Wo die K-Straße liegt

Juni 20, 2013

Frank Bruni von der „New York Times“ hat mehrere Fragen zu der angeblichen geheimen Schwulenlobby im Vatikan, insbesondere warum sie so „spektakulär ineffektiv“ sei (Hervorhebung hinzugefügt):

You wouldn’t last a minute on K Street; the Karl Roves of the capital would have you for lunch.

Diese „K-Straße“ hat nichts mit dem Werk von Franz Kafka zu tun, hier führt der Hinweis auf den republikanischen Berater Rove auf die richtige Fährte. Es ist der Name einer Straße in der Hauptstadt Washington, wo früher die großen Lobby-Verbände angesiedelt waren. Als solches ist der Begriff negativ besetzt, denn hier, so der Vorwurf, töten die Interessenverbände die Demokratie. Wie die „Washington Post“ es vor der Wahl 2012 beschrieb:

It’s the symbol of all that’s wrong with Washington, the front line where the Occupiers dug their anti-authoritarian trenches, the boulevard that has been shorthand for capital corruption during recent Republican debates.

Von den 20 größten Lobby-Firmen, so die Zeitung, hat allerdings heute nur eine noch ihre Büros auf der K Street. Kein Wunder bei dem schlechten Ruf.


Warum Dal Riata nicht nur der Name einer Kneipe für notgeile Dämoninnen ist

Juni 13, 2013

Wir haben viel zu lange nicht mehr über die kanadische TV-Serie Lost Girl geschrieben, und das wo in der vierten Staffel doch George Takei als Gastdarsteller auftreten wird. Schauen wir uns daher heute genauer an, wo sich die Fae treffen, um mal in Ruhe ein Bier zu trinken: In einer Kneipe, die in der Serie nur „The Dal“ genannt wird, aber mit vollem Namen „The Dál Riata“ heißt.

Over a century old, the Irish-themed pub also acts as a Waypoint, neutral ground and a place for visitors to check in.

Die irische Einrichtung wundert nicht, denn Dál Riata ist der Name eines Königreiches im späten 6. und frühen 7. Jahrhundert, das aus Teilen von Irland und Schottland bestand.

Die sehr kurze Version seiner Geschichte lautet etwa so: Unter König Fergus Mor sind die Iren um etwa 500 n.Chr. in West-Schottland eingefallen und haben das Reich errichtet. Später gab es einen Bürgerkrieg, bis König Fercher Fota wieder für Ordnung sorgte — er ist wichtig, weil ein gewisser Macbeth von ihm abstammen soll. In den 740er Jahren fielen die Picts in Dál Riata ein. Später gaben die Wikinger ihnen den Rest. Dál Riata wurde Teil des Königreiches Alba.

Der Name scheint Germanen verständlicherweise nicht geläufig zu sein. Dieser Autor wollte ursprünglich schreiben, dass er auch nicht notwendigerweise jedem Amerikaner (oder Kanadier) bekannt sein dürfte.

Allerdings kommt Dál Riata häufiger in historischen und Fantasy-Romanen vor, als ihm klar war, darunter in Kushiel’s Dart von Jacqueline Carey, das seit Jahren ungelesen bei den Stevensons im Bücherschrank steht. Offenbar sind die Leute da so lüstern wie in Lost Girl (dass beide Werke von Buffy beeinflusst wurden, versteht sich von selbst).

In The Dal bei Lost Girl geht es allerdings nicht nur irisch zu, sondern auch ziemlich jüdisch. In einem Review der Serie schreibt io9, die Kultur der Fae sei „half-Jewish, half-Celtic, and all crazy“:

Whenever we go to the Dal and see traditional fae holidays being celebrated, it becomes abundantly clear that the fae are basically Irish Jews. They drink like crazy and then do the hora. They have secret books written in an ancient language and then they do the riverdance.

Wobei man sagen muss: Wenn die Succubus Bo im Dal auf dem Tisch tanzt, sieht das absolut nicht wie Riverdance aus. Oder dieser Autor muss sich das doch vielleicht mal im Theater anschauen.


Mulligans und Magic-Monster

Juni 7, 2013

In Vorbereitung eines Umbaus im Wohnzimmer haben wir nach Jahren einen Schrank in der hintersten Ecke des Wohnzimmers ausgeräumt. Dabei ist uns eine deutsche Ausgabe des Fantasy-Kartenspiels Magic: The Gathering aus den 90er Jahren vor die Füße gefallen. Dieser Autor hatte vergessen, wie grausam das damals war: die Übersetzung fragwürdig, die Kunst minderwertig, die Regeln umständlich erklärt. Kind Nummer Eins hat sich trotzdem sofort in das Spiel verliebt. Damit erübrigt sich wohl jeder Vaterschaftstest.

