Archive for Februar, 2007

Namen in den USA

Februar 26, 2007

Wir fangen nach der Blog-Pause doch nicht mit Fragen der Meinungsfreiheit und Zensur an, sondern schieben aus aktuellem Anlass noch schnell ein anderes Thema zwischen: Heute wäre der 75. Geburtstag von Johnny Cash gewesen.

Wir wollen nicht auf ihn selbst eingehen – den einfachsten Zugang erhält man über den Film „Walk the Line“ – sondern uns seinen Geburtsnamen angucken: J.R. Cash. Dabei stand das „J“ für, nun, „J“ und das „R“ für „R“. Einen „echten“ Namen hatte er zunächst nicht. So ungewöhnlich ist das in den USA nicht: Dieser Autor hatte einen Großvater, der „W.F.“ hieß, ganz offiziell – W-only, F-only, sozusagen. Gerufen wurde er „Bill“, die Kurzform von „William“.

Meistens sind einzelne Buchstaben wirklich Abkürzungen, wie bei „John Ross Ewing“, älteren interessierten Lesern besser als „J.R.“ bekannt. Aber eben nicht immer. So ist für Microsofts Xbox und Zune ein gewisser J Allard zuständig. Das passt nicht zu den anderen Beispielen, denn das „J“ geht nicht auf seine Eltern zurück – die waren mit „James“ klassisch geblieben – sondern war seine eigene Idee. Es zeigt aber, dass der Vorname in den USA auch ein einziger Buchstabe sein kann, weswegen auch kein Punkt hinter dem „J“ kommt (was viele fachfremde Journalisten falsch machen).

Was geht noch? Wir hatten im vorbeigehen darauf hingewiesen, dass die USA keine Meldepflicht und kein Einwohnermeldeamt oder Standesamt haben. Entsprechend gibt es auch keine Stelle, die sich bei der Namensgebung einmischt – Zahlen und Sonderzeichen sind nicht erlaubt, aber das war es eigentlich schon. Wer sein Kind „Pumuckl“ nennen will, darf es tun. Was geht es den Staat an, wie ich mein Kind nenne?

Die Gegenfrage aus Deutschland lautet: Wer schützt die Kinder vor fehlgeleiteter Kreativität ihrer Eltern? Kurz gesagt: Keiner. Da müssen die Blagen durch, denn diese Macht will niemand dem Staat übertragen.

Tatsächlich haben die meisten Amerikaner völlig normale Namen. Klammern wir dann noch die Leute aus, bei denen so etwas wie „Small-Fire Hawk“ eine lange, lange Tradition hat, stellen wir fest, dass es auch in den USA eher die Prominenten sind, die über die Stränge schlagen. Moon Unit Zappa und Cosma Shiva Hagen (geboren in Los Angeles) sind die San Diego Pooths und Cheyenne Savannah Ochsenknechts der USA. Apple Blythe Alison Martin und Zowie Bowie wurden übrigens beide in London geboren: Auch die Briten lassen den Eltern freie Wahl.

Amerikaner (und Briten) sind daher schockiert, wenn sie vom Veto-Recht des deutschen Staates hören. Schnell haben sie das als Erklärung dafür ausgemacht, dass alle Deutschen scheinbar gleich heißen – Claudia, Gaby oder Kathrin bei Frauen, Matthias, Andreas oder Stefan bei Männern. Bestimmt lässt der Staat keine anderen Namen zu!

Hat man ihnen das ausgeredet – es gibt in den USA schließlich auch keinen Mangel an Namen wie „Jacob“ oder „Emily“ – kommt für sie der nächste Schock: Dass einer der Vornamen in Deutschland das Geschlecht klar erkennen lassen muss. Auch das ist in den USA nicht so. Bei Carrie Fisher und Cary Grant wird der Vorname immerhin noch verschieden geschrieben. Bei „Kris“ oder „Angel“ (um einen Buffy-Bezug zu haben) ist man aber aufgeschmissen. Selbst bei „Ali“ darf man keine Schlüsse ziehen.

Wir könnten noch auf andere Besonderheiten hinweisen – dass der Vorname gar kein Vorname sein muss, zum Beispiel, weswegen es Johns Hopkins (mit zwei „s“) und nicht „John“ Hopkins heißt, egal wie häufig man das liest. Aber der Tenor dürfte klar geworden sein: anything goes.

