Nachdem wir uns die Einzelteile des Bundes angeschaut haben, gehen wir zum Abschluss nochmal auf drei Aspekte des Gesamtsystems ein, die nicht unbedingt offensichtlich sind.
1. Es gibt keine Koalitionsgespräche.
Parlamentarische Demokratien fallen nach jeder Wahl in eine Phase der Handlungsunfähigkeit, weil sie zunächst durchdiskutieren müssen, wer mit wem regiert – die berüchtigten Koalitionsgespräche. Je nach Sitzverteilung und der Zahl der Parteien kann das Tage oder Monate dauern. Das abschreckendste Beispiel in jüngster Zeit war vermutlich der Irak, wo die Politiker sich trotz der Gewalt fast ein halbes Jahr nicht auf eine Regierung einigen konnten. Stehen die Koalitionen, müssen sie gepflegt werden. Wie viel Spaß das macht, zeigen im Moment (Oktober 2006) die Polen, aber auch die Große Koalition in Berlin.
In einem Kongress-System entfällt das alles. Wegen der Direktwahl und des fehlenden Fraktionszwangs gibt es überhaupt keine Koalitionsgespräche (da es meist nur zwei Parteien gibt, wäre das ohnehin albern). Nach einer Wahl müssen zwar die Posten in den Ausschüssen verteilt werden und den neuen Abgeordneten muss gezeigt werden, wo im Kapitol die Toiletten sind. Aber im Prinzip ist der Kongress sofort handlungsfähig.
Der Preis dafür ist allerdings, dass bei jeder einzelnen Abstimmung neu verhandelt werden muss, denn jedes Mal muss eine neue Mehrheit gefunden werden: Nicht jeder folgt den Vorgaben seiner Partei. Der Kuhhandel findet dabei zwischen einzelnen Abgeordneten und nicht zwischen den Parteien statt. Es schreien sich auch nicht zwei oder drei Parteichefs an, sondern gleich mehrere Dutzend Menschen, die alle ihren Wählern zeigen müssen, dass sie ihr Geld wert sind.
Steht dagegen endlich die Mehrheit in einer parlamentarischen Demokratie, können Gesetze wegen der festen, durch Fraktionszwang gesicherten Mehrheit zügig verabschiedet werden (was in den USA allerdings gar nicht erwünscht ist). Das Kongress-System mag zwar stabiler sein, aber es ist auch sehr viel lauter und oft langsamer.
Die deswegen vom Bürger abverlangte Geduld – in einigen Fällen wäre „Frustrationstoleranz“ wohl das bessere Wort – ist nichts für Staaten, die gerade eine Diktatur hinter sich haben, denn dort ist der Entscheidungsprozess bekanntlich sehr effektiv. Es fällt auf, dass zwar die von Spanien eroberten Kolonien Philippinen und Kuba bei der Unabhängigkeit ein Kongress-System erhielten, Deutschland, Japan, Afghanistan und der Irak dagegen nicht.
2. Der Präsident kann den Kongress nicht auflösen.
Können sich die Parteien in einer parlamentarischen Demokratie nicht auf eine Koalition einigen oder zerbricht sie während der Legislaturperiode, bleibt oft nur der Reset-Knopf: Auflösung des Parlaments und vorgezogene Wahlen. Auch das kennen die USA nicht. Da der Präsident direkt gewählt wird, ist die Exekutive nicht von der Legislative abhängig – wenn diese völlig zerstritten ist, werden halt keine neuen Gesetze verabschiedet (nicht unbedingt ein Problem) und auch nicht der Haushalt (schon eher schlecht). Aber das Land wird weiter regiert. In solchen Fällen fällt dem Bürger wieder auf, dass der Bund für den Alltag eh nicht so wichtig ist.
Komplett abwegig ist für Amerikaner die Vorstellung, dass der Präsident den Kongress auflösen können soll. Hier ist nicht nur die völlig andere Funktion des „Präsidenten“ in einer parlamentarischen Demokratie wichtig (eine häufige Frage von Amerikanern zum deutschen System ist, wozu man überhaupt den Bundespräsidenten braucht). Wir sind auch wieder beim Prinzip der Gewaltenteilung: Exekutive und Legislative sind unabhängig von einander. Das Volk hat sie eingesetzt, das Volk soll sie auch wieder absetzen.
3. Gewählt wird immer, egal was.
In den meisten parlamentarischen Demokratien gibt es für Notzeiten wie Krieg besondere Regeln: In Deutschland zum Beispiel werden im Verteidigungsfall nach Grundgesetz Artikel 115h die Wahlen ausgesetzt und die Legislative in ein Einkammer-System umgewandelt. Einen solchen „Kriegsmodus“ kennt die US-Verfassung nicht: Gewählt wird immer. Auch 1864, mitten im Bürgerkrieg, musste sich Abraham Lincoln den Wählern stellen. Gerade im Krieg sollte man wählen, würden viele Amerikaner sagen: Als zu groß gilt in die Gefahr, dass die Exekutive über solche Notstandsgesetze eine faktische Diktatur errichtet.
Wahlen finden in den USA wie nach einem Uhrwerk statt: Alle graden Jahre im November. Das ist in parlamentarischen Demokratien nicht möglich, weil man nach einer Auflösung des Parlaments nicht bis zu vier Jahre auf den nächsten Wahltermin warten kann. Früher oder später geraten diese Systeme aus dem Tritt. Da die Wahl der Gouverneure, der Parlamente der Bundesstaaten, der Bürgermeister und öffentlichen Ämter und auch die Volksbefragungen zusammen mit den Bundeswahlen abgehalten werden, haben die USA auch nicht das in Deutschland bemängelte Problem des ständigen Wahlkampfes. Der ganze Zirkus wird auf einmal abgefeiert. Dafür natürlich um so heftiger.
Und damit endet unsere Betrachtung des Bundes. Wir werden immer wieder zu Einzelpunkten zurückkehren, und dieser Autor ist natürlich für Fragen zu Aspekten dankbar, die noch fehlen könnten.