Wir haben daher ein neues, englisches duel deck geholt (für Freaks: Ajani vs. Nicol Bolas), denn man soll nie eine Gelegenheit auslassen, das Vokabular auszubauen. Kind Nummer Eins lernt jetzt so nützliche Begriffe wie Jungle Shrine, tap, untap, exile, artifact creature und natürlich mulligan.

Moment, mulligan?

Das passt schon allein von der Sprache her nicht in ein Spiel, in dem Namen wie Steamcore Weird, Terramorphic Expanse oder Profane Command üblich sind. Tatsächlich ist das ein Begriff, der vom Golf kommt und sich im Englischen inzwischen verselbstständigt hat. Damit wird eine zweite Chance bezeichnet, zum Beispiel ein zweiter Abschlag bei einer informellen Golfrunde, wenn der erste komplett verunglückt ist.

(Oder so. Dieser Autor hat keinen blassen Schimmer von Golf und weiß nur, dass man die anderen Spieler nicht mit dem Schläger hauen darf und dass irgendwelche Tiger mitspielen, auch wenn das unwahrscheinlich klingt.)

Der Ursprung des Namens ist unklar. Die United States Golf Association (USGA) listet gleich drei Geschichten zu einem gewissen David Mulligan auf, der in Kanada in den 20er Jahren sich einen zweiten Schlag genehmigt haben soll.

Wie auch immer, wir finden den Begriff inzwischen auch bei politischen Diskussionen, wie zu Griechenlands Politik in der Schuldenkrise:

Greece wants two mulligans — like a golfer demanding second chance, a do-over tee shot, times two. The immediate and obvious mulligan is a new national election. (…) The second mulligan, The Big Greek Mulligan, is another matter entirely. What Greece really wants is a complete eurozone do-over — a restart, from scratch, with all debts forgiven.

Bei Magic besteht der Mulligan darin, dass man die am Anfang ausgeteilten Karten zurückgeben und neue erhalten kann. Allerdings zieht man dann zur Strafe eine weniger.

Das Spiel selbst hat in den vergangenen Jahren übrigens erstaunliche Fortschritte gemacht. Die Regeln sind zwar immer noch kompliziert, aber werden (zumindest auf Englisch) besser erklärt und die Kunst auf den Karten ist zum Teil schlicht umwerfend. Nur bei der Preispolitik, da scheint sich nicht viel geändert zu haben.


Einige Bemerkungen zu älteren (und abgeschwächten) englischen Schimpfwörtern

Mai 30, 2013

Als Teil ihrer kulturellen Bildung wird Kind Nummer Eins langsam in das Marvel-Universum eingeführt, denn offenbar bekommt die Jugend von heute auf dem Schulhof nur The Clone Wars und Harry Potter vermittelt. Die bisherige Entwicklung ist vielversprechend: Letztens wollte sie wissen, warum Spiderman nicht bei The Avengers mitspielt, eine Frage, die dieser Autor an den örtlichen Comic-Experten und interessierten Leser CHR weiterleiten musste.

Der etwas ernstere pädagogische Hintergrund sind die Diskussionen, die sich aus den Filmen entwickeln. Da wäre der auffällige Mangel an starken weiblichen Figuren in The Avengers (und das bei Joss Whedon), die moralischen Fragen von Tony Starks Rüstungsgeschäften oder einfach die Spannungen, die aus den unterschiedlichen Persönlichkeiten von Iron Man und Captain America entstehen, obwohl beide eigentlich zu den Guten gehören. Kind Nummer Eins hat die Begriffe chaotic good und lawful good jetzt wenigstens schon mal gehört.

Allerdings ist es gerade Captain America, der Probleme bereiten könnte, denn hier muss sehr viel Hintergrund mitgegeben werden. Da wäre der ganze Komplex des Zweiten Weltkriegs, der nicht einfacher dadurch wird, dass die eine Seite der Familie gegen die andere gekämpft hat. Die gesellschaftliche Rolle der Frau in den 40er Jahren ist da schon einfacher, besonders für jemand, die irgendwie alles über Ahsoka Tano und Aayla Secura zu wissen scheint und entsprechend erwartet, dass Frauen auch an vorderster Front gegen das Böse kämpfen.

Dazu kommt noch die veraltete Sprache. Ähnlich wie kein Mensch im Deutschen noch ernsthaft von „Ganoven“ oder „Schurken“ spricht, hat das Englische eine ganze Reihe von antiquierten Begriffen, die sich bei solchen Filmen wunderbar hervorkramen lassen.

