Bart Simpson und der amerikanische Fahneneid

März 4, 2007

Vermutlich war es ein Fehler, auch nur im Vorbeigehen die Simpsons zu erwähnen: Seitdem erhält dieser Autor ständig E-Mails, die mehr verlangen – „Bart statt Buffy!“ sozusagen. Kann man die USA nicht auch mit Hilfe der gelben Leute erklären? Natürlich, so lange niemand wissen will, warum sie gelb sind.

Nehmen wir zum Beispiel die Folge „Burns‘ Heir“. Dort muss Bart im Vorspann immer wieder den folgenden Satz [JPG] an die Tafel schreiben:

The Pledge of Allegiance does not end with „Hail Satan!“

Die Episode sah dieser Autor zum ersten Mal mit deutschen Bekannten, die nicht verstanden, was er daran so brüllend komisch fand. Dabei hat das diesmal nichts mit den unterschiedlichen Humorarten zu tun. Man muss nur wissen, was der Pledge of Allegiance ist.

Der „Treueschwur“ oder auch „Fahneneid“, wie man ihn vielleicht besser auf Deutsch nennt, lautet in seiner heutigen Form:

I pledge allegiance to the flag of the United States of America and to the republic for which it stands, one nation under God, indivisible, with liberty and justice for all. Hail Satan!

(Es gibt auch eine deutsche Übersetzung.)

Der Eid wird an vielen (aber nicht allen) Schulen regelmäßig in der Gruppe aufgesagt, was bei nichtsahnenden Austauschschülern einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Er ist aber kein Kindereid, auch wenn er als solcher entstand. Jede Sitzung des Senats und des Repräsentantenhauses fängt mit ihm an. Er ist ein allgemeines Bekenntnis zur Staatsbürgerschaft und den Grundwerten der USA.

Wie immer läuft das über die Fahne. Deren Stellenwert hatten wir schon in einem eigenen Eintrag besprochen und dann nochmal bei der Nationalhymne, die auch vom Sternenbanner handelt und nicht von der Nation, vom Volk oder von der Verfassung. Beim Fahneneid ist der Gedankengang allerdings am besten zu erkennen:

Fahne -> USA -> Republik -> Freiheit und Gerechtigkeit

Im Nachhinein wäre es vielleicht geschickter gewesen, die ganze Diskussion mit dem Fahneneid anzufangen, aber gut. Wir halten wieder fest: Die Fahne hat in den USA eine größere symbolische Bedeutung als in Deutschland und repräsentiert ausdrücklich nicht nur den Staat oder gar die Regierung, sondern die Grundwerte, die hinter dem ganzen Gebilde stehen.

Die ursprüngliche Fassung des Eides wurde von dem ehemaligen Pastor Francis Bellamy verfasst und September 1892 in einer Jugendzeitschrift veröffentlicht. Er lautete damals (Schreibweise angepasst):

I pledge allegiance to my flag and the republic for which it stands; one nation indivisible, with liberty and justice for all.

Das Wort indivisible geht auf das Bemühen zurück, das Land nach dem Trauma des Bürgerkriegs zusammenzukitten. Aus my flag wurde 1923 ausdrücklich die Fahne der USA, damit auch dem dümmsten Einwanderer klar wurde, welche gemeint ist (für die Einbürgerung gibt es einen eigenen Eid). Auffällig ist das Fehlen des Gottesbezugs, auf den wir weiter unten genauer eingehen. Ursprünglich wurde der Eid mit einer Handbewegung begleitet, an deren Ende der Arm in Richtung der Fahne mit der Handfläche nach oben ausgestreckt blieb (der Bellamy salute). Als die Nazis den Hitlergruß einführten, schaffte man diesen Teil ab. Heute bleibt die Hand auf dem Herzen.

Der Schwur wurde im Juni 1942 vom Kongress zum offiziellen Eid der USA erklärt. Er ist aber nicht verpflichtend. Der Supreme Court hielt ein Jahr später in West Virginia State Board of Education v. Barnette fest, dass der Staat nach dem First Amendment seine Bürger nicht zwingen kann, ihm Treue zu schwören:

If there is any fixed star in our constitutional constellation, it is that no official, high or petty, can prescribe what shall be orthodox in politics, nationalism, religion or other matters of opinion or force citizens to confess by word or act their faith therein.

