Archive for Juli, 2012

Wie die Amerikaner aufhörten, sich Sorgen zu machen und lernten, lange Titel zu lieben

Juli 31, 2012

Von den fünf Klassen bei Diablo 3 ist der Priester diejenige, die diesem Autor am wenigsten gefällt. Daher ist er nur per Zufall auf diesen Artikel gestoßen:

How I learned to stop worrying and love Dashing Strike

Dashing Strike ist eine Fähigkeit des Priesters, von der man nur wissen muss, dass sie nicht halb so cool ist wie Slow Time beim Zauberer. Uns interessiert hier vielmehr der erste Teil der Überschrift, eine Konstruktion, die man ziemlich häufig findet: Bei der National Review als „Europeanization or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Old World“, oder in der Japan Times als „How I learned to stop worrying and embrace the atom“.

Quelle ist ein Film von 1964, der landläufig Dr. Strangelove genannt wird, aber mit vollem Titel Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb lautet. Der Titel des Meisterwerks von Stanley Kubrick führt inzwischen ein Eigenleben selbst bei Leuten, die einen fragwürdigen Geschmack bei ihren Diablo-3-Klassen haben.

Natürlich hat er die Übersetzung nicht unbeschadet überstanden und wurde zu Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben gekürzt. Die Furcht der Synchronisatoren vor langen Titeln kennen wir schon von It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World. Dort hatten wir den gleichen Effekt: Der kürzere Titel hinterließ nicht so starke Spuren wie das längere Original.

Dabei sind diese Titel noch harmlos, wenn man sie mit den Klassikern der englischen Literatur vergleicht:

„The life, and strange surprizing adventures of Robinson Crusoe, of York, mariner: who lived eight and twenty years all alone in an un-inhabited island on the coast of America, near the mouth of the great river Oroonoque; having been cast on shore by shipwreck, wherein all the men perished but himself. With an account how he was at last as strangely deliver’d by pyrates.“

Offenbar war das mit den Spoilern damals nicht ganz so das Problem.

Angela Merkel als die Big Kahuna

Juli 26, 2012

Wolf Richter schrieb kürzlich im Wirtschaftsblog Zero Hedge über Bundeskanzlerin Angela Merkel (Hervorhebung hinzugefügt):

Even the Big Kahuna, who is on vacation, and who’d pushed for these serial bailouts though they put deep rifts into her coalition government, lost patience with Greece.

Beim big kahuna hilft die Analogie zum big cheese weiter: Es handelt sich um einen Ausdruck für den Boss. Das Wort kahuna stammt dabei aus dem Hawaiianischen und bedeutet „weiser Mann“ oder „Schamane“.

(Richter benutzt in dem Eintrag wieder das Bild einer Dose, die man vor sich hertritt. Wir haben das schon besprochen.)

Die genaue historische Rolle des Kahuna in der Ur-Gesellschaft der Inselkette sprengt den Rahmen dieses Eintrags, vor allem, weil die meisten interessierten Leser schlagartig einen Heißhunger auf Hamburger bekommen haben dürften. Das liegt an Pulp Fiction [YouTube] und anderen Filmen von Quentin Tarantino, in denen Big Kahuna der Name einer Fast-Food-Kette ist.

Heißt das, dass es eine Verbindung zwischen Merkel und Hamburgern gibt? Ja, tatsächlich. Und vermutlich weiß sie auch, was in dem Koffer ist.

Die Donner Party oder warum man nach Kalifornien keine Abkürzung nehmen sollte

Juli 21, 2012

(Spoilerwarnung: Dieser Eintrag verrät Handlungsstränge der TV-Serie Warehouse 13)

Who wants to go to California without costing them anything? As many as eight young men of good character who can drive an ox team will be accommodated. Come, boys, you can have as much land as you want without costing you anything.

– Werbung von George Donner, Frühling 1846

Normale Leute würden bei Warehouse 13 vermutlich mit einer der ersten Folgen anfangen, aber die handeln nicht von Zombies. In der Episode „Insatiable“ sieht es dagegen zunächst aus, als müssten unsere Helden Pete Lattimer und Myka Bering gegen die Untoten kämpfen: Die Opfer sind kalt und haben einen unstillbaren Hunger, der auch vor Menschenfleisch nicht halt macht. Klare Sache eigentlich.

Nun weist man allerdings auch diese Symptome auf, wenn man gerade erfriert und verhungert. Tatsächlich wird im Laufe der Folge klar, dass die Opfer das Schicksal der Donner Party durchleiden. Das ist der Name für eine Gruppe von Siedlern, die auf dem Weg [interaktive Karte] von Springfield im Bundesstaat Illinois nach Kalifornien in den Bergen der Sierra Nevada eingeschneit wurden.

