Archive for Juni, 2010

Neue Flaggenprobleme zur WM: Das aufrechte Sternenbanner

Juni 19, 2010

Die Familie Stevenson hatte schon bei der vorherigen Fußball-Weltmeisterschaft gewisse Flaggenprobleme. Jetzt gibt es neue. Denn die Schönste Germanin hat weder Kosten noch Mühe gescheut, damit neben der deutschen Flagge auch eine amerikanische auf dem Auto steht, gehalten von einer dieser Plastikstangen, die im Fenster eingeklemmt werden.

So weit, so gut. Aber jetzt muss dieser Autor dafür sorgen, dass das Sternenbanner bloß aufrecht stehen bleibt und nicht ständig vor zu zurück wackelt. Vor allem so nah am Flag Day (14. Juni) macht sich das nicht gut.

Denn die amerikanische Fahne darf grundsätzlich nicht geneigt oder gesenkt werden (to dip the flag), außer es handelt sich um eine schräge, statische Befestigung an einer Wand. Die Flaggenvorschriften (Flag Code) sagen ausdrücklich (Hervorhebung hinzugefüg):

No disrespect should be shown to the flag of the United States of America; the flag should not be dipped to any person or thing.

Wer statt Fußball Sportarten bevorzugt, deren Spiele nicht selbst auf Welt-Ebene ständig 0:0 ausgehen, kennt das Ritual: Vor einer Partie wie dem Superbowl marschieren Soldaten mit Fahnen auf, die color guard. Die US-Flagge wird dabei immer (von sich aus gesehen) ganz rechts geführt. Dann ertönt die Nationalhymne und alle Flaggen werden leicht nach vorne geneigt. Alle Flaggen? Nein, der Soldat mit dem Sternenbanner scheint zu pennen [JPG], denn der macht nicht mit. Tatsächlich soll das so sein: Das Sternenbanner verneigt sich vor niemanden.

Es gibt in den USA einige Mythen zu dieser Regel.

Der erste Irrglaube besteht darin, dass nur die Amerikaner so arrogant sind und sonst alle Staaten bei gegebenen Anlässen in braver Demut ihre Nationalflagge senken. Fünf Minuten mit Google zeigen, dass dem nicht so ist: Unter anderem haben auch Kanada, die Philippinen und Indien [PDF] diese Regel.

(Die Briten nicht, denn offenbar gibt es gar keine Flaggengesetze auf der Insel – hey, wer keine geschriebene Verfassung hat, braucht so etwas wohl erst recht nicht. Trotzdem ist die Aufregung groß, wenn der Union Jack auf den Kopf gestellt wird.)

Dann hätten wir noch die Mär, dass die Amerikaner zuerst bei den Olympischen Spielen 1908 in London die Sitte einführten und ab dann nie wieder die Fahne neigten (der Flag Code wurde 1942 Gesetz). Zwar weigerte sich wirklich der Leichtathlet und Flaggenträger Ralph Rose, König Edward VII. so zu ehren. Allerdings gab es von 1908 bis 1936 keine einheitliche Regelung bei den Olympischen Spielen: Mit dem ‚rauf und ‚runter ging es hin und her. Erst als von den USA erwartet wurde, Adolf Hitler so zu ehren, war endgültig Schluss. Die Briten studierten dagegen schon mal ihre Appleasement-Politik [JPG] ein.

Inzwischen gehört die streng senkrecht gehaltene Flagge zu den Erfolgen des amerikanischen Kulturimperialismus:

By the 1992 Albertville Winter Olympics (…), 60 of the 64 flag-bearers adopted the American habit and refused to dip.

Wie das bei den jüngsten Spielen aussah, hat dieser Autor nicht herausfinden können.

Der nächste Mythos: Früher oder später wird im Zusammenhang mit den Spielen von 1908 der amerikanische Leichtathlet Martin Sheridan mit folgenden Worten zitiert:

This flag dips to no earthly king

Es gibt dazu einen eigenen Handlungsstrang, der mit dem Protest gegen die britische Herrschaft über Irland zu tun hat – Sheridan war wie viele US-Athleten dieser Spiele irischer Abstammung – aber das überspringen wir hier. Wichtig ist: Ob Sheridan diesen Satz wirklich gesagt hat, ist umstritten. So oder so ist der Spruch in die Geschichte eingegangen, weil er den Grundgedanken hinter dem Verbot gut zusammenfasst.

Trotzdem gibt es immer wieder Leute mit mangelnder Mutterlandsliebe, lichtscheues Gesindel und fiese Kryptokommunisten, die die Nationalflagge dippen. Dazu gehören, äh, auch die protestantischen Kadetten der Naval Academy in Annapolis. Dort gibt es seit Jahrzehnten die einzigartige Sitte, beim Gottesdienst am Sonntag die US-Flagge vor dem Altar zu senken. Der Leiter der Universität, Vize-Admiral Jeffrey L. Fowler, untersagte die Praxis zwar vorübergehend, ließ sie dann aber aus unbekannten Gründen wieder zu. Bürgerrechtsgruppen wie die Military Religious Freedom Foundation schäumen vor Wut:

Such profound duplicity and cowardice fatally disgraces the U.S. Naval Academy, the U.S. Navy, and the entirety of our American armed forces, all of whom have taken a sacred blood oath to protect and defend, support and serve the Constitution of the United States … not the New Testament.

Dürfen die Kadetten das? Nun, wie besprochen ist der Fahnencode zwar ein Bundesgesetz. Er ist aber selbstverständlich der Meinungsfreiheit nach dem First Amendment untergeordnet. Sprich, man kann mit der amerikanischen Flagge (im Gegensatz zu der deutschen) straffrei alles tun, was man will [Fotostrecke], einschließlich sie zu verbrennen. Und eben auch vor einem Alter senken, wenn man unbedingt will.

Trotzdem verspürt man als anständiger Amerikaner einen gewissen Seelenpein, wenn die Fahne auf dem Auto zu stark hin und her wackelt. Wie sieht denn das aus? Spätestens bis zum Einzug der USA ins Finale werden wir das Problem gelöst haben müssen …

META: Index ergänzt; eingeschränkte Bloggerei während der WM

Juni 13, 2010

Nach nur fast einem Jahr ist der Index mal wieder ergänzt worden. Zudem ist die Serie über den Krieg gegen Japan „intern“ verlinkt worden, sprich, am Ende des ersten Teils steht ein Link zum zweiten Teil. Solche Links haben sich mehrere interessierte Leser für die Serien gewünscht, sie werden jetzt nach und nach eingefügt.