Wir werden uns heute mit einigen der älteren Schimpfwörter und Ausrufen befassen, denn deren Charakter überlebt meist die Synchronisation nicht, sie werden nicht in der Schule gelehrt und sind in Buch und Film wichtige Marker, um die Persönlichkeit der Figuren zu beschreiben. Während wir dabei sind, nehmen wir einige der vergleichsweise höflicheren Begriffe dazu. Umgekehrt muss man Amerikanern schließlich auch erst erklären, warum Germanen „Scheibenkleister“ rufen, wenn sie sich mit dem Hammer auf den Daumen gehauen haben.

Fangen wir mit damned! an, also „verdammt“. Ähnlich wie es im Deutschen das eher historische „verflixt“ gibt, wartet das Englische auf mit

darn, darn-it, drats, dog-gone

Das wird dann in Filmen wie The Hangover für witzige Dialoge benutzt:

Phil Wenneck: God damn it!
Alan Garner: Gosh darn it!
Phil Wenneck: Shit!
Alan Garner: Shoot!

Womit wir auch gosh für God eingeführt hätten (golly ist eine richtig veraltete Variante) und shoot für shit. Letzteres gibt es in einer etwas abgeschwächten, aber immer noch relativ mächtigen Variante als crap, sonst auch als sheesh oder shucks. Für Jesus gibt es jeez und heck für hell. Offenbar gibt es für den Heiligen Geist keine entschärfte Form.

Wer eine Alternative für das Allzweck-Schimpfwort fuck sucht, wird bei fricking fündig. Wegen Battlestar Galactica hat es allerdings in den Medien ernsthafte Konkurrenz von frak bekommen. Die ursprüngliche Schreibweise hatte ein „c“. In dieser Form finden wir es zum Beispiel auch in einem Stück von 2007 über die Zustimmung der damaligen US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton zum Irak-Krieg:

Most of the presidential candidates have gotten the „I fracked up the vote“ stuff out of the way last year.

Für den reboot von BSG wurde das Wort dann auf frak verkürzt, vermutlich damit es ein echtes four-letter-word — Schimpfwort — sein kann. Die Wikipedia listet die Verwendung in TV-Serien wie Eureka, The Big Bang Theory, Veronica Mars, 21 Jump Street, Better Off Ted, Warehouse 13, Chuck, 30 Rock, Babylon 5, Transformers: Prime und Castle auf, was dieser Autor jetzt nicht überprüft. Glaubwürdig ist das schon, denn wir haben bei den meisten dieser Sendungen einen Bezug zu Nerds. Und was sagt Kennedy in Buffy Staffel 8, Heft 18 zu Willow, als diese frustriert frak ruft?

Hey, baby, there’s no reason to curse like a nerd.

Überhaupt, Buffy. Wie der regelmäßige interessierte Leser mitbekommen haben wird, liegt es zum großen Teil am Wortwitz der Serie, dass sie in den englischsprachigen Ländern ein Erfolg wurde, während in Deutschland die Synchro wieder ganze Arbeit leistete.

Besonders Willow Rosenberg bietet viele Gelegenheiten für Spielereien, da sie sich von einer braven Schulstreberin zu einer lesbischen Wicca entwickelt (und dabei ihre jüdische Identität aufgibt). Nehmen wir die Stelle, an der sie die Kraft der magischen Axt auf alle potenziellen Slayerinnen übertragen hat [YouTube]:

That was nifty.

Nifty ist hier nicht nur klassisches understatement — Willow ist für kurze Zeit so etwas wie eine Göttin geworden — sondern ein wundbar altmodisches Wort, das in dieser Extremsituation ihren immer noch spießigen Kern enthüllt. Der interessierte Leser mag es mal selbst im Englischen als Synonym für cool verwenden und gucken, wie anwesenden Angelsachsen reagieren.

Die aufgeführten Begriffe sind natürlich nur eine Auswahl. Im Internet finden sich ganze Listen wie „141 Alternative Ways to Cuss Politely“ (dort auch bummer als Ausruf). Ohnehin müssen wir einschränken, dass dieser Autor schon wegen seines Alters keine Ahnung vom gängigen Slang in den USA hat. Mag sein, dass gosh in gewissen Kreisen wieder total angesagt ist.

Wem golly und nifty zu neumodisch sind, kann sich — wie immer im Englischen — mit Shakespeare behelfen. Was uns wieder zu The Avengers zurückbringt: Den Witz mit Shakespeare in the Park“ musste dieser Autor dann doch noch erklären.


