„Buffy“ Staffel 8 und die Vornamen-Falle

April 4, 2007

Der regelmäßige Leser dieses Blogs wird sich fragen, warum wir noch nicht auf die gerade angelaufene Staffel 8 von „Buffy the Vampire Slayer“ eingegangen sind – schließlich ist das erste Heft der canonical comic book continuation der TV-Serie schon seit Mitte März auf dem Markt.

Dummerweise war die Nachfrage so groß, dass dieser Autor zunächst keine Ausgabe bekommen hat. In den USA war der erste Teil von „The Long Way Home“ sogar ausverkauft [1]. Am Ende war es nur dem heldenhaften und aufopfernden Einsatz von Schwesterlein Mein und der Schönsten Germanin zu verdanken, dass es nicht noch länger dauerte.

Natürlich lohnte sich das Warten, denn ein wirklich guter Geschichtenerzähler wie Joss Whedon (oder Neil Gaiman) kommt mit jedem Medium zurecht. Und natürlich werden wir dazu einen Eintrag machen. Wir werden zwar keine Plot-Elemente verraten, aber wer komplett vor auch der kleinsten spoiler-Gefahr geschützt sein will, sollte jetzt selbst das Heft kaufen gehen und erst dann hierher zurückkommen.

Gut. Alles genau gelesen? Alle Anspielungen verstanden? Erkannt, was das Motiv auf Buffys T-Shirt ist? Sehr schön. Dann können wir loslegen.

Wir befassen uns mit der Szene, in der Xander Harris mit einer Untergebenen spricht, die er „Renee“ nennt – er redet sie also mit dem Vornamen an (und ja, es ist eine Frau). Sie dagegen nennt ihn „Mister Harris“, und zwar offenbar nicht zum ersten Mal, denn er antwortet:

„Xander.“ Renee, I told you, it’s „Xander.“ Or „Sergeant Fury.“

Den Hinweis auf die Comic-Figur Nick Fury ignorieren wir, weil wir sonst David Hasselhoff erwähnen müssten, was dieser Autor hassen würde. Wir halten fest, dass Xander eine Untergebene mit dem Vornamen anspricht, sie aber umgekehrt bei der formellen Anrede bleibt (immerhin wechselt sie bis zum Ende der Seite auf „Sergeant“).

Dass es es sich nicht um einen Einzelfall handelt, weiß der erfahrene Kinogänger von der Komödie „Secretary“. Dort nennt der Boss E. Edward Grey (James Spader) seine Sekretärin Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal) einfach nur „Lee“ („This isn’t just about typos, tapes, staples and pencils, is it, Lee?“) während sie ihn mit „Mister Grey“ und Sir anspricht.

In beiden Fällen gilt: So etwas geht im Deutschen eigentlich nicht, denn der Gebrauch des Vornamens beruht zwischen Erwachsenen auf Gegenseitigkeit. Daran sehen wir, dass der Umgang mit Vornamen einer der vielen subtilen, aber wichtigen Unterschiede zwischen Angelsachsen und Germanen ist. Beide Kulturen haben ihre eigenen Regeln.

Dummerweise macht sich das kaum einer klar und alle gehen mal wieder davon aus, dass alles wie zu Hause ist. Dieses Phänomen kennen wir von der Neigung der Angelsachsen, nicht direkt zu sagen, was sie meinen. Die Sache mit den Vornamen wird ebenfalls nur selten im Englischunterricht behandelt, mit den vorhersehbaren Folgen.

(Und auch hier müssen wir darauf hinweisen, dass es zu dem Thema umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten gibt und dass wir daher nur eine sehr pragmatische, abgekürzte Darstellung eines eigentlich sehr komplexen Regelwerks geben.)

Auch wenn in Deutschland der Gebrauch des Vornamens und des „Du“ im Wandel ist, gilt grundsätzlich: Beides sind Zeichen für eine informellere, engere Beziehung, in der man sich mehr herausnehmen kann, als es bei „Herr Müller-Lüdenscheid“ der Fall ist. Deutsche, die sich mit Vornamen ansprechen, sind in der Regel Freunde oder zumindest gute Bekannte.

Das ist bei Amerikanern ausdrücklich nicht so. Das sieht man daran, dass sie einem gerne mal den Vornamen anbieten, kaum dass man sie kennt: Welcome to America, just call me Bob! Nichtsahnende Deutsche sind dann begeistert, wie leicht man mit Amerikanern Freundschaft schließt. Was für ein tolles Land! Wie offen doch die Menschen sind! Und so zugänglich!

