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Indianer, Teil 6: Herr Sequoyah erfindet eine Schrift

März 31, 2015

Furchtbare Nachrichten für alle Amerikaner in Deutschland: Der größte deutsche Beitrag zur Legendenbildung über die Indianer, Winnetou, soll neu verfilmt werden. Eigentlich hatte dieser Autor gehofft, dass die Bücher langsam in Vergessenheit geraten, denn selbst die Karl-May-Gesellschaft räumt ein:

[T]here is no denying that the majority of situations, no less than the personnel described by this writer, clash with reality: Life, and fights, and problems as he depicted them as characterizing the Western half of the US in the 1860’s and 1870’s, are strangely anachronistic.

„Anachronistisch“ ist nicht wirklich das Wort, das dieser Autor für die Darstellungen der Indianer in diesen Romanen benutzen würde, aber gut. Stellen wir uns darauf ein, dass wir auch die kommenden Jahrzehnte den Deutschen werden erklären müssen, dass sie (zweifellos spannend geschriebenen) Unfug lesen und den Amerikanern, was in aller Welt da in die Germanen gefahren ist. Ehrlich, warum können die Leute nicht einfach Terry Pratchett lesen?

Dem grammatikfaulen Winnetou wollen wir aus diesem Anlass einen Indianer entgegensetzen, der mit Fug und Recht nicht nur als Held seines Stammes, sondern als Genie der Menschheitsgeschichte vorgestellt werden kann: Sequoyah. Den gab es nicht nur wirklich, er hatte auch möglicherweise einen echten Bezug zu Deutschland. Da kann Karl May einpacken.

Sequoyah war ein Cherokee, der etwa 1760 im heutigen Tennessee geboren wurde. Seine Mutter gehörte zum Red-Paint-Klan — wichtig, weil die Zugehörigkeit zum Stamm über sie lief. Sein Vater, nun …

His father’s name has been identified as either George Gist, a German peddler, or Nathaniel Gist, a friend of George Washington’s and ancestor of the Blair family of Washington, D.C.

Sprich, möglicherweise war Sequoyah deutscher Abstammung. Als englischer Name wird auf einem Vertrag von 1828 „George Guess“ angegeben. Es finden sich diverse andere Schreibweisen des Nachnamens. Heute nennen ihn alle nur Sequoyah.

Sequoyah war im Laufe seines Lebens Händler, Soldat und Silberschmied. Wie die meisten Cherokee zu dieser Zeit war er Analphabet. Einer Schilderung aus dem Jahr 1820 zufolge geschah es nun eines Tages, dass er sich mit Stammesmitgliedern über die „überlegenen Fähigkeiten des Weißen Mannes“ unterhielt. Diese könnten sogar Botschaften auf Papier sprechen und dann über große Strecken verschicken — die talking leaves:

One said that white men could put a talk on paper, and send it to any distance, and it would be understood by those who received it. They all agreed that this was very strange, and they could not see how it could be done.

Dieser Schilderung zufolge soll Sequoyah dann erklärt haben: „You are all fools; why the thing is very easy, I can do it myself.“ und dann mit den ersten Zeichen experimentiert haben.

Ob diese auf Hörensagen beruhende Darstellung stimmt, ist unklar. Gesichert ist, dass er ab etwa 1809 an einem eigenen Alphabet für die Sprache der Cherokee arbeitete. Zuerst versuchte er, Bilder zu malen, was zu kompliziert war.[1] Dann ging er der Idee nach, für jedes Wort ein Symbol festzulegen, was zu viel wurde. Seine Freunde, so wird überliefert, lachten ihn aus oder hielten ihn für wahnsinnig.

Irgendwann vor 1821 kam ihm schließlich die Einsicht, dass Wörter aus Silben aufgebaut sind. Nach einigen Experimenten — Archäologen diskutieren, ob jüngst eine frühe Form gefunden wurde — kam er auf 85 Zeichen. Sie machen heute leicht verändert die Silbenschrift der Cherokee aus.

Einige Zeichen übernahm Sequoyah dabei aus einem Englischbuch, das ein Lehrer ihm geschenkt hatte. Da er aber leider keine Ahnung hatte, wie das lateinische Alphabet funktionierte, nahm er sie für völlig andere Laute [PDF]. So entspricht das „H“ der Silbe „mi“ und das „W“ einem „la“.

Seine Tochter A-Yo-Ka war die erste Person, die die neue Schrift lesen und schreiben lernte.

An dieser Stelle hätte der Aberglaube der Cherokee fast dem ganzen Projekt ein brutales Ende bereitet: Sequoyah und A-Yo-Ko wurden von ihrem Stamm der Hexerei angeklagt und sollten hingerichtet werden. Nach der offiziellen Geschichte der Cherokee Nation endete das Gerichtsverfahren allerdings damit, dass die Richter — alles Krieger — vom Wert der Erfindung überzeugt wurden:

[Town chief George] Lowery brought in a group of warriors to judge what was termed a „sorcery trial“. For evidence of the literacy claims, the warriors separated Sequoyah and his daughter to have them send messages between each other until they were finally convinced that the symbols on paper really represented talking. At the end of the trial, the warriors asked Sequoyah to teach them.

Innerhalb kurzer Zeit — die Cherokee selbst sprechen von very few months — konnte die Mehrheit des Stammes lesen und schreiben. Der Missionar Samuel Worcester setzte sich für eine Druckerpresse ein, um die Bibel in der neuen Schrift auflegen zu können. So entstanden Bücher, Pamphlete und Zeitungen. Erhalten sind unter anderem zweisprachige Versionen [PNG] der „Cherokee Phoenix“. Im Jahr 1827 wurde die Verfassung der Cherokee in der neuen Schrift gedruckt.

Sequoyah wurde zum Helden seines Stammes. 1829 wurde er zusammen mit 2500 anderen Cherokee von der US-Regierung nach Oklahoma umgesiedelt (der Trail of Tears kam zehn Jahre später). Er starb im August 1843. Wo er begraben wurde, ist nicht bekannt.

Seine Holzhütte in Oklahoma ist heute ein National Historic Landmark. Nach Sequoyah sind in den USA Schulen und Forschungseinrichtungen benannt, er taucht auf Briefmarken auf und ist am Library of Congress in Bronze verewigt. Er war 1917 der erste Indianer, der mit einer Statue im Kapitol geehrt wurde.