Selbst dieser Autor hat inzwischen mitbekommen, dass es wieder so ein Fußballturnier gibt, diesmal offenbar am Rande der Antarktis. Da die interessierte Leserschaft während dieser Zeit erfahrungsgemäß wartet, bis etwas Interessantes passiert mit Spannung die Spiele verfolgt, statt im Internet zu surfen, schränken wir die Bloggerei bis zum Ende der WM ein.

Das iPhone 4 und gemischte Ehen

Juni 10, 2010

Vor einigen Tagen hat Apple das iPhone 4 vorgestellt. Nun liebt dieser Autor zwar sein neues MacBook Pro 15″ i5 heiß und innig, schon allein weil das Aluminium-Gehäuse so stabil ist, dass der Computer während der Zombie-Apokalypse wird als Waffe benutzt werden können. Aber Smartphones im Allgemeinen und dem iPhone im Speziellen konnte er bislang nichts abgewinnen. Was natürlich nicht heißt, dass er nicht trotzdem die Werbung aufmerksam studiert. Man weiß ja nie.

Dabei fällt auf, dass der Spot für FaceTime [Video], das neue System für Videotelephonie, doch sehr auf Amerikaner zugeschnitten ist. Schon wegen der niedrigeren Geburtenrate und der etwas anderen Beziehung zum Militär möchte Apple vielleicht eine getrennte deutsche Version drehen. Auch die Sache mit der schwangeren Asiatin, die während der Ultraschalluntersuchung durch ihre schwarze Ärztin mit ihrem weißen Partner videophoniert („facetimet“? „gesichtszeitet“?) entspricht nicht wirklich dem mitteleuropäischen Alltag.

Aber wie ist es in den USA mit gemischten Partnerschaften? Es wäre unfair, Apple hier nur politische Korrektheit zu unterstellen. Tatsächlich hat die Zahl der Ehen zwischen Mitgliedern verschiedener Rassen (schwarz, weiß, etc) oder ethnischer Gruppen (Hispanics) in den vergangenen Jahren stark zugenommen:

Rates of intermarriages among newlyweds in the U.S. more than doubled between 1980 (6.7%) and 2008 (14.6%).

Die knapp 15 Prozent sind dabei der landesweite Durchschnitt, im Westen des Landes sind es inzwischen mehr als ein Fünftel. An der Spitze steht dabei Hawaii mit 43 Prozent, gefolgt von Nevada (28 Prozent) und Oregon (24 Prozent). Bei den Schwarzen und Asiaten gibt es auffällige Unterschiede zwischen den Geschlechtern: 22 Prozent der schwarzen Männer, aber nur neun Prozent der schwarzen Frauen heiraten interracial. Bei Asiaten ist das genau andersherum: 40 Prozent für Frauen und 20 Prozent für Männer. Bei den Weißen und Hispanics gibt es dagegen keine nennenswerte Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Der Vergleich zwischen den Jahrgängen wird schnell kompliziert, schon allein weil der Anteil der Hispanics an der Gesamtbevölkerung so stark zugenommen hat. Die restlichen Zahlen der Pew-Studie werden dem interessierten Leser daher zum Selbststudium überlassen.

[Leider fehlen in der Studie die Daten für Indianer. Nach den Daten der Volkszählung von 2000 betrug die Quote damals etwa 57 Prozent. Wir werden das Thema im Zusammenhang mit den blood quantum laws für die Stammeszugehörigkeit aufgreifen.]

Der Trend ist allerdings klar: Gemischte Ehen nehmen zu. Sein Ausgangspunkt liegt in der Zeit, als interracial marriages in den meisten Bundesstaaten schlicht verboten waren. Das änderte sich überwiegend nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Supreme Court brachte 1967 die letzten Nachzügler mit Loving vs Virginia (der wirkliche Name) auf Linie.

Das änderte natürlich nicht die Einstellung der Menschen, denn so etwas dauert länger:

As of 1987 — two decades after the Supreme Court ruling — just 48% of the public said it was „OK for whites and blacks to date each other.“ By 2009, that share had grown to 83%.

Heute sagen 93 Prozent der jungen Erwachsenen – hier sehr zum Unmut dieses Autors definiert als die Gruppe im Alter von 18 bis 32 Jahren – dass solche Beziehungen in Ordnung sind. Das sind noch nicht ganz „alle“, aber es ist schon in dem Bereich, wo die Frage mit einem duh beantwortet werden kann. Wenn diese so genannten „jungen Erwachsenen“ dieses Wort überhaupt noch benutzen.

Die Entwicklung zwingt nicht nur die Werbeabteilungen großer amerikanischer Computer- und Unterhaltungselektronik-Konzerne zum Umdenken. Viele der Regierungsprogramme und auch der Diskussionen über Rassenfragen in den USA gehen von der Annahme aus, dass es klar getrennte Gruppen von (zum Beispiel) „Schwarzen“ und „Weißen“ gibt. Spätestens seit der Wahl von Präsident Barack Obama – Mutter weiß, Vater schwarz – ist klar, dass die Wirklichkeit komplizierter ist.

Wie bereits besprochen wird es bei der Volkszählung ohnehin komplett dem Einzelnen überlassen, zu welcher Gruppe er gehören will. Kontrolliert wird das nicht. Man kann auch mehrere Rassen angeben. Wir werden bei laufenden Census 2010 sehen müssen, wie viele davon Gebrauch machen. Und auch wie viele sich einer Protestbewegung gegen diese Frage anschließen und nur „American“ eintragen.

Übrigens gibt es noch einen Grund, den FaceTime-Spot für Deutschland neu zu drehen: Taubstumme in den USA benutzen eine andere Zeichensprache als ihre Kollegen in Deutschland, die American Sign Language (ASL). Zwar hat sich die Abkürzung für I Love You weltweit durchgesetzt (auch wegen Spiderman), aber für den Rest würde man einen Dolmetscher benötigen. Nachher bedeuten die ASL-Zeichen in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) so etwas wie „mein Luftkissenboot ist voller Aale“ …

Der Krieg gegen Japan, Teil 9: Verschiedenes

Juni 5, 2010

Eigentlich sollte dieser Eintrag der letzte der Serie sein. Aber die Schönste Germanin, die nicht nur klug ist, sondern auch weise, meint, man könne nicht über die Geschichte des Pazifik-Kriegs schreiben, ohne auf den Angriff auf Pearl Habor einzugehen.

Es wird also noch einen weiteren Eintrag geben. Dann ist aber wirklich Ende.