Das heißt aber nicht, dass die amerikanischen Behörden auch auf alles vorbereitet sind. Einige koreanische Einwanderer haben regelmäßig Probleme mit Computersystemen: „O“ wird nicht als Nachname erkannt, sondern als Eingabefehler bewertet.

Und damit schließt sich der Kreis, denn „O“ bringt uns über Pauline Réage zurück zur Zensur. Das soll nun wirklich das Thema des nächsten Eintrags sein.

META: Eine Woche Blogpause bis zum 26. Februar 2007

Februar 19, 2007

Nach dem jüngsten Eintrag macht dieses Blog eine Woche Pause bis Montag, dem 26. Februar 2007. Es hat sich alles mögliche andere Zeugs hier angesammelt, das geschrieben werden will und ich würde mich sonst doch nur mit neuen Einträgen befassen. Das Motto dieser Blogpause lautet daher auch: Ich kann jederzeit aufhören.

Der erste Text nach der Pause wird vermutlich die Serie zur Meinungsfreiheit fortführen.

ZEUGS: Mitgehört, mitgelernt und mitgelesen

Februar 19, 2007
  • Zur Lautstärke: Der Hinweis auf mitgehörte Gespräche hat den interessierten Leser BK dazu veranlasst, gleich drei Links einzuschicken: Overheard in the Office, Overheard in New York und Overheard at the Beach. Nein, dieser Autor wird nicht jeden Slang-Ausdruck erklären.
  • Zum Bürgerkrieg: Der interessierte Leser HS bricht eine Lanze für das Berliner Schulsystem: Im Gymnasium werde der Bürgerkrieg zwar nicht im Geschichtsunterricht durchgenommen – dort nur die Sklaverei – aber wohl im Englischunterricht. Vokabeln wie frontal assault und flanking maneuver sind seit 2001 auch besonders nützlich.
  • Zum Gesamtüberblick: Der Autor und Fotograf Otto Buchegger hat einen kurzen, aber sehr lesenswerten Überblick über die USA geschrieben:

    Ich vergleiche […] Michael Moore etwa mit Gregor Gysi von der PDS. Auch der ist ein guter Redner und Medienmensch, aber in der praktischen Politik hat er nichts bewirkt. Wer sich nun nur aus Gysis Äußerungen sein Deutschlandbild machen würde, wäre sicherlich auch schlecht beraten.

    Buchegger mag übrigens auch kein Root Beer. Natürlich.

  • Zur vielzitierten angelsächsischen Literatur: Entgegen der ursprünglichen Planung werden wir nach The Wizard of Oz nicht Alice in Wonderland durchnehmen, weil es einfach zu britisch ist. Trotzdem die dringende Empfehlung an alle, die viel mit den USA (oder anderen Angelsachsen) zu tun haben, sich das Buch wie auch den zweiten Band Through the Looking-Glass anzuschauen, denn es wimmelt in der Praxis nur von Anspielungen. Dazu gehören das Red Queen’s Race oder alles, was mit weißen Kaninchen zu tun hat, von Jefferson Airplanes Klassiker bis „The Matrix“. Richtig gut soll The Annotated Alice von Martin Gardner sein.
  • Zum US-Recht: Beim German-American Law Journal gibt es Kurzeinträge zum amerikanischen Rechtssystem auf deutsch. Manchmal etwas sehr fachspezifisch, aber auch mit allgemeineren Annekdoten wie zur Unterschrift:

    Sauber, ordentlich und mit Muße setzt der Amerikaner seine Unterschrift auf Schecks und sonstige Dokumente. Der Europäer hingegen wirkt in seinen Augen elektrisiert: Ein rascher Schwung, fertig. Der Amerikaner ist verblüfft. Soll das ein Witz sein? Meint es der Europäer mit dem Vertrag nicht ernst? Wir haben in good Faith ein halbes Jahr verhandelt, sind hin- und hergeflogen, und nun so etwas!

  • Zur US-Sicht von Europa: Der frisch gebackene Träger des Nobelpreises für Wirtschaft, Edmund Phelps von der Columbia University, schreibt in einem Gastbeitrag im „Wall Street Journal“ von der nach seiner Ansicht „fehlenden Dynamik“ in den Wirtschaftssystemen in Kontinentaleuropa. Damit meint er insbesondere die Wirtschaftskultur in Deutschland, Frankreich und Italien.
  • Zur Höflichkeit: In den Foren des Übersetzungs-Leos gibt es einen Thread über unser Thema warum Angelsachsen nicht sagen, was sie denken. Dass die Diskussion fundiert ist, sieht man schon daran, dass auf dieses Blog verwiesen wird (hust). Dort finden sich auch viele andere Beispiele von Briten und Amerikanern.

