Da schreibt man seitenweise über den Gesetzgebungsprozess oder die Gewaltenteilung in den USA und es gibt kaum Rücklauf. Aber erwähnt man eine einzige Zeile aus The Matrix, kommen die Nachfragen: Wo genau sagt Trinity im englischen Original Dodge this?
Beim Kampf auf dem Wolkenkratzer, als Neo und Trinity Morpheus befreien wollen (ein Plan, den Tank als loco bezeichnet, ein schönes Beispiel für den Einfluss des Spanischen auf die Populärkultur in den USA). Sie sie kämpfen alles nieder, bis Agent Jones hinter Neo auftaucht. Da dieser nicht zugehört hat, als Morpheus ihm die Sinnlosigkeit von Schüssen auf Agenten erzählte (wie gesagt, dumm wie Dachpappe), leert er seine Magazine auf Jones, der allen Kugeln locker ausweicht (to dodge a bullet).
Nach noch mehr Bullet Time liegt Neo besiegt am Boden. Jones stellt sich über ihn, hebt seine Waffe, bis sie für Neo die Sonne verdunkelt und sagt:
Only human.
Bevor er abdrücken kann, hält ihm Trinity ihre Waffe an den Kopf, sagt Dodge this und streckt ihn nieder. Kurz und knackig, der bester Spruch des ganzen Films.
In der deutschen Version sagt sie dagegen:
Nur eine Maschine.
Hier haben wir ein Beispiel für die wundersamen Dinge, die bei der Synchronisation von amerikanischen Filmen passieren: Was auf Deutsch herauskommt, hat hin und wieder nichts mit dem Original zu tun. Wir werden unsere Rückkehr in die Matrix daher als Anlass für eine kurze Diskussion über dieses Problem nutzen und daran eine Bitte an die Kino-Fans anschließen.
Aus Fairness vorweg: Übersetzen ist die Hölle. Als Zweisprachiger weiß dieser Autor aus eigener Erfahrung, dass man nie dafür die Anerkennung bekommt, die man verdient – wer die Arbeit wirklich würdigen kann, braucht sie schließlich nicht. Die Römer hielten sich griechische Sklaven für ihre Übersetzungen und im Großen und Ganzen trifft das die Einstellung, die bis heute der Zunft entgegengebracht wird.
Es gibt auch Dinge, die nicht sinnvoll übersetzt werden können, bei Filmen zum Beispiel Shakespeare in Love, aber auch Moulin Rouge. Sie sind wegen des Wortwitzes und den Zitaten in fast jedem Satz auf Deutsch nur Schatten ihrer selbst. Das gleiche gibt es natürlich auch umgekehrt, wie Goethe auf Englisch: I call architecture frozen music ist zwar vom Inhalt her korrekt, trifft den Ton des Originals aber überhaupt nicht.
Es soll also hier nicht darum gehen, dass einige Übersetzungen besser sind als andere oder dass es hin und wieder zu Fehlern kommt, die in Internetforen genüsslich auseinander genommen werden – so etwas passiert, wo Menschen arbeiten. Auch über die Gewalt, die regelmäßig der Sprachebene angetan wird, wollen wir hinwegsehen – wie in Alien 3, wo die Insassen des Gefängnisses im Original in dumpfen Kraftausdrücken sprechen, in der deutschen Version aber wie leicht verwirrte Gymnasiasten daherkommen. Selbst die Fälle, in denen die Synchronisatoren plötzlich glauben, selbst kreativ werden zu müssen und zusätzlichen, unfassbar dummen Text einbauen wie bei Hot Shots wollen wir hier nicht behandeln. Es geht um Fälle, wo der Sinn verändert wird.
Das kommt leider regelmäßig vor – Dodge this ist noch harmlos. Wir haben schon festgehalten, dass bei der Eindeutschung systematisch die Hinweise auf den Nationalsozialismus entfernt werden. Einige Leute (hauptsächlich Banausen) werden das bei Buffy nicht so schlimm finden, aber was ist mit Casablanca?
Nach Kriegsende werden in „Casablanca“ die Nazis schlicht zu Ganoven verniedlicht, bis man der Film-Legende endlich eine neue Übersetzung gönnt.
Auch Hitchcocks Notorious wurde entfremdet. Und über die gezielte Entstellung der Originalserie von Star Trek sind wissenschaftliche Arbeiten geschrieben worden.
Bleiben wir bei diesem Beispiel, weil es die meisten interessierten Leser kennen dürften: Star Trek – „Raumschiff Enterprise“ – galt (und gilt vielen noch) in Deutschland als Kinderkram. Die Vorstellung, dass erwachsene Amerikaner sich das nicht nur anschauen, sondern zum Kult erhoben haben, löste Kopfschütteln aus – wir sind wieder bei der angeblichen Oberflächlichkeit des gemeinen US-Bürgers.
Nur, in der Originalversion ist Star Trek ganz und gar nicht für Kinder. Es herrscht ein militärischer Tonfall, niemand wird mit „Spitzohr“ angeredet wird und Spock leidet nicht am „Weltraumfieber“ sondern muss sehr, sehr dringend vögeln. Die alberne, kindliche, ja puritanische Version von Star Trek ist ein Produkt der Synchronisation, also eine rein deutsche Schöpfung. Dummerweise sahen einige Leute aber genau in Star Trek ihre Vorurteile über die USA bestätigt.