Da Texte bekanntlich schlecht werden, wenn sie zu lange auf der Festplatte liegen (eine Variante von bit rot), geben wir heute trotzdem den „Reste“-Eintrag heraus. Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine allgemeine Zusammenstellung zum Zweiten Weltkrieg – zum Beispiel geht dieser Autor davon aus, dass der interessierte Leser weiß, was ein Kamikaze ist. Auch Dinge ohne einen starken Bezug zu den USA wie die koreanischen Sex-Sklavinnen lassen wir aus.

Diese Liste wird bei Bedarf ergänzt.

Die Atombombenprogramme der Japaner. Japan unterhielt zwei Kernwaffenprogramme, eins beim Heer und eins bei der Marine. Führender Forscher war der Physiker Yoshio Nishina vom Riken Institut. Er war auch Vorsitzender einer Marine-Kommission, die am 6. März 1943 zu dem Schluss kam [2]:

[U]235 separation would require a tenth of the annual Japanese electrical capacity and half the nation’s copper output.

Eine Atombombe sei zwar machbar, aber Japan würde vielleicht zehn Jahre brauchen. Auch die Amerikaner (und die Deutschen) dürften während des Krieges nicht die Ressourcen für solche Waffen haben. Dieser Teil der Marine kümmerte sich daher lieber um Radar-Forschung. Später sollte ein anderer Teil das Zwischenziel verfolgen, ein Zyklotron zu bauen. Nishina setzte unterdessen bei dem Programm der Armee Trennverfahren ein, die beim Manhattan-Projekt als ungeeignet verworfen worden waren. Im Sommer 1944 hatte er damit 170 Gramm Uran-Hexafluorid erzeugt – die USA produzierten die Vorstufe zu diesem Zeitpunkt bereits tonnenweise. Im April 1945 brannte das Labor nach einem amerikanischen Bombenangriff auf Tokio nieder. Das war das Ende der Programme.

The Baatan Death March. Nach der japanischen Invasion der Philippinen wurden im April 1942 etwa 75.000 amerikanische und philippinische Kriegsgefangene gezwungen, knapp 100 Kilometer von der Halbinsel Bataan zu Gefangenenlagern zu marschieren. Ihnen wurde Nahrung und Wasser verweigert; wer das Tempo nicht halten konnte, wurde getötet. Mehr als 10.000 Gefangene starben. Der verantwortliche General Masaharu Homma wurde nach dem Krieg (unter anderem) wegen des Marsches als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet. Der Begriff Bataan death march wird im Englischen inzwischen im übertragenden Sinn für etwas langes, quälendes benutzt. Die Daily Show 2008 beschrieb so den Vorwahlkampf der Demokraten [Video] zwischen Hillary Clinton und Barack Obama.

Banzai, insbesondere banzai charge. Allgemein ein Ausruf im Sinne von „lang lebe“ war „banzai“ Teil des Schlachtrufes Tenno heika banzai („lang lebe der Kaiser“). Amerikanische Soldaten hörten ihn bei den Selbstmordangriffen der Japaner und nannten diese entsprechend „Banzai-Angriffe“. Die Japaner selbst benutzen den Begriff gyokusai (etwa: „zerschlagenes Juwel“). Erstmals wurde die Taktik bei der Schlacht von Attu in Alaska gegen die US-Truppen angewandt, später dann immer häufiger. Unter anderem:

[T]he Battle of Tarawa (November 21-23, 1943), 4,600 (17 surviving); the Battle of Kwajalein (January 30 to February 5, 1944), 7,900 (105 surviving); the Battle of Biak (May 27 to June 20, 1944), more than 10,000 (520 surviving); the Battle of Saipan (June 15 to July 9, 1944), 29,000 (921 surviving), and so on

Erst vor der Schlacht von Iwo Jima (s.u.) Anfang 1945 setzte sich im japanischen Militär die Erkenntnis durch, dass es sinnvoller war, sich für ein letztes Gefecht in eine starke Verteidigungsstellung einzugraben. „Banzai“ ist inzwischen in die Populärkultur eingegangen, als Ausruf oder wie in dem Kultfilm Buckaroo Banzai.

Biologische Kriegsführung. Japan setzte während des Krieges biologische Waffen gegen die chinesische Zivilbevölkerung ein.

Planes dropped plague-infected fleas over Ningbo in eastern China and over Changde in north-central China, Japanese troops also dropped cholera and typhoid cultures in wells and ponds. In all, tens of thousands, and perhaps as many 200,000, Chinese died of bubonic plague, cholera, anthrax and other diseases.

Die Angriffe wurden von der Einheit 731 (engl. Unit 731) geleitet und später von den Alliierten vertuscht (s.u.). Die Überlebenden leiden bis heute an den Folgen der Infektionen. Ein japanisches Gericht bestätigte 2002 erstmals den Einsatz biologischer Waffen. Entschädigungszahlungen schließt Japan aus.

Doolittle Raid. Der erste Luftangriff der USA auf die japanischen Hauptinseln, ausgeführt im April 1942. Von dem Flugzeugträger Hornet starteten 16 kleinere B-25-Bomber und griffen Ziele in Tokio und Umgebung an. Ohne genug Treibstoff für die Rückkehr landeten die Flugzeuge in China. Von den 80 Besatzungsmitgliedern starben sieben – drei während des Einsatzes und vier der acht Männer, die in japanische Gefangenschaft gerieten. Der angerichtete Schaden war trivial, aber der Angriff stärkte die Moral der Alliierten. Mehr noch, Japan konzentrierte sich in der Folge extrem auf die US-Flugzeugträger, was ihnen zum Verhängnis wurde. Beim japanischen Vergeltungsfeldzug Zhejiang-Jiangxi starben etwa 250.000 Chinesen.

Europe First. Doktrin der Alliierten, zuerst den Krieg in Europa zu gewinnen und dann erst sich Japan zuzuwenden. Die Strategie beruhte zu einem Teil auf blankem Rassismus [1]: Die Deutschen waren gefürchtete Krieger, die schon die Römer besiegt hatten; die Japaner waren komische kleine Leute, die rohen Fisch aßen. Wie gefährlich konnten die sein? Tatsächlich zeichnete sich der durchschnittliche japanische Soldat durch Mut und vor allem Opferbereitschaft aus. Der britische Offizier John Masters schrieb zu seinen Erfahrungen in Birma:

In our armies, any of them, nearly every Japanese would have had a Congressional Medal [of Honor] or a Victoria Cross. (…) They believed in something, and they were willing to die for it, for any smallest detail that would help to achieve it. What else is bravery?