Ein heiseres Wort zur Lautstärke

Februar 17, 2007

Dieser Autor ist verschnupft und kann Nachts nicht schlafen. Eigentlich wäre das eine gute Gelegenheit, den Keller aufzuräumen oder endlich Terry Pratchetts „The Science of Discworld“ zu Ende zu lesen, aber stattdessen findet er sich vor dem iMac wieder und liest Blogs.

Im Doppelpass der Schmetterlingsfrau fand er dabei folgenden Hinweis:

Israel ist sehr laut. Im Restaurant klingt es so, als würden alle toben und streiten – doch das sind nur Unterhaltungen. Nach langer Heimat-Abstinenz ein heimisches [deutsches] Restaurant zu besuchen erzeugt den Eindruck, man befände sich auf der Intensivstation der Sterbeabteilung. Manchmal hört man sogar *pling* eine Gabel erklingen! Wenn ein Kind laut ist, hört man sofort verschämtes Pssst!

Mensch, dachte sich dieser Autor, das ist wie in den USA, da ist es auch laut. Das merkt man schon nach der Ankunft am Flughafen. Eigentlich ist auch Großbritannien laut. In China ist es richtig laut, wie wir seit unserer Hochzeitsreise wissen. Nach Rücksprache mit der viel reisefreudigeren Schönsten Germanin am Morgen bietet sich die umgekehrte Sichtweise an: Die Deutschen sind in der Öffentlichkeit leise.

Stereotyp, aber leider wahr: Am ehesten merkt man das bei den Kindern. Tagsüber gleichen Restaurants in den USA einem Tollhaus. Die Brut rennt zwischen den Tischen herum, schreit, lacht, jubelt, heult und macht eine Unordnung, die die Bedienung dann mit stoischer Ruhe wegwischt. Besonders bei den Ehrenwerten Eltern in Arizona, wo es viele Hispanics mit vielen Kindern gibt, ist das völlig normal. Kinder machen Dreck und Lärm und das ist einfach so. In der Gegend regt man sich eher darüber auf, wie nass Regen ist. Das vergisst man in einer Wüste schon mal.

Natürlich haben die USA ihre Quote an Kinderhassern – die mit den Zahnbürsten an Halloween zum Beispiel. Wer am späten Abend ein Fünf-Sterne-Restaurant mit dress code betritt, will auch nicht unbedingt Kinder sehen. Und dieser Autor erinnert sich bis heute mit großer Dankbarkeit an die Art, wie eine Bedienung in einem Restaurant in Berlin-Dahlem ganz selbstverständlich ein besonders flächendeckendes Orangensaft-Experiment von Kind Nummer Eins wegwischte. Der Trend wird von Einzelfällen überlagert.

Trotzdem muss man sich bei einer US-Reise darauf gefasst machen, dass die Umgebung nichts von der vornehmen germanischen Zurückhaltung hält. Der Trick ist, dies als feature und nicht als bug zu sehen: Es ist erstaunlich, was man bei den Angelsachsen alles für Gespräche belauschen kann.

Wenn man sich nicht ständig die Nase putzen muss, versteht sich.

META: Die Liste der fünf wichtigsten Einträge

Februar 16, 2007

Das Blog wird langsam etwas unübersichtlich, trotz der Indexliste und der Suchfunktion. Daher habe ich besonders für Neulinge eine Liste der fünf wichtigsten Einträge erstellt, die sich in der linken Randleiste befindet. Ich hoffe, dass es auch die fünf besten sind.

Über Vorschläge zur Auswahl freue ich mich natürlich, wobei die Liste kurz bleiben soll.

Feedback im Wortsinn: Der Kritik-Sandwich

Februar 15, 2007

Nehmen wir an, wir wollen jemanden für irgendwas kritisieren. Das soll man auch in Deutschland immer nett machen und nie vor anderen, aber für Angelsachsen ist das noch schwieriger: Von der Natur der Sache her ist Kritik immer unhöflich, und wir haben gesehen, dass es im Zweifelsfall wichtiger ist, die Gefühle des Gegenübers nicht zu verletzen als die Wahrheit zu sagen.