ZEUGS: Die EuroVision-Ausgabe

Mai 18, 2013

Heute Abend ist EuroVision, ein Pflichttermin im Hause Stevenson. Allerdings, wenn dieser Autor ehrlich ist, vermisst er die alten, durch irgendwelche Gremien getroffenen Bewertungen, an denen man die politischen Verhältnisse in Europa nachvollziehen konnte — wenn Griechenland und die Türkei sich so gar keine Punkte gegeben haben, zum Beispiel.

Wie auch immer, zu Hintergrundmusik aus Schweden:

  • Zu logischen Straßennamen: Der interessierte Leser KK weist auf die Theorie hin, dass die Straßen in Europa doch geplant waren. Das wäre eine Sensation:

    Dass dahinter präzise vermessene Grundmuster stecken könnten, klingt für Experten ungefähr so abwegig wie die Vorstellung, jemand habe Österreichs Alpentäler am Reißbrett entworfen.

    Slartibartfast war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

  • Zu Religion: Der Anteil an Christen unter den US-Einwanderern nimmt ab, von 68 Prozent im Jahr 1992 auf 61 Prozent 2012. Der Anteil der Muslime hat sich von fünf auf zehn Prozent verdoppelt — 100.000 Hinzugezogene im vergangenen Jahr.
  • Zu Religion in den Streitkräften: Da wollte eine Kampfstaffel der Marines ihren Namen von Werewolves zu Crusaders wechseln, komplett mit einem Wappen mit einem Kreuz auf einem Schild. Das wurde aber unterbunden. Jetzt haben sie sich, äh, zurückverwandelt. Noch zur Kuba-Krise war man weniger zimperlich, wie die Piloten der Vought F-8 „Crusader“ bestätigen können.
  • Zu dem „Bush-ist-blöd“-Aussprachesystem: Die „New York Times“ hilft ihren Lesern bei der Aussprache des Namens von dem mutmaßlichen Bombenleger von Boston auf die Sprünge (Hervorhebung hinzugefügt):

    The older brother, Tamerlan Tsarnaev, (tam-arr-lawn tsar-NAH-yev) was interviewed by the F.B.I. in 2011

    Wer den Anschlag in den deutschen Medien verfolgt hat, wird bei der Schreibweise des Namens gestutzt haben: Der Mann ist US-Staatsbürger und deren Namen werden eigentlich nicht transkribiert. Warum steht dann immer „Zarnajew“? Hier schloss die deutsche Presse aus seiner tschetschenischen Herkunft vorschnell, dass er russischer Staatsbürger sei. Anschließend ist man dabei geblieben, um die Leser nicht zu verwirren.

  • Zum Unabhängigkeitskrieg: Der britische König George III. ist in die Geschichte eingegangen als der Depp, der die Kolonien verloren hat. Allgemein geht man davon aus, dass er an der Stoffwechselkrankheit Prophyrie litt, die mit starken Schmerzen und auch psychischen Symptomen einhergehen kann. Dummes Zeug, sagten jetzt andere Wissenschaftler: Der Mann litt an einer bipolaren Störung, war also demnach manisch-depressiv.

    George’s being in a manic state would also match contemporary descriptions of his illness by witnesses. They spoke of his „incessant loquacity“ and his habit of talking until the foam ran out of his mouth.

    Wie auch immer, unter Elizabeth II. wäre das alles ganz anders ausgegangen.

  • Zu Deutsch in den USA: Ein BBC-Bericht beschäftigt sich mit dem Aussterben des „Texas German“.
  • Zu prüden Amerikanern: In New York City können Frauen jetzt auch straflos oben ohne herumlaufen [grenzwertig NSFW]. Hintergrund ist die Forderung, dass beide Geschlechter vor dem Gesetz gleich behandelt werden:

    [I]t is encouraging to see the police responding positively to gender bias, even on such a seemingly small scale. After all, no one thinks twice about a man shirtless on a summer day.

    Kommt auf den Mann an, würde dieser Autor sagen.

  • Zu Happy Trails: Der interessierte Leser M hat sich beschwert, weil in dem Artikel ein Hinweis auf das gleichnamige Album von Quicksilver Messenger Service fehlt. Das geht natürlich überhaupt nicht. Passt nur nicht wirklich zur EuroVision …

Warum Festgenommene in den USA (meist) ihre Rechte vorgelesen bekommen

Mai 6, 2013

Jeder deutsche Fernsehzuschauer kennt das: Man guckt gerade eine US-Krimiserie. Nach einer wilden Verfolgungsjagd wird der Bösewicht festgenommen. Die Handschellen klicken, der Polizist macht den Mund auf und man hört:

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Gut, das ist die deutsche Werbung. Aber wenn danach endlich die Episode weitergeht, kommt eine mehr oder weniger gelungene Übersetzung von etwas wie:

You have the right to remain silent. Anything you say can and will be used against you in a court of law. You have a right to an attorney. If you cannot afford an attorney, one will be appointed for you.