Die Ernüchterung folgt dann einige Tage später, wenn von der Vertrautheit, die in Deutschland zum Vornamen dazugehört, nichts zu merken ist. Dann ist man schnell wieder bei der „Oberflächlichkeit“ der Amerikaner, manchmal sogar bei dem Glauben, dass man überhaupt keine „tiefen Freundschaften“ mit ihnen schließen könne.

Der Amerikaner versteht seinerseits überhaupt nicht, was das Problem sein soll – eine Freundschaft entwickelt sich doch mit der Zeit, durch gegenseitige Wertschätzung, nicht einfach dadurch, dass man den Vornamen benutzt. Es gibt doch jede Menge Situationen, in denen man das tut, aber sich nicht richtig kennt oder gar mag.

Damit sind wir wieder bei Renee und Xander. Es ist durchaus normal, dass ein Vorgesetzter seinen Mitarbeiter beim Vornamen nennt, dieser aber umgekehrt beim Titel und Nachnamen bleibt. Der Klassiker ist Chef und Sekretärin, wie bei „Lee“ und „Mister Grey“. Der gemeine deutsche Tourist kennt das von amerikanischen Verkäufern oder Kellnern, die auf einen zukommen und sagen: Hi, I’m Dave, how can I help you?, einen aber als Kunden mit Sir oder Ma’am ansprechen.

Diese Asymmetrie bei der Anrede ist für Angelsachsen kein Problem, verletzt aber eine der wichtigsten germanischen Regeln: Duzen ist reziprok. Dass eine Person die andere duzt, aber von ihr gesiezt wird, kennen Deutsche nur von der Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen [Faustregel für Angelsachsen: Im Deutschen werden neben Freunde nur Tiere, Kinder, Betrunkene und Gott geduzt, auch wenn Letzterer irgendwie nicht in die Reihe zu passen scheint]. Es hat fast etwas Erniedrigendes.

Oder man hört von Deutschen die Beschwerde, dass man in so einer Situation nicht „die Distanz“ wahren kann. Der Vorname schaffe eine Vertrautheit, die man gar nicht haben wolle, heißt es dann.

Auch hier wird die Symbolik des Vornamens in Deutschland unreflektiert auf eine andere Kultur übertragen, die dafür ganz eigene Regeln hat. Renee und Dave erwarten nämlich trotzdem, dass man sie genauso höflich und professionell behandelt, als wenn man ihre Nachnamen verwenden würde (Lee nicht, aber das ist ein sehr, sehr spezieller Fall). Der Gebrauch des Vornamens statt des Nachnamens ist hier einfach eine gesellschaftliche Konvention des Angelsachsentums.

Entsprechend redet man sich auf der Arbeit unter Kollegen auch mit dem Vornamen an. I agree with Thomas that we all need one of those T-shirts like Buffy is wearing, heißt es dann bei einer Sitzung. In diesem Fall ist der Unterschied zu Deutschland oberflächlich gesehen zwar etwas geringer, denn in vielen deutschen Unternehmen gilt inzwischen, dass man total informell sein will und sich ganz relaxed und cool mit Vornamen anspricht.

Trotzdem würde ein sorgfältiger Übersetzer das „Thomas“ durch „Herr Schneider“ ersetzen, denn das ist die angebrachte Sprachebene: Der Vorname wird hier in einem formellen Zusammenhang benutzt, der im Deutschen eigentlich nach dem Nachnamen verlangt, Management-Moden hin oder her. Durch das ständige Beibehalten des Vornamens bei der Synchronisation von amerikanischen Filmen wird eine Vertrautheit zwischen den Figuren suggeriert, die es im Original nicht gibt. Das kriegt man aber als Übersetzer seinem Auftraggeber nicht vermittelt – wieso, im Original steht doch der Vorname? heißt es dann. Übersetzen ist, wie wir immer wieder feststellen, die Hölle.

Die wohl schwerwiegendsten Probleme treten auf, wenn ein amerikanischer Professor seinem deutschen Studenten oder ein Gastvater einem Austauschschüler den Vornamen anbietet – Welcome to MIT, just call me Bob! Eigentlich würde man im Deutschen eine solche Respektsperson auf keinen Fall mit Vornamen ansprechen, weswegen das Angebot um so schmeichelnder und verlockender klingt.

Aber das kann einfach nur eine höfliche Geste sein, etwa wie das berüchtigte Come over sometime oder der Gruß How are you? Es kann allerdings auch völlig ernst gemeint sein. Was tun?