Daher gibt es den feedback sandwich. Der ist zwar in Deutschland nicht völlig unbekannt, aber bei Amerikanern und Engländern findet man ihn in gewissen Situationen fast so häufig wie BLTs. Der Aufbau sieht wie folgt aus:

1. Lob
2. Tadel
3. Lob

Man sagt etwas Positives zum Thema. Dann kommt die Kritik, um die es eigentlich geht. Und damit nicht so ein böser Nachgeschmack bleibt, sagt man am Ende noch etwas Nettes.

„Ich finde es wirklich klasse, wie Du so schnell auf den Baum geklettert bist – besonders der letzte Ast muss schwer gewesen sein. Vielleicht musste das mit dem Apfel nicht unbedingt sein, wegen Gottes Zorn und so. Aber trotzdem, Eva, Du musst mir unbedingt beibringen, wie man mit Schlangen spricht. Das wird hier draußen sicherlich nützlich sein.“

Ein Beispiel für Mediziner findet man hier. Im Idealfall ist das Lob genauso ehrlich und zutreffend wie die Kritik, aber in der Praxis ist das oft genug dummes Zeug und reine Höflichkeit. The meat, um bei dem Bild zu bleiben, ist der Tadel. Das andere ist Beiwerk.

Wer die Sandwich-Struktur nicht kennt, verpasst das unter Umständen. Entweder man ist verwirrt – was denn jetzt, war das gut oder schlecht? – oder man zählt Lob und Tadel gegeneinander auf und ist sogar der Meinung, man sei gelobt worden.

Es ist natürlich gut, dass man überhaupt so weit zählen kann, auch wenn der Schluss vielleicht nicht völlig richtig ist. So klug wie die Leser dieses Blogs sind, werden sie aber in Zukunft keine Probleme haben, ein Kritik-Sandwich zu erkennen.

Kurz erklärt: Truth in sentencing

Februar 13, 2007

Truth in sentencing (TIS) bezeichnet in den USA das Prinzip, dass die tatsächlich abgesessene Haftstrafe eines Gefangenen etwas mit der Strafe zu tun haben soll, zu der er verurteilt wurde. Hintergrund ist die Unzufriedenheit vieler Bürger damit, dass selbst Schwerverbrecher zum Teil bereits nach einem Drittel der eigentlichen Haftzeit wieder entlassen wurden.

TIS-Gesetze wurden erstmals 1984 vom Bundesstaat Washington [PDF] erlassen, 2004 gab es sie in mindestens 30 Staaten. Meist müssen mindestens 85 Prozent der Strafe abgesessen werden, der verbliebene Teil ist auf Bewährung. In einigen Fällen wurden die Gesetze durch Volksentscheide eingeführt. Auch die Regierung Clinton unterstütze die Maßnahmen.

Kritiker bemängeln die Kosten der Programme und einen Anstieg der Gefangenenzahlen. Da über Straferlasse nun meist Gerichte und nicht mehr parole boards entscheiden, müssen mehr Richter angestellt werden. Zudem sollen die Gesetze den Gefangenen jede Motivation zu gutem Verhalten nehmen.

Befürworter weisen auf fallende Verbrechensraten [PDF] in den USA hin und machen dafür auch TIS-Gesetze verantwortlich. Zudem werde das Vertrauen des Bürgers in die Justiz als Ganzes gestärkt und das System für alle Beteiligten transparenter.

Ähnliche Vorschriften gibt es in Australien [PDF]. In Neuseeland wurde die Einführung empfohlen. In Kanada versprachen die Konservativen die Einführung von TIS-Gesetzen vor der Wahl [PDF] 2006 und entsprechende Entwürfe liegen dem Parlament vor. In Großbritannien gibt es eine lebhafte Debatte über eine Einführung.

Kurz erklärt: Die Fähnchen am Briefkasten

Februar 10, 2007

Besonders in Vororten und in ländlichen Gegenden sieht man an den Briefkästen von amerikanischen Häusern kleine Fähnchen [JPG]. Sind sie hochgestellt, ist das ein Zeichen für den Briefträger, dass dort ein Brief wartet, den er bitte mitnehmen soll. Es gibt zahlreiche Varianten des Fähnchens, aber die Idee dahinter ist immer gleich: Warum soll der Briefträger nur Briefe austeilen? Schließlich fährt er anschließend zur Post zurück und kann dann die (bitte immer korrekt frankierte) Post gleich mitnehmen.