Die US-Generäle in Europa schauten trotzdem noch lange auf die Kriegsschauplätze im Pazifik als die bush leagues herab.

The Greatest Generation. Ein von dem Journalisten Tom Brokaw geprägter Begriff für die Kriegsgeneration in den USA. Er erklärte:

Came out of the Depression with all that economic deprivation, went beyond their own shores to help save the world from fascism, came back, rebuilt their enemies, built the country that we have today, married in record numbers, went to college in record numbers, kept their values, never whined, never whimpered.

Brokaw betont, dass es keine „perfekte“ Generation war, unter anderem wegen des Rassismus. Die Beschreibung beinhaltet auch Kritik an die nachfolgende Generation der Baby Boomers: Demnach wären sie im Vergleich ein Haufen egoistischer, jammernder Weicheier, die das Erbe der Kriegs-Generation verschwendeten.

Hell Ships. Spitzname für die japanischen Schiffe, auf denen alliierte Kriegsgefangene transportiert wurden. Von etwa 62.000 Gefangenen auf 56 Schiffen starben bis zu 22.000. Überlebende berichten:

The prisoners had been so crowded in these other holds that they couldn’t even get air to breathe. They went crazy, cut and bit each other through the arms and legs and sucked their blood. In order to keep from being murdered, many had to climb the ladders and were promptly shot by guards.

Zudem kennzeichneten die Japaner die Schiffe nicht wie nach dem Kriegsrecht vorgeschrieben. Von den Alliierten waren sie daher nicht von normalen Frachtern zu unterschieden. Entsprechend versenkte beispielsweise das britische U-Boot HMS Tradewind im September 1944 die Junyo Maru. Von den 6.500 Gefangenen an Bord – darunter 1377 niederländische Kriegsgefangene und 4.200 Zwangsarbeiter aus Java – starben 5.620 bei dem Angriff.

Die Hinrichtung von Leonard Siffleet. Der australische Soldat Siffleet wurde in Neu-Guinea von Eingeborenen gefangengenommen und an die Japaner übergeben, die ihn am 23. Oktober 1943 hinrichteten. Sekunden vor seiner Enthauptung wurde ein Foto [JPG] aufgenommen, das im April 1944 bei einem toten japanischen Soldaten gefunden wurde. Die Aufnahme gehört zusammen mit der US-Fahne auf Iwo Jima (s.u.), den Luftaufnahmen von Hiroshima und dem Baby von Shanghai [GIF] zu den „ikonenhaften“ Bildern des Pazifik-Kriegs, die ständig abgedruckt werden.

Holdouts. Bezeichnung für japanische Soldaten, die nach der Kapitulation weiterkämpften, entweder weil sie nicht davon hörten oder aus ideologischen Gründen. Die letzten (bekannten) ergaben sich in den 70ern. Dazu gehörte Hiroo Onoda, der erst 1974 seine (noch voll funktionsfähige) Waffe abgab, als ihn sein ehemaliger Kommandeur die Befehle dazu persönlich auf den Philippinen vorlas. Onoda erklärte später (Hervorhebung im Original):

Some dreams are best not to wake up from. On Lubang, I believed I was defending Japan by making the island into a stronghold as best as I could with my two comrades, [Shoichi] Shimada and [Kinshichi] Kozuka. When they both died, I continued my mission alone. When World War II ended for me in 1974, the past all seemed like a dream.

Onoda hatte seit dem Ende des Krieges etwa 30 Menschen getötet. Wegen der Umstände wurde er vom philippinischen Präsidenten begnadigt.

Indianische code talkers. Insbesondere die Marines setzten während des Krieges im Pazifik Indianer als Funker ein. Hintergrund war die Erkenntnis, dass sehr wenige Japaner Navajo sprachen. Zu diesem Thema wird es einen eigenen Eintrag geben.

Internierungslager für US-Japaner. Während des Krieges wurden etwa 120.000 Menschen japanischer Abstammung in den USA (und in Kanada) gezwungen, in Internierungslager (engl. concentration camps) umzuziehen. Dabei wurde die gesamte Westküste zu einer Sperrzone [JPG] für sie erklärt. Betroffen von Executive Order 9066 waren auch Frauen und Kinder. Begründet wurde die Maßnahme mit der Gefahr von Anschlägen und Spionage. Der damalige Staatsanwalt von Kalifornien und spätere Richter am Supreme Court, Earl Warren, erklärte:

When we are dealing with the Caucasian race we have methods that will test the loyalty of them. But when we deal with the Japanese, we are on an entirely different field.

(Mit „Kaukasier“ werden in den USA Weiße bezeichnet). Eine Untersuchung des Kongress befand in den 80er Jahren, dass die Lager ein massives Unrecht waren und auf „race prejudice, war hysteria, and a failure of political leadership“ zurückgingen. Präsident Ronald Reagan unterzeichnete später ein Gesetz, das die Zahlung von Reparationen in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar an die Betroffenen anordnete.

Island hopping. Vorgehensweise der Alliierten im Pazifik, um die japanische Strategie der verlustreichen Rückzugsgefechte zu kontern. Dabei wurden nicht alle Stellungen (in der Praxis also Inselgruppen) eingenommen, sondern nur die wenigen, die für einen Vorstoß gegen die Hauptinseln nötig waren. Die anderen wurden von der Versorgung abgeschnitten und sich selbst überlassen (wither on the vine). Insbesondere die japanische Hochburg auf Rabaul wurde nie angegriffen.

Japanisch-amerikanische Soldaten. Während Amerikaner japanischer Abstammung zu Zehntausenden in Inhaftierungslager gesteckt wurden (s.o.), kämpften andere gegen das Kaiserreich. Die überwiegend aus japanischstämmigen US-Bürgern zusammengestellte 442nd Regimental Combat Team ist bis heute die höchsten ausgezeichnete Einheit seiner Größe in der Geschichte der USA:

The unit earned over 18,000 individual decorations, including 9,486 Purple Hearts and seven Presidential Unit Citations, the nation’s top award for combat units.

Im Jahr 2000 legte die US-Regierung noch 21 Medals of Honor nach, die höchste militärische Auszeichnung des Landes: Eine Kommission hatte befunden, dass ihre Leistungen damals nicht ausreichend gewürdigt worden waren. Die Geschichte der 442nd wurde 1951 in dem Film Go for Broke erzählt. Der Titel spielt auf das Motto der Einheit an („alles auf eine Karte setzen“).

