leute in Wyoming mit dem ganzen Strom? Es gibt dort eine große Bergbauindustrie, deren Verbrauch auf gerade einmal einer halben Million Einwohner verteilt wird. Elektrizität ist dort zudem deutlich billiger als in anderen Teilen des Landes, fast halb so teuer wie in Kalifornien.)

Schauen wir uns Kalifornien genauer an. Der Bundesstaat hat die Fläche Schwedens, mehr Einwohner als Kanada und hätte als unabhängiges Land die sechstgrößte Volkswirtschaft. Mit etwas gutem Willen geht das Reich von Gouverneur Arnold Schwarzenegger als G-7-Staat durch. Das Klima ist (für amerikanische Verhältnisse) gemäßigt, zumindest wenn wir kurz so tun, als läge ganz Death Valley in Nevada.

Kalifornien gehört nun zu den Bundesstaaten, die in Sachen Energiepolitik mächtig Druck machen. Nach den Stromengpässen 2001 ergriff die Regierung in Sacramento scharfe Maßnahmen mit Milliardeninvestitionen und Programmen [YouTube] wie „Flex Your Power“.

And Californians flexed, big-time. In short order, they replaced nearly eight million lightbulbs with CFLs in their homes. Cities and towns installed thousands of light-emitting diode (LED) traffic lights, which use less than half as much electricity as the incandescent lamps they replaced. Factories swapped out thousands of old motors for more-efficient new ones.

Auch hier ersparen wir uns die schmutzigen Details des tatsächlichen Vergleichs und halten fest: Kalifornien zeigt, dass die Amerikaner genauso gut wie die anderen Kinder Energie sparen können, wenn das Klima es zulässt und wenn in den Bundesstaaten der politische Wille dazu da ist. Neben Kalifornien wird das insbesondere Vermont, Connecticut und Massachusetts bescheinigt, aber die sind von der Wirtschaftsstruktur nicht g7oid. Wir überlassen die Analyse der übrigen 46 Bundesstaaten dem interessierten Leser als Übung.

Kalifornien dürfte es in diesem Jahr trotz aller Bemühungen schwer haben, das gleiche Niveau wie Deutschland zu halten. Denn zum Valentinstag gab es in San Diego ein seltenes Schauspiel: Schnee.