The bodies were all nude, the clothes had been burned away, and there was dreadful sameness about them, no telling men from women or even children. All that remained were pieces of charred meat.
– Militärarzt Shigenori Kubota, Tokio, 10. März 1945 [1]
Im Frühjahr 1945 zeigten die amerikanischen Luftangriffe auf die japanische Rüstungsindustrie kaum Wirkung. Nach der Befreiung von Guam im Sommer 1944 hatten zwar die neuen B-29 Superfortress [YouTube] einen Stützpunkt, von dem aus sie fast das gesamte japanische Kerngebiet erreichen konnten. Allein, die Bomber trafen nicht. Bei einem Präzisionsangriff auf das Nakajima-Musashino-Flugzeugmotorenwerk im Nordwesten Tokios wurde am 9. Januar genau ein einziges Lagerhaus zerstört. Sechs der 72 B-29 kehrten nicht zurück. Das war der fünfte Versuch. Inzwischen lagen die Verluste in Asien volle 100 Prozent über denen in Europa.
Die Probleme mit der Zielerfassung hatten mehrere Gründe. Die japanische Luftverteidigung zwang die Bomber tagsüber, so hoch zu fliegen, dass sie in den Jetstream gerieten, ein bis dahin kaum verstandenes Phänomen. Wegen des schlechten Wetters mussten die Piloten häufig die Ziele mit primitiven Radargeräten suchen. Nachts war es, nun, dunkel.
In dieser Situation übertrug das US-Militär das Kommando an Curtis LeMay, ein wortkarges Organisationsgenie. In Deutschland ist er am besten wegen seiner zentralen Rolle bei der Berliner Luftbrücke bekannt. Das ist ironisch, denn seinen Ruf erbombte er sich über Deutschland.
LeMay sagte später, ihm sei seine neue Aufgabe in Japan in etwa wie folgt erklärt worden:
You go ahead and get results with the B-29. If you don’t get results, you’re fired. […] If you don’t get results, it will mean eventually a mass amphibious invasion of Japan.
Aber sieben Wochen später hatte LeMay nicht mehr Erfolg vorzuweisen als seine Vorgänger. Bei acht Angriffen war kein einziges der ausgeschriebenen Ziele zerstört worden. In nur etwas mehr als einem Drittel der Fälle wurden die Bomben überhaupt über das Primärziel abgeworfen. Dabei gingen 36 B-29 verloren und 324 Soldaten waren tot, verwundet oder vermisst.
Im Hintergrund fand ein Richtungsstreit in der amerikanischen Militärführung statt. Den Befürwortern von Präzisionsangriffen stand eine Gruppe gegenüber, die sich für Flächenbombardements aussprach. Angesichts der ausbleibenden Erfolge mit der ersten Methode gewann die zweite immer mehr Anhänger.
Als Argumente wurden zwei japanische Besonderheiten aufgeführt: Erstens, ein großer Teil der Militärindustrie – je nach Quelle bis zu 90 Prozent – war dezentralisiert. Die Herstellung fand zu einem großen Teil in kleinen Werken in Wohngebieten statt und nicht wie in Deutschland in Industrievierteln. Zweitens, die japanischen Häuser waren überwiegend aus Holz und Papier gebaut. Für Angriffe auf diese paper cities war die gelgefüllte M-69 Brandbombe entwickelt worden – eine Napalmwaffe.
Den Verantwortlichen war klar, dass ein solcher Angriff schwerste Verluste unter den Zivilisten bedeuten würde. Das machte die Strategie umstritten. Zu den Gegnern gehörte Kriegsminister (der Titel damals) Henry Stimson.
Auch LeMay sträubte sich zunächst gegen einen Strategiewechsel. Erst nach einem direkten Befehl ordnete er einen kleineren Brandbomben-Angriff auf Tokio für den 25. Februar 1945 an. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Die USA gingen zu Flächenangriffen über.
LeMay erklärte dazu [1]:
We were going after military targets. No point in slaughtering civilians for the mere sake of slaughter. Of course there is a pretty thin veneer in Japan, but the veneer was there. It was their system of dispersal of industry.
