Der Bund Teil 3: Die mutierte Länderkammer: Der Senat

Juli 19, 2006

Was macht man, wenn man eine Republik haben will, aber dem Pöbel nicht ganz traut? Man stellt ihm eine Gruppe von Leuten zur Seite, die weniger leicht anfällig für politische Modeströme, die verantwortungsbewusster, ja vielleicht sogar weise sind. Die Väter der amerikanischen Verfassung hatten dabei so etwas wie das House of Lords im Sinn, denn für sie war das britische Parlamentssystem eine fast perfekte Lösung des Problems, wie in den Federalist Papers argumentiert wird.

Nur, woher die Lords nehmen? Einen amerikanischen Adel, selbst wenn man ihn hätte wirklich haben wollen, gab es nicht. Es musste auf eine andere Art dafür gesorgt werden, dass die Abgeordneten dieses „Oberhauses“ wenigstens etwas über der Tagespolitik stehen. Die Weisheit musste erzwungen werden.

Es gab noch ein anderes Problem, das die zweite Kammer lösen musste, wie wir in der letzten Folge gesehen haben. Die großen Staaten wollten im Kongress stärker vertreten sein, denn sie hatten mehr Leute. Das wurde im Repräsentantenhaus umgesetzt. Nun wollten aber die kleinen Staaten genau so viel zu sagen haben, um nicht von den großen beherrscht zu werden. Mehr noch, den Staaten sollte auch ein direktes Mitspracherecht eingeräumt werden, denn sie hatten Hemmungen, ihre Souveränität komplett abzugeben. Das war ein fast so wichtiger Knackpunkt wie die Frage, ob alle Staaten gleich oder nach der Bevölkerungszahl vertreten sein sollten.

Alle diese Probleme löst der Senat. Die Abgeordneten werden auf sechs Jahre gewählt, was ihnen etwas mehr Unabhängigkeit gibt. Damit die Kontinuität gewahrt wird, ist die Wahl so gestaffelt, dass sich ein Drittel alle zwei Jahre stellen muss. In den USA werden damit alle zwei Jahre das gesamte Repräsentantenhaus (435 Abgeordnete) und ein Drittel des Senats (33 bzw. 34 Abgeordnete) neu gewählt. Jeder Bundesstaat, egal wie groß oder klein, schickt genau zwei Senatoren. Um ein Gesetz zu verabschieden – das Thema das nächsten Eintrags – müssen beide Kammern zustimmen.

Damit ist der Senat nicht in europäischen Sinne ein „Oberhaus“, auch wenn man hin und wieder den Begriff findet, denn er ist bis auf Einzelpunkte gleichberechtigt zum Repräsentantenhaus: Beide können Gesetze einbringen. Nur bei Finanzfragen hat das Repräsentantenhaus ein Vorrecht. Damit die Bundesstaaten auch etwas zu sagen hatten, ließ man sie darüber entscheiden, wer sie vertreten würde, wie beim deutschen Bundesrat heute.

Etwa 120 Jahre blieb es bis auf kleinere Änderungen auch dabei. Dann hatten die Amerikaner genug von der Länderkammer: 1913 kam der 17. Verfassungszusatz und seitdem werden die Senatoren direkt gewählt. Die Länderkammer wurde zu einer zweiten Volkskammer.

Aber warum? Alles lief doch nach Plan! Und mehr noch, wie wir gesehen haben wurde durch die Änderung einiges im Gesamtsystem gehörig durcheinander gewirbelt.

Ein Teil des Problems kennen die Deutschen vom Bundesrat: Ständige Blockade. In den USA kam aber noch ein anderes Problem hinzu: Ort genug konnte sich Bundesstaat intern nicht darauf einigen, wen er nach Washington schicken sollten. Die Arbeit der ganzen Kammer wurde durch dieses Provinzgezanke behindert. Zudem galten Senatoren als faul und korrupt. Bis zum 20. Jahrhundert hatte man auch viel von der Scheu abgelegt, dem Bürger direkt mit Macht zu betrauen; die Bundesstaaten hatten nach dem Bürgerkrieg einiges an Macht eingebüßt und das alte System erschien auch einfach nur undemokratisch.

Als erster Staat stellte Oregon um – wir hatten ja gesagt, dass sie dort experimentierfreudig sind. Auf eigene Faust wurde 1907 die Direktwahl eingeführt, ganz so, als würde Bayern morgen beschließen, seine Bürger bestimmen zu lassen, wer sie im Bundesrat vertritt. Andere Staaten folgten, und schließlich wurde die Verfassung geändert.

Der Senat ist trotzdem bis heute, fast 100 Jahre später, immer noch die etwas nachdenklichere, weniger leicht zu beeinflussende Kammer geblieben. Der Effekt dürfte insbesondere in der längeren Amtszeit liegen: Bei sechs Jahren überlegt man als Wähler schon sehr genau, wer den Sitz haben soll, und als Senator weiß man, dass die Sau, die heute durchs Dorf getrieben wird, bei der Wahl in einigen Jahren schon lange Schinken sein wird. Ob das mit der Weisheit zutrifft, sei dahingestellt.

