Mehr Macht für Washington: Der 14. Verfassungszusatz

Mai 8, 2007

Wir haben in unserem Gesamtüberblick etwas lakonisch darauf hingewiesen, dass die Aufgabentrennung zwischen Bund (Ausland) und Bundesstaaten (Inland) seit dem Bürgerkrieg nicht mehr so streng ist. Es wird Zeit, dass wir uns genauer anschauen, was da passiert ist. Buffy muss bis zum nächsten ZEUGS-Eintrag warten, auch wenn Willow sich gerade in fürchterlicher Gefahr befindet.

Nach dem Bürgerkrieg verabschiedete der Kongress drei Verfassungsänderungen: Nummer 13, 14 und 15. Der 13. Amendment schaffte die Sklaverei ab, der 15. Amendment sollte sicherstellen, dass ehemalige Sklaven die gleichen Wahlrechte hatten (was durch die Jim-Crow-Gesetze fast 100 Jahre lang umgangen wurde). Beide sind vergleichsweise selbsterklärend. Uns interessiert hier der 14. Amendment von 1868, der die Verfassung tiefgreifend änderte.

Dieser Verfassungszusatz ist lang und behandelt (mal wieder) mehrere Dinge auf einmal. Uns reicht dieser Satz, der im Prinzip sagt, dass kein Bundesstaat die Rechte des Bürgers einschränken darf:

No State shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States; nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws.

Moment, wird jetzt der aufmerksame interessierte Leser sagen. „Life, liberty, or property“? „Due process“? Hatten wir das nicht schon irgendwo? Tatsächlich finden wir diese Formulierungen bereits im Fifth Amendment:

No person shall be […] deprived of life, liberty, or property, without due process of law …

Der Trick an der Sache: Bis zum 14. Amendment galt das nur für den Bund, wie alle anderen in der Verfassung garantierten Rechte. Den Bundesstaaten stand es frei, in ihren eigenen Verfassungen andere Rechte festzulegen. Gegenüber dem Bund mochte ein Bürger zwar die Rechte aus der Bill of Rights haben, aber gegenüber seinem Bundesstaat waren die wertlos – es galt, was in dessen Verfassung stand. Man sprach von der dual citzenship, der doppelten Staatsbürgerschaft.

Der 14. Amendment änderte das. Die Bill of Rights, also die ersten zehn Verfassungszusätze, wurden zwar nicht „mechanisch“ auf die Bundesstaaten übertragen – und es gibt bis heute einen erbitterten Gelehrtenstreit darüber, ob das überhaupt das Ziel war. Aber der Supreme Court hat in einer Serie von Urteilen Stück für Stück die meisten Artikel für bindend befunden. Diesen Vorgang nennt man incorporation. Urteile des Obersten Gerichts zu den „inkorporierten“ Rechten sind damit auch für die Rechtssysteme der Bundesstaaten und Kommunen gültig. Auch die entsprechenden Gesetze des Kongresses sind bindend.

(Der bekannteste Teil der Bill of Rights, der bislang nicht inkorporiert wurde, ist der Second Amendment, der den Waffenbesitz regelt. Wie wir sehen werden, gibt es Streit darüber, was der Verfassungszusatz genau dem Staat verbietet, aber was es auch immer ist, der Artikel schränkt nur den Bund ein, nicht die Bundesstaaten.)

Das ist der Grund, warum der Kongress Gesetze über die Bürgerrechte (civil rights statutes) erlassen kann, die dann im ganzen Land gültig sind, und warum die Bundesermittlungsbehörde FBI bei derartigen Verbrechen eingreift. Den Bundesstaaten steht es natürlich frei, zusätzliche Rechte festlegen – so haben mehrere Bundesstaaten, aber nicht der Bund, shield laws, die das Recht eines Journalisten auf Quellenschutz festlegen. Aber weniger Rechte als im Bill of Rights geht nicht mehr.

Der 14. Amendment bewirkte damit in diesem Bereich – und erstmal nur hier, der New Deal kam später – eine ganz klare Machtverschiebung auf Kosten der Bundesstaaten. Das ist umstritten, denn es zerstört das Gleichgewicht zwischen beiden Sphären. Sollte der Bund wirklich diese Macht haben? Bereits 1930, bevor es mit der Inkorporation überhaupt so richtig losging, schrieb der Oberste Richter Oliver Holmes in Baldwin vs Missouri:

I have not yet adequately expressed the more than anxiety that I feel at the ever increasing scope given to the Fourteenth Amendment in cutting down what I believe to be the constitutional rights of the States.

Weitere Kritik gibt es an der Macht, die damit der Supreme Court erhält – wir sind wieder bei dem Vorwurf der Usurpation. Die Bundesstaaten sind den Interpretationen der Bürgerrechte durch das Oberste Gericht schutzlos ausgeliefert. Als Beispiel dafür mag (ebenfalls mal wieder) Roe vs Wade von 1973 gelten, das bundesweit Abtreibungen zulässt. Es ist der 14. Amendment, der diese Entscheidung für alle Bundesstaaten und Kommunen bindend macht.

Wir wollen diese Diskussion mit einer Warnung beenden: Das war alles mal wieder vereinfacht, so vereinfacht sogar, dass einige echte Juristen neue Bissspuren auf ihrer Tischkante haben dürften. Eine vollständige Diskussion müsste auf den oben genannten Gelehrtenstreit eingehen, was dann aber auch erklärt, warum eine 1868 verabschiedete Verfassungsänderung erst etwa ein Jahrhundert später richtig zur Geltung kam. Wer keine Angst vor dem Unterschied zwischen procedural due process und substantive due process hat, wird es lieben. Dieser Autor geht jetzt mit Kind Nummer Eins Fliewatüüt gucken.

Der Supreme Court selbst geht mit dieser Frage ohnehin eher pragmatisch um. Der Oberste Richter Antonin Scalia soll zur Inkorporation erklärt haben :

[W]e’ve been doing this for fifty years now, it’s not a problem. I just take the same rules that I apply to the Bill of Rights against the federal government, and I apply it against the states. It is manageable, the people have gotten used to it, and I’m not about to tell the people of New York state or of any state that their state government is not bound by the First Amendment. Okay?

Okay.

[Ergänzt 25. Mai 2007 Platzhalter für Link zum New Deal eingefügt]