Die ultimative Einführung in American Football

September 10, 2006

Die Football-Saison hat wieder angefangen! Endlich! Der Spielplan ist gebookmarkt und die ehrenwerten Eltern haben Hintergrundinfos über die Arizona Cardinals aus der örtlichen Zeitung geschickt. Deren Chancen auf den Super Bowl (am 4. Februar 2007 übrigens) sind zwar etwa so groß wie die von VFL Bochum auf die deutsche Fußball-Meisterschaft. Trotzdem sind alle Cardinal-Tickets für die gesamte Saison schon ausverkauft. Bei spannenden Sportarten ist das so.

Dieser Autor hatte seinen Kollegen nach dem Ausscheiden der USA bei der Fußball-Weltmeisterschaft erklärt, dass es einen Plan B gibt: Die Amerikaner würden einfach der restlichen Welt Football beibringen und sie dann in Grund und Boden stampfen. Die Kollegen hielten das für einen Spruch. Nix Spruch: Heute fangen wir damit an. Heute gibt es die ultimative Einführung in American Football.

(Das ist natürlich ein unverhohlener Akt des Kulturimperialismus, und deswegen sind alle Leser entschuldigt, die lieber die urgermanische Sportkultur bewahren wollen. Viel Spaß, wir sehen uns dann in zwei oder drei Tagen für den nächsten Eintrag wieder.)

Nun können wir Football hier nicht vollständig erklären. Es ist eine komplexe Sportart, etwa auf einer Ebene mit Schach. Aber wenn man erstmal die zwei Grundprinzipien verstanden hat, kann man sich den Rest selbst herleiten, denn wie Schach ist alles sehr logisch. Wir werden uns daher darauf beschränken, genau diese beiden Prinzipien vorstellen, damit der interessierte Leser sich den Rest schnell anlesen kann. Oder besser, anschauen kann, denn Football lernt man beim Zuschauen (und wer bei „zuschauen“ jetzt an Cheerleader denkt: Sorry, das wird ein eigener Eintrag).

Dieser Autor hat lange mit sich gekämpft, ob er auch gleich die ganzen Fachbegriffe einführt, von tight end über fair catch bis zu unnecessary roughness. Das stört den Lesefluss aber erheblich. Wir werden uns mit zwei Begriffen begnügen, die ohnehin in Deutschland bekannt sind: touchdown und quarterback. Die anderen Vokabeln kommen später von selbst.

Das erste Grundprinzip lautet: Bodengewinn.

Auf dem Football-Platz stehen sich zwei Mannschaften gegenüber, die beide möglichst viel Boden erobern wollen. Wo aktuell die Grenze verläuft, zeigt der Ball an. Deswegen lautet das Ziel für jede Mannschaft: Ball kriegen und nach vorne bringen. Wenn eine Mannschaft das ganze Feld (100 Yards, also etwa 90 Meter) eingenommen hat und mit dem Ball die Zone hinter dem Feld erreicht hat, ist das der besagte Touchdown. Das gibt die meisten Punkte – sechs.

Das zweite Grundprinzip lautet: Spannung.

Man könnte Football natürlich so laufen lassen wie Fußball: Eine Mannschaft hat den Ball so lange, bis die andere ihn irgendwie bekommt. Das wäre aber unerträglich, denn dann könnte man auf Sicherheit spielen und den Ball endlos in den eigenen Reihen hin- und herschieben, ohne dass irgendwas passiert. Fußball halt.

Stattdessen macht man es spannend. Die Mannschaft mit dem Ball muss erstmal zeigen, dass sie mindestens zehn Yards einnehmen kann. Dafür hat sie vier Versuche. Schafft sie es, darf sie sich an weiteren zehn Yards versuchen. Schafft sie es nicht, wird ihr der Ball weggenommen und die anderen sind an der Reihe. So etwas wie einen „strategischen Rückpass“, „den Ball halten“ oder gar „Zeit schinden“ gibt es im Football nicht: Wer keinen Boden gewinnt, hat Probleme. Man kann höchstens versuchen, möglichst langsam Boden zu erobern. Aber es versteht sich von selbst, dass Football echte Spielzeit hat, denn das ist spannender. Die Möglichkeiten zur Verzögerung sind äußerst begrenzt.

Und war es eigentlich schon. Nein, ehrlich. Der ganze Rest lässt sich aus diesen beiden Prinzipien – Bodengewinn und Spannung – herleiten.

Wie bringt man einen Ball möglichst sicher von A nach B? Man hebt ihn auf, klemmt ihn sich unter den Arm und läuft los. Hat man Freunde, halten sie einem den Weg frei, blocken den Gegner. Wie stoppt man einen Mann mit einem Ball? Man hält ihn fest und zieht ihn zu Boden. Aber wenn jeder jeden festhalten könnte, würde das ganze Spiel nach wenigen Minuten eher Rasen-Catchen ähneln, und das wäre langweilig. Daher darf nur der Spieler mit dem Ball festgehalten werden. Bei allen anderen muss man sich damit begnügen, sich ihnen in den Weg zu stellen, sie also zu blocken.

Nur, schon das Aufheben des Balles ist schwierig. Vor einem Spielzug liegt er einfach auf dem Rasen. An einem Ende des Balles stellt sich die angreifende Mannschaft auf, an dem anderen die verteidigende – so nahe stehen sie sich. Um nach dem Anpfiff möglichst schnell nach vorne hechten zu können, geht die Defensive auf alle Viere wie Sprinter am Startblock.