Star Trek ist ein extremes Beispiel, und aus diesem Fehler hat man offenbar gelernt. Bei der Zeichentrickserie South Park wird zwar weiter kräftig bei der Synchronisation zensiert – unter anderem werden die Witze mit jüdischem Bezug entfernt – aber es wurde nicht versucht, daraus eine Kinderserie zu machen. Bei The Simpsons gibt es auch viel an der Synchronisation auszusetzen, aber generell ist ein Bemühen erkennbar.
Bei Buffy, South Park und der ersten Übersetzung von Casablanca sehen wir übrigens auch, welchen Schaden diese „kreative“ Synchronisation in umgekehrter Richtung anrichtet: Sie verhindert, dass Deutsche sich ein realistisches Bild davon machen, wie sie in US-Medien dargestellt werden.
Den wenigsten Deutschen ist zum Beispiel klar, dass die Bösen in Die Hard (dt. „Stirb langsam“) ihre Landsleute sein sollen. „Jack“ heißt im Original Hans, „Charlie“ heißt Karl und „Henry“ ist Heinrich. Sie reden Deutsch. Dass der deutsche Dialog im Original unfreiwillig komisch ist, ist keine Entschuldigung: Auch die deutschen Stimmen in Schindlers Liste wurden nachsynchronisiert, ohne dass man dabei gleich die SS zu einer irischen Terror-Gruppe machte.
Bei Die Hard kann man aber argumentieren, dass die Veränderung aus kommerziellen Gründen ein Muss war: Die wenigsten Leute zahlen für einen Film, in dem sie als Terroristen dargestellt werden. Das Beispiel zeigt uns, dass wir nicht von einer großen antiamerikanische Verschwörung der Synchronisatoren ausgehen sollten. Auch eine bestimmte Tendenz, wie sie bei deutschen Medien diskutiert wird, vermag dieser Autor nicht zu erkennen (außer natürlich, dass man keine Nazis mag).
Werke aus anderen Ländern sind von solchen Eingriffen ebenfalls betroffen, es richtet sich also nicht nur gegen die USA. Selbst Pippi Langstrumpf hat im schwedischen Original eine ganz andere Stoßrichtung:
Immer wieder offenbare sich in der deutschen Übersetzung ein erzieherischer Grundtenor. Ganze Passagen seien weggelassen oder umgeschrieben worden.
Vor diesem Hintergrund hat dieser Autor eine Bitte:
Wer unbedingt meint, von einem Hollywood-Film aus auf die Amerikaner oder das Wesen der USA schließen zu müssen, soll es doch bitte wenigstens auf der Grundlage des Originals tun und nicht mit Hilfe der deutschen Synchronisation.
Von den deutschen Folgen von Star Trek auf das Niveau des US-Zuschauers zu schließen ist, nun, albern. Aus South Park kann man einiges über den amerikanischen Humor lernen, aber nicht, nachdem die Synchronisation alles eingedeutscht und ganze Kategorien von Witzen entfernt hat. Selbst „Willkommen im Dreck“ trifft zu ungenau Welcome to the suck: „Suck“ ist auch eine Kritik an dem Marine Corps (wie in this place sucks), die beim „Dreck“ verloren geht. Subtil, aber wichtig, wenn man den Film verstehen will.
Ja, dazu muss man Englisch können, aber wer sich mit den USA befassen will, kommt daran irgendwann ohnehin nicht vorbei. Überhaupt sollte man sich sehr sicher sein, dass man das richtige Rüstzeug für eine Interpretation mitbringt: Um bei Sam Mendes zu bleiben, wer über American Beauty und seine Bedeutung für die amerikanische Mittelschicht schreibt, sollte zumindest wissen, worauf der Titel anspielt.
Was bedeutet das alles für Trinity? Dodge this kann tatsächlich nicht direkt übersetzt werden, außer mit etwas wie „Wenn du wirklich so schnell bist, du Arsch, dann weiche doch dem hier aus“, und das ist zu lang. Das „Arsch“ ist gerechtfertigt, denn die Konstruktion mit „[VERB] this“ ist eine festgelegte Redewendung mit einem aggressiven Unterton (siehe kiss this, etwa „Leck mich“).
Bei „Nur eine Maschine“ fehlt diese aggressive Komponente, was schlecht ist, denn Trinity ist eine aggressive, gewalttätige Figur, wenn auch eine mit enormer Selbstkontrolle. Der Sinn wird zumindest angekratzt. Die deutsche Version betont immerhin einen anderen Aspekt ihres Charakters, ihre Schlagfertigkeit (als Neo auf der Fetisch/SM-Party seine sexistische Bemerkungen über Hacker macht, bekommen wir das erste Beispiel dafür).
Einen wirklich besseren Vorschlag hat dieser Autor am Ende leider auch nicht. „Schluss jetzt“ behält die Aggressivität, ist aber nicht cool, und Trinity ist saucool. Vielleicht hätte es eine ganz einfache Alternative gegeben: „Kuckuck“. Das hat was, ist aber ziemlich weit weg von Dodge this.
Manchmal bleibt halt nur das Original.