Die intellektuelle Leistung von Sequoyah kann nicht hoch genug bewertet werden. Zwar hatte er eine grobe Vorstellung, dass die komischen schwarzen Zeichen der Weißen irgendeine Bedeutung haben mussten — mehr aber auch nicht. Den Rest entdeckte er selbst, auf eigene Faust, in einer Gesellschaft, die ihn dafür fast hingerichtet hätte. Damit ist er nicht nur einzigartig unter den Indianern, sondern — zumindest, wenn man die vergangenen 3.500 Jahre oder so betrachtet — unter den Menschen.[1]

Winnetou dagegen … ach, wir lassen es einfach.

[1] Diamond, Jared Guns, Germs and Steel. A short history of everybody for the last 13.000 Years Vintage Press, 1997

Indianer, Teil 5: Der heutige Status

Januar 23, 2015

Mitte Dezember tat das US-Justizministerium etwas sehr Sonderbares. Ohne erkennbaren Anlass veröffentlichte es eine dreiseitige Notiz [PDF] in der sie faktisch erklärte, dass es den Indianernationen frei stehe, unter Beachtung gewisser Regeln — Schutz von Minderjährigen, etc — auf ihren Reservaten Marihuana anzubauen und zu konsumieren. Dies gelte auch ausdrücklich für tribal lands in den Bundesstaaten, wo so etwas weiter streng verboten ist.

Der Vorgang wurde allgemein mit Verwunderung aufgenommen:

„We actually have no idea what’s going on here,“ said Troy Eid, a Denver attorney and chairman of the Indian Law and Order Commission.

Da das Ministerium keine Rücksprache mit den Vertretern der Stämme gehalten hatte — an sich schon ein ungewöhnlicher Vorgang — wurden diese kalt erwischt. Die Mohegan in Connecticut prüften sofort, ob die Zusicherung wirtschaftlich genutzt werden könnte. Die Stämme müssen nicht die Landes- und Kommunalsteuern erheben und könnten daher Gras vermutlich deutlich billiger verkaufen als die Händler den umliegenden Bundesstaaten.

Die Mehrheit der anderen Nationen war dagegen gar nicht begeistert:

Still recovering from a long, embattled history with alcohol, the vast majority of tribes seem wary to move forward with the opportunity — calling into question why it was offered in the first place.

Für uns ist das Beispiel nicht nur interessant, weil es nochmal das Chaos zeigt, das die verschiedenen Rechtsräume in den USA verursachen können, mit Gesetzen des Bundes (wo Marihuana weiter verboten bleibt), der Bundesstaaten (teilweise legalisiert, teilweise nicht) und anderer Einheiten, die sich zum Teil direkt widersprechen. Es zeigt auch die komplizierte Beziehung zwischen dem Bund und den Indianern.

Wir haben uns bislang den Bund und die Bundesstaaten sowie die Besonderheiten der Kommunen angeschaut. Heute kümmern wir uns (endlich) um die 566 vom Bund anerkannten Indianernationen.

Juristisch werden diese als domestic dependent nations eingestuft — „inländische abhängige Nationen“, grob übersetzt. Einfacher formuliert, sie haben eine beschränkte Souveränität. An sich ist das keine schrecklich geniale Einsicht, denn die USA als Ganzes bestehen aus Gebilden mit eingeschränkter Souveränität, wie wir besprochen haben. Auch der Bund darf nicht alles, obwohl man gelegentlich den Eindruck bekommen mag, dass man das in Washington vergessen hat.

Historisch gesehen waren die Indianer-Nationen natürlich komplett unabhängig (wir überspringen hier die ganze Diskussion, ob der europäische Begriff der „Nation“ überhaupt so angewandt werden konnte). Entsprechend der Hinweis in der US-Verfassung Artikel I, Sektion 8:

The Congress shall have power (…) to regulate commerce with foreign nations, and among the several states, and with the Indian tribes

(Hervorhebung hinzugefügt) Damit wurde von Anfang an das bis heute geltende Prinzip des government-to-government festgelegt, nämlich dass die Beziehungen zu den Indianer-Nationen vom Bund geregelt werden. Die Bundesstaaten haben nichts zu melden, auch wenn die Reservate in innerhalb ihrer Grenzen liegen. Ihre Gesetze greifen dort erstmal nicht (mit Ausnehmen, zu denen wir gleich kommen).

Daher die „Stanzkarte“ der US-Bundesstaaten [GIF] bei der Wikipedia, in der die Reservate ausgeschnitten wurden. Der ziemlich durchlöcherte Staat unten links ist übrigens Arizona und das größte Loch dort ist die Nation der Navajo.

Entsprechend schloss die US-Regierung am Anfang mit den Stämmen treaties – Verträge zwischen Staaten — führte Kriege gegen sie und tat all die wunderbaren und liebevollen Dinge, die auch die europäische Nationen sich gegenseitig bis weit ins 20. Jahrhundert hinein einander antaten.

Allerdings wurde diese Interpretation der Situation im Laufe der Zeit zunehmend alberner, denn die Gebiete lagen irgendwann innerhalb des US-Staatsgebiets.

It would be unacceptable for an Indian nation located within the United States to enter into treaties with other countries, or to cede Indian land to foreign countries (to have a French or German enclave in the middle of Montana, for example.)

Wenn man also die Deutschen nicht in Montana haben wollte, musste eine andere Beziehungsform her.

Anfang des 19. Jahrhundert legte der Supreme Court in der Marshall Trilogy die Grundlage für einen neuen Umgang: Privatpersonen durften nicht von den Indianern Land kaufen, sondern nur der Bund; der Status als domestic dependent nations wurde festgelegt wie auch die grundsätzliche Verantwortung des Bundes für die Indianer – die trust responsibility — mit dem berühmten Satz

Their relation to the United States resembles that of a ward to his guardian

und schließlich dass die Bundesstaaten salopp gesagt das Maul zu halten haben, wenn es um Indianer geht. Mit dem Indian Appropriation Act von 1871 gehörten die Verträge mit den Stämmen der Vergangenheit an. Ab jetzt galten Gesetze des Kongresses und Exekutivanweisungen des Präsidenten, wie üblich also.

Damit wir uns jetzt nicht missverstehen: Die „Treuhand“-Beziehung zwischen dem Bund und den Indianern entstand nicht zuletzt aus dem festen Glauben der damaligen amerikanischen Regierung heraus, dass die Ureinwohner zu doof waren, um auf sich selbst aufzupassen — jemand musste sie an die Hand nehmen, wie man das halt mit Mündeln macht. Bis heute verwaltet der Bund etwa 230.000 Quadratkilometer Land für diverse Indianernationen und Einzelpersonen. Das ist etwas weniger als zwei Drittel der Fläche der Bundesrepublik.