Kriegsgefangenschaft. Alliierte Kriegsgefangene wurden in Japan deutlich schlechter behandelt als in Deutschland. Unter den gefangengenommen Mitgliedern des US-Heeres lag die Todesrate in deutschen Lagern bei 0,9 Prozent, in japanischen bei 35 Prozent [1]. Der Autor James Clavell – in Deutschland hauptsächlich für Shogun bekannt – verarbeitete seine Erlebnisse in japanischer Gefangenschaft in dem Roman King Rat. Sein Lager gehörte dabei zu den vergleichsweise human geführten.

Mark XIV Torpedo. Die amerikanischen U-Boote begannen den Krieg mit Torpedos, die eher in Ausnahmefällen explodierten – die Versagerquote lag selbst unter perfekten Bedingungen bei bis zu 70 Prozent. Entsprechend mies war die Ausbeute am Anfang des Pazifik-Kriegs:

The Asiatic submarines made 136 attacks, firing 300 torpedoes in the first four months sinking only ten ships.

Hintergrund waren gleich eine ganze Reihe von technischen Problemen. Blödsinn, sagte die Marine-Führung: Der Torpedo ist in Ordnung, die Kapitäne sind unfähig [der Streit mit der Bürokratie dürfte einer der Vorbilder für das Kommando der Sternenflotte bei Star Trek geliefert haben, das auch immer als ein Haufen Idioten dargestellt wird]. Erst 1943 lag eine brauchbare Waffe vor. Daher: In U-Boot-Simulationen des Pazifik-Kriegs immer die Option realistic torpedoes ausschalten.

Massaker von Manila. Angesichts der vorrückenden US-Truppen ordnete General Tomoyuki Yamashita im Februar 1945 den Rückzug aus der philippinischen Hauptstadt an. Mehrere Tausend japanische Soldaten befolgten den Befehl nicht und massakrierten die Zivilbevölkerung der Stadt – darunter auch Priester und Mitglieder des Roten Kreuzes. Etwa 100.000 Menschen wurden ermordet. Yamashita wurde nach dem Krieg als verantwortlicher Befehlshaber verurteilt und hingerichtet, obwohl er weder direkt an diesen Verbrechen beteiligt noch sie angeordnet hatte. Das juristische Prinzip heißt bis heute „Yamashita Standard“ und wurde in Star Trek VI: The Undiscovered Country von den Klingonen gegen Kapitän James T. Kirk angewandt.

Massenselbstmorde japanischer Zivilisten. Neben den oben beschriebenen Selbstmordangriffen der japanischen Soldaten kam es zu Massensuiziden von Zivilisten, die der Kriegspropaganda ihrer Regierung glaubten:

Japanese civilians were convinced that the Americans would rape and abuse them, „punch out their eyes, cut off their noses and pull off their legs and arms“. (…) The Japanese were told that to join the US marines a recruit had first to kill his mother and father.

Am berüchtigtsten ist die Selbstmordwelle nach der Schlacht von Saipan, bei der am Marpi Point Hunderte Familien von den Klippen sprangen [Video, nicht für Kinder geeignet]. Der Marineinfanterist Guy Gabaldon beschrieb eine Szene:

As we stop we can see four children thrown off. They were pleading with their parents not to kill them. It seems that the children had more faith in us than did their parents. (…) In a couple of minutes it’s all over. The whole bunch lies down below either dead or dying.

Der Hispanic Gabaldon wurde berühmt, weil er auf Saipan mit seinem Straßenjapanisch aus Los Angeles insgesamt etwa 1.500 japanische Soldaten und Zivilisten dazu brachte, sich einzeln oder in kleinen Gruppen zu ergeben. Von seinen Vorgesetzten wurde ihm dafür zunächst das Kriegsgericht angedroht, später wurde er ausgezeichnet. Besonders die Ermordung der Kinder [PNG] durch die eigenen Eltern hinterließ tiefe Spuren bei den amerikanischen Soldaten und verstärkte das Bild von den Japanern als unmenschliche Fanatiker.

The Rape of Nanking (Massaker von Nanking). In den sechs Wochen nach der Einnahme der chinesischen Stadt Nanking (Nanjing) ermordeten japanische Soldaten mehrere Hunderttausend Menschen und vergewaltigten bis zu 80.000 Frauen. Wegen der extremen Brutalität ist das Massaker das berüchtigtste der japanischen Kriegsverbrechen und belastet die Beziehung zwischen China und Japan bis heute. Der deutsche Kaufmann John Rabe bot während der Übergriffe als „Schindler Asiens“ etwa 250.000 Chinesen Zuflucht und wird in der Volksrepublik bis heute als Held gefeiert. Zahlreiche japanische Politiker – nicht nur Nationalisten – sprechen dagegen von Lügen. Der in den USA gängige Begriff der „Vergewaltigung“ geht auf die Autorin Iris Chang zurück, deren gleichnamiges Buch 1997 im englischsprachigen Raum zu einem Sachbuch-Bestseller wurde.

Schlacht von Guadalcanal. Erste Groß-Offensive der Alliierten im Pazifik-Raum, von 1942 bis 1943. Die Einnahme der Insel markierte für sie den Übergang zur Offensive. Es zeigte den alliierten Politikern zudem, dass trotz der Europe-First-Strategie (s.o.) auch größere Vorstöße im Pazifik-Raum erfolgreich sein konnten. Ein Teil der Invasion wurde 1999 als The Thin Red Line mit einem Star-Aufgebot verfilmt.

Schlacht von Iwo Jima. Die Invasion der Insel im Februar und März 1945 markiert wiederum eine Änderung der japanischen Strategie: Statt in banzai charges (s.o.) in den Tod zu gehen, gruben sich die Verteidiger ein. Die Verluste auf amerikanischer Seite – etwa 6.900 Tote und 19.200 Verwundete – waren als Folge davon höher als die aller Alliierten während der Normandie-Landung. Auf japanischer Seite starben etwa 18.300 Soldaten. Berühmt geworden ist das Foto von Joe Rosenthal [JPG], wie die (zweite) US-Fahne gehisst wurde. Viele Alliierte konnten nicht verstehen, warum die vergleichsweise unwichtige Insel überhaupt eingenommen werden musste. Erst später wurde bekannt, dass sie für Notlandungen der Bomber benötigt wurde, die die Kernwaffen tragen würden. Die Schlacht wurde von Clint Eastwood zweimal verfilmt, einmal aus japanischer Sicht (Letters from Iwo Jima) und einmal aus amerikanischer (Flags of Our Fathers). Dieser Autor kann nur den japanischen Film empfehlen.