Das Verhalten des Gegners trug dazu bei, die Kritiker verstummen zu lassen. Einen Monat zuvor hatte die japanische Armee unter Akira Muto beim Massaker von Manila 100.000 Zivilisten ermordet. Mitleid mit dem Feind fiel schwer.
LeMay fügte der neue Strategie eine Reihe von gewagten taktischen Änderungen hinzu, die seinen Ruf als the wunderkind ausbauten [3]. Flächenangriffe konnte man auch Nachts ausführen, so sein Ausgangspunkt. Da Japan – im Gegensatz zu Deutschland – kaum über Nachtjäger verfügte, konnten die B-29 niedriger fliegen. Damit brauchten sie weniger Treibstoff und vermieden den nervigen Jetstream. Und wenn es keine Gegner gab, konnten die Flugzeuge auch gleich auf ihre Abwehrwaffen verzichten. Die Folge der Gewichtsersparnis: Eine höhere Bombenlast.
LeMays Berater hielten ihn für irre. Sie sagten voraus, dass vier Fünftel der Flugzeuge nicht zurückkehren würden. Er übernahm auf drastische Art die Verantwortung und informierte seinen Vorgesetzten General Henry Arnold erst von dem Plan, als die Bomber nicht mehr zurückgerufen werden konnten.
In der Nacht vom 9. auf den 10. März 1945 warfen 325 B-29 etwa 1.700 Tonnen Brandbomben auf Tokio ab. Aus 8.519 Kanistern lösten sich 496.000 einzelne Zylinder, die beim Aufprall ihren Inhalt bis zu 30 Meter herausschossen und dann entzündeten. Heftige Winde fachten die Brände zusätzlich an.
Die 24-jährige Yoshiko Hashimoto floh nach dem Beginn der Angriffe mit ihrem Säugling, ihren Eltern und drei Schwestern aus ihrem Haus. In dem Chaos wurden sie von den Schwestern getrennt. Als sie zu einem Fluss kamen, regneten brennende Trümmer auf die Gruppe herab. Ihre verzweifelten Eltern überredeten Yoshiko, mit dem Baby in das eiskalte Wasser zu springen, wo ein Floß zu sehen war.
I dipped my head into the water and put some water on my baby. His eyes were wide open. I was worried that he might be dying. Many people were clinging to the raft. Then there came a small boat with two men inside rowing, apparently avoiding the raft and the people. I shouted at them, „Help! Help! Please at least save my baby!“
Yoshiko wurde an Bord gezogen. Nur sie, ihr Kind und zwei Schwestern überlebten. Andere hatten im Wasser weniger Glück: Die verzweifelten Menschen trampelten sich zu Tode. Das Feuer saugte den Sauerstoff aus den wenigen Gebäuden, die nicht brannten.
Masatake Obata gehörte zu den Japanern, auf dessen Haus es das amerikanische Militär ganz besonders abgesehen hatte: Daran war eine kleine Manufaktur angeschlossen, die Flugzeugteile herstellte. Als die Sirenen heulten, schickte er seine Frau, vier Kinder und zwei Schwestern zum Sumida-Park, bevor er versuchte, anderen Menschen in der Nachbarschaft zu helfen. Etwa drei Meter von ihm entfernt schlugen Brandbomben ein. Eine traf ihm am Kopf. Als er wieder zu sich kam, waren seine Schuhe und Zehen vom Feuer abgebrannt worden und seine Kleidung stand in Flammen.
Am Morgen schlug Obata sich zu einem Krankenhaus durch, wo ein Arzt ihn als hoffnungsloser Fall einstufte und in die Leichenhalle im Keller schickte. Dort wurde er drei Tage lang ohne Wasser oder Nahrung auf einer Matte zum sterben liegengelassen. Schließlich wurde er von seiner Mutter gerettet. Obatas übrige Familie war bei dem Versuch ums Leben gekommen, den Park zu erreichen [1].