(Mehr als 150 Jahre später stellte es sich als blöd für den Bund heraus, dass die Treuhand-Beziehung juristisch einklagbar ist: In Cobell vs Salazar verklagten Vertreter der Indianer 1996 die US-Regierung wegen chronischem Missmanagements. Im Dezember 2009 schloss die Obama-Regierung einen Vergleich über 3,4 Milliarden Dollar.)

Diese Grundsätze — eine Beziehung von Regierung zu Regierung, die Aufsichtspflicht des Bundes und die Teilsouveränität — bleiben bis heute die Grundlage des juristischen Status‘ der Indianer in den USA. Wir überspringen daher einige zum Teil sehr deprimierende Jahrzehnte und schauen uns die Situation heute an. Am Beispiel der Navajo können wir sehen, dass die großen Indianernationen —

Der letzte Punkt ist — soweit dieser Autor es feststellen konnte — weltweit einzigartig wenn es um Ureinwohner geht und erfahrungsgemäß auch der, der Deutschen am wenigsten geläufig ist.

Das heißt nicht, dass die Indianer nicht von der Bundesregierung gerne Mal über den Tisch gezogen wurden — nicht umsonst verweist der Link oben auf eine Klage über eine halbe Milliarde Dollar. Allein die Geschichte der Uran-Minen auf dem Navajo-Gebiet wäre ein ganzer Eintrag wert — schon allein weil sie noch weitergeht.

In Filmen und TV-Serien finden man am ehesten Anspielungen auf ein Recht, das die Bundesstaaten ungeheuer nervt: Die Indianernation können selbst bestimmen, ob auf ihrem Gebiet Glücksspiel betrieben wird. Daher die ständigen Hinweise auf Casinos in den Reservaten, inzwischen ein wichtiger Industriezweig dort.

Wer dagegen eher Kriminalromane liest, wird die Arbeit der Navajo-Polizei durch Tony Hillerman kennengelernt haben und wissen: Wenn die örtliche Polizei überfordert ist, kommt nicht die aus dem Bundesstaat, sondern der Bund greift ein.

Nun sind die Navajo die größte Indianernation – ihr Territorium hat mit 71.000 Quadratkilometern etwa die Fläche Bayerns – und daher sind dort die Strukturen am deutlichsten ausgeprägt und mitunter am weitesten entwickelt. Wo dies nicht der Fall ist, nimmt wieder der Bund seine Treuhandpflicht wahr, mit historisch gesehen gemischten Ergebnissen. Zuständig ist dabei nicht das Außenministerium, sondern seit 1824 das Bureau of Indian Affaris (BIA) im Innenministerium.

An diesem Punkt mag der interessierte Leser ein flaues Gefühl im Magen verspüren. Das klang bislang alles irgendwie schlüssig, nachvollziehbar und folgte streckenweise sogar einer gewissen inneren Logik. Kann es wirklich so einfach sein?

Natürlich nicht, denn wir sind in den USA und reden von juristischen Fragen, die zum Teil mehr als 200 Jahre alt sind. (Mehr noch, wir lesen eine Beschreibung bei USA Erklärt, wo Dinge immer vereinfacht werden.) In Wirklichkeit ist die juristische Situation der Indianer-Nationen unfassbar kompliziert, um nicht zu sagen, es herrscht streckenweise juristisches Chaos. Das obige sind sehr grobe Leitlinien, selbst für unsere Verhältnisse.

Nehmen wir als Beispiel das Prinzip, dass die Bundesstaaten im Umgang mit den Indianernationen nichts zu melden haben. Grundsätzlich ist das völlig richtig.

Allerdings erließ der Kongress 1953 das berüchtigte Public Law 280, das in einigen Bundesstaaten die Justiz und Polizei einiger Stämme in einigen Punkten doch mit denen des jeweiligen Bundesstaates verschmolz. In sechs (mandatory) Bundesstaaten war das Pflicht, in anderen konnte das gemacht werden, zum Teil mit Zustimmung der Stämme selbst. Genauer gesagt:

The „mandatory“ states, required by Public Law 280 to assume jurisdiction, are Alaska, California, Minnesota (except Red Lake), Nebraska, Oregon (except Warm Springs) and Wisconsin. The „optional“ states, which elected to assume full or partial state jurisdiction, are Arizona (1967), Florida (I961), Idaho (1963, subject to tribal consent), Iowa (1967), Montana (1963), Nevada (1955), North Dakota (1963, subject to tribal consent), South Dakota (1957-61), Utah (1971), and Washington (1957-63).

Wohlgemerkt geht es dabei nur um Polizeiarbeit und Zivilrecht, nicht aber um Dinge wie Steuern, Verwaltung, Bodenschätze oder Glücksspiel. Der Supreme Court interpretiert das Gesetz als Möglichkeit, den Indianern Zugang zu den Gerichten und der Polizei der Staaten zu gewähren, nicht als Schritt, um die Indianernationen den Bundesstaaten zu unterstellen.

Diese waren allerdings schon allein wegen der zusätzlichen Kosten nicht wirklich glücklich (der Bund ließ in den entsprechenden Gebieten erstmal alles stehen und liegen, selbst bei so Dingen wie Bildung, die eigentlich nicht unter das Gesetz fielen) und die Indianer schon gar nicht. Entsprechend ist das Gesetz zum Teil wieder aufgehoben oder angepasst worden. Das macht es natürlich nur noch komplizierter. So quält man Jurastudenten.

Und schon deswegen ist klar: So einfach wird das mit dem Marihuana nie im Leben werden.

Geld im US-Wahlkampf – Was danach geschah

November 18, 2014

Im Januar 2008 haben wir einen Eintrag zu den Ausgaben im US-Wahlkampf geschrieben. Dabei haben wir uns mit den grundsätzlichen Unterschieden zwischen der deutschen und amerikanischen Wahlfinanzierung beschäftigt und sind ein fundamentales Problem bei der Berichterstattung angegangen:

Große Teile der deutschen Presse sind mit dem Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität offensichtlich überfordert.

Der Text sollte ein Faktum herüberbringen: Nur weil der Sieger einer Wahl mehr Geld ausgegeben hat als ein Verlierer, war das nicht notwendigerweise der Grund für den Sieg, ähnlich wie die deutsche Geburtenrate nicht wegen der rückläufigen Zahl von Störchen sinkt. Noch anders formuliert: Den Wahlsieg kann man sich in den USA genauso wenig wie in Deutschland kaufen.