Der Spruch kann je nach Bundesstaat und Kommune variieren.

Es handelt sich um die Miranda Warning, benannt nach dem Urteil Miranda vs Arizona des Supreme Court aus dem Jahr 1966. Der Festgenommene wird damit an seine Rechte entsprechend dem Fünften Verfassungszusatz erinnert, insbesondere, dass er sich nicht selbst belasten muss. Wir hatten im Zusammenhang mit einer Buffy-Folge über taking the Fifth gesprochen.

Das Gericht begründete die Notwendigkeit mit der einschüchternden Wirkung, die das moderne Umfeld einer Befragung habe. Der Fünfte Verfassungszusatz verlangt aber, dass die Aussagen wirklich freiwillig gemacht werden, wenn sie vor Gericht zulässig sein sollen.

Unless adequate preventive measures are taken to dispel the compulsion inherent in custodial surroundings, no statement obtained from the defendant can truly be the product of his free choice.

Die Entscheidung des Gerichts war und ist bis heute kontrovers. Kritiker sind empört, dass man zu vielen bösen Menschen damit ermögliche, einem gerechten Urteil zu entkommen. Der Kongress verabschiedete sogar ein Gesetz, um Miranda zu umgehen. Der Supreme Court knallte das den Abgeordneten allerdings im Jahr 2000 in Dickerson vs The United States links und rechts um die Ohren, denn ein Urteil des Gericht hat mehr Gewicht als ein Gesetz des Kongresses:

Miranda, being a constitutional decision of this Court, may not be in effect overruled by an Act of Congress.

Wer hier zwischen den Zeilen etwas im Sinne von fuck off zu lesen glaubt, liegt vermutlich nicht ganz falsch. Mehr noch, das Gericht befand, dass Miranda inzwischen ein Eigenleben entwickelt hat und zum Teil der amerikanischen Rechtskultur geworden ist.

Miranda has become embedded in routine police practice to the point where the warnings have become part of our national culture.

Es ist allerdings wichtig, die Anwendbarkeit zu verstehen. Miranda greift nur nach der Festnahme — wenn man dem Polizisten vorher bei einer netten Plauderei erzählt, was man alles Böses getan hat, ist man selbst Schuld. Bekommt man keine Rechtsbelehrung bei der Festnahme, heißt das auch nicht, dass der Fall rausgeschmissen wird. Es bedeutet nur, dass die entsprechenden Aussagen des Festgenommen vor Gericht möglicherweise nicht verwendet werden können. Man kann also nicht wirklich von einem „Recht“ auf Miranda sprechen.

In der Praxis ist das alles natürlich komplizierter als in diesem Eintrag (oder im Fernsehen) dargestellt. Dieser Autor ist kein Anwalt (und die Drehbuchautoren meistens auch nicht).

Auf eine wichtige Ausnahme zu Miranda müssen wir trotzdem eingehen: Die public safety exception. Wenn eine akute, objektive Gefahr für die Allgemeinheit besteht, darf der Verdächtige gezielt zu dieser Gefahr befragt werden, ohne dass ihm die Rechte vorgelesen werden müssen. Das geht auf den Fall New York vs Quarles von 1984 zurück, als ein Polizist nach einer Vergewaltigung den mutmaßlichen Täter nach dem Verbleib seiner Schusswaffe befragte, bevor er Miranda bemühte. Da die herumliegende Waffe eine Gefahr darstellte, fand das Gericht das in Ordnung.

An sich ist diese Ausnahme (vergleichsweise) unstrittig. Allerdings werfen Bürgerrechtler Präsident Barack Obama vor, Miranda mit ihrer Hilfe aushöhlen zu wollen. In einer Mitteilung des Justizministeriums an die Bundesermittlungsbehörde FBI vom Oktober 2010 hieß es, manchmal sei es halt für den Staat wichtiger an Informationen zu gelangen, auch wenn keine unmittelbare Gefahr drohe.

[T]here may be exceptional cases in which, although all relevant public safety questions have been asked, agents nonetheless conclude that continued unwarned interrogation is necessary to collect valuable and timely intelligence not related to any immediate threat, and that the government’s interest in obtaining this intelligence outweighs the disadvantages of proceeding with unwarned interrogation.