Ein Nebeneffekt der Änderung ist dass der einzelne Senator sehr viel Macht hat. Die Verfassung sieht keine großartigen Kontrollen vor, denn es wurde angenommen, dass die Bundesstaaten schon auf ihre Leute aufpassen würden. Es gibt nur 100 Senatoren, und in sechs Jahren kann man mehr Verbindungen knüpfen, Allianzen aufbauen und Pläne schmieden als in zwei. Senatoren können auch beliebig häufig wiedergewählt werden: Der Demokrat Robert Carlyle Byrd aus West Virginia ist seit 1959 im Senat und damit zum Zeitpunkt dieses Eintrags seit etwa 47 Jahren und sechs Monaten. Für solche Senatoren sind Präsidenten Leute, die kommen und gehen. Die Kollegen bleiben.

Die Macht des einzelnen Senators hat auch etwas mit den beiden Sonderaufgaben zu tun, die bei der Kammer liegen: Er ratifiziert alle Verträge und bestätigt die Ernennungen des Präsidenten.

In Deutschland werden die Konsequenzen daraus oft nicht verstanden. Zwar ist es richtig, dass Bill Clinton für das Kyoto-Klimaschutzabkommen war und George W. Bush dagegen ist. Das ist aber völlig egal, denn der Senat ist dagegen, wie er im Juli 1997 in der Byrd-Hagel Resolution mit 95 zu 0 Stimmen unmissverständlich klar machte. Und ohne den Senat passiert gar nichts. Clinton legte ihm den Vertrag dann auch gar nicht erst vor. Seitdem hat sich nicht viel verändert. Bush als den großen Klima-Killer dazustellen, ist also irreführend: Die Kyoto-Befürworter haben die wichtigsten amerikanischen Politiker nicht von dem Wert des Protokolls überzeugen können, ob Republikaner oder Demokrat. Wer hier auf Bushs Nachfolger hofft, hofft wohl vergeblich.

Tatsächlich spielt der Senat für die Außenpolitik der USA so eine wichtige Rolle, dass bei Verhandlungen oft Senatoren einbezogen werden, zum Beispiel die Vorsitzenden der betroffenen Ausschüsse. Deswegen verfolgen auch US-Medien sehr genau, wenn ein Senator nach Nordkorea fliegt: An diesen Leuten kommt der Präsident nicht vorbei.

Auch die zweite wichtige Aufgabe wird häufig nicht verstanden. Jede Ernennung des Präsident – 4.000 zivile Posten pro Legislaturperiode, plus 65.000 beim Militär – muss vom Senat bestätigt werden. Die ganze Riege der in Deutschland viel kritisierten, wenn nicht sogar verhassten Bush-Minister wie Donald Rumsfeld [PDF] oder Condoleezza Rice hat also die Unterstützung des Senats. In der Praxis kümmert sich der Senat nicht um alle Ernennungen, sondern nur um die wichtigsten – wir haben das Verfahren am Beispiel des neuen Geheimdienstchefs bereits in der Praxis betrachtet. Die unteren Ränge werden „aus Höflichkeit“ dem Präsidenten überlassen.

Die US-Außenpolitik auf die Person des Präsidenten zu beschränken ist damit ein Fehler, oft ein schwerwiegender. Zumindest hinter den groben Zügen steht auch der Senat. Durch ihn entsteht eine Kontinuität über Präsidenten hinweg, die man sehr schön an Fragen wie der Kuba-Politik (Embargo seit 44 Jahren) oder Nordkorea (Truppenstationierung seit fast 60 Jahren) sieht. Wer wissen will, wie es im Irak oder Afghanistan weitergeht, tut gut daran, auch die Stimmung im Kongress allgemein und im Senat im Speziellen zu verfolgen. Was diese Leute über den den Irak denken oder über den Islam hat sehr weitreichende Konsequenzen. Bush geht in zwei Jahren. Sie werden wohl bleiben.

Am Ende noch eine Besonderheit, die aus europäischer Sicht geradezu bizarr ist:

Wenn ein Senator stirbt, entscheidet nach alter Manier der Gouverneur seines Bundesstaates über seinen Vertreter, der den Posten zunächst übernimmt. Traditionell wird als Zeichen der Anteilnahme und des Respekts der Ehepartner in den Kongress berufen. Oft ist das nur eine Formalie – aber halt nicht immer. Als 1931 der Senator Thaddeus Horatius Caraway aus Arkansas starb, übernahm seine Frau Hattie Wyatt Caraway nicht nur seinen Sitz, sie stellte sich auch 1932 zur vorgezogenen Wahl und gewann – als erste Frau, die in den Senat gewählt wurde.

Sie galt als integer, unabhängig. Sie war auch, so will man hoffen, wenigstens etwas weise.

%d Bloggern gefällt das: