Archive for Februar, 2012

Chisora gegen Haye und die „Glassing“-Epidemie

Februar 29, 2012

Eigentlich wollte dieser Autor heute etwas Hochgeistiges über den Kongress schreiben, aber der Text wehrt sich. Deswegen steigen wir stattdessen in die schmutzigen Niederungen des Boxsports hinab. Bekanntlich sind jüngst die beiden Briten Dereck Chisora und David Haye nach einem Kampf zwischen Vitali Klitschko und Chisora in München aufeinander losgegangen [Fotos].

[Fußnote: Auf dem zweiten Bild der Strecke sieht man wie Uschi Glas das „andere“ Victory-Zeichen macht.]

Schaut man sich die englische Dokumentation des begleitenden Wortgefechtes an (oder hört man sehr genau hin [Video]), fällt besonders ein Wort ins Auge [Hervorhebung hinzugefügt]:

Chisora: (Shouting and indicating towards Haye). He glassed me. I swear to God, David, I am going to shoot you. I am going to shoot you. I am going to physically shoot David Haye. He glassed me. He glassed me. He glassed me. I’m not having it. He glassed me.

To glass heißt, jemanden ein Glas oder eine abgebrochene Glasflasche ins Gesicht zu rammen. Das passiert in Großbritannien 87.000 Mal im Jahr, was vermutlich der Grund ist, warum die Briten ein eigenes Wort dafür haben (und an bruchsicheren Gläsern [YouTube] arbeiten). In Australien hat das glassing-Problem solche Ausmaße angenommen, dass in Pubs Biergläser aus Sicherheitsglas eingeführt werden.

Nun ist dieser Autor nicht jemand, der viel Zeit in Kneipen verbringt — das Innere einer Bar hat er zum letzten Mal gesehen, als Jim Raynor seine Trauer über Sarah Kerrigan ertränken wollte. Aber die Schönste Germanin, die eine Frau von Welt ist, kennt auch keinen deutschen Begriff dafür. Was erklären dürfte, warum die deutschen Medien diesen Teil des, äh, Gedankenaustausches zwischen Chisora und Haye nicht direkt übersetzt haben, soweit dieser Autor das feststellen kann.

Haye hat inzwischen eingestanden, bei der Schlägerei eine Glasflasche in der Hand gehalten zu haben — getroffen habe er Chisora aber mit der Faust. Dafür scheint es keinen Fachbegriff zu geben.

ZEUGS: Frisch wie ein Care-Paket, Vampire vor Gericht und Football as Schach

Februar 22, 2012

In regelmäßigen Abständen fragen interessierte Leser, warum in diesem Blog nicht mehr aktuelle politische Themen behandelt werden. So war in den vergangenen Wochen die Kontroverse über den SOPA-Gesetzentwurf zur Internet-Zensur ein häufiger Vorschlag.

Kurz gesagt, dies ist kein politisches Blog, sondern will Hintergrund liefern, der möglichst langfristig von Nutzen ist. Sollte SOPA scheitern — wonach es im Moment aussieht — wird in fünf Jahren kein Mensch mehr wissen, worum es überhaupt ging. Zudem ist dieses Blog kein Meinungsblog, und es ist bei aktuellen Themen schwieriger, die eigene Wertung herauszuhalten, da es noch keinen „historischen“ Konsens gibt, den man abschreiben zitieren kann.

Frustrierender findet dieser Autor eigentlich Texte, die weniger eine Erklärung brauchen, als zu einer Diskussion einladen (aktuell wäre „10 reasons the U.S. is no longer the land of the free“ des Justizprofessors Jonathan Turley ein Beispiel). Auch hier gilt, dass sie nicht ins Blog kommen, weil der Titel „USA Erklärt“ heißt und nicht „Interessante Links über die USA“.

Das wäre ein anderes Blog … für das die Zeit fehlt.

  • Zu langhaltenden Lebensmitteln: Früher, da war alles besser und das amerikanische Essen war noch Wertarbeit: Eine Dose Schmalz aus einem Care-Paket wurde jetzt nach 64 Jahren für noch genießbar befunden.

    The authorities did, however, find minor deficiencies in the lard’s smell and taste, discovering that it was slightly gritty and appeared old, meaning it could not compete with the quality of a fresh sample. Still, it appeared to be fit for human consumption,
    they said.

    Wie lecker muss dann erst das Kaugummi noch schmecken.