An dieser Stelle kommt meist die Frage: Klaut denn keiner die Briefe? Nicht mehr als sonst, ist vielleicht die beste Antwort, denn diese Art von Briefkästen sind nicht gesichert. Wer wirklich etwas klauen will, kann einfach dem Briefträger hinterherfahren und gucken, wo er etwas abliefert. Post zu klauen ruft allerdings die Bundesbehörden auf den Plan, wobei die auch lasch geworden sind: 1792 gab es noch für den Diebstahl von Briefen die Todesstrafe.

Übrigens gibt es nicht nur Varianten bei den Fähnchen, sondern auch bei den Briefkästen. Hey, jeder hat ein Hobby …

(Danke an den Ehrenwerten Vater für Hinweise zur Praxis)

Das wirkliche nationale Trauma der USA

Februar 7, 2007

In the first part of Lincoln’s Dreams, Jeff is offered a job researching the long-term effects of the Vietnam War. He turns it down. „I’m busy studying the long-term effects of the Civil War.“ And I guess that’s what I was doing, too, writing this book.

Because the Civil War isn’t over. Its images, dreamlike, stay with us — young boys lying face-down in cornfields and orchards, and Robert E. Lee on Traveller. And Lincoln, dead in the White House, and the sound of crying.

– Connie Willis‘ Vorwort zu Lincoln’s Dreams [1]

Deutsche Journalisten schreiben ständig, der Vietnam-Krieg sei „das nationale Trauma“ der USA. Das ist inzwischen ein feststehender Ausdruck, also das, was man ein Klischee nennt. Es ist leider auch falsch.

Natürlich war der Vietnam-Krieg ein Trauma. Zusammen mit den anderen dramatischen Entwicklungen dieser Zeit – die Bürgerrechtsbewegung, die Kuba-Krise, die Ermordung Kennedys, die Mondlandung, die Drogenkultur, der Watergate-Skandal, die sexuelle Revolution – prägte er eine ganze Generation. Aber er war nicht das nationale Trauma in dem Sinn, dass er das Land politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich bis ins Fundament veränderte, wie es – um das nahe liegende Beispiel zu nennen – der Zweite Weltkrieg mit Deutschland tat.

Denn wenn es um ein nationales Trauma geht, eins, das kaum eine Institution unberührt ließ, das immer noch verarbeitet wird und dessen Narben bis heute jucken, dann kommt nur der Bürgerkrieg in Frage.

Die meisten Deutschen wissen vom Civil War (1861-1865) nur, dass am Ende die Sklaven frei waren, dass Scarlett und Rhett Probleme mit dem Wind hatten und dass irgendwie Patrick Swayze beteiligt war. Der Krieg kommt im Geschichtsunterricht nicht vor – verständlich, denn zu dieser Zeit wird ein gewisser Bismarck gerade preußischer Ministerpräsident. Das Wissen über den War Between the States, wie er auch heißt, bleibt daher der Populärkultur überlassen, mit entsprechenden Lücken und Verzerrungen.

So ist den wenigsten klar: Der Bürgerkrieg war mit Abstand der verlustreichste Krieg in der Geschichte der USA. Über 550.000 Soldaten starben. Die Zahl der reinen Gefechtstoten lag dabei mit knapp 200.000 nahe an der des Zweiten Weltkriegs, bei einer Gesamtbevölkerung, die mit 31 Millionen ein Fünftel betrug. Allein in den zwölf Stunden der Schlacht von Antietam wurden 23.000 Amerikaner getötet [JPG] oder verletzt, mehr als Amerikaner, Briten, Kanadier und Deutsche zusammengenommen bei der Landung in der Normandie 1944.

Ein Grund war die neue Form der Kriegsführung. Die technischen Neuerungen, die sich im Krim-Krieg angedeutet hatten, wurden erstmals im großen Stil eingesetzt. Der Civil War wurde damit zum ersten „modernen“, industrialisierten Krieg [2]. Es gab primitive Maschinengewehre, Land- und Seeminen (damals „Torpedos“ genannt), gepanzerte Schiffe, U-Boot-Angriffe und Experimente mit Flammenwerfern. Truppen wurden per Eisenbahn transportiert, Befehle über Telegraphen erteilt.

Während des Krieges wurde die Umstellung von der Muskete zum präziseren Gewehr mit gezogenem Lauf abgeschlossen. Die Amerikaner fügten das Magazin hinzu – aus der Entwicklung ging ein Jahr nach dem Krieg die berühmte Winchester hervor. Fatalerweise hinkte lange die Taktik hinterher. Am Anfang stand man sich noch in napoleonischen Schlachtreihen gegenüber, am Ende eines blutigen Lernprozesses waren dann Staaten wie Virginia mit Schützengräben [JPG] durchzogen.