Schlacht von Midway. Seeschlacht am 4. Juni 1942, die allgemein als Wendepunkt des Pazifik-Kriegs gesehen wird: Die Vormacht der japanischen Flotte wurde gebrochen, ab hier waren die Gegner gleich stark. Die Amerikaner spielten bei dem Gefecht ihren überlegenen Nachrichtendienst aus. Japan verlor vier Flugzeugträger (Kaga, Akagi, Soryu und Hiryu), die USA einen (Yorktown). Fast noch schwerwiegender für Japan war der Verlust seiner besten Piloten: Die Regierung in Tokio hatte keinen langen Krieg eingeplant und konnte die Verluste nie wirklich ersetzen.

Tokyo Express. Englische Bezeichnung für die Schiffsroute, mit der die Japaner in der Nacht – und damit sicher vor Luftangriffen – ihre Einheiten auf Neu-Guinea und den Salomonen versorgten. Der japanische Name soll „Ratten-Transport“ (nezumi yuso) lauten.

Tokyo Rose. Kollektiver Name für englischsprachige Ansagerinnen des japanischen Hörfunks, die im Zweiten Weltkrieg Propaganda verbreiteten. Was wirklich gesagt wurde und was auf Seemannsgarn beruhte, ist erstaunlich schwer zu entscheiden: Auf japanischer Seite wurden die Unterlagen gegen Kriegsende zerstört und viele der abgehörten Programme wurden vom US-Nachrichtendienst auf Wachstrommeln aufgezeichnet, die nach dem Gebrauch wiederverwertet wurden. Die Berichte der Soldaten waren nicht unbedingt hilfreich:

Many characterized her voice as „soft,“ „smooth,“ „sultry,“ or „sexy“; she spoke with a slight accent, or they were amazed by its lack. When asked to describe the content of Tokyo Rose’s radio show, some former servicemen recounted taunting tales of unfaithful wives who were dating draft-dodgers.

Als „die“ Tokyo Rose wurde trotzdem die 33-jährige Ansagerin Iva Toguri d’Aquino im September 1949 des Hochverrats schuldig gesprochen. Überwältigend war das Beweismaterial nicht. Sie wurde 1956 aus der Haft in den USA entlassen, 1977 von Präsident Gerald Ford begnadigt und starb 2006. Unabhängig von der historischen Wahrheit gehören Anmoderationen von „Tokyo Rose“ inzwischen zum festen Inventar von Filmen über den Pazifik-Krieg.

Unit 731. Die „Einheit 731“ war eine geheime Forschungseinrichtung der japanischen Armee mit dem Ziel, biologische (s.o.) und chemischen Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Sie wurde 1936 von dem Arzt Shiro Ishii gegründet. Die Labors wurden in Ping Fan im besetzten Osten Chinas gebaut. Im englischen wird die Anlage auch Auschwitz of the East genannt. Dort wurden sadistischen Versuche vorgenommen:

Others had limbs amputated to study blood loss – limbs that were sometimes stitched back on the opposite sides of the body […] People were locked into high-pressure chambers until their eyes popped out, or they were put into centrifuges and spun to death like a cat in a washing machine.

Wie in anderen besetzten Gebieten wurden Vivisektionen durchgeführt. Vor den anrückenden Sowjets tötete das japanische Militär am Ende des Krieges die noch lebenden Gefangenen – insgesamt starben dort je nach Schätzung zwischen 3.000 und 12.000 Menschen – und sprengte die Gebäude. Keiner der Verantwortlichen wurde im Westen vor Gericht gestellt: Im Gegenzug für die Forschungsdaten erhielten sie von den USA Straffreiheit, die Verbrechen wurden von amerikanischer und japanischer Seite vertuscht. Die Sowjetunion verurteilte ihrerseits zwölf der Forscher als Kriegsverbrecher. Ishii selbst starb 1959 in Chiba an Halskrebs.

Yamamoto, Isoroku. Der Architekt des Angriffs auf Pearl Harbor war so etwas wie der Kassandra Japans. Zwischen den Kriegen hatte er in den USA studiert, war ein Kenner der amerikanischen Mentalität und hatte eine realistische Vorstellung von der Wirtschaftskraft des Gegners. Yamamoto war entsprechend gegen den Angriff auf die USA und sagte voraus:

I shall run wild considerably for the first six months or a year but I have utterly no confidence for the second and third years.

Seine Vorgesetzten teilten seine Bedenken nicht. Yamamoto wurde auf der Grundlage von Geheimdienstinformationen im April 1943 von amerikanischen Kampfflugzeugen abgeschossen (Operation Vengeance).

[Hinweis auf den Bataan-Marsch in der Daily Show von TS, vielen Dank]

([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire. Penguin Books 1999. [2] Rhodes, Richard The Making of the Atomic Bomb, Simon & Schuster 1986.)

Der Krieg gegen Japan, Teil 8: Die ursprünglichen alliierten Pläne

Juni 1, 2010

Als vorletzten Teil dieser Serie schauen wir uns die ursprünglichen Pläne der Alliierte im Krieg gegen Japan an. Heute werden sie oft als „Alternativen zur Atombombe“ bezeichnet, was nicht ganz richtig ist: Diese Szenarien waren die eigentlichen Pläne, um das Kaiserreich zu bezwingen, die Atombombe war die Alternative. Mehr noch, sie war so etwas wie die Alternative zur Alternative, sozusagen Plan C.

Wir schauen uns die Strategien in der Reihenfolge an, wie sie entwickelt wurden.

Plan A, Version 1: Blockade (War Plan Orange)

Vor dem Zweiten Weltkrieg erstellte das US-Militär eine Reihe von farbkodierten Planspielen. War Plan Black befasste sich mit Deutschland, War Plan Red mit dem ewigen Erzfeind, dem britischen Empire (die Abschnitte für Kanada wurden letztens wieder diskutiert) und War Plan Orange mit Japan. Orange sah vereinfacht gesagt eine Blockade der Hauptinseln bis zur Kapitulation des ausgehungerten Feindes vor.

Warum keine Invasion? Weil Japan als uneinnehmbar galt. Der Historiker Edward S. Miller beschreibt die Überlegungen so:

The Army War College reported Japan to be „almost invulnerable.“ The ferocity of the Imperial Army was legendary. The countryside was mountainous, the valleys filled with rice paddies. […] Invasion, the staff of the AWPD declared, „we honestly believe is a physical impossibility.“

Auch nur ansatzweise denkbar sei eine Invasion der südlichen Insel Kyushu und der Kanto-Ebene bei Tokio – genau die Stellen, die später für Operation Downfall ausgesucht wurden. Wie wir bei der Besprechung des japanischen Kriegsplans Ketsu-Go gesehen haben, war man sich dessen allerdings auch in Tokio bewusst.