  • Zu unterschiedlichen Rechtssystemen: Wie ist das eigentlich mit der Haftung von Vampiren im Buffy-Universum?

    [I]t’s hard to argue that vampires are insane, at least under California’s M’Naghten test, which is defined by statute. Cal. Penal Code § 25(b). Under a different test, such as the irresistible impulse test, they might be found insane, but California does not recognize that test. People v. Severance, 138 Cal.App.4th 305, 324 (3d Dist. 2006).

    Wohlgemerkt, es wird über kalifornisches Recht gesprochen, eine Erinnerung, dass „die USA“ kein Strafgesetzbuch haben, sondern die einzelnen Bundesstaaten. Für Lestat könnten andere Bedingungen gelten als für Spike.

  • Zur Wahl 2012: College Humor erklärt die Themen und stellt die Kandidaten vor. Da können Hitler-Anspielungen nicht fehlen.
  • Zu den Vorwahlen: Die Forschung behauptet, dass die amerikanische Gesellschaft politisch nicht so polarisiert ist, wie die meisten Leute glauben.

    In fact, political polarization among the public has barely budged at all over the past 40 years, according to research (…). But, crucially, people vastly overestimate how polarized the American public is — a tendency toward exaggeration that is especially strong in the most extreme Democrats and Republicans.

    Dieser Autor würde vermuten, dass auch das Internet eine Rolle spielt. Das ist schließlich irgendwie an allem schuld.

  • Zu den Wahlkampfkosten: MotherJones hat die Kosten von Präsidial-Wahlkämpfen bis zurück zu Abraham Lincoln auf heutige Beträge umgerechnet – der gute Abe kam 1860 noch mit 2,6 Millionen Dollar aus. Tatsächlich steigen die Summen nicht so schnell wie das US-BIP, wie eine andere Grafik zeigt. Dann ist ja alles gut.
  • Zu, äh, sehr plain English, wenn wir schon bei der Forschung sind: Die University of Minnesota hat die 70 vergangenen Reden zur Lage der Nation analysiert und herausgefunden, dass Obamas das niedrigste sprachliche Niveau der Moderne haben. Seine State of the Union address lag in diesem Jahr auf der Sprachebene von Achtklässlern:

    „Obama’s average grade-level score of 8.4 is more than two grades lower than the 10.7 grade average for the other 67 addresses written by his 12 predecessors,“ they conclude.

    Die Zuschauerquote war mit zwölf Prozent übrigens niedriger als die vorherigen. Nein, Fringe lief nicht parallel.

  • Zu Religion: Moscheen werden in den USA werden zunehmend ohne Minarette gebaut, um weniger aufzufallen.

    Some are fearful ostentatious architecture could provoke an anti-Muslim backlash. But other Muslim thinkers say mosque designs need to be redeveloped to serve the needs of the growing and diverse American Muslim community.

    Andere Änderungen an der traditionellen Architektur werden vorgenommen, um Frauen eine bessere Teilnahme am Gottesdienst zu ermöglichen.

  • Zu American Football, denn auch wenn die Arizona Cardinals nicht gewonnen haben, müssen wir den Superbowl erwähnen: Beetlebum hat wohl einmal zu häufig den Vergleich zwischen Schach und Football gehört. Aber ehrlich, Möhren zum Superbowl? Seriously?

META Nächster Eintrag wegen Krankheit am 22. Feb 2012

Februar 15, 2012

Die Berliner Seuchenwelle hat nun auch diesen Autor erwischt, der deswegen die kommenden Tage nicht vor einer Tastatur verbringen wird, sondern im Bett mit der Decke über den Kopf gezogen. Der nächste Eintrag kommt am 22. Februar 2012 und wird vermutlich ein ZEUGS sein.

Weder Zeit noch Flut warten auf Captain Pikachu von der Enterprise D

Februar 9, 2012

Kind Nummer Eins ist endlich, endlich so alt, dass es die wirklich wichtigen Dinge im Leben kennenlernen kann: Familie Stevenson hat die erste Staffel von Star Trek: The Next Generation in Angriff genommen. Nach dem Kirk-Zwischenfall blieb uns auch nichts anderes übrig.