Hier hilft uns Renee: Xander hat ihr offenbar schon einmal gesagt, sie solle ihn doch beim Vornamen nennen. Aber sie ließ sich davon nicht beirren, wie wir an dem „Mister Harris“ sehen. Sie wendet damit die schon besprochene „Dreierregel“ an, nach der man Angelsachsen nur dann ein Angebot glauben soll, wenn sie es mehrfach machen. Lieber einmal zu formell bleiben als auf eine Floskel hereinfallen, lautet daher die Empfehlung. Wenn das Angebot ernst gemeint ist, wird es wiederholt werden, wie es Xander tut.

(Es geht noch komplizierter. Als die Schönste Germanin diesen Autor kennenlernte, sprach sie mit den Ehrenwerten Eltern nur Englisch und der Vorname war kein Problem. Irgendwann kam sie aber in die Situation, wo sie Deutsch sprechen musste. Prompt wechselte sie ins „Sie“. Die Ehrenwerte Mutter stutzte und bestand sofort auf das „Du“. Das brachte die Schönste Germanin für einige Minuten in fürchterliche Bedrängnis: Sie kannte die Dreierregel, die Ehrenwerte Mutter aber auch die deutschen Regeln. Es blieb natürlich beim „Du“ – aber niemand hat gesagt, dass binationale Beziehungen einfach sind.)

Und jetzt kommt der Clou. Selbst wenn der Dozent oder wer auch immer wirklich mit dem Vornamen angesprochen werden will, sollte man seine germanischen Instinkte unterdrücken und ihn trotzdem mit genau der gleichen Höflichkeit und Professionalität behandeln, als wenn man noch den vollen Titel benutzen würde. Der Vorname ist auch hier nur eine andere Form der Anrede, nicht das Zeichen für eine ganze neue Qualität der Beziehung. Ein General ist auch ohne seine Uniform immer noch ein General.

An akademischen Titeln können wir übrigens sehen, wie kompliziert das Thema wirklich ist und warum wir es auch gleich wieder ruhen lassen: Unter Amerikanern gilt es als Angeberei, seinen eigenen Titel zu benutzen. Im Impressum von amerikanischen Tageszeitungen sucht man daher vergeblich nach Doktor- oder Professorgraden, wie sie einige deutsche Blätter führen.

Das gleiche Prinzip kann man bei Tagungen sehen, wo der Deutsche ganz selbstverständlich etwas wie „Prof. Dr. Max Mustermann“ auf sein Namensschild kritzelt, während sein US-Kollege es bei einem „John Doe“ beruhen lässt, selbst (oder ganz besonders) wenn er ein Nobelpreisträger ist. Bei einer Tagung in Deutschland wird der Amerikaner dann schon mal für einen Studenten gehalten. Umgekehrt gilt der Deutsche in den USA erstmal als arrogant.

(Schlimmer noch: Wenn überhaupt benutzen Amerikaner lediglich einen einzigen Titel. Egal wie viele man davon hat, man ist immer nur „Prof. Higgins“ or „Dr. Kildare“, nicht „Prof. Prof.“ oder „Prof. Dr.“ oder gar wie auf der Website der Universität Würzburg gesichtet („kein Witz!“, erklärt die Fachschaft):

Prof. Prof. Prof. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr. Dr.

Vermutlich bietet sich in diesem Fall aber auch für Tagungen in Deutschland eine Form der Exponentialschreibweise an.)

Fassen wir zusammen: Die Regeln für die Verwendung des Vornamens sind bei den Angelsachsen anders als bei den Germanen. „John“ kann dem deutschen „Du“ entsprechen, aber auch alles von „Herr Ober“ über „Herr Doe“ bis hin zu „Professor Doktor Doe“ bedeuten, je nachdem, wer wann mit wem spricht und wie sie gesellschaftlich zueinander stehen. Der Vorname ist insbesondere nicht automatisch ein Zeichen dafür, dass man sich nahe steht oder sich gar irgendwelche Vertrautheiten herausnehmen darf. Trotz des Vornamens kann ein sehr formelles Verhalten angebracht sein.

Ein Trost bleibt dem vielleicht frustrierten deutschen Leser: Auch Buffy muss sich erst damit anfreunden, dass sie jetzt als Anführerin aller Slayer plötzlich anders angesprochen wird:

Everybody calls me „Ma’am“ these days.

Kein Wunder bei dem T-Shirt.

([1] „Neues vom Monsterkrieg“, Dietmar Dath, „FAZ“ 28. März 2007, Seite 38)

[Danke an JW von Atlantic Review für den Hinweis auf den FAZ-Artikel. Danke an DKS für zahlreiche Anregungen und Beispiele]