Die New York Times erfuhr zuerst von der Anweisung. Die Regierung lehnte eine Veröffentlichung des Dokumentes ab. Es wurde später Zeitungen zugespielt. Der Supreme Court hat sich noch nicht dazu geäußert.

Die Debatte darüber kam im April dieses Jahres nach dem Bombenanschlag auf den Boston Marathon wieder auf, als die Obama-Regierung ankündigte, der schwer verletzte Tatverdächtige Dzhokhar Tsarnaev werde noch im Krankenhaus befragt, ohne vorher eine Belehrung zu erhalten. Ob am Ende Miranda eine Rolle bei seiner Verurteilung spielt, werden wir vor Gericht erfahren.


META: Blogpause bis zum 6. Mai 2013

April 22, 2013

Wir haben wieder eine Phase, in der im Hause Stevenson viel zu viel auf einmal passiert. Daher ruht das Blog bis Montag, den 6. Mai 2013. Eigentlich würde sich der Star Wars Day anbieten — der 4. Mai, denn May the Fourth be with you — aber das lässt sich nicht einrichten. Wieder ein Sieg für das Imperium.


Zur Erinnerung: Der Aufbau der US-Polizei

April 19, 2013

Bei der Berichterstattung und den Kommentaren über die Jagd nach den Boston-Attentätern wird (verständlicherweise) eine gewisse Verwirrung über die Struktur der amerikanischen Polizei deutlich. Zur Erinnerung: Wir hatten den allgemeinen Aufbau bereits besprochen und getrennt darauf hingewiesen, dass die Universitäten wegen ihrer großen Autonomie auch eigene Beamten stellen. Der in der Nacht getötete Polizist gehörte also tatsächlich zum MIT.


ZEUGS: Nazi-Banden, Sperma-Exporte und Wonder-Woman-Pornos

April 13, 2013

Ich hätte ja gerne noch Außerirdische, Elvis und irgendwas mit Tieren in die Überschrift gepackt, aber so viel Platz war nicht. Zum Frühlingsanfang und nach dem Umgraben des Pädagogischen Gemüsegartens eine kurze ZEUGS-Liste mit diesmal wahrhaft seltsamen Themen:

  • Zu US-Schulen, um die ernsten Einträge an den Anfang zu stellen: Wir haben immer noch vor, auf den Aufbau den Schulsystems und die Diskussion über home schooling einzugehen. Heute zwei Beispiele, warum das öffentliche Schulsystem in den USA nicht unbedingt den besten Ruf hat: In Jacksonville, Florida wurde Kindern beigebracht, dass man aus Gründen der Sicherheit auf seine Bürgerrechte verzichten muss. Geht aber noch krasser. In Albany, New York lautete das Thema im Englisch-Aufsatz, warum die Juden für die Probleme in Nazi-Deutschland verantwortlich waren.

    The English teacher, who has not been named, asked students to pick a method of argument and review a packet of Nazi propaganda in order to make a persuasive argument that „Jews are evil and the source of our problems“.

    Ein Drittel der Schüler weigerte sich immerhin, den Aufsatz zu schreiben. Die Schulbehörde diskutiert gegenwärtig das weitere Vorgehen.

  • Zu amerikanischen Neo-Nazis, wenn wir schon mal dabei sind: Die BBC beschreibt in einem ausführlichen Bericht die Entwicklung und heutige Stärke von rechtsradikalen Gruppen in US-Gefängnissen. Man müsse sich diese Organisationen eher als „normale“ kriminelle Banden denn als ideologische Gruppen vorstellen:

    Although its constitution demands that members must be „genetically of European ancestry“ and believe in „the racial purity of the white race“, its leaders have proved pragmatic in their dealings with non-white outsiders.

    Die Mitglieder werden demnach in der Organisation gehalten, in dem man sie mit Hakenkreuzen und ähnlichen Symbolen tätowiert. Entsprechend geringe Chancen auf einen normalen Job haben die Häftlinge, wenn sie entlassen werden.

  • Zum Wahlsystem: Wie würden die USA aussehen, wenn man die Bundesstaaten nach gleicher Bevölkerungszahl — also etwas mehr als sechs Millionen je Bundesstaat — aufteilen würde? Die Namen der neuen Staaten sind allerdings sehr seltsam.
  • Zu The Wizard of Oz und Alice in Wonderland, wenn wir schon Einträge als Fragen formulieren: Was sagt Alice, wenn sie sich mit Dorothy zum Tee trifft?
  • Zu Sperma-Exporten: Es ist vielleicht nicht unbedingt ein Thema, das diesem Autor in den Sinn kam, als er mit diesem Blog anfing, aber gut: Offenbar sind die USA der weltgrößte Exporteur von Sperma. Nur, warum?