Der Anfang ist vielversprechend: „Encounter at Farpoint“ wurde zur Freude dieses Autors als „total langweilig“ verrissen, das sofort nachgeschobene „The Naked Now“ dagegen für gut befunden und „Haven“ mit der Fast-Hochzeit von Deanna Troi zur Lieblingsfolge erklärt. Das Vokabular wächst rasant und umfasst jetzt so wichtige Wörter wie warp drive, phaser, transporter, turbolift, tractor beam, red alert, raise shields und natürlich engage.

Das Ganze bringt auch Probleme mit sich. Zum Beispiel hat dieser Autor Abends erstmal noch weniger Zeit für Einträge, weswegen dieser ziemlich kurz ist. Die Erklärung von Anspielungen verlagert sich vielmehr auf das Wohnzimmer-Sofa. Nehmen wir folgenden Befehl von Kapitän Jean-Luc Picard aus „Lonely Among Us“ (Hervorhebung hinzugefügt):

Time and tide, Lieutenant La Forge. Go to warp eight.

Die „Zeit und Flut“ soll Geordi zur Eile antreten, denn es ist der erste Teil eines Sprichwortes:

Time and tide wait for no man

(Der interessierte Leser wird sich jetzt vielleicht Terry Pratchetts Scheibenwelt-Roman Thief of Time erinnern und einwenden, dass die Zeit doch einmal auf einen Mann gewartet hat, wie es Miss Susan so schön formuliert. Das war ein Sonderfall.)

Ganz reibungslos laufen diese Bildungssitzungen natürlich nicht ab: Jean-Luc Picard heißt bei beiden Kindern im Moment nur „Captain Pikachu“ (Kicher, Kicher, Kicher). Der Jugend ist doch nichts heilig.

ZEUGS: Einige Links zum Superbowl 2012

Februar 4, 2012

In der Nacht zum Montag findet das wichtigste Sportereignis des Jahres statt, der Superbowl XLVI in Indianapolis. In diesem Jahr wird das Spiel von Sat.1 übertragen. Wir haben schon eine Einführung zu American Football geschrieben, daher belassen wir es in diesem Jahr mit einer kurzen Sammlung von Links.

  • The Rumpus bietet einen Überblick über einige der abgefahrenen Spieler, darunter Chad Ochocinco. Ochocinco? Moment, ist das nicht Spanisch für „acht fünf“?

    Born Chad Johnson, he took the jersey number 85 upon entering the NFL with the Cincinnati Bengals, and after several years of success, toyed with the idea of putting “Ochocinco” on the back of his jersey (…). Problem is, he wasn’t in the XFL. You can’t just put some shit on the back of your jersey like Rod „He Hate Me“ Smart; in the NFL, it has to be your real name. So he legally changed it.

    Zudem wird argumentiert, dass man Tom „like the goddamned Homecoming King of America“ Brady mögen sollte, Quarterback der New England Patriots, obwohl er seine schwangere Freundin verließ. Wichtiges Hintergrundmaterial, wenn man die amerikanische Klatschpresse verfolgen möchte.

  • Allerdings würden die Amerikaner von allen Quarterbacks offenbar lieber Tim Tebow von den Denver Broncos als Präsidenten haben, jedenfalls nach einer Reuters/Ipsos-Umfrage. Leider haben sie nicht gefragt, welchen Buffy-Schauspieler sie am liebsten haben würden.
  • Ars Technica bespricht die Streaming-Möglichkeiten für Handy- und Tabletbenutzer. Eher für US-Bewohner interessant.
  • Das Blog von Discover Magazine schaut sich die seltsame Entwicklung bei dem Münzwurf vor dem Spiel an: Die NFC-Mannschaft hat die vergangenen 14 Mal gewonnen.

    Working out the numbers, the chances of 14 coin flips in a row being equal is 1 in 8,192. (…) That’s a better than 3.8-sigma effect! Enough to call a press conference, if this were particle physics.

    Sprich, schon der Münzwurf wird spannend.

  • Noch mehr Wissenschaft von der Yale University — die Physik hinter den Pässen.
  • Slate geht genauer auf die Frage ein, ob sich vier Millionen Dollar für einen 30-sekündigen Werbespot beim Superbowl wirklich lohnen können. Kurze Antwort: Offenbar ja. Das Endspiel ist so ungefähr das letzte TV-Ereignis, das sich die ganze Nation gemeinsam anschaut, quer durch alle Bevölkerungsschichten. Selbst der Teil der Bevölkerung, der sich im Ausland befindet.

Das Märchen von den Amerikanern, die Pi als 3 definiert haben sollen

Februar 1, 2012

[B]ased on what the senators themselves had to say, this seems just as much a case of the forces of ignorance defeating the forces of craziness.