Von den 4,3 Millionen Bewohnern Tokios starben zwischen 80.000 und 120.000 [2] – mehr als zunächst in Hiroshima, mehr als bis Ende 1945 in Nagasaki und etwa drei Mal so viele wie bei dem Feuersturm in Dresden einige Wochen zuvor. In den Straßen türmten sich verkohlte Leichen. Operation Meetinghouse wurde der schwerste Brandbombenangriff der Geschichte.
Nach ersten amerikanischen Schätzungen wurden 18 Prozent der industriell wichtigen Stadtteile vernichtet, daneben 22 Fabriken, die als militärische Ziele markiert worden waren. Das engere Zielgebiet, etwa 26 Quadratkilometer groß, wurde zu 82 Prozent [JPG] zerstört. Die Japaner zählten 43 getroffene Fabriken, 261.000 zerstörte Häuser, 1,1 Millionen Obdachlose und ein völlig vernichtetes Vergnügungsviertel.
Das Ausmaß der Zerstörung war auch eine Folge der japanischen Ideologie. Die offensiv ausgerichtete Kriegerkultur des Militärs hatte keine Geduld mit Defensiv-Maßnahmen wie Luftschutzbunkern (oder, für den Verlauf des Krieges entscheidender, Minenräumern). Außerdem war Zivilverteidigung schlecht für die Moral, fand die Regierung. Das Volk könnte ja auf die Idee kommen, das Militär sei nicht in der Lage, den Feind aufzuhalten [1].
In der Stadt gab es entsprechend nur 18 Bunker mit einer Gesamtkapazität von 5.000 Menschen [eine Quelle spricht von 18 Bunkern mit je 5.000 Plätzen]. Einige Familien gruben Löcher – bokugo – auf ihre Grundstücke, einen Meter breit, bis zu zwei Meter tief, bis zu fünf Meter lang. Im Alltag stürzten ständig Fußgänger in diese oft mit Blumen verzierten Gräben.
Immerhin war Tokio eine der sechs japanischen Städte mit einer Berufsfeuerwehr. Aber nach einer Stunde war klar, dass die 8.100 Mann nichts ausrichten konnten. Fatal wirkte sich in dieser Situation der Befehl der Behörden an die Zivilbevölkerung aus, bei einem Angriff immer die Stellung zu halten, egal was passierte. Die mit nassen Matten, Sandsäcken und Eimern ausgerüsteten Bürger hatten dem Inferno nichts entgegenzusetzen. Nur wer den Befehl ignorierte und floh, hatte wenigstens eine kleine Chance.
Die USA verloren bei dem Angriff zwölf Flugzeuge. Von den 3.307 beteiligten Soldaten starben 96 oder wurden vermisst. Es gab sechs Verletzte. Der Erfolg des Angriffs war den Piloten sofort klar und wurde durch die Fotos der Luftaufklärung bestätigt.
General Arnold, der dann doch irgendwann von dem unorthodoxen Plan informiert worden war, zeigte sich beeindruckt. Er wies in seinem Gratulationsschreiben darauf hin, dass bis zum 1. Juli 1945 die B-29-Flotte 1.000 Maschinen groß sein würde, und betonte die Implikationen der neuen Strategie:
Under reasonably favorable conditions you should then have the ability to destroy whole industrial cities should that be required.
Nach dem Angriff auf Tokio bombardierten die USA sofort weitere Städte, darunter Kobe und Nagoya. Die Zahl der Toten stieg dabei jeweils nicht über 10.000. Am 25. März musste LeMay diese von Historikern als the blitz bezeichnete Serie abbrechen: Er hatte schlicht keine Bomben mehr [3]. Rosie the Riveter und ihre Kolleginnen in den amerikanischen Rüstungsfabriken konnten nicht so schnell Brandsätze bauen wie LeMay sie über Japan abwarf. Die B-29 wurden zunächst für die Vorbereitung der Invasion von Okinawa abgezogen.