    It’s not about the superior fitness of American males, exactly. One reason is that the US’s immigration history means lots of ethnic diversity. For some would-be mothers from other parts of the world, this can give US product a leg up over places like Denmark, another sperm exporting powerhouse.

    Der Fachausdruck für die Folgen der Gendurchmischung lautet Heterosis, auf Englisch auch hybrid vigor genannt. Dazu kommt die Kombination aus strengen Qualitätskontrollen und vergleichsweise lockeren Gesetzen. Kanada importiert übrigens 90 Prozent seines Spermas aus den USA. Nur so als nützliche Hintergrundinformation.

  • Zur Meinungsfreiheit: Können wir da noch einen draufsetzen? Klar. Wir haben erklärt, dass Parodie und Satire in den USA außergewöhnlich stark durch das First Amendment geschützt sind. So sehr, dass man in den USA Porno-Filme mit eigentlich geschützten Figuren drehen kann, so lange man das Ganze als Humor verpackt. Wir kommen jetzt darauf, weil io9 argumentiert, dass den Machern einer solchen porn parody als ersten überhaupt gelungen ist, Wonder Woman eine gute Uniform zu verpassen.

    Axel Braun (…) has just released the first entirely safe-for-work picture of Kimberly Kane as Wonder Woman from her upcoming porn flick, and holy god that is the best Wonder Woman outfit I’ve ever seen.

    Der Link ist ungefährlich für die Arbeit (außer, der Chef mag kein Wonder Woman), daher kann sich der interessierte Leser zu Recherchezwecken ohne Gefahr der sozialethischen Desorientierung selbst ein Bild vom Kostüm machen. Danach gibt es mehr zum juristischen Hintergrund von so Streifen wie The Dark Knight: XXX. Was vermutlich gleich die kalte Dusche spart.


Die Logik hinter amerikanischen Straßennamen

April 1, 2013

Europäer haben fürchterlich unlogisch und unordentlich angeordnete Städte. Die Straßen verlaufen krumm, gebogen, schief, ändern unvermittelt ihre Namen und stoßen nur ganz selten in rechten Winkeln aufeinander.

Fragt man einen Europäer, warum das so ist, versucht er sich mit einem Hinweis auf das Mittelalter herauszureden. Das ist natürlich dummes Zeug, denn die Chinesen haben in ihren Städten wie Xian — knapp 3.000 Jahre alt — schnurgerade Straßen [Karte]. Die alten Europäer haben es einfach nicht auf die Reihe gekriegt.

Die ausgewanderten Europäer dagegen haben vernünftige Straßen angelegt. Amerikaner (und Kanadier) lieben systematische Stadtpläne. Am bekanntesten dürfte in Deutschland die Straßenführung auf Manhattan sein, wo die Namen grob diesen Regeln folgen:

  • Nord-Süd-Verlauf: Name mit avenue
  • Ost-West-Verlauf: Name mit street
  • Die Nummern der Avenues nehmen von Osten nach Westen zu
  • Die Nummern der Streets nehmen von Süden nach Norden zu

Allerdings ist das System in New York nicht wirklich perfekt, schon weil Manhattan eine lang gestreckte Insel ist, auf der „Nord-Süd“ eigentlich „Nordosten-Südwesten“ heißen muss. Vermutlich haben die Niederländer da irgendwas vermasselt.

Wir wollen heute am Beispiel von Phoenix im Bundesstaat Arizona zeigen, wie logisch Straßennamen und Hausnummern sein können [Karte], wenn man sich etwas Mühe gibt. Als Vorbild für alle SimCity-Spieler sozusagen.

Dazu muss man wissen: Phoenix liegt in einem Wüstental, das Gebiet ist flach und vor der Erfindung der Klima-Anlage wohnte hier kaum jemand. Inzwischen ist sie die fünftgrößte Stadt der USA (zur Erinnerung: Kühlen ist energetisch günstiger als heizen, selbst bevor man den Aufwand des Schneeräumens einbezieht). Ziemlich ideale Bedingungen also.

Es versteht sich von selbst, dass die Straßen Ost-West und Nord-Süd ausgerichtet und gerade sind – natürlich nicht ganz grade, denn ein guter Städteplaner berücksichtigt die Erdkrümmung (ob das in Xian auch der Fall ist, konnte dieser Autor nicht herausfinden). Fangen wir mit dem Hauptkreuz in der Stadtmitte an:

  • Die Nord-Süd-Achse heißt Central Ave. Zugegeben, das ist etwas fantasielos. Aber immerhin weiß man sofort, was Sache ist.
  • Die Haupt-West-Ost-Achse heißt Washington Street. Auch das ist keine große Überraschung. Amerikaner halt.