Sechs Jahre später müssen wir erstmal ein Lob aussprechen. Die Berichterstattung über den Kongresswahlkampf 2014 war um Welten besser als die vergleichbaren Anstrengungen es noch vor zwei, drei Legislaturperioden waren. Ob es am leichteren Zugang zu Hintergrundinformationen via Internet lag oder warum auch immer: Von den Fakten und der Beschreibung des Ablaufs gab es weitgehend nichts zu meckern. Dieser Autor würde sich nicht wundern, wenn der deutsche Zeitungsleser inzwischen das Wahlsystem der USA besser versteht als das hessische.

Wo es noch Probleme gibt, ist die Sache mit der Wahlfinanzierung.

Allerdings müssen wir hier die Presse in Schutz nehmen, denn seit den unschuldigen Tagen von 2008 ist die Situation durch zwei Urteile des Supreme Court sehr viel komplizierter geworden: Citizens United vs FEC (2010) und McCutcheon vs FEC (2014). Heute wollen wir uns mit dieser neuen Situation befassen.

(Dieser Autor hat lange mit sich gekämpft, ob er dieses Thema aufgreifen soll, denn beide Urteile sind in den USA so umstritten, dass es unklar ist, wie lange sie Bestand haben werden. Allerdings dürften die Mechanismen bei der Präsidentenwahl 2016 eine Rolle spielen und der interessierte Leser wird sich daher bald mit Begriffen wie dark money und ultra-donor herumschlagen müssen.)

Schauen wir uns zuerst einige allgemeine Entwicklungen bei dieser Abstimmung an, basierend auf den Zahlen von OpenSecrets. Wir konzentrieren uns auf den Kongress und der Bundesebene, nicht auf die Folgen für die Lokalpolitik oder die Richterwahlen.

Die Wahl war nicht wesentlich teurer als vor vier Jahren. Das ist in der deutschen und amerikanischen Presse etwas verzerrt dargestellt worden, denn mit 3,67 Milliarden Dollar ist die Gesamtsumme tatsächlich mehr als die 3,63 Milliarden Dollar 2010 und damit ein Rekord. Aber relativ gesehen sind das, nun, Erdnüsse. Wir können sogar sagen, dass der historische, starke Anstieg bei den Ausgaben gebremst wurde.

Die Kandidaten selbst haben weniger ausgegeben und zwar 1,5 Milliarden Dollar nach 1,8 Milliarden vor vier Jahren. Nach diesem Maßstab ist ein Sieg auch billiger geworden: Im Senat im Schnitt 8,6 Millionen Dollar (2012: 11,4 Mio) und im Repräsentantenhaus 1,2 Millionen Dollar (1,5 Mio). Wohlgemerkt, das ist das Geld, das die Kandidaten selbst in die Hand genommen haben, nicht der Gesamtbetrag.

Die Korrelation zwischen Sieg und Ausgaben bleibt überwältigend. Im Senat hat der Gewinner in fast 82 Prozent der Fälle mehr Geld ausgegeben, im Repräsentantenhaus beträgt die Quote 94 Prozent. Beide Zahlen sind damit höher als vor zwei Jahren. OpenSecrets weist allerdings darauf hin, dass diese Korrelation weder new or terribly surprising ist. Besonders einige Demokraten verloren trotz tieferer Taschen ihre Rennen, weswegen unsere Beobachtungen aus dem ersten Eintrag zu Störchen und Kindern weiter gelten.

Es gibt OpenSecrets zufolge noch weitere, wichtige Entwicklungen. Aber um sie zu verstehen, müssen wir uns zuerst die juristische Lage nach den jüngsten Urteilen anschauen.

Citizens United — dark money

Das Supreme Court entschied im Januar 2010, dass Unternehmen und Gewerkschaften (unter anderem) unbegrenzte Mittel im Wahlkampf einsetzen dürfen. Begründet wurde dies mit dem Recht auf Meinungsfreiheit. Das Geld darf jedoch nicht an die Kandidaten direkt gegeben werden und eine Absprache mit ihnen ist auch verboten.

Befürworter des Urteils sehen jetzt gleiche Bedingungen für alle gegeben:

The Citizens United decision ensured that any speaker — whether an individual, small business, large corporation, or labor union — had a First Amendment right to engage in political speech.

Kritikern stinkt unter anderem, dass Unternehmen die selben Rechte wie Menschen haben sollen. Auch Präsident Barack Obama hält nichts von dem Urteil, wie er den Richtern 2010 in seiner Rede zur Lage der Nation ins Gesicht sagte [YouTube].

Um die Folgen zu verstehen, müssen wir uns einige Abkürzungen antun. Seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es in den USA political action committees, abgekürzt PAC, die Gelder sammeln und unter Auflagen direkt an Kandidaten geben können. Auch die amerikanischen Töchter deutscher Unternehmen tun so etwas.

Wir überspringen die komplizierten juristischen Einzelheiten beim Aufbau von PACs und halten fest, dass es seit Citizens United auch Super PACs gibt. Sie geben im Gegensatz zu PACs kein Geld an die Kandidaten, haben aber im Gegenzug keine Obergrenzen für die Ausgaben. Beispielsweise schalten sie eigene Wahlwerbespots.

Für PAC und Super PAC gilt gleichermaßen, dass sie ihre Spender offenlegen müssen. Man weiß also (irgendwann) von wem das Geld kam. Dagegen müssen die political non-profits – nach dem entsprechenden US-Steuerparagrafen meist als 501(c)-Organisationen bezeichnet – das nicht. Wir reden hier von konservativen Gruppen wie die National Rifle Association (NRA) oder linken wie Planned Parenthood. Auch sie kommen in den Genuss von Citizens United.

Zwar dürfen solche Gruppen eigentlich nur sehr begrenzt politisch tätig werden. OpenSecrets wirft der Steuerbehörde IRS allerdings vor, diese Vorschrift nicht durchzusetzen. Die Ausgaben aus diesen Töpfen sind in den vergangenen Jahren sehr, sehr deutlich angestiegen:

Partly as a result, spending by organizations that do not disclose their donors has increased from less than $5.2 million in 2006 to well over $300 million in the 2012 election.

Da die Spender „im Dunkeln“ bleiben, spricht man von dark money.