Mehr als 60 Orte [JPG] wurden Ziele konventioneller Angriffe, zum Teil mehrfach. Von den großen Städten wurde nur die alte Reichshauptstadt Kyoto wegen ihrer kulturellen Bedeutung verschont. Einige kleinere und mittlere Orte wurden völlig zerstört. Die Totenzahlen erreichten nie wieder die Größenordnung vom März, unter anderem weil die Japaner dann doch den Zivilschutz verbesserten.
Insgesamt wurden von November 1944 bis August 1945 etwa 157.000 Tonnen konventioneller Bomben auf Japan abgeworfen. Zusätzlich wurden Millionen Flugblätter verteilt. Sie sollten die Bevölkerung dazu bringen, die Städte zu verlassen, aber auch ihre Moral brechen.
Die Folgen der Angriffe für die japanische Rüstungsindustrie waren, wie wir gesehen haben, eindeutig. Die Befürworter der Flächenbombardements fühlten sich bestätigt. Auch Kriegsminister Stimson sah trotz der Folgen für die Zivilbevölkerung keine Alternative.
Die japanische Führung beeindruckte weder die Zerstörung noch die Totenzahlen. Dass die USA im März 1945 faktisch die Fähigkeit erlangt hatten, ganze Städte zu vernichten, änderte nichts an der Entschlossenheit der Militärregierung, den Krieg fortzuführen. Der japanische Plan für die letzte Schlacht, Ketsu-Go, wurde am 8. April fertiggestellt. Die Verluste unter der Zivilbevölkerung wurden eingeplant und in Kauf genommen.
Die alliierten Codebrecher erfuhren als Teil der Million abgefangenen Funksprüche pro Monat von dem Durchhaltewillen der Regierung. In einem Schreiben des deutschen Botschafters hieß es am 5. April [1]:
To judge by its inner make-up, the new Cabinet is devoting itself to continuing the war with the utmost exertion of energy.
Erst als bei einem weiteren Angriff auf Tokio am 25. Mai der Kaiserpalast zerstört wurde, zeigte sich die Führung schockiert. Für viele hochrangige Politiker und Militärs war es offenbar wirklich undenkbar gewesen, dass die Flammen des Gegners die heilige Struktur berühren könnten.
Am Ende waren es die Erfahrungen aus Europa, die die Flächenbombardements beendeten. Nach der deutschen Kapitulation wurden die Auswirkungen des Bombenkriegs in der Strategic Bombing Survey (USSBS) untersucht. Die Angriffe auf die Wohngebiete, so die Erkenntnis, hatten die Wirtschaftskraft des Reichs vergleichbar wenig geschwächt. Dagegen hatte die Zerstörung des deutschen Schienennetzes geradezu dramatische Folgen.
Mitte Juni wurden diese Ergebnisse den für Japan zuständigen Militärs vorgelegt. Sie erkannten, dass die Gleise auf der gebirgigen Inselkette noch wesentlich anfälliger waren als die im flachen Mitteleuropa. Zudem hatten die Japaner kaum Alternativen zur Schiene: Die Gewässer waren vermint oder unter Kontrolle der alliierten U-Boote und 97 Prozent der Straßen waren ungeteert. Die Gegner der Flächenangriffe setzten sich wieder durch.
Die neue Strategie wurde am 11. August 1945 verkündet – zwei Tage nach dem Abwurf der zweiten Atombombe auf Nagasaki, vier Tage vor der japanische Kapitulation. Als neue Ziele wurden zunächst 54 Bahnhöfe und 13 Brücken ausgeschrieben. Dazu kam es nicht mehr, denn Präsident Harry Truman setzte die B-29-Angriffe nach dem Angriff auf Nagasaki aus, um den Japanern Zeit zum Nachdenken zu geben.
Welche Folgen die neue Strategie gehabt hätte, werden wir besprechen, wenn es um den Kriegsplan der Alliierten geht.
(Nächster Eintrag der Serie: „Das Schicksalswort mokusatsu“)
([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire. Penguin Books 1999 [2] Marius B. Jansen The Making of Modern Japan Harvard University Press 2000 [3] H.W. Crocker III. Don’t Tread on Me. A 400-Year History of America at War. Crown Forum 2006)