Diese 87 Männer, Frauen und Kinder (je nach Zählweise und Quelle werden etwas andere Zahlen genannt) hatten sich von dem Hauptzug abgespalten, weil sie eine Abkürzung nehmen wollten — den Hastings Cutoff, der südlich des Great Salt Lake in Utah verläuft. Dummerweise führt dieser Weg über den Great Salt Lake Desert.

[Wer sich gerade über die fantasielosen Namen wundert: Man bekommt den Eindruck, dass den Europäern im Westen der heutigen USA nichts mehr einfiel. Es wird noch schlimmer, wenn man sich überlegt, was die spanischen Namen wie „Rio Grande“ übersetzt bedeuten.]

Schon die Bedingungen in der Wüste waren furchtbar:

[B]y day, searing heat that turned the sand into bubbling stew that swallowed their wagons, and at night, frigid winds that blew sand, suffocating their oxen. Five days and eighty miles later, they stumbled out of the Salt Desert filled with anguish and dismay.

Als sie wieder den Hauptweg erreichten, hatten sie schon zu viel Zeit verloren. Erst im Oktober kamen sie an die Berge, wo sie am östlichen Rand der Sierra Nevada eingeschneit wurden. Ihre Lager am Truckee Lake (heute Donner Lake genannt, wenn wir schon bei fantasielosen Namen sind) wurden Schauplätze einer Tragödie aus Hunger und Tod. Als das Essen ausging, aßen sie Lederschnürsenkel und -häute und schließlich die Leichen. Der Krieg gegen Mexiko erschwerte die Rettung, die nur in mehreren Schritten ablief. Die Berichte der Retter sind nichts für normale TV-Serien:

At the mouth of the tent stood a large iron kettle filled with human flesh cut up, it was the body of Geo. Donner, the head had been split open, and the brains extracted thereform, and to the appearance, he had not been long dead, and over three or four days at the most.

Die Einzelschicksale sind gut dokumentiert. Es gibt einen Streit darüber, wie viel Kannibalismus betrieben wurde — aber die Presse, damals wie heute, betont natürlich genau diesen Aspekt. Insgesamt überlebten 46 Menschen — zwei Drittel der Frauen und Kinder, aber nur ein Drittel der Männer.

In dieser Warehouse-Folge finden wir übrigens auch zwei Wortspiele, die vielleicht nicht unbedingt jedem geläufig sind. Zunächst:

I’ll see if I can stand the heat in the kitchen.

Eine Anspielung auf den Spruch If you can’t stand the heat, get out of the kitchen — wem es zu heftig ist, soll halt nicht mitmachen. Etwas später geht es darum, wer die Räume der Burschenschaft untersucht:

You go check out Animal House.

Animal House ist eine Komödie von 1978 mit John Belushi, die in den USA zur Allgemeinbildung gehört. In Deutschland ist sie nach den Erfahrungen dieses Autors faktisch unbekannt, was wohl nicht nur an dem Titel der Übersetzung liegt (Ich glaub’, mich tritt ein Pferd) sondern auch daran, dass sie zumindest laut Wikipedia erst ab 18 Jahren freigegeben wurde. So oder so dürften die Übersetzer an dieser Stelle wieder heulen.

Warehouse 13 als Quelle zukünftiger Artikel

Juli 14, 2012

Eigentlich hatte dieser Autor erwartet, jetzt schon Einträge über die Wahl zu schreiben. Allerdings zeigen die Zugriffe, dass sich im Moment niemand für die bisherigen Artikel interessiert. Das hat einen guten Grund: Selbst die Amerikaner finden den Wahlkampf bislang eher langweilig. Deswegen machen wir erstmal etwas anderes.

Nun ist es so, dass der Chef der Serienjunkies in der Nachbarschaft wohnt. Daher erfahren dieser Autor und die Schönste Germanin beim Grillen schon mal mehr über TV-Serien als einem Normalsterblichen zugemutet werden sollte. Darunter sind solche, die jeder gebildete Mensch kennt (Buffy, dessen Wert endlich auch vom Wirtschaftsmagazin Forbes anerkannt wird); solche, die wohl besser unbekannt bleiben (Ringer, die gescheiterte neue Serie von Sarah Michelle Gellar); und solche, die eine weitere Verbreitung verdient hätten (Lost Girl).

Und dann gibt es noch Serien, die dieser Autor viel, viel früher hätte kennenlernen sollen. Dazu gehört Warehouse 13.

Die Serie läuft beim US-Kabelsender Syfy (und der deutschen Tochter sowie bei RTL 2) und handelt von einer geheimen Einrichtung in South Dakota, in der gefährliche, quasi-magische „Artefakte“ nach dem Motto snag it, bag it, tag it gesammelt, gesichert und gelagert werden. Wer gerade an die Ruhestätte der Bundeslade in Indiana Jones denkt, liegt richtig. Das Ganze spielt im selben Universum wie die bekanntere Schwester-Serie Eureka und ist vom Humor her ähnlich gelagert.