Dumm das: Eigentlich hatte das Oberste Gericht ausdrücklich festgehalten, dass der Wähler wissen muss, von wem das Geld stammt. Diese Entwicklung dürfte dem Supreme Court also gar nicht passen.

McCutcheon — ultra-donors

Im Vergleich dazu ist McCutcheon [PDF] einfach. Das Oberste Gericht entschied — wieder mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit — dass es keine Obergrenze für die Gesamtsumme der Direktspenden an verschiedene Kandidaten und politische Gruppen geben darf.

The government may no more restrict how many candidates or causes a donor may support than it may tell a newspaper how many candidates it may endorse.

Diese Grenze lag bis dahin (vereinfacht gesagt) bei 123.200 Dollar. Die Einzelspende pro Spender, Kandidat und Wahl bleibt dagegen weiter auf 2.600 Dollar begrenzt.

Aber wie viele Leute spenden überhaupt mehr als die alten Grenzen es erlaubten? Schließlich müssen sie sich dann namentlich zu erkennen geben. Nun, laut OpenSecrets waren es bei dieser Wahl 498 Personen aus einer Gesamtbevölkerung von etwa 317 Millionen. Diese Menschen werden umgangssprachlich als elite donors oder ultra-donors bezeichnet.

[T]he No. 1 hard money donor this cycle was Elloine Clark of Dallas, Texas, the widow of attorney William H. Clark. Clark gave $442,766 this cycle. All of her donations that went to recipients with a partisan affiliation went to Republicans.

Sieben der zehn größten Spender gaben ihr Geld überwiegend oder ganz an Republikaner.

Zusammengefasst: Citizens United lässt unbegrenzte Spenden zu, das Geld geht aber nicht an die Kandidaten direkt und eine Absprache ist verboten. Eigentlich müssen die Spender genannt werden, aber nicht-gewinnorientierte Organisationen fallen auch unter das Urteil, was zum dark money führt. McCutcheon erlaubt Spenden von Einzelpersonen an eine unbegrenzte Zahl von Kandidaten und politische Gruppen. Wer so etwas tut, ist ein ultra-donor. Die Summe je Kandidat bleibt gedeckelt.

Wie man sich denken kann, war das jetzt sehr vereinfacht dargestellt. Aber mit diesem Wissen gewappnet können wir uns jetzt weitere Entwicklungen bei der vergangenen Kongresswahl anschauen.

Es gab einen starken Anstieg bei den Geheimspenden: Fast 170 Millionen Dollar an dark money nach 135 Millionen vor vier Jahren. Das Geld ging eher an Republikaner.

Democratic/liberal groups channeled most of their money through organizations that disclosed donors [PAC und Super PAC], while their more conservative counterparts relied heavily on secret sources funneling money through political nonprofits [501(c)].

Die Zahl der Spender hat abgenommen. Das ist geschichtlich gesehen ein ziemlicher Hammer. Seit 24 Jahren hat die Zahl der US-Bürger, die einem Kandidaten mehr als 200 Dollar überwiesen haben, immer zugelegt. Dieser Trend ist jetzt gebrochen: Nach etwa 817.000 vor vier Jahren lag ihre Zahl in diesem Jahr bis Mitte Oktober bei fast 667.000. Die Zahl der ultra-donors in diesem Jahr haben wir oben schon besprochen.

Bei den Einzelspendern gibt es eine gegenläufige Entwicklungen bei Republikanern und Demokraten. Der Anteil von kleineren Beträgen — 200 Dollar oder weniger — bei den Republikanern fiel von 36 Prozent auf 26 Prozent, bei den Demokraten stieg er von 25 Prozent auf 28 Prozent.

Jetzt versteht man, warum die Kandidaten weniger ausgegeben haben als in der vorherigen Abstimmung, obwohl die Gesamtsumme etwa gleich blieb: Das Geld kommt immer mehr „von außen“. In 36 Rennen überstieg die „externe“ Summe die der Kandidaten. (zur Erinnerung: Zur Wahl standen alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und 36 der 100 im Senat.) Parallel dazu ist die Rolle einer kleinen Gruppe von Geldgebern wichtiger geworden, weil sie mehr Kandidaten unterstützen dürfen.

Diesem Autor steht nach den Regeln dieses Blogs kein Urteil darüber zu, ob diese Entwicklungen gut oder schlecht sind. Klar ist allerdings, dass sie das politisch-finanzielle Umfeld bestimmen, in dem bald der Präsidentenwahlkampf beginnt.

Ein Merkspruch zu den Großen Seen (mit Superman)

Oktober 26, 2014

Jetzt hat dieser Autor groß getönt, dass wir hauptsächlich lange Einträge zu komplexen Themen schreiben werden, da läuft ihm ein nützlicher Hinweis für einen kleinen Eintrag über den Weg. Im Nordosten der USA liegen bekanntlich die Großen Seen, die dem Bundesstaat Michigan die Form eines Handschuhs geben. Ihre Namen lauten:

Superior, Michigan, Huron, Erie, Ontario

Einzeln sind die Namen nicht so schwer zu merken, vor allem wenn man unseren Eintrag über den Erie-Kanal gelesen hat. Nur muss man sich etwas mit der Reihefolge abplagen.

Generationen von amerikanischen und kanadischen Schulkindern haben vor dem gleichen Problem gestanden, weswegen es diverse Merksprüche gibt. Unter Hinweis auf den interessierten Leser CHR hätten wir da:

Super Man Helps Every One

Das ist die Auflistung von Westen nach Osten. Wer es lieber von Osten nach Westen mag, dem bieten wir:

Old Elephants Have Musty Skin

Jetzt muss man sich natürlich merken, welcher Merkspruch in welche Richtung geht …

[Korrigiert 26. Oktober 2014: Nordosten statt Nordwesten. Zuerst gesehen von OM, vielen Dank]

Ferguson und die Militarisierung der US-Polizei

August 27, 2014

Dieser Autor hatte die vergangenen Tage mit einer Bindehautentzündung zu kämpfen. Das war eine ziemliche Katastrophe für jemanden, der einen großen Teil seines wachen Daseins mit Lesen und Schreiben verbringt. Immerhin kann er jetzt davon berichten, welche erstaunlichen Fortschritte die Sprachausgaben von Android und OS X gemacht haben. Frau „Ava“ („I am an American English voice!“) liest nun auch nach der Wiedererlangung der Sehkraft Texte vor. Ungemein praktisch beim Aufräumen.