Auch auf der strategischen Ebene gab es Änderungen. Der Süden verlor unter anderem, weil er lange keine umfassende Kriegsstrategie hatte und ihm die industrielle Basis fehlte: Tausende confederates marschierten und kämpften barfuß.

Der Norden passte seine Strategie an, um diese materielle Überlegenheit auszunutzen. General William T. Sherman, den wir vom Sherman Pledge kennen, schrieb dazu an den Oberkommandeur Ulysses S. Grant:

Until we can repopulate Georgia, it is useless to occupy it, but the utter destruction of its roads, houses and people will cripple their military resources…I can make the march and make Georgia howl.

Es folgte Shermans berühmter (oder berüchtigter) March to the Sea, mit dem er zum Wegbereiter des total war wurde, das die Wirtschaft des Feindes als Ziel einschloss. Nach der Eroberung von Atlanta ließ Sherman die Stadt niederbrennen zog im November 1864 mit dem Befehl in Richtung Südosten los, jeden Widerstand mit der Zerstörung von allem zu brechen, das dem Feind nützlich sein konnte.

Und so wurde in einer 150 Kilometer breiten Schneise alles niedergebrannt, geplündert oder abgerissen, mit katastrophalen Folgen für die Zivilbevölkerung. Wo Shermans Truppen hinkamen, befreiten sie gemäß der Emancipation Proclamation die Sklaven, aus der Sicht des Südens auch ein Angriff auf die Wirtschaft. Gleise wurden hochgerissen, erhitzt, verdreht und als „Sherman’s Neckties“ um Bäume gewickelt. Das Transportnetz brach zusammen.

(Das Lied „The Night They Drove Old Dixie Down“, berühmt geworden durch Joan Baez, geht auf Stoneman’s Raid zurück, bei dem auch Gleise zerstört wurden.)

Zu Weihnachten übergab Sherman Präsident Lincoln Savannah [JPG] als Geschenk. Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Marsch tief durch Feindesland und ohne jeden Kontakt zur Armeeführung ein militärischer Geniestreich war und den gewünschten Erfolg hatte. Das Ausmaß der Zerstörung löste aber endlose Verbitterung im Süden aus. Ob sie wirklich notwendig war, ist bis heute umstritten.

Daneben gab es unbestrittene Gräueltaten. In dem Militärgefängnis Andersonville in Georgia starben etwa 13.000 der inhaftierten Unionssoldaten an den unmenschlichen Bedingungen. Der Kommandant Henry Wirz wurde nach dem Krieg wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt. Noch auf dem Schafott [JPG] erklärte er, er habe nur Befehle befolgt. Das beeindruckte aber schon im 19. Jahrhundert niemanden.

Die Zahl der Toten, die Verwüstung ganzer Landstriche und die verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung erklären die gereizte Art, mit der Amerikaner auf die Behauptung reagieren, die USA hätten nie einen Krieg auf eigenem Boden erlebt und wüssten gar nicht, „was Krieg wirklich bedeutet“. Tatsächlich lagen Städte wie Atlanta, Charleston und Richmond [JPG] in Trümmern, als „Deutschland“ noch ein loser Bund von mehr als 30 Einzelstaaten war.

Das Gemetzel und die Zerstörung des Civil War prägte darüber hinaus die grundsätzliche Einstellung der Amerikaner zum Krieg. Für die naive Begeisterung und romatische Verblendung, mit der die Europäer noch in den Ersten Weltkrieg zogen, war spätestens nach Pickett’s Charge in den USA kein Platz mehr. „War is hell“ schärfte gerade Sherman immer wieder junge Soldaten ein und verfluchte jede Glorifizierung des Kriegs.

Zwar gab es seit dem Bürgerkrieg genug Fälle, in denen die USA im Glauben an eine gerechte Sache in den Kampf zogen. Amerikaner haben bis heute bekanntlich auch kein Problem damit, Soldaten als Helden zu ehren. Aber die Vorstellung, dass der Krieg selbst nobel, erhaben oder glorreich sein könnte, ging im Bürgerkrieg verloren, auch wenn sich das in den Reden gewisser Politiker gelegentlich etwas anders anhört.

Wir haben mit den Toten und der Vernichtung angefangen, weil die Zahlen leichter zu vermitteln sind als andere Aspekte wie die Entschlossenheit, mit dem beide Seiten antraten. Mag für Lincoln die Freiheit der Sklaven hinter der Einheit des Landes gestanden haben, für die Abolitionists und ihre Widersacher in den Südstaaten was es das alles bestimmende Thema. Es ging schließlich um nichts weniger als die Frage, wann ein Mensch wirklich ein Mensch ist.

