There was no official contact by the Japanese government or its authorized agent, and, of course, thus neither an offer to surrender nor an offer of terms from the Japanese government. On the contrary, the Magic diplomatic traffic contained many telling indicators of Japan’s determination to fight to the bitter end.
– Richard B. Frank, Downfall, veröffentlicht 1999 [1]
Wir müssen am Anfang dieser Serie die Quellenlage besprechen, denn die hat sich vor einigen Jahren entscheidend geändert. Es folgt ein kurzer Ausflug in die Welt der Kryptografie.
(Wem das hier nicht spannend genug geschrieben ist: Neal Stephenson hat in Cryptonomicon [2] viele der zentralen Punkte in Romanform umgesetzt.)
Die meisten interessierten Leser werden wissen, dass die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs wichtige deutsche Kodes brachen, Stichwort Enigma. Viele Leser werden wissen, dass dies insbesondere ein Verdienst der Briten war, auch wenn Hollywood das geringfügig anders dargestellt hat. Einige Leser werden wissen, dass die Leistung der Briten nur Dank der Polen möglich war, auch wenn die Engländer das nur zähneknirschend zugeben.
Nun entschlüsselten die alliierten Geheimdienste auch japanische Kodes. Der Inhalt wurde ihren Regierungen unter dem Stichwort Magic zur Verfügung gestellt. Dazu kam noch militärischer Verkehr, der als Ultra bezeichnet wurde. Wir reden dabei nicht von einer Meldung hier und da, sondern von einer Flut (Hervorhebung hinzugefügt):
By the summer of 1945, Allied radio intelligence was breaking into a million messages a month from the Japanese Imperial Army alone, and many thousands from the Imperial Navy and Japanese diplomats.
Den hochrangigen Politikern und Militärs wurde natürlich nicht der gesamte abgefangene Verkehr vorgelegt, sondern Zusammenfassungen. Allerdings hatten die Magic Diplomatic Summaries vom 12. April bis zum 15. August – Kriegsende – einen Umfang von 2068 Seiten. Aus Sicherheitsgründen durften die Empfänger wie Präsident Harry S. Truman diese Dokumente nur einmal lesen und sich keine Notizen machen.
Die seriöseren Diskussionen über das Für und Wider der Atombomben drehen sich entsprechend zu einem großen Teil darum, welcher Politiker oder Militär an welchem Tag welche Dokumente zu Gesicht bekam.
Damit nicht der falsche Eindruck entsteht: Die Alliierten konnten nicht alle Meldungen lesen. Außerdem gab es das Problem, dass die abertausenden Informationshäppchen zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden mussten. Wir werden sehen, wie spät erst die Alliierten eine Ahnung von der wahren japanischen Truppenstärke im geplanten Invasionsgebiet auf Kyushu bekamen. Trotzdem war die überlegene Kryptografie der Alliierten auch im Pazifik-Krieg ein entscheidender Faktor.
(Magic hatte auch konkrete Auswirkungen auf den Krieg gegen Deutschland: Über Hitlers Kriegspläne erfuhren die Alliierten sehr viel durch die abgefangenen Berichte des japanischen Botschafters in Berlin, General Hiroshi Oshima.)
Eigentlich hätten die Japaner das ahnen können, wenn nicht sogar müssen, spätestens nachdem am 18. April 1943 der Architekt des Angriffs auf Pearl Harbor, Isoroku Yamamoto, ganz zufällig bei einem Flug über Papua-Neuguinea abgeschossen wurde. Für die zuständigen Stellen in Tokio war es aber undenkbar, dass die rassisch und kulturell minderwertigen Amerikaner ein Produkt des überlegenen japanischen Intellekts begreifen könnten. Auch diese Einstellung kennen wir aus Europa.
(Im Gegenzug setzten die Marines Indianer als code talkers ein, die Meldungen in ihren Sprachen übertrugen. Die Idee dahinter war, dass Navajo in Japan nicht zu den beliebtesten Fremdsprachen gehörte, schon allein weil es damals keine verbreitete Schriftform gab. Das wird ein eigenes Thema werden.)
Nun wurde nach dem Krieg relativ schnell bekannt, dass die japanischen Verschlüsselungen gebrochen worden waren – das spielte eine wichtige Rolle bei der Frage, wer für das Desaster von Pearl Harbor verantwortlich gewesen war.
Allerdings wurden nicht alle Magic-Zusammenfassungen veröffentlicht, sehr zum Ärger der Historiker. Zu ihrer Verblüffung mussten sie sogar 1978 noch mit zensierten Versionen Vorlieb nehmen, in denen ganze Passagen ausgeweißt worden waren. Erst 1995 wurden die Archive vollständig geöffnet.