Leider ist die Diktierfunktion für Deutsch wegen der Groß- und Kleinschreibung faktisch unbrauchbar (Englisch funktioniert auch hier unerwartet gut). Deswegen kommen wir später als geplant dazu, einige Bemerkungen zu den jüngsten Vorgängen in der Kleinstadt Ferguson nach dem Tod eines schwarzen Teenagers aufzuschreiben.

(Kurz vorweg: Bei den deutschen Medien herrscht bezüglich des Aufbaus der US-Polizei wieder eine gewisse Verwirrung. Neben der üblichen Probleme mit der Nationalgarde ist diesmal der Name der Polizei des Bundesstaates ein Hindernis: Die Missouri State Highway Patrol (MSHP) ist — wie die Wikipedia bemerkt – ausdrücklich nicht nur für Raser auf Landstraßen zuständig. Deswegen wurden die Soldaten der Nationalgarde von Missouri auch der MSHP unterstellt. Wir haben diese Punkte alle schon besprochen.)

Was auffällt: Während hierzulande die Rassismus-Diskussion im Vordergrund steht, ist für viele amerikanische Medien die Militarisierung der Polizei ein fast gleichwertiges Thema (ob das gut oder schlecht ist, ist nicht Gegenstand dieses Blogs). Es geht darum, wie aus dem Freund und Helfer plötzlich Leute geworden sind, die aussehen, als wären sie direkt aus dem Irak oder Afghanistan eingeflogen. Den Kritikern zufolge führt die Polizei sich auch auf wie Soldaten.

Nun ist das das Thema eigentlich nicht neu –

In his book The Rise of the Warrior Cop, journalist Radley Balko notes that since the 1960s, „law-enforcement agencies across the U.S., at every level of government, have been blurring the line between police officer and soldier (…).“

– ist aber offenbar jetzt erst in den amerikanischen Mainstream-Medien angekommen.

Tatsächlich hat die US-Regierung in den vergangenen Jahrzehnten unter dem sogenannten 1033 Program jede Menge ausrangiertes Kriegsgerät an die örtlichen Polizei-Einheiten übergeben. Hintergrund ist ein Gesetz aus den 90ern, das mit dem Strom von gebrauchtem Material aus den jüngsten, ungewöhnlich langen Kriegen eine neue Dimension angenommen hat.

During the Obama administration, according to Pentagon data, police departments have received tens of thousands of machine guns; nearly 200,000 ammunition magazines; thousands of pieces of camouflage and night-vision equipment; and hundreds of silencers, armored cars and aircraft.

Mit machine guns sind hier offenbar M-16 Sturmgewehre gemeint (die auf Englisch eigentlich assault rifles heißen). Die armored cars sind so stark gepanzert, weil sie ursprünglich Landminen und andere Sprengsätze von Islamisten aushalten sollten. In einer längeren Analyse [PDF] mit dem Titel War Comes Home schätzt die Bürgerrechts-Organisation ACLU den Wert der so übertragenen Rüstungsgüter auf 4,3 Milliarden Dollar.

Als Begründung für das Programm 1033 wurde immer auf den „War on Drugs“ verwiesen. Tatsächlich war die amerikanische Polizei Ende der 80er Jahre mit der neuen Dimension der Drogenkriminalität eher überfordert. Als der (übrigens damals von Demokraten beherrschte) Kongress die Möglichkeit schuf, gebrauchte Militärgüter weiterzugeben, gab es keinen wirklichen Aufschrei.

Allerdings hat sich die Zahl der Gewaltverbrechen zwischen 1993 und 2012 in den USA fast halbiert und der „Krieg“ gegen Drogen wird zunehmend infrage gestellt. Auch der Kongress hat nach den Vorfällen in Ferguson angekündigt, das Rüstungsprogramm überprüfen zu wollen. Was daraus wird in einem Wahljahr muss noch abgewartet werden.

Parallel dazu gibt es noch ein ähnliches Programm des Heimatschutz-Ministeriums, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Kampf gegen den Terrorismus aufgelegt wurde. Die Polizei in Ferguson soll einen Teil ihrer Ausrüstung auf diese Weise bezogen haben.

Wir haben erwähnt, dass diese ganze Entwicklung vor Ferguson in den Medien wenig beachtet wurde. Die amerikanischen Blogger beanspruchen für sich, seit langem die paramilitärische Natur der US-Polizei thematisiert zu haben, wie zum Beispiel Glenn Reynolds von Instapundit. Im Jahr 2006 schrieb der Juraprofessor:

Dress like a soldier and you think you’re at war. And, in wartime, civil liberties — or possible innocence — of the people on „the other side“ don’t come up much.

Die neue Kampfmontur der Polizei ist in einem Land, in dem man sich bekanntlich eher nach Anlass als nach Stand kleidet, viele schnippische Bemerkungen wert. Auf „Last Week Tonight“ drehte der Kommentator John Oliver den „Kleider machen Leute“-Ratschlag für Karrieregeile um:

[I]f you are a cop in the United States, you should dress for the job you have, not the job you want

(Der Originalspruch wird dem interessierten deutschen Leser als Internet-Meme mit Batman [Foto] geläufig sein.)

Zuletzt müssen wir auf ein kleines Statistik-Problem hinweisen, das in den amerikanischen wie auch deutschen Medien überschlagen wird: Niemand weiß wirklich, wie viele Menschen in den USA von Polizisten erschossen werden.

Das uns von den Wahlen bekannte Statistikblog FiveThirtyEight geht ausführlich auf die Schwierigkeiten mit der häufig zitierten Zahl von etwa 400 justifiable police homicides pro Jahr ein. Die fangen mit dem Wort justified an — „nicht berechtigte“ tödliche Zwischenfälle werden in den entsprechenden Datenbanken nicht erfasst.

[T]here’s no governmental effort at all to record the number of unjustifiable homicides by police. If [Michael] Brown’s homicide is found to be unjustifiable, it won’t show up in these statistics.

(Michael Brown ist der Name des Todesopfers in Ferguson.)

In dem Blog wird versucht, sich der Zahl auf andere Arten zu nähern — die Einzelheiten werden dem interessierten Leser zum Selbststudium überlassen. Zusammengefasst können wir sagen, dass sich kein klares Bild ermitteln lässt. Am Ende lautet das Fazit:

It’s more than 400.

[Korrektur 27. Aug 2014: Name von Opfer/Schütze verdreht, erster Hinweis von GW, vielen Dank.]