In einer Zeit ohne Fernsehen oder Hörfunk bestimmten dabei Pamphlete und die Kommentare von Zeitungen viel vom Bild des Gegners. Zum Teil war es Propaganda, wie man heute sagen würde, aber oft genug nur realistische Schilderungen der alltäglichen Brutalität der Sklaverei. Am bekanntesten ist der Roman Uncle Tom’s Cabin. Als Lincoln 1862 die Autorin Harriet Beecher Stowe traf, soll er gesagt haben: „So this is the little lady who caused the great war.“

Besonders in den Grenzstaaten spaltete der Streit um die Sklaverei die Bevölkerung, ja selbst Familien. Im Krieg kämpfte dann Bruder gegen Bruder, wie es bei Alexander und James Campbell in der Schlacht von Secessionville der Fall war. James schrieb Alexander anschließend (Schreibweise modernisiert):

I hope you and I will never again meet face to face bitter enemies on the battlefield. But if such should be the case, you have but to discharge your duty for your cause for I can assure you I will strive to discharge my duty to my country and my cause.

Beide überlebten und verstanden sich nach dem Krieg gut. Die Entfremdung zwischen Nord- und Südstaaten klingt allerdings bis heute nach. Die musikalischen Ausläufer sind vielen Deutschen bekannt, etwa der Streit zwischen dem (gebürtigen Kanadier) Neil Young und Lynyrd Skynyrd mit „Southern Man“ und „Sweet Home Alabama“.

Der Krieg selbst war leider nur die halbe Tragödie. Der Wiederaufbau – die Reconstruction – und die Wiedereingliederung der Südstaaten missglückte gründlich (und ist eigentlich ein eigenes Thema). Tausende carpetbaggers – die Bürgerkriegs-Version des „Besser-Wessis“ – zogen in den Süden. Darunter waren Idealisten, die den Schwarzen helfen wollten, aber auch Opportunisten, die die Besatzungszeit brutal ausnutzen. Wirtschaftlich erholte sich der Süden bis weit ins 20. Jahrhundert nicht. Viel von dem, was nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland richtig gemacht wurde, entsprang den bitteren Erfahrungen der postbellum period.

Dabei war das Ende des Krieges ein so guter Anfang gewesen. General Robert E. Lee wies alle Forderungen seiner Untergebenen nach einem Guerilla-Krieg des Südens zurück. Er und Grant suchten bei der Kapitulation nahe Appomattox die Versöhnung.

Das Treffen ist legendär. Lee erschien in seiner Parade-Uniform, während Grant noch seine verdreckte Kampfkleidung trug. Man redet über dieses und jenes, von einem Treffen vor dem Krieg, bis Grant – der sich sehr unhöflich dabei vorkam – dann doch irgendwann die Kapitulation ansprach. Für die hungernden Grauröcke organisierte er Lebensmittel und schickte sie dann einfach nach Hause, mit ihren Pferden, für die Ernte. Nicht umsonst wird von The Gentlemen’s Agreement gesprochen.

Auch Lincoln war auf Versöhnung aus und stellte sich gegen den Kongress, der äußerste Härte forderte. Vielleicht hätte er die Abgeordneten umstimmen oder wenigstens in Schach halten können, aber dann wurde er ermordet. Der beste Präsident in der Geschichte der USA wurde von einem der schlechtesten abgelöst, Andrew Johnson (nicht zu verwechseln mit Andrew Jackson). Im Kongress setzen sich die Betonköpfe durch.

So wurde die Sklaverei zwar formell mit dem 13. Verfassungszusatz beendet, aber die Südstaaten nutzten jeden nur denkbaren Trick, um das mit den Jim Crow Laws zu umgehen. Es dauerte ein Jahrhundert, bis die Bürgerrechtsbewegung wenigstens die gröbsten Ungleichheiten beseitigen konnte und damit endlich die höheren Ziele des Bürgerkriegs erreichte. Martin Luther Kings „I Have a Dream“-Rede beginnt nicht umsonst mit einer Anspielung auf Lincolns Gettysburg Address.