Das war also der Plan, den die Amerikaner nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor aus der Schublade holten.

Plan B: Invasion (Operation Downfall)

Und trotzdem entschlossen sich die Alliierten dann zu einer zweiteiligen Invasion: Von Kyushu (Operation Olympic) [JPG] am X-Day 1. November 1945; gefolgt von Honshu südlich von Tokio am Y-Day 1. März 1946 (Operation Coronet) [JPG]. Die Invasionsflotte sollte aus 42 Flugzeugträgern, 24 Schlachtschiffen und mehr als 400 Zerstörern bestehen. Für die Olympic waren 14 Divisionen (mit je um die 15.000 Soldaten) vorgesehen, für Coronet 25 Divisionen. Das wäre die größte Invasionsstreitmacht der Geschichte gewesen.

Der wichtigste Grund für die Änderung war der Faktor Zeit. Nicht nur die Japaner, auch die Alliierten hatten von Anfang an Zweifel an der Fähigkeit von Demokratien, langwierige, verlustreiche Kriege zu führen. Bei einer Blockade mussten aber mehrere Jahre eingeplant werden. Tatsächlich wurde nach VE-Day [Fotos], dem Sieg in Europa am 8. Mai, der Druck in den USA immer größer, den Krieg im Pazifik schnell zu beenden. Die öffentliche Meinung war dabei etwas schizophren:

On the one hand, it gave every indication that it insisted on fighting until it had „completely beaten [the enemy] on the Japanese homeland“ (84 percent approval noted in a poll). On the other hand, it demanded release from economic rationing, as well as at least partial demobilization, beginning virtually the day Germany surrendered (72 percent approval)

Noch während der Krieg im Pazifik tobte, begann in den USA die Demobilisierung: Das Kriegsministerium (der Name damals) wurde zum Entsetzen des amerikanischen Militärs gezwungen, 450.000 Soldaten des Heeres nach Hause zu lassen. Der Kongress forderte sogar den Abzug einer weiteren Million. Die Marine und die Marineinfanterie drückten sich erfolgreich, aber bei einer Invasion würden dem Heer ausgerechnet die kampferfahrensten Truppen fehlen. Der General (und spätere Präsident) Dwight D. Eisenhower schätzte, dass mindestens sechs Monate benötigt würden, um die Einheiten aus Europa wieder kampfbereit zu machen [1].

Entsprechend einigten sich die Alliierten (damals noch ohne die Sowjetunion) auf der Ersten Konferenz von Quebec 1943, Japan solle ein Jahr nach der Kapitulation Deutschlands besiegt sein. Das wäre im Mai 1946 gewesen. Ohnehin war Präsident Franklin D. Roosevelt nicht ein Mann, der das Wort „unmöglich“ ernst nahm [2].

Die Entscheidung für eine Invasion war eine politische, keine militärische. Das ist für die weitere Geschichte wichtig, denn insbesondere die Marine freundete sich nie wirklich mit der neuen Strategie an.

Die Einzelheiten von Operation Downfall können wir auslassen, denn im wesentlichen lagen die Japaner bei ihren Annahmen für Ketsu-Go richtig. Zwei Punkte sollten wir gesondert aufführen:

  1. Der taktische Einsatz von Atomwaffen. Als die japanische Regierung auch nach der Zerstörung von Nagasaki zunächst keine Gesprächsbereitschaft zeigte, wurde über den Einsatz der weiteren Kernwaffen als Teil der Invasion diskutiert. L.E. Seeman vom Manhattan Project erklärte auf Anfrage, bis Olympic dürften sieben weitere Atombomben einsatzbereit sein. Bei einer Analyse der Gefahren für die vorrückenden alliierten Soldaten erwähnte er mit keinem Wort die Strahlung, ein Zeichen dafür, wie wenig selbst die Projektmitarbeiter von den Folgen verstanden [1].
  2. Der Einsatz von Giftgas. Nach den hohen Verlusten bei der Invasion von Okinawa – während der Einnahme der Insel fielen 12.500 US-Soldaten – wurde über den Einsatz von Chemiewaffen gegen die verschanzten japanischen Truppen auf Kyushu diskutiert.

    [T]actical strike aircraft would drop nearly 9,000 tons of chemical weapons on the defending troops in the first fifteen days, with further attacks planned at the rate of just under 5,000 tons every thirty days from then on. As US troops came ashore, they would bring in howitzers and mortars that could deliver an additional forty-five tons a day of poisonous gas on Japanese positions.

    Besprochen wurden auch Chemie-Angriffe auf Städte, was allerdings nach dem Ende der strategischen Bombardierung hinfällig wurde. Japan war Giftgas schutzlos ausgeliefert. Aus Angst vor einer groß angelegten chemischen Bombardierungen der Heimatinseln war die Regierung in Tokio offenbar bereit, einen begrenzten Einsatz ohne Aufschrei hinzunehmen.

Bis zur japanischen Kapitulation am 15. August gab es noch keinen Konsens zu diesen Punkten.

Im Zusammenhang mit Operation Downfall wird viel über die erwarteten Opferzahlen diskutiert. Greifen wir eine zeitgenössische Studie heraus:

A study done for Secretary of War Henry Stimson’s staff by William Shockley estimated that conquering Japan would cost 1.7 to 4 million American casualties, including 400,000 to 800,000 fatalities, and five to ten million Japanese fatalities.

Soweit dieser Autor feststellen kann, sind dabei weder die Toten durch einen taktischen Einsatz von Atombomben noch durch chemische Waffen eingerechnet. Einige dieser Studien waren vertraulich. In der US-Presse wurde über eine Million gefallene amerikanische Soldaten bis Kriegsende spekuliert. Im Vergleich zur tatsächlichen Zahl wäre dies eine Vervierfachung gewesen.

In den meisten dieser Studien – und in vielen Diskussionen heute – fehlt eine dritte Gruppe: Die Zivilisten in den von Japan besetzten Teilen Asiens und Ozeaniens. Allein China verlor bis zum Kriegsende je nach Quelle bis zu 20 Millionen Menschen. Für das letzte Kriegsjahr galt [1]:

[T]he minimum plausible range for deaths of Asian noncombatants each month in 1945 was over 100,000 and more probably reached or even exceeded 250,000.