Warum Amerikaner Alice zum Mond schicken wollen

Juli 19, 2014

Zu den Faustregeln dieses Blogs gehört die Behauptung, dass Zitate im Englischen irgendwie immer aus Alice in Wonderland, The Wizard of Oz, der Bibel oder (insbesondere wenn sie doppeldeutig sind) von Shakespeare stammen. Was haben wir aber dann von diesem Satz aus dem Wirtschafts-Blog Zero Hedge über die US-Notenbank-Chefin Janet Yellen zu halten (Hervorhebung hinzugefügt)?

In a nutshell, she said „It’s not the Fed’s job to pop bubbles“. While many market participants immediately took this to mean, „To the moon, Alice!“ and started buying equities hand over fist, there’s another possible explanation for Mrs. Yellen’s proclamation of unwillingness (…).

Alice auf dem Mond, das klingt nicht nach Lewis Carroll. Und tatsächlich stammt der Satz aus einer einflussreichen 50er-Jahre TV-Serie mit dem Namen The Honeymooners. Darin droht der der Busfahrer Ralph Kramden seiner scharfzüngigen Ehefrau Alice regelmäßig eine Trachtprügel an [YouTube]:

Bang, zoom, you’re going to the Moon!

Die 39 Folgen von The Honeymooners waren enorm einflussreich. Die Cartoon-Serie The Flintstones wurde von ihnen inspiriert. Auch bei The King of Queens sieht man ihren direkten Einfluss. Dazu kommen endlose kleinere Anspielungen, wie in der Futurama-Folge „The Series has Landed“. Die Serie ist ein Stück Fernsehgeschichte, der Satz mit Alice und dem Mond immer ein Lacher wert.

An dieser Stelle mag der interessierte Leser allerdings stutzen. Moment, die Androhung häuslicher Gewalt soll witzig sein? Und das in dem Land, das die „politische Korrektheit“ erfunden hat? Tatsächlich können wir davon ausgehen, dass ein derartiger Satz heute keine Chance im US-Fernsehen hätte.

Zur Verteidigung wird angeführt, dass Ralphs Drohungen immer leer und offensichtliche Übertreibungen seien, also nur seine Art waren, Dampf abzulassen. Sie müssten im Rahmen der Beziehung als Ganzes gesehen werden. Alice habe eigentlich die Hosen an, um bei einem Bild der Zeit zu bleiben, das heute auch keinen Sinn ergibt.

In der Praxis wird der Satz häufig aus dem Zusammenhang gerissen und umgedeutet, womit die Drohung komplett verloren geht. Das sieht man auch oben am Beispiel von Zero Hedge: „To the moon, Alice!“ ist hier der Ausdruck einer Aufbruchstimmung (denn es werden Aktien wie doof gekauft) und nicht eine Aufforderung, der Fed-Chefin Yellen eine zu kleben. Das wäre selbst für das Blog ziemlich unhöflich.

Chunkey statt Fußball: Die Supersportart des Jahres 1114

Juli 14, 2014

Der Anstand gebietet, dass dieser Autor die deutschen interessierten Leser zur Weltmeisterschaft im Fußball gratuliert. Allerdings müssen wir dabei festhalten, dass der Sieg nicht nur für Deutschland, sondern langfristig auch für die USA eine gute Sache ist: Da die amerikanische Nationalmannschaft bekanntlich die abgelegten deutschen Trainer bekommt, können sich die USA schon mal auf Joachim Löw freuen. Im Prinzip ist das wie bei der Mondlandung, nur mit weniger Russen.

Wie auch immer — es trifft sich gut, dass io9 gerade heute ein längeres Stück über eine Sportart veröffentlicht hat, die vor 900 Jahren in Nordamerika der Straßenfeger war: Chunkey, das mit einem Puck (auf Englisch häufig discoidal genannt) und einem Speer gespielt wurde.

Das große Zentrum dieser Sportart scheint Cahokia gewesen zu sein, eine Stadt mit damals bis zu 40.000 Menschen, heute im Bundesstaat Illinois gelegen. Wir sind dem Ort bereits begegnet, als wir über die Seuchenwellen nach der Entdeckung Amerikas gesprochen haben und wie der Spanier Hernando de Soto einige der wenigen Berichte aus der Zeit vor dem Untergang der Mississippi-Kultur lieferte.

Der rekonstruierte Stadtplan von Cahokia [JPG] weist dabei ein rechteckiges Feld auf dem zentralen Platz zwischen den Pyramiden auf. Chunkey wurde paarweise gespielt: Ein Spieler warf die Scheibe, so dass sie auf ihrer Seite wegrollte, während der zweite dann versuchte, seinen Speer so zu werfen, dass beide so nah wie möglich aneinander zur Ruhe kamen.

(Offenbar gab es verschiedene Varianten der Regeln, je nach Stamm. Thomas Zych von der University of Wisconsin-Milwaukee berichtet von den Choctaw of Mississippi, bei denen beide Spieler Speere warfen:

Both players then simultaneously ran forward several yards and threw their poles after the rolling stone with the goal of having their pole and the stone stop next to one another.

Auch beim Punktesystem scheint es mehrere Versionen gegeben zu haben.)

Die Geschichtsforscher wollen herausgefunden haben, dass bei diesen Spielen viel gewettet wurde – Zych verweist auf Indianer, die sich selbst so in die Sklaverei trieben. Die Begeisterung über Chunkey führte wohl auch mit dazu, dass sich Ruhm und Einfluss von Cahokia mehrten:

One of the primary vehicles for the growth of this new civilization may have been Cahokian envoys who carried chunkey stones in one hand and war clubs in the other as they ventured into the hinterlands with the purpose of making peace or political alliances.

Chunkey wurde über Hunderte von Jahren gespielt und auch einige Zeit nach dem Untergang der Mississippi-Kultur um etwa 1500 n.Chr. Die Sportart hat den Vorteil, dass die verwendeten Scheiben die Zeit gut überdauern und die Forscher damit einschätzen können, bis wohin die Begeisterung reichte.

Was uns zur Frage bringt, was in 900 Jahren noch vom Fußball überdauert haben wird. Eins ist sicher: Die Bälle können zerfallen, die Tore mögen rosten — aber es werden Doktorarbeiten geschrieben werden über einen rabiaten monotheistischen Kult in Mitteleuropa, bei dem sich alles um die Tante Käthe drehte.