Es gibt noch viele andere Elemente des Bürgerkriegs, die besprochen werden müssten, noch mehr Gründe, warum das sound of crying und das Bild von Lee auf seinem Pferd für die Amerikaner noch so gegenwärtig ist. Abraham Lincoln ist wohl der wichtigste davon, ein großer Mann mit einem tragischen Leben, das mit einer großen Tragödie endete. Etwas handfester ist der 14. Verfassungszusatz, der die grundsätzliche Struktur der USA änderte. Wir werden diese und andere Punkte später aufgreifen, wobei Lincoln eher ein Thema für ein lebenslanges Studium ist.

Wir haben mit einem Zitat angefangen und enden daher auch mit einem Zitat des Bürgerkriegs-Historikers Shelby Foote:

Any understanding of this nation has to be based and I mean really based, on an understanding of the Civil War. I believe that firmly. It defined us. The Revolution did what it did. Our involvement with the European wars, beginning with the First World War, did what it did. But the Civil War defined us, what we are, and it opened to us what we became, good and bad things. And it is very necessary, if you are going to understand the American character in the twentieth century, to learn about this enormous catastrophe of the nineteenth century. It was the crossroads of our being, and it was a hell of a crossroads.

([1] Lincoln’s Dreams Connie Willis, Bantam Books New York 1987, ISBN 0-533-27025-7, [2] The Penguin History of the USA, Hugh Brogan, Penguin Books 1999, ISBN 0-14-025255-X)

(Danke an DKS für Hinweise auf Zitate)

[Umformatiert 10. April 2007]

ZEUGS: Football, Halloween und Benzinverbrauch

Februar 5, 2007
  • Zu American Football: Der Super Bowl war natürlich wieder fantastisch, anfangen mit dem ersten Touchdown nach 14 Sekunden. So muss Sport sein. Während der Party von Berlin Thunder im Kosmos ist diesem Autor aufgefallen, dass wir etwas noch nicht erwähnt haben: Es gibt in den USA keine Trikotwerbung, weil es als würdelos gilt, die Männer und Frauen wie Litfasssäulen herumlaufen zu lassen. Die Ausnahme ist natürlich wieder soccer. Das dürfte Fußball als Zuschauersport nur noch unattraktiver machen.
  • Zu Handball: Dieser Autor gratuliert natürlich herzlich zum WM-Titel. Im Rahmen dieses Blogs müssen wir allerdings darauf hinweisen, dass man seinen amerikanischen Freunden jetzt nicht gut etwas vorjubeln kann: Die Sportart in den USA schlicht unbekannt – wegen des Afghanistan-Krieges dürfte selbst Buskaschi mehr Anhänger haben. Es gibt zwar handball, aber das etwas völlig anderes. Wer gut werfen kann, spielt in den USA Football, Baseball oder Softball. So lange es noch European handball gibt, kann es mit dem Kulturimperialismus also gar nicht so schlimm sein.
  • Zu Halloween: Ein interessierter Leser, der namenlos bleiben soll, möchte auf einen weiteren „wesentlichen Vorteil“ von Halloween hinweisen: Man bekomme endlich einmal die ganzen hübschen jungen Mütter in der Nachbarschaft zu sehen. Daran hatte der glücklich verheiratete Autor natürlich gar nicht gedacht.
  • Zur Freedom of Speech: Der zweite Eintrag der Serie zur Meinungsfreiheit ist in der Mache. Als Vorgriff halten wir fest, dass man bei einer politischen Aussage straffrei fluchen darf. Besser ist das.
  • Zu Benzinverbrauch: Der interessierte Leser FH hatte diesem Autor vor einiger Zeit eine umfangreiche Liste mit Links zu einem Thema zur Verfügung gestellt, das wir auf jeden Fall behandeln müssen: Autos in den USA. Allein, bislang sind wir auch dazu nicht gekommen. Die Liste hat er in der Zwischenzeit bei Davids Medienkritik gepostet, wo die Ungeduldigen unter den interessierten Lesern bereits ihre Vorurteile testen können. Hierzu werden auch die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur Pkw-Dichte empfohlen. Wo fahren eigentlich die ganzen Kanadier hin, dass sie so viele Autos brauchen?
  • Zur Todesstrafe: Während der Trend in den Bundesstaaten zu weniger Hinrichtungen gibt, forciert der Bund die Anwendung der Todesstrafe offenbar. Interessant ist auch der Hinweis auf die Situation in Puerto Rico, dessen (steuerfreier) Sonderstatus wir auch nochmal genauer beschreiben müssen.

(Danke an DKS für den Hinweis auf die Website des Statistischen Bundesamtes)