Dank Kind Nummer Zwei kommt dieser Autor wieder dazu, Podcasts zu hören. Normalerweise hat er dazu wenig Gelegenheit: In der S-Bahn schreibt er auf dem iBook, zu Hause spielt er mit den Kindern, schreibt auf dem großen Computer weiter oder himmelt einfach nur stundenlang die Schönste Germanin an. Aber wenn man mit dem Kinderwagen unterwegs ist, drängen sich Podcasts regelrecht auf. Kind Nummer Zwei ist zwar süß, aber noch kein wirklicher Gesprächspartner.
Und so konnte der Autor gestern im Neuschnee eine ganze Reihe von Folgen aus Grammar Girl nachholen, ein Podcast von einer amerikanischen Wissenschaftsjournalistin, die sich den Feinheiten der englischen Sprache widmet. Dazu gehören Klassiker wie der Unterschied zwischen who und whom oder wann man that und wann which verwendet, aber auch Ausflüge in die düsteren Teile der Sprache, die selbst bei Angelsachsen Albträume auslösen wie to lay und to lie. Man muss nicht mit allem einverstanden sein – whom stirbt zum Beispiel ohnehin aus. Aber es sind kurze, unterhaltsame Episoden, die auf die Praxis zugeschnitten sind.
Zu den besonders kurzweiligen Einträgen gehörte nun die Frage, wie man den possessive von Worten wie „Kansas“ bildet. Das kommt nicht nur vor, wenn man über „The Wizard of Oz“ spricht, sondern auch bei Urteilen des Supreme Court zur Todesstrafe. In Kansas v. Marsh vom 26. Juni 2006 heißt es nicht nur:
Kansas‘ capital sentencing statute is constitutional.
sondern bei den Einzelkommentaren dann auch:
I nonetheless join Part IV as well, which describes why Kansas’s death penalty statute easily satisfies even a capital jurisprudence as incoherent as ours has become.
Schon am schnippischen Tonfall ist zu erkennen, dass der zweite Kommentar von Justice Antonin Scalia stammt, der wie alle Richter auf dieser Ebene beim Schreiben sehr genau weiß, was er tut. Dass nun zwei Varianten in einem Urteil auftauchen, führte in der Fachpresse zu einigem Schmunzeln und halt zum Podcast von Grammar Girl.
Denn der Trick ist: Beide Versionen sind richtig. Es ist eine Frage des Stils.
Deutsche hassen so etwas. Schlimm genug, dass das Englische eine historische Rechtschreibung hat, wie wir schon besprochen haben, und dass Briten und Amerikaner selbst einfache Wörter wie jail/gaol völlig anders schreiben. Dass neben diesem Schisma auch noch so grundsätzliche Dinge wie die Bildung des possessive mehrere zulässige Varianten haben, bereitet ihnen fast körperliche Schmerzen.
Einige Englischlehrer bringen ihren Schützlingen daher offensichtlich eine einzige Version als „richtig“ bei, ohne auf die anarchistischen Züge der Sprache hinzuweisen. Die Folge davon sind deutsche Kinder, die regelmäßig entsetzt sind, dass Amerikaner (Briten, Australier, Kanadier) „falsches“ Englisch reden, schreiben oder sprechen.
Nun gibt es spätestens seit der Rechtschreibreform auch im Deutschen eine größere Lizenz zum Variieren. Der obige „Albtraum“ hätte also auch ein „Alptraum“ sein können. Zu den größten Einwänden gegen die Reform gehört aber nicht von ungefähr, dass alles etwas „beliebig“ geworden sei. Gewisse Dinge sind auch weiter eindeutig. Zwar gibt es jede Menge Streit über den Genitiv, aber wie er gebildet wird (wenn man ihn schon mal bildet) ist dann weniger das Problem. Generationen von Deutschen sind mit dem Duden als Autorität aufgewachsen.
Im Englischen gab es nie so ein zentrales Leitwerk, auch nicht auf lokaler Ebene. Es ist deswegen nicht nur so, dass die Briten und Amerikaner Dinge unterschiedlich schreiben, sondern auch innerhalb dieser Staaten hat jedes Verlagshaus und jede Redaktion ihre eigenen Regeln. Diese werden in manuals oder stylebooks festgehalten.
Einige der bekannteren Handbücher sind der „Chicago Manual of Style“, „The New York Times Manual of Style and Usage“ und das einflussreiche „AP Stylebook“ der gleichnamigen Nachrichtenagentur. Wer von AP zu der „New York Times“ wechselt, muss sich anpassen. In Deutschland verständigt sich die Presse dagegen mehr oder weniger erfolgreich auf einheitliche Regeln selbst für die Fälle, wo der Duden und ähnliche Werke nicht mehr greifen.
(Die Festlegungen in den Handbüchern gehen über bloße Grammatik-Fragen hinaus sind alles andere als trivial. Es gibt zum Beispiel einen Streit unter angelsächsischen Journalisten darüber, wann man das Wort terrorist benutzen sollte. Die Nachrichtenagentur Reuters vermeidet es trotz massiver Kritik selbst im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001, weil sie es für wertend hält. Fragen wie die, wann man von einem „Bürgerkrieg“ im Irak sprechen kann, werden wegen ihrer Bedeutung auch öffentlich diskutiert.)
Was heißt das für den interessierten Leser? Erstens, man muss mit dem Wort „falsch“ sehr vorsichtig sein. Es kann auch einfach eine Variante sein. Zweitens, wer sehr viel auf Englisch schreibt, sollte sich bewusst für eine Version entscheiden und dann dabei bleiben, am besten mit Hilfe eines der oben genannten Handbücher. Drittens, wer für eine amerikanische oder britische Zeitschrift schreibt, sollte vorher anfragen, ob sie irgendwelche besonderen Regeln haben.
Wir sind also kurz gesagt dort, wo Deutschland im vor der Reichsgründung war. Eine Wiedervereinigung von Großbritannien und den USA ist allerdings nicht in Sicht. Selbst in den USA dürfte sich die Situation nicht ändern: Von einem Staat mit mehr als 20.000 Waffengesetzen kann man aber auch nicht ernsthaft eine einheitliche Rechtschreibung erwarten.
Leider sind nicht alle Podcasts so gut für Spaziergänge mit Kind Nummer Zwei geeignet wie die Drei-Minuten-Spots von Grammar Girl. Dieser Autor schleppt seit Ewigkeiten die Folgen vom BuffCast auf dem iPod mit sich herum, das (natürlich) von Buffy the Vampire Slayer handelt. Allein, sie sind zwei oder drei Stunden lang – bis dahin hat der Nachwuchs fast schon wieder Hunger, und nicht nur er. Das wird vermutlich auf den nächsten Transatlantik-Flug warten müssen.