Happy Tau Day oder warum das amerikanische Datumsformat lustig sein kann

Juni 28, 2014

Heute ist der 28. Juni 2014, ein Tag, an dem jedes Jahr die Zahl Tau gefeiert wird, die vielleicht wichtigste Zahl der Mathematik. Sie ergibt sich, wenn man den Umfang eines Kreises durch den Radius teil:

6,283185307179586…

(An dieser Stelle werden einige interessierter Leser stutzen und sagen, Moment, war das nicht Umfang zu Durchmesser, genannt Pi? Diese armen Leute sind noch Opfer der Propaganda des mathematisch-industriellen Komplexes, der seine weltumspannende Macht dazu missbraucht, Bildungspolitiker bis in die höchsten Ebenen des Staates zu manipulieren und wehrlose Schulkinder mit ihrem (Hust) irrationalen Glauben zu quälen. Tau ist die bessere Kreiszahl, wie das Tau Manifesto lehrt.)

Wie kommt man auf den 28. Juni? Bekanntlich haben die Amerikaner die Neigung, beim Datum den Monat voranzustellen, also 6/28/2014 statt 28.6.2014. Wer sich in beiden Kulturen bewegt, kann von Glück sagen, wenn er am — sagen wir Mal – 31. Januar Geburtstag hat, denn da gibt es wenigstens wenig Verwechslungsgefahr. Wer dagegen am 6. Oktober geboren wurde, muss ständig aufpassen. Dieser Autor geht davon aus, dass die NSA eine ganze Abteilung damit beschäftigt, solche Dreher abzufangen.

Tau Day zeigt uns, warum das Format wenigstens ein Gutes hat: Man kann damit Jahrestage etwas leichter definieren. 6,28318… wird zu 6/28, und Pi Day Half Tau Day — 3,14159… — zu 3/14, also zum 14. März. Theoretisch könnte man natürlich auch den 6. Februar zum Tau Day und den 3. Januar zum Half Tau Day erklären. Aber mit drei Stellen ist das Ganze etwas prägnanter.

Jetzt muss man sich nur noch fragen, was der wichtigere Feiertag ist, Tau Day oder Star Wars Day am 4. Mai, an dem alle sagen: May the Fourth be with you.

G wie Geldeinheit

Mai 27, 2014

Die Schönste Germanin ist dem Castle-Fieber verfallen. Nun ist dieser Autor eigentlich nicht für Krimis zu haben, schon allein wegen des fast völligen Fehlens von Zombies, Raumschiffen und psychopathischen KIs. Allerdings spielt Nathan Fillion die Hauptrolle, weswegen er sich einreden kann, sehr, sehr seltsame Folgen von Firefly zu gucken.

Wie auch immer – in einer Episode (deren Name sich dieser Autor leider nicht gemerkt hat) ging es um eine Geldzahlung in Höhe von twenty thousand G. Die Einheit mag etwas seltsam klingen – mehr nach Raumschiff und Beschleunigung und Blättern im Wind. Tatsächlich aber ist es die Abkürzung für grand – ein Slang-Begriff für eintausend Dollar.

Und damit hätten wir noch einen Grund, warum das metrische System solche Probleme in den USA hat – wer braucht schon Ks, wenn er Gs hat?

Wenn Englisch nicht mehr reicht: Umfragen zu Fußball in den USA

Mai 5, 2014

Die Waschbären müssen noch etwas warten, denn das Statistik-Blog FiveThirtyEight hat ein fantastisches Beispiel für die praktischen und unerwarteten Folgen der Mehrsprachigkeit in den USA geliefert. Noch besser ist natürlich, dass es in diesem Fall um Fußball geht, denn die Sportart erscheint erstaunlicherweise mehr interessierte Leser zu interessieren als Buffy oder Mass Effect. Die Welt ist schlecht.

Egal — in der Analyse geht es um eine Ipsos-Umfrage im Auftrag der Nachrichtenagentur Reuters, die sich mit dem Interesse der Amerikaner an der Fußball-WM befasst. Demnach haben doch sieben (in Zahlen: 7) Prozent der US-Bürger vor, sich ausführlicher mit der Sportveranstaltung zu befassen. Eine erschreckend hohe Zahl, wenn man diesen Autor fragt. Was für Eltern müssen diese Menschen haben?

Die Zahl ist Blödsinn, sagt FiveThirtyEight: Die Umfrage sei nur auf Englisch vorgenommen worden. Das sei ein methodischer Fehler.

You can’t get complete data on Americans’ interest in the World Cup unless you talk to people who speak languages other than English.

Es stellt sich heraus, dass insbesondere Hispanics noch so weit von ihren Ursprungsländern geprägt sind, dass sie trotz wesentlich interessanterer Alternativen immer noch Fußball mögen. Allein unter den Latinos in der englischen (!) Umfrage lag das Interesse bei 16 Prozent.

Ipsos hat leider keine spanische Version der Umfrage angeboten. Das ist seltsam, denn mehr als 20 Prozent [PDF] der Amerikaner sprechen inzwischen zu Hause kein English. Hier macht sich die jüngste Einwanderungswelle bemerkbar: Betrachtet man den Zeitraum von 1980 bis 2010, ist das eine Zunahme von 158 Prozent.

Schon wegen dieser Zahlen, so FiveThirtyEight, kann man Umfragen in den USA eigentlich nicht mehr nur auf Englisch führen. Denn es kommt noch schlimmer: Es gibt offenbar wichtige Unterschiede zwischen Hispanics, die English sprechen, und solche, die es nicht tun. Das Blog zitiert den Meinungsforscher David Dutwin:

Hispanics interviewed in Spanish are generally half as likely to own a home, half as likely to be single, nearly half as likely to be employed full time; 1.5x more likely to be a parent (and they are older); four times more likely to have never graduated high school (near 50 percent!), slightly more independent and slightly less Democratic (independent here almost certainly meaning, unaffiliated and nonpolitical); half as likely to be registered to vote; and 1.5x more Catholic; than Hispanics whose surveys are done in English.

Diese Faktoren sollen mit dafür verantwortlich sein, dass Meinungsforscher bei den Wahlen 2010 und 2012 die Unterstützung für die Demokraten unterschätzten. Inzwischen haben viele Institute dazugelernt und führen auch Umfragen auf Spanisch durch. Das kostet natürlich mehr.

Leider konnte dieser Autor keine Zahlen zu den ähnlichen Problemen finden, die es eigentlich bei Umfragen in Deutschland mit Türkisch geben müsste. Allerdings dürfte sich hier das Interesse an Fußball nicht von dem der Mehrheit im Land unterscheiden …