Geklagt hatten die Zeugen Jehovas, deren Glaube solche Eide verbietet. Die Entscheidung wurde vom Kongress mit Empörung aufgenommen, wie wir es heutzutage von Urteilen zur Fahnenverbrennung kennen. Geändert hat das auch hier nichts. Niemand kann zum Pledge of Allegiance gezwungen werden, juristisch zumindest. Das sagt nichts über den sozialen Druck aus.

Der Fahneneid gehört zu den Dingen, die Deutsche an den USA am befremdlichsten finden, selbst wenn sie den Hintergrund und die Symbolik kennen. Zu sehr erinnert es sie an den Treueid auf Adolf Hitler oder kommunistischen Schwüren; zu fremd ist ihnen der Gedanke, sich offen und demonstrativ zu einem Staat und seinen Prinzipien zu bekennen. Die Vorstellung, dass sich deutsche Schüler einmal in der Woche erheben und mit der Hand auf dem Herzen zu Einigkeit, Recht und Freiheit verpflichten, ist geradezu abenteuerlich. In den meisten deutschen Schulen steht noch nicht einmal eine Fahne, außer natürlich, es ist gerade Fußball-WM.

Amerikaner haben damit keine Probleme. Ihren Fahneneid gab es lange vor den Nazis oder der Sowjetunion (oder gar der DDR), die ja auch schon wieder untergegangen sind. Kinder zur Freiheit und Gerechtigkeit zu verpflichten sehen sie auch nicht als verwerflich an. Es gibt noch eine weitere Funktion: In einem Staat, dessen Einwohner inzwischen aus allen Ländern der Erde kommen, keine gemeinsame Religion haben und inzwischen auch nicht mehr eine gemeinsame Sprache, dienen solche Rituale dazu, eine gemeinsame Identität zu schaffen.

Viel problematischer ist für Amerikaner mal wieder der Gottesbezug. Die Worte under God sind die jüngste Veränderung an dem Eid und wurden erst 1954 eingeführt. Schuld daran war ein Europäer. Der eingewanderte schottische Prediger George Docherty erfuhr eines Tages von seinem siebenjährigen Sohn von dem Eid und war verblüfft, dass Gott darin nicht vorkam:

To omit the words ‚under God‘ is to omit the definitive character of the American way of life; it was never meant to be a separation of religion and life.

Diese Sichtweise kennen wir schon: Demnach ist das jüdisch-christliche Wertesystem das unsichtbare Fundament der USA, egal was in der Verfassung steht. Docherty hielt eine flammende Predigt, als unter den Zuhörern niemand weniger als der damalige Präsident Dwight Eisenhower saß. Dieser ging zum Kongress und seitdem gibt es die heutige Version des Eides.

Möglicherweise ist die aber verfassungswidrig. Der Atheist Michael Newdow aus Kalifornien klagte im Namen seiner Tochter gegen den Fahneneid – auch wenn sie nicht mitmachen musste, musste sie immerhin zuhören, argumentierte er. Ein Bundesberufungsgericht stimmte ihm 2002 zu. Die Begründung [PDF] war nicht nur der übliche Hinweis auf die vorgeschriebene Trennung von Kirche und Staat: Durch under God werde der Monotheismus gefördert, so das Gericht, also eine bestimmte Form
der Religion. Wer an mehr als einen Gott glaube, werde benachteiligt.

Wieder heulte der Kongress auf. Der Senat bekundete mit 99-0 Stimmen sofort seine Unterstützung für den Eid, mehr als 100 Mitglieder des Repräsentantenhauses versammelten sich auf den Stufen des Kapitols, um ihn demonstrativ mit dem Gottesbezug aufzusagen. Und der gemeine Bürger stellte mit Staunen fest, wie schnell seine Abgeordneten handeln können, wenn sie es wirklich einmal wollen.

Allerdings: Der Supreme Court hob die Entscheidung 2004 wieder auf. Das geschah aus formellen Gründen, denn Newdow hat nicht mehr das volle Sorgerecht über seine Tochter und die Mutter ist dagegen, dass das Kind in den Fall hineingezogen wird. Newdow hatte damit nicht das standing, um die Klage einzubringen. Inzwischen hat er eine neue Klage eingebracht.

Vielleicht hätte sich Newdow einfach an Bart wenden sollen.

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