– Alasdair Wilkins, The Eccentric Crank Who Tried To Legislate The Value Of Pi

Zu den bekanntesten deutschen Mythen über die USA gehört die Geschichte, dass „die amerikanische Regierung“ — wahlweise einfach „die Amerikaner“ — per Gesetz Pi als 3 festschreiben wollten oder sogar festgeschrieben haben. Häufiger ist nur das Märchen von Deutsch als Fast-Landessprache (die Sache mit dem Kaffee bei McDonald’s ist auch falsch, aber komplizierter).

Fairerweise muss man sagen, dass es in den USA diese urban legend auch gibt. Der Unfug wird hier allerdings lieber der Legislative eines Bundesstaates wie Kansas zugeschrieben, sprich, angeblichen Hinterwäldlern.

Nun berichtet die Website io9 ausführlich über das Körnchen Wahrheit in der Geschichte. Der Artikel ist wunderbar geschrieben und dieser Autor kann nur empfehlen, ihn selbst ganz zu lesen.

It happened in Indiana in 1897, and it had nothing to do with biblical values or building children’s self-esteem through exactitude. Indeed, pi isn’t even mentioned in the bill in question. This is the story of an amateur crank named Dr. Edwin J. Goodwin and his foolhardy lunge for mathematical immortality.

Kurz zusammengefasst war der Ablauf etwa so:

Der Landarzt Goodwin suchte nach einem Weg, endlich das geometrische Problem der Quadratur des Kreises zu lösen, was bekanntlich unmöglich ist. Unverzagt legte er aber eine Methode vor und schaffte es sogar, sie in der Fachzeitschrift The American Mathematical Monthly veröffentlicht zu bekommen, was dem Magazin vermutlich heute noch peinlich ist.

This new measure of the circle has happily brought to light the ratio of the chord and arc of 90°, which is as 7:8; and also the ratio of the diagonal and one side of a square, which is as 10:7. These two ratios show the-numerical relation of diameter to circumference to be as 5/4:4. Authorities will please note that while the finite ratio (5/4:4) represents the area of the circle to be more than the orthodox ratio, yet the ratio (3.1416) represents the area of a circle whose circumference equals 4 two % greater than the finite ratio (5/4:4), as will be seen by comparing the terms of their respective proportions, stated as follows: 1:3.20:: 1.25:4, 1:.3.1416::1.2732:4.

Wer das nicht verstanden hat, muss sich keine Sorgen machen. Auch auf Englisch ist das Blödsinn.

Trotzdem überzeugte Goodwin seinen Abgeordneten Taylor I. Record, einen Gesetzentwurf ins Repräsentantenhaus von Indiana einzubringen, um den Beweis anerkennen zu lassen. Als Geschenk würde er dafür den Schulen des Bundesstaates die Copyright-Gebühren für seine Entdeckung erlassen.

A Bill for an act introducing a new mathematical truth and offered as a contribution to education to be used only by the State of Indiana free of cost by paying any royalties whatever on the same, provided it is accepted and adopted by the official action of the Legislature of 1897 …

Record gab freimütig zu, nichts verstanden zu haben, aber hey, was tut man nicht alles für einen treuen Wähler.

Vielleicht wäre die Sache mit Deutsch als Landessprache doch keine schlechte Idee gewesen, denn die deutschsprachige US-Zeitung Der Tägliche Telegraph erklärte ihren Lesern ausführlich, warum das dummes Zeug war. Die Journalisten der englischsprachigen Regionalblätter wie die des Indianapolis Journal zeigten sich leichtgläubiger:

Dr. Goodwin’s discovery is as genuine as that of Newton or Galileo, and it will endure, whether the Legislature endorses it or not.

Als der „Indiana Pi Bill“ den Senat erreichte, hatten die großen Zeitungen an der Ostküste davon erfahren und kringelten sich vor Lachen. Das Oberhaus beschloss, dass mathematische Beweise nicht Gegenstand von Gesetzgebungsverfahren sein sollten. Weiter kam der Entwurf nicht.

Sprich, Pi ist in den USA nicht gesetzlich als 3 oder 3,2 festgelegt und wurde es auch nie. Welchen Wert Pi wirklich hat, das, nun, überlassen wir dem interessierten Leser zur Übung.

[Nach einem Vorschlag von JS, vielen Dank]