Der Ball muss also zuerst in Sicherheit gebracht werden. Dann müssen die Verteidiger aufgehalten werden, sonst rennen sie alle über den Haufen. Daher gehen auch einige Spieler der Angriffsmannschaft – meistens fünf – ebenfalls auf alle Viere. Anders ist die Wucht des Gegners nicht abzufangen.

Nun ist es aber etwas schwierig, so den Ball aufzuheben. Am besten geht das, wenn der Mann in der Mitte ihn zwischen seinen Beinen nach hinten reicht oder wirft. Dort steht jemand, der dann vor dem ersten Ansturm geschützt ist und dann in (relativer) Ruhe entscheiden kann, wie es weitergeht. Dieser Mann ist der Spielführer, der berühmte Quarterback, der Highschool-Held aller Teenie-Movies. Er kann den Ball jetzt selbst nach vorne tragen oder – sehr viel häufiger – ihn an eine möglichst schnelle, quirlige Person mit den Eigenschaften eines Rammbocks übergeben.

Aber das ist alles mühsam und anstrengend. Wäre es nicht klüger, das Ding nach vorne zu werfen? Der Vorwärtspass ist eine logisch Antwort auf die Frage, wie man den Ball möglichst schnell nach vorne bringt (die primitive Vorstufe verwandte Sportart Rugby kennt dieses Manöver nicht). Wenn aber jeder ständig Vorwärtspässe machen könnte, hätte man Passketten wie beim Handball und das wäre wieder langweilig. Deswegen ist nur ein Vorwärtspass pro Spielzug erlaubt und das auch nur, wenn der Werfer hinter der ursprünglichen Startlinie bleibt.

Auch Pässe sind in der Praxis nicht so einfach. Das Problem ist der Zeitfaktor.

Der Quarterback bekommt den Ball. Er könnte jetzt passen, aber dazu braucht er einen Partner: Jemand muss nach vorne laufen. Das braucht seine Zeit, die aber knapp ist: Die vordere Linie kann nicht lange den Quarterback beschützen, denn sie dürfen den Gegner ja nicht festhalten, sondern nur abblocken. Etwas mehr Zeit gewinnt man, wenn der Quarterback zwei Spieler als „Leibwache“ zur Seite bekommt. Aber nur etwas. Früher oder später brechen die Gegner durch. Daher lautet die Frage bei jedem Passspiel: Kriegt der Quarterback den Ball weg, bevor er geschnappt wird?

Die Passempfänger müssen natürlich möglichst schnell sein. Das ist der Grund, warum die USA in der Leichtathletik immer so weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben: Viele der besten Sprinter gehen zum Football, wo das Gehalt um Zehnerpotenzen höher ist und man zum Volksheld werden kann.

Der Passempfänger wird von einem oder mehreren Verteidigern bewacht. Diese dürfen auch den Ball fangen, oder genauer, abfangen. Wenn sie das schaffen, versuchen sie sofort, Boden gut zu machen, bis hin zum Touchdown. Aus den Jägern werden die Gejagten, von einer Sekunde zur nächsten.

Ja, aber warum überhaupt passen? Warum nicht einfach den Ball nach vorne treten? Das gibt es auch. Dazu stehen die großen weißen Gabeln am Ende des Feldes: Schießt man den Ball zwischen die Stangen, gibt es Punkte. Der Ball wird einem Spieler zugeworfen, der ihn mit der Spitze nach unten auf den Boden stellt und festhält. Ein zweiter Spieler schießt. Das kennen wir aus Peanuts, wenn Lucy Charlie Brown den Ball wegzieht. Bei den Profis sieht man das allerdings eher selten.

Da es langweilig wäre, wenn die Mannschaften ständig nur Feldtore schießen würden, gibt es für diese nur halb so viele Punkte wie für einen Touchdown, nämlich drei. Mehr noch: Um einen Touchdown wertvoller zu machen, erfolgt im Anschluss an ihn ein „Zusatzversuch“. Die Angriffsmannschaft kann dann probieren, ein „Mini-Feldtor“ (ein weiterer Punkt, insgesamt dann sieben) oder einen „Mini-Touchdown“ (zwei weitere Punkte, insgesamt acht) zu erzielen.

Und das ist jetzt endgültig alles, was man am Anfang über Football wissen muss: Bodengewinn und Spannung und was sich logisch daraus herleitet.

Heraus kommt ein geniales Spiel, das die Massen begeistert: Zu einem durchschnittlichen Profi-Football-Spiel kommen 68.000 Zuschauer, zu einem Bundesliga-Spiel gerade mal 39.000. Und was machen die Leute, die nicht mehr ins Stadium passen? Weil die Spiele der Cardinals ausverkauft sind, werden sie in Arizona live im Fernsehen übertragen, im Free-TV. Alle.

Damit ist der Spielplan der NFL schon deswegen wichtig, damit dieser Autor weiß, wann er gar erst nicht probieren muss, die ehrenwerten Eltern im Video-Chat zu erreichen. Sie werden nicht vor dem Computer sitzen, verständlicherweise. Bei spannenden Sportarten ist das so.

(Korrigiert 4. Feb 2007: Datum von Super Bowl)