Uns interessieren für dieses Blog die Artefakte. Weil Warehouse 13 für Amerikaner geschrieben wurde, zeigen sie wunderbar, was in den USA als Allgemeinbildung erwartet wird. So wird angenommen, dass der Zuschauer weiß, wer W.C. Fields war oder was der Donner Party zugestoßen ist. In solchen Fällen gibt schon mal kaum mehr als eine Ein-Satz-Erklärung. Auch die Wortspiele gehen in eine ähnliche Richtung, ob bei the original can of worms oder die Dose mit red herring.

Daher werden wir in nächster Zeit verstärkt Beispiele aus Warehouse 13 aufgreifen, bevor wir uns irgendwann der Politik zuwenden. Zur Sicherheit schalten wir jeweils eine Spoiler-Warnung. Wer die Serie schnell noch selbst gucken will: Der Pilot — neudeutsch für die erste Folge — ist langatmig und die ganze erste Staffel ausbaufähig. Die zweite ist deutlich besser, bevor es in der dritten Staffel richtig gut wird. Die vierte wird in den USA ab dem 23. Juli 2012 ausgestrahlt, sprich, in etwa einer Woche — noch Zeit genug, den Farnsworth Communicator aufzuladen. Falls man das überhaupt muss.

Einige Bemerkungen zur Beschneidung in den USA

Juli 8, 2012

Die anhaltende Kontroverse über das deutsche Beschneidungsurteil ist eine gute Gelegenheit, kurz auf die Situation in den USA einzugehen.

Früher wäre dies ein kurzer Eintrag gewesen, denn die Regel lautete, dass etwa drei Viertel der Amerikaner die Vorhaut entfernt wurde, mit einem Höhepunkt von 80 Prozent kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Rate unter Weißen und Gebildeten ist dabei traditionell höher. Zuletzt ist die Quote jedoch deutlich zurückgegangen und lag nach Zahlen der Centers for Disease Control (CDC) 2008 bei nur etwa 57 Prozent.

Jetzt mal nicht so schnell, werden die deutschen interessierten Leser sagen. „Nur“? Was sind denn das für Quoten, 80 Prozent, 57 Prozent? So viele Juden gibt es doch nie in Amerika, von Muslimen ganz zu schweigen!

Tatsächlich hat die Massenbeschneidung medizinischen Gründe. Bekanntlich ist in Kulturen mit ritueller Entfernung der Vorhaut die Häufigkeit von gewissen Krankheiten wie Gebärmutterhals- und Peniskrebs geringer. Anfang des vergangenen Jahrhunderts wurde dafür insbesondere in den USA die Flüssigkeit unter der Vorhaut, das Smegma, verantwortlich gemacht:

In 1914, erroneous medical beliefs about smegma were compounded by influential American urologist and eugenicist Abraham Wolbarst (1872–1952), who updated the demonization of the foreskin and promulgated the idea that it harboured „carcinogenic secretions“.

Wolbarst war auch der Meinung, dass der Pöbel zu doof ist, um sich richtig zu waschen (was dieser Autor nach seinen Erfahrungen im Krankenhaus nicht komplett ausschließen würde). Deswegen sollten schon aus hygienischen Gründen alle Männer beschnitten werden. Schon vorher hatte Smegma einen schlechten Ruf, weil es angeblich die Eichel reizte und damit, oh Schreck, zur Masturbation verführte. Ironischerweise wissen wir heute, dass beschnittene Männer häufiger masturbieren als unbeschnittene, aber das nur am Rande.

Es dauerte eine Weile, bis die Mediziner herausfanden, dass a) Smegma nicht aus Drüsen stammt, sondern entsteht, wenn Bakterien die alten Hautzellen abbauen, und b) nicht krebserregend ist. Das Problem ist vielmehr, dass sich Bakterien und Viren — unter anderem HPV und HIV — an warmen und feuchten Orten wohl fühlen.

Inzwischen lautet die offizielle Position der amerikanischen Vereinigung der Kinderärzte (APA) und der American Medical Association, dass eine Beschneidung direkt nach der Geburt zwar gesundheitliche Vorteile mit sich bringt, diese aber nicht ausreichen, um den Eingriff routinemäßig zu empfehlen. Die Eltern sollen selbst entscheiden.

Das hat direkte und indirekte Auswirkungen auf die Rate der Beschneidungen: Einige Eltern lehnen den Eingriff ab und einige Versicherungen zahlen angesichts der fehlenden klaren Indikation nicht mehr dafür. Entsprechend finden wir weniger Beschneidungen in Bundesstaaten, in denen das staatliche System Medicaid nicht dafür aufkommt:

The [CDC-]report says that circumcision rates in hospitals in states where Medicaid routinely covers it were 24% higher that hospitals without the same coverage.

Und was haben wir noch bei diesem Eintrag gelernt? Dass die Rechtschreibprüfung von Mac OS X die Wörter „Smegma“, „Peniskrebs“ und „unbeschnitten“ nicht kennt. Tsk.