Warum die Verzögerung? Es stellt sich heraus, dass die Alliierten mit ihrem Verfahren nicht nur die japanischen und deutschen Kodes knacken konnten, sondern auch die von vielen anderen Ländern. Und weil man schon mal dabei war und weil man im Krieg nie weiß, was nützlich sein könnte, wurde auch gleich die Post von etwa 30 anderen Staaten mitgelesen. Dummerweise waren darunter auch Neutrale und Verbündete [1]:
Argentina, Belgium, Bolivia, Chile, China (Chiang Kai-shek), China (Japanese client regime), Colombia, Cuba, France (both the goverment of Charles de Gaulle and the residual Vichy goverment ensconced in Indochina), Greece, Iran, Italy, Lebanon, Liberia, Luxemburg, Mexico, Mongolia (Japanese client state), the Netherlands, Nicaragua, Peru, Portugal, Saudi Arabia, Spain, Switzerland, Syria, Turkey, Uruguay, and Venezuela.
Das Eingeständnis it felt too good to stop wollte man nach dem Krieg nicht machen, vermutlich weil man die Rache Luxemburgs fürchtete. Und so hielten die USA viele Schlüsselpassagen ein halbes Jahrhundert lang geheim. Lieber nahm man die geschichtlichen Verzerrungen und Verschwörungstheorien in Kauf, die heute noch im Umlauf sind und die Diskussion über die Atombomben unnötig erschweren.
Was bringen uns die zusätzlichen Informationen? Die zentralen Kontroversen werden dadurch nicht gelöst – hätte man Japan nicht noch einmal vor den Atombomben warnen müssen, ganz konkret, hätte man die Waffe nicht auf unbewohntem Gebiet vorführen sollen, mussten es wirklich gleich zwei Bomben sein, und so weiter. Das war nach der Einleitung zu dieser Serie auch nicht zu erwarten.
Aber insbesondere eine Theorie ist hinfällig geworden: Dass Japan versucht habe, über neutrale Staaten den Alliierten Friedensangebote vorzulegen. Ob Yoshiro Fujimura in Bern, Ken Harada am Vatikan in Rom oder Seigo Okamoto in Zürich, bei all diesen Vorstößen handelte es sich um die verzweifelten Versuche von Einzelpersonen, den Krieg zu beenden. Wie wir jetzt wissen, war den Alliierten durch den abgefangenen diplomatischen Verkehr klar, dass Tokio nichts damit zu tun hatte.
Mehr noch, sie konnten live miterleben, wie die japanische Regierung gegen diese abtrünnigen Diplomaten vorging. Als der japanische Militärattachee in Stockholm, General Onodera, versuchte, auf eigene Faust Kontakt mit den Amerikanern aufzunehmen, wurde er von seinem Kollegen Suemasa Okamoto verraten. Am 24. Juni 1945 ging prompt eine Warnung in Schweden ein, die ebenfalls abgefangen und entschlüsselt wurde:
As we have said before, Japan is firmly determined to prosecute the Greater East Asia war to the very end. There is a report, however, to the effect that some Japanese official stationed in Sweden is making peace overtures to America. This is demagoguery pure and simple, and if you have any ideas as to the source of those reports please inform us.
Nur ein Vorstoß hatte offizielle Billigung: Der streng geheime Versuch der sechs Mitglieder des Inneren Kabinetts, mit der (auf dem Papier noch neutralen) Sowjetunion Gespräche anzustoßen. Auch den Nachrichtenverkehr zwischen Außenminister Shigenori Togo und dem japanischen Botschafter in Russland, Naotake Sato, entschlüsselten die Alliierten – zum Teil lag er früher in Washington als in Tokio vor. An diesem Punkt kommt die Frage auf, ob das nicht die Chance gewesen wäre, Verhandlungen aufzunehmen.
Hier halten wir fest: Aus den vollständigen Magic-Archiven wird klar, dass vor Mitte Juli 1945 keine einzige diplomatische Botschaft aus Tokio abgefangen wurde, aus der man hätte Gesprächsbereitschaft herauslesen können. Und was das japanische Militär anging:
Military Ultra showed without exception Japan’s armed forces girding for Armageddon.
Der Plan für diese letzte Schlacht – Ketsu-Go – ist das Thema des nächsten Eintrags.
Die neuen Erkenntnisse über den Pazifik-Krieg stammen nicht alle aus den amerikanischen Archiven. Kaiser Hirohito schrieb zum Beispiel im März/April 1946 seine Sicht der Ereignisse in dem Text Showa Tenno Dokuhakuroku nieder, ein überaus wichtiges Dokument. Es wurde aber erst nach seinem Tod 1989 veröffentlicht.
Woher die neue Informationen auch kommen – zusammengenommen bedeuten sie, dass alle Diskussionen über den Krieg im Pazifik und den Atombomben, die vor 1995 geführt wurden, auf unvollständigem Quellenmaterial beruhen. Zwar müssen deswegen weder ihr Inhalt noch ihre Schlussfolgerungen falsch sein. Aber sie sind mit großer Vorsicht zu genießen.
(Nächster Eintrag der Serie: „Ketsu-Go: Japans letzter Plan“)
([1] Richard B. Frank, Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire., Penguin Books 1999 [2] Neal Stephenson, Cryptonomicon, Avon Books 1999)