Damit hat man schon mal eine Grundlage. Bei den „Senkrechten“ — den Nord-Süd-Straßen — gelten jetzt folgende Regeln:

  • Alle haben Zahlen in ihrem Namen (zum Beispiel „50th Street“). Central ist dabei die „Straße Null“.
  • Die Straßen liegen so, dass der Abstand von acht Straßennummern eine Meile beträgt (beispielsweise von der 8th Street bis zur 16th Street). Nullpunkt ist die Kreuzung von Washington und Central. Dazwischen kann es kleinere Straßen geben.
  • Nord-Süd-Straßen westlich von Central sind avenues (wie „42nd Ave“).
  • Wenn sie östlich von Central liegen, handelt es sich dagegen um streets („22nd Street“).
  • Der nördlich von Washington gelegene Abschnitt bekommt ein north vorangestellt („North 32nd Street“, oder kürzer „N. 32nd St.“).
  • Der südlich von Washington gelegene Abschnitt bekommt ein south vorangestellt („S. 32nd St.“).

Damit können wir bei den Senkrechten sofort an der Adresse erkennen, in welchem Quadraten der Stadt die Straße liegt: „North 120th Avenue“ (in der Praxis: „N 120th Ave“) ist im Nordwesten zu finden, oder „links oben“ auf der Karte.

Mit den „Waagerechten“ ist das etwas schwieriger, denn hier wurde man schwach und hat Namen benutzt. Immerhin gilt:

  • Der Abschnitt, der westlich von Central liegt, bekommt ein west vorangestellt („W. Washington St.“).
  • Der Abschnitt, der östlich von Central liegt, bekommt ein east vorangestellt („E. Washington St.“).

Trotzdem muss man sich merken, wo ungefähr „Bell Road“ oder „Thomas Road“ liegen, zumindest bis die Borg die Erde übernehmen und diesen Makel ausbügeln.

Das waren die Straßenamen. Jetzt kommen wir zu den Hausnummern, der zweiten Komponente des Systems.

Auch hier fangen wir in der Mitte an und zählen von dort aus in alle vier Himmelsrichtungen hoch. In der Praxis bedeutet das zuerst, dass Hausnummern problemlos vier- oder fünfstellig sein können. Da sie im Gegensatz zum deutschen System vorangestellt werden, finden wir dann als Anschrift für die South Mountain Community Library:

7050 South 24th Street

Das ist noch nicht alles. Unterschieden wird auch zwischen graden und ungraden Hausnummern.

Je nach Verlauf der Straße liegen die ungraden Nummer an der Südseite (bei West-Ost-Straßen) oder Ostseite (bei Nord-Süd-Straßen). Entsprechend liegen die graden Hausnummern an der Nord- oder Westseite. Bei der (frei erfundenen) Adresse 10202 N. 96th Ave wissen wir sofort, dass wir ein Haus auf der westlichen Straßenseite suchen.

Das war jetzt leider eine idealisierte Darstellung von dem System in Phoenix. In der Praxis greift es nicht im Stadtkern, wo teilweise schon anderen Namen vergeben worden waren. Einige Straßen heißen road oder drive. Andere wurden diagonal durch das rechtwinklige Netz getrieben. Die Schnellstraßen machen komische Kurven. Perfektion sieht anders aus.

Aber immerhin weiß man jetzt, warum der Polizist in der amerikanischen (oder kanadischen) Lieblingsfernsehserie ohne ein Blick auf die Karte erstmal losbrausen kann, wenn er eine Adresse hat. Er weiß schon durch den Straßennamen, wo Bo und Kenzi diesmal die Leiche gefunden haben.

Es gibt noch eine Reihe von anderen Benennungssystemen in den USA, die zum Teil subtiler sind. Schauen wir uns Arlington, Virginia an: Die Namen der Nord-Süd-Straßen haben mehr Silben, desto weiter man nach Westen kommt.

  • One-syllable names (Ball Street to Wayne Street)
  • Two-syllable names (Adams to Woodrow)
  • Three-syllable names (Abingdon to Yucatan)
  • Four-syllable names (Arizona being the only street in this sequence)

Der Trick mit den Silben ist den Planern in Phoenix leider nicht eingefallen. Angesichts des rasanten Wachstums der Stadt wäre man ansonsten vielleicht inzwischen bei der „W. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Rd.“ angelangt.

[Dieser Eintrag beruht auf einen Vortrag an der Grundschule von Kind Nummer Eins]