Geht man von einer Fortsetzung des Krieges um drei Monate bis zur Invasion von Kyushu im November 1945 aus, wären dies zwischen 300.000 und 750.000 weitere tote Zivilisten unter den Verbündeten der Alliierten. Bei einer Fortsetzung der Kämpfe bis zur zweiten Landung im März 1946 wären es um eine Million gewesen.

Am Ende weiß niemand, wie viele Menschen bei einer Umsetzung von Operation Downfall ums Leben gekommen wären. Eine vollständige Analyse sprengt diesen Rahmen – unter anderem lassen wir hier komplett die sowjetischen Pläne für eine Invasion von Hokkaido aus. Allgemein kann man sagen: Hunderttausende auf Seiten der Alliierten, Hunderttausende unter den Zivilisten im besetzten Asien und Millionen in Japan.

Allerdings ist das nicht nur wegen der Atombomben eine Gespenster-Diskussion. Es gibt guten Grund anzunehmen, dass die Invasion abgesagt, mindestens aber verschoben worden wäre.

Plan A, Version 2: Blockade

Bei Olympic gingen die Alliierten von 350.000 japanischen Soldaten auf Kyushu aus. Im Laufe des Jahres setzte der amerikanische Geheimdienst allerdings aus abgefangenen Funksprüchen ein düsteres Bild zusammen: Anfang August warnte er, die Stärke werde Ende Oktober wohl eher bei 600.000 liegen. Damit hätten Angreifer und Verteidiger etwa die gleiche Truppenzahl, verheerend für die Invasoren. Heute wissen wir, dass die Schätzungen deutlich danebenlagen, denn insgesamt waren 900.000 japanische Soldaten für Ketsu-Go in Stellung gegangen.

Die neuen Erkenntnisse rissen die Diskussion über eine Blockade wieder auf. Admiral Chester Nimitz hatte seinen Vorgesetzten Ernest King Ende Mai unter vier Augen wissen lassen, dass er gegen die Invasion war. King selbst hielt den Plan schon immer für eine blöde Idee und wies Nimitz am 9. August – dem Tag des Bombenabwurfs auf Nagasaki – an, auch offen und formell zu Olympic Stellung zu beziehen.

Das hätte zu einem offenen Bruch im amerikanischen Militär geführt, denn General Douglas MacArthur hielt die Geheimdienstangaben für Unfug und wollte unbedingt an Downfall festhalten. Nimitz lies sich Zeit und sechs Tage später hatte sich die Sache durch die Kapitulation Japans erledigt.

Was wäre anderenfalls passiert? Präsident Harry S. Truman hatte die Einsatz der Atombomben unter anderem mit den Verlusten auf Okinawa begründet – I do not want another Okinawa from one end of Japan to the other, erklärte er – und wäre bei einer Ablehnung der Marine zumindest ins Grübeln gekommen. Vielleicht hätte sich die alte Schule durchgesetzt, und eine Variante von War Plan Orange wäre doch wieder verfolgt worden. Oder die Invasion wäre verschoben worden, was die Briten ohnehin immer gefordert hatten.

Beide Varianten wären auf das gleiche hinausgelaufen:

Each involved putting the invasion on hold and engaging in an intensified air and sea attack; if that did not produce a surrender within the next six months, the invasion issue might or might not be back on the planning board.

Eine sechsmonatige Bombardierung bedeutete in diesem Zusammenhang nicht die Einäscherung von Städten, wie es bei Tokio praktiziert worden war – in Japan stand (außer in Kyoto) ohnehin nichts mehr, das die Bomben wert gewesen wäre. Am 11. August, zwei Tage nach Nagasaki, stellte die amerikanische Luftwaffe auf Grund der Erkenntnisse aus Europa ihre Strategie um. Jetzt sollten die Verkehrswege zum Ziel der Bomber werden.

Faktisch war damit die Zerstörung des Schienennetzes gemeint: Die die US-Marine und die Minen von Operation Starvation [PDF] hatten die Seewege zwischen den Inseln schon geschlossen. Ein Ausweichen auf die Straße wäre für die Japaner nicht möglich gewesen, denn es gab kaum Lastwagen und 97 Prozent der Straßen waren ungeteert.

Was eine Blockade oder auch nur eine Verschiebung der Invasion für die Zivilbevölkerung bedeutet hätte, kann man abschätzen, wenn man sich klar macht, dass Japan selbst nach der Kapitulation Mitte August nur knapp einer Hungerkatastrophe entging [3]. Der japanische Historiker Daikichi Irokawa schreibt [1]:

Immediately after the defeat, some estimated that 10 million people were likely to starve to death.

Im November 1945 verfügte Japan nur noch über einen Reisvorrat für vier Tage. Die erste Aufgabe von MacArthur als Oberkommandeur des besetzten Japans war es, die bereits bestehenden Schäden am Transportnetz zu reparieren – alle Hafenstädte waren zu mindestens 70 Prozent zerstört – und irgendwie Nahrung unter das Volk zu bringen. In Washington sah man das erstmal nicht so richtig ein und schickte den Ex-Präsidenten Herbert Hoover, um sich ein Bild der Lage zu machen. Dieser fand deutliche Worte:

Japan must have some food imports. Without them, all Japan will be on a ration little better than that which the Germans gave to Buchenwald and Belsen concentration camps.

Nachdem das ganze Ausmaß der japanischen Gräueltaten (insbesondere die an alliierten Kriegsgefangenen) bekannt wurde, hatten die Amerikaner nicht wirklich Lust, gerade diesen Gegner auch noch durchzufüttern. MacArthur platzte der Kragen: Wenn die Alliierten die japanische Militärs wegen Kriegsverbrechen wie das Verhungernlassen vor Gericht stellen und hinrichteten, dürften sie sich nicht so verhalten wie sie. Am Ende schickten die USA allein 1946 etwa 800.000 Tonnen Lebensmittel nach Japan. Die Versorgungslage blieb trotzdem noch mehrere Jahre angespannt [Video].

Das war die Situation nach dem Ende der Seeblockade, ohne weitere Bombardierungen, mit einem vergleichsweise intakten Schienennetz und mit Lebensmittellieferungen der Alliierten. Wie viele Tote es sonst gegeben hätte, bleibt ebenfalls Spekulation.

In dem nächsten Eintrag der Serie behandeln wir in Stichworten einige Punkte, die immer wieder bei Diskussionen über den Krieg gegen Japan aufkommen.

([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire. Penguin Books 1999; [2] Hugh Borgan The Penguin History of the United States 2nd edition 1999; [3] Marius B. Jansen The Making of Modern Japan